Bochum braucht für benachteiligte Stadtteile echte finanzielle Hilfe statt Symbolpolitik
Knapp 7 Mio. Euro erhält Bochum vom Land NRW um den Niedergang von fünf Stadtteilen zu stoppen. Ein lächerlich geringer Betrag, mit dem nichts Durchgreifendes bewirkt werden kann. Die Freude Bochumer Politiker*innen über diesen “Geldsegen” erscheint unangebracht.
So funktioniert Symbolpolitik, das Land lobt Jahr für Jahr eine auf den ersten Blick hohen Millionenbetrag an Mitteln für Städtebauförderung aus (Städtebauförderung 2021: 368 Mio.), der dann auf Projekte der 214 Städte und Gemeinden des Landes verteilt werden. Das ermöglicht im ersten Schritt eine medienwirksame Ankündigung des scheinbaren Geldsegens und dann im zweiten eine symbolische Übergabe der Millionen-Zuwendungsbescheide vor Ort, bei der sich Ministerin wie Lokalpolitiker*innen auch bildlich gegenüber den Wähler*innen als Segensbringer*innen in Szene setzen können. Dabei haben die Kommunen eigentlich nur Anträge gestellt, die dann erwartungsgemäß fast alle von der Bezirksregierung im zuvor avisierten Umfang bewilligt wurden (Bochum und der Förderirrsinn).
Städtebauförderung in homöopathischen Dosen
Dass der bewilligte Betrag eigentlich zu gering ist um damit Nennenswertes zu erreichen, wird im Rahmen der politischen Inszenierung gekonnt überspielt, Sieht man nur die reine Zahl, geht es um “Millionen”. 7 Millionen hört sich viel an, ist aber tatsächlich lächerlich wenig. Über 1.500 Mio. umfasst der Haushalt der Stadt Bochum, da sind 7 Mio. nicht mal ein halbes Prozent. Dazu müssen die 7 Mio. auf fünf Stadtteile aufgeteilt werden (Wattenscheid, Laer, Hamme, Werne/LA_Alter Bahnhof und Innenstadt). In allen fünf Stadtteilen besteht dringender Handlungsbedarf, um die negative Entwicklung der letzten Jahre zu stoppen.
Schaut man sich an, welche Summen wirklich erforderlich wären, um den Niedergang der fünf Stadtteile zu stoppen, dann stellt der Betrag nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein dar, der schon verdunstet ist, ehe er überhaupt auf dem Stein auftrifft. Das wird auch an den konkreten Maßnahmen deutlich, die mit dem Geld gefördert werden sollen (Städtebauförderprogramm 2021)). Zwar sind diese Projekte für sich gesehen allesamt wichtig und richtig, sie sind aber nicht im Ansatz geeignet, die negative Entwicklung der Stadtteile aufzuhalten. 62% der 7 Mio. Fördermittel entfallen auf nur zwei Projekte: In Wattenscheid fließen 2,5 Mio. in das Haus für Musik, Kunst und Kultur der Musikschule, in Laer 1,85 Mio. in die Aufwertung des Spiel- und Bolzplatzes an der Grundschule.
Diese Projekte sollen den Niedergang ganzer Stadtteile stoppen? Wohl kaum, dafür sind andere Maßnahmen in ganz anderen Dimensionen erforderlich. Um die Stadtteile wieder vorzeigbar zu machen, damit Menschen wieder gerne hinziehen, muss die Stadt grundlegende Sanierungs- Modernisierungsmaßnahmen auf den Weg bringen. In Wattenscheid müsste die Innenstadt, in Laer der Bereich um den Lahiri-Platz grundlegend neugestaltet werden. Das beides zusammen würde nach vorsichtigen Schätzungen mindestens 100 Mio. Euro kosten. Angesichts dieser Aufgabe und Herausforderung, wirken die beiden geförderten Projekte wie zwei Sandkörner in der Wüste.
Von den insgesamt 7 Mio. entfallen auf die Stadtteile Hamme und Innenstadt jeweils rund 520 und 560 TEuro, das ISEK-Gebiet Werne/LA-Alter Bahnhof bekommt sogar nur 330 TEuro. Das ist kaum mehr als Städtebauförderung in homöopathischen Dosen.
Geförderte Maßnahmen sind fragwürdig
Zudem ist die Mittelverwendung fragwürdig. In Wattenscheid, Hamme und Innenstadt fließt ein wesentlicher Teil der Mittel in so genannte “Hof- und Fassadenprogramme”, in Fachkreisen auch Potemkinsche-Dörfer-Programme 2.0 genannt. Mit einem Teil dieser Gelder streichen jene Immobilienbesitzer*innen ihre Fassaden, die das sonst auch ohne staatliche Förderung getan hätten, ein anderer Teil macht die Fassade und den Hof schön, substanziell aber ändert sich an den Gebäuden sonst nichts, eine bisher nicht geplante grundsätzliche Sanierung und Modernisierung wird durch solche Programme eher selten angestoßen. So wird das Stadtbild zwar punktuell für ein paar Jahre aufgehübscht, eine nachhaltige und dauerhafte Wirkung ist jedoch nicht zu erwarten.
Die Städtebauförderung NRW ist letztlich nicht mehr als ein typisches Instrument aus dem Werkzeugkasten der Symbolpolitik, mit dem sich die Politik gegenüber den Wähler*innen mit Aktionismus profilieren möchte. Wollte man in NRW wirklich die negative Entwicklung in bestimmten Teilen des Ruhrgebietes von Marxloh, Altenessen, Dortmunder Nordstadt bis Wattenscheid-Mitte aufhalten, dann wäre ein auf diese Stadtteile fokussierter Mitteleinsatz in einer ganz anderen Dimension erforderlich.
Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“
Das ist der Stadt Bochum durchaus bewusst, weshalb sie sich am Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ beteiligt, das unter dem Motto “Not der Städte in NRW endlich beenden: Für Zukunftspakt & gleichwertige Lebensverhältnisse” eine Finanzausstattung der Kommunen mit eigenem Geld fordert, die es unter anderem ermöglicht, dass die Kommunen die negativen Entwicklungen in den benachteiligten Stadtteilen mit eigenen Haushaltsmitteln beenden können und den Städten die Bettelei um Brotkrumen wie bei der Städtebauförderung erspart bleibt.
Angesichts des Engagements der Stadt im Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ ist jedoch erstaunlich, dass der Oberbürgermeister die Zuweisungsbescheide für die in jeder Hinsicht unzureichenden Fördermittel ohne ein Wort der Kritik aus den Händen der Ministerin entgegennahm und sich die Stadt in einer Pressemitteilung nicht kritisch, sondern überschwänglich erfreut über die Mittelzuweisung zeigte (Pressemitteilung Stadt Bochum 29.07.21).
Mut für klare Worte gegenüber der Ministerin fehlte
Der Übergabetermin wäre ein Anlass für klare Worte gegenüber der Ministerin gewesen. Die Stadt hätte deutlich auf die Lage der sich in Not befindlichen Stadtteilen hinweisen können. Angesichts der ungenügenden Zuwendungen wäre es nötig gewesen nachdrücklich auf die Forderung der Stadt nach einer angemessene Finanzausstattung hinzuweisen, um Bochum wieder in die Lage versetzen aus eigener Kraft gleichwertige Lebensverhältnisse in der ganzen Stadt herzustellen. Leider fehlte für ein deutliches Statement der Mut. Stattdessen ließen sich Politiker*innen der Stadt für die Symbolpolitik des Landes einspannen und stellten sich lächelnd für ein Foto mit der Ministerin auf.
Gegen deutliche Worte gegenüber der Ministerin kann eingewendet werden, dass zu befürchten ist, dass die Stadt Gefahr liefe, bei der nächsten Vergabe von Städtebaufördermitteln dafür mit ein paar Millionen weniger abgestraft zu werden. Dieses Risiko besteht. Das Ziel aber sollte sein auf Dauer eine angemessene Finanzausstattung zu erreichen. Das wird nur gelingen, wenn alle betroffenen Städte klare Kante zeigen und sich nicht bereits wegen ein paar Millionen mehr oder weniger für die Symbolpolitik des Landes vereinnahmen zu lassen.