01 Aug

Bochum braucht für benachteiligte Stadtteile echte finanzielle Hilfe statt Symbolpolitik

Knapp 7 Mio. Euro erhält Bochum vom Land NRW um den Niedergang von fünf Stadtteilen zu stoppen. Ein lächerlich geringer Betrag, mit dem nichts Durchgreifendes bewirkt werden kann. Die Freude Bochumer Politiker*innen über diesen “Geldsegen” erscheint unangebracht.

So funktioniert Symbolpolitik, das Land lobt Jahr für Jahr eine auf den ersten Blick hohen Millionenbetrag an Mitteln für Städtebauförderung aus (Städtebauförderung 2021: 368 Mio.), der dann auf Projekte der 214 Städte und Gemeinden des Landes verteilt werden. Das ermöglicht im ersten Schritt eine medienwirksame Ankündigung des scheinbaren Geldsegens und dann im zweiten eine symbolische Übergabe der Millionen-Zuwendungsbescheide vor Ort, bei der sich Ministerin wie Lokalpolitiker*innen auch bildlich gegenüber den Wähler*innen als Segensbringer*innen in Szene setzen können. Dabei haben die Kommunen eigentlich nur Anträge gestellt, die dann erwartungsgemäß fast alle von der Bezirksregierung im zuvor avisierten Umfang bewilligt wurden (Bochum und der Förderirrsinn).

Städtebauförderung in homöopathischen Dosen

Dass der bewilligte Betrag eigentlich zu gering ist um damit Nennenswertes zu erreichen, wird im Rahmen der politischen Inszenierung gekonnt überspielt, Sieht man nur die reine Zahl, geht es um “Millionen”. 7 Millionen hört sich viel an, ist aber tatsächlich lächerlich wenig. Über 1.500 Mio. umfasst der Haushalt der Stadt Bochum, da sind 7 Mio. nicht mal ein halbes Prozent. Dazu müssen die 7 Mio. auf fünf Stadtteile aufgeteilt werden (Wattenscheid, Laer, Hamme, Werne/LA_Alter Bahnhof und Innenstadt). In allen fünf Stadtteilen besteht dringender Handlungsbedarf, um die negative Entwicklung der letzten Jahre zu stoppen.

Schaut man sich an, welche Summen wirklich erforderlich wären, um den Niedergang der fünf Stadtteile zu stoppen, dann stellt der Betrag nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein dar, der schon verdunstet ist, ehe er überhaupt auf dem Stein auftrifft. Das wird auch an den konkreten Maßnahmen deutlich, die mit dem Geld gefördert werden sollen (Städtebauförderprogramm 2021)). Zwar sind diese Projekte für sich gesehen allesamt wichtig und richtig, sie sind aber nicht im Ansatz geeignet, die negative Entwicklung der Stadtteile aufzuhalten. 62% der 7 Mio. Fördermittel entfallen auf nur zwei Projekte: In Wattenscheid fließen 2,5 Mio. in das Haus für Musik, Kunst und Kultur der Musikschule, in Laer 1,85 Mio. in die Aufwertung des Spiel- und Bolzplatzes an der Grundschule.

Städtebauförderung Bochum 2021

Diese Projekte sollen den Niedergang ganzer Stadtteile stoppen? Wohl kaum, dafür sind andere Maßnahmen in ganz anderen Dimensionen erforderlich. Um die Stadtteile wieder vorzeigbar zu machen, damit Menschen wieder gerne hinziehen, muss die Stadt grundlegende Sanierungs- Modernisierungsmaßnahmen auf den Weg bringen. In Wattenscheid müsste die Innenstadt, in Laer der Bereich um den Lahiri-Platz grundlegend neugestaltet werden. Das beides zusammen würde nach vorsichtigen Schätzungen mindestens 100 Mio. Euro kosten. Angesichts dieser Aufgabe und Herausforderung, wirken die beiden geförderten Projekte wie zwei Sandkörner in der Wüste.

Von den insgesamt 7 Mio. entfallen auf die Stadtteile Hamme und Innenstadt jeweils rund 520 und 560 TEuro, das ISEK-Gebiet Werne/LA-Alter Bahnhof bekommt sogar nur 330 TEuro. Das ist kaum mehr als Städtebauförderung in homöopathischen Dosen.

Geförderte Maßnahmen sind fragwürdig

Zudem ist die Mittelverwendung fragwürdig. In Wattenscheid, Hamme und Innenstadt fließt ein wesentlicher Teil der Mittel in so genannte “Hof- und Fassadenprogramme”, in Fachkreisen auch Potemkinsche-Dörfer-Programme 2.0 genannt. Mit einem Teil dieser Gelder streichen jene Immobilienbesitzer*innen ihre Fassaden, die das sonst auch ohne staatliche Förderung getan hätten, ein anderer Teil macht die Fassade und den Hof schön, substanziell aber ändert sich an den Gebäuden sonst nichts, eine bisher nicht geplante grundsätzliche Sanierung und Modernisierung wird durch solche Programme eher selten angestoßen. So wird das Stadtbild zwar punktuell für ein paar Jahre aufgehübscht, eine nachhaltige und dauerhafte Wirkung ist jedoch nicht zu erwarten.

Die Städtebauförderung NRW ist letztlich nicht mehr als ein typisches Instrument aus dem Werkzeugkasten der Symbolpolitik, mit dem sich die Politik gegenüber den Wähler*innen mit Aktionismus profilieren möchte. Wollte man in NRW wirklich die negative Entwicklung in bestimmten Teilen des Ruhrgebietes von Marxloh, Altenessen, Dortmunder Nordstadt bis Wattenscheid-Mitte aufhalten, dann wäre ein auf diese Stadtteile fokussierter Mitteleinsatz in einer ganz anderen Dimension erforderlich.

Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“

Das ist der Stadt Bochum durchaus bewusst, weshalb sie sich am Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ beteiligt, das unter dem Motto “Not der Städte in NRW endlich beenden: Für Zukunftspakt & gleichwertige Lebensverhältnisse” eine Finanzausstattung der Kommunen mit eigenem Geld fordert, die es unter anderem ermöglicht, dass die Kommunen die negativen Entwicklungen in den benachteiligten Stadtteilen mit eigenen Haushaltsmitteln beenden können und den Städten die Bettelei um Brotkrumen wie bei der Städtebauförderung erspart bleibt.

Angesichts des Engagements der Stadt im Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ ist jedoch erstaunlich, dass der Oberbürgermeister die Zuweisungsbescheide für die in jeder Hinsicht unzureichenden Fördermittel ohne ein Wort der Kritik aus den Händen der Ministerin entgegennahm und sich die Stadt in einer Pressemitteilung nicht kritisch, sondern überschwänglich erfreut über die Mittelzuweisung zeigte (Pressemitteilung Stadt Bochum 29.07.21).

Mut für klare Worte gegenüber der Ministerin fehlte

Der Übergabetermin wäre ein Anlass für klare Worte gegenüber der Ministerin gewesen. Die Stadt hätte deutlich auf die Lage der sich in Not befindlichen Stadtteilen hinweisen können. Angesichts der ungenügenden Zuwendungen wäre es nötig gewesen nachdrücklich auf die Forderung der Stadt nach einer angemessene Finanzausstattung hinzuweisen, um Bochum wieder in die Lage versetzen aus eigener Kraft gleichwertige Lebensverhältnisse in der ganzen Stadt herzustellen. Leider fehlte für ein deutliches Statement der Mut. Stattdessen ließen sich Politiker*innen der Stadt für die Symbolpolitik des Landes einspannen und stellten sich lächelnd für ein Foto mit der Ministerin auf.

Gegen deutliche Worte gegenüber der Ministerin kann eingewendet werden, dass zu befürchten ist, dass die Stadt Gefahr liefe, bei der nächsten Vergabe von Städtebaufördermitteln dafür mit ein paar Millionen weniger abgestraft zu werden. Dieses Risiko besteht. Das Ziel aber sollte sein auf Dauer eine angemessene Finanzausstattung zu erreichen. Das wird nur gelingen, wenn alle betroffenen Städte klare Kante zeigen und sich nicht bereits wegen ein paar Millionen mehr oder weniger für die Symbolpolitik des Landes vereinnahmen zu lassen.

25 Okt

Tiny House Quartier für Goldhamme

Die STADTGESTALTER schlagen vor, Goldhamme mit einem Tiny House Quartier einen neuen Impuls zu geben. Das neue Wohnquartier soll Goldhamme auch für Menschen aus Gesellschaftsschichten attraktiv machen, die bisher eher nicht in den Stadtteil ziehen. Zudem soll ein neues Nahversorgungszentrum entstehen.

Der Vorschlag soll helfen der negative Entwicklung des Stadtteil entgegen zu wirken. Die soziale Schieflage im Stadtteil Goldhamme hat in den letzten Jahren immer weiter zugenommen. Auch eine gute Nahversorgung ist im Stadtviertel nicht mehr möglich. 

Goldhamme, ein Stadtteil mit vielfältigen Schwierigkeiten

Die Stadt bezeichnet Goldhamme als “Ankommerstadtteil”. Eine Umschreibung dafür, dass Menschen die mit wenig Geld und geringen Ansprüchen an Wohnkomfort nach Bochum kommen, sich dort ansiedeln und dann wieder wegziehen, wenn es der Geldbeutel zulässt.

Die kleinen Geschäfte im Viertel sind fast alle verschwunden, ein Stadtteilzentrum gibt es nicht. Auch das Stadtteilentwicklungskonzept Stadtteilumbau West konnte insbesondere für das nördliche Goldhamme keine positive Entwicklung in Gang setzen. Der Schwerpunkt bei den Maßnahmen lag nicht in Goldhamme, sondern in Stahlhausen rund um den Springerplatz.

In Goldhamme fehlt mittlerweile die soziale Durchmischung, wie es sie noch bis in die 60er Jahre gab. “In sozialer Hinsicht wohnen im „Westend“ [zu dem Goldhamme zählt] hauptsächlich Personen mit niedrigem bis mittlerem Bildungsstand und Einkommen, darunter überproportional häufig Menschen in sozialen und finanziellen Bedarfslagen … Goldhamme gehört zu der Gruppe der Stadtteile mit den höchsten Ausländeranteilen. Der Schwerpunkt liegt auf Personen aus dem türkischen Kulturkreis, es wird aber auch eine Zunahme von Bewohnern aus Osteuropa (Polen, Russland, Bulgarien etc.) beobachtet.”, so wird die Lage im Städebaulichen Entwicklungskonzept Goldhamme beschrieben.

Ein weiteres Problemfeld stellt die Nahversorgung dar. Eine angemessene Nahversorgung des Stadtteils ist nicht mehr gewährleistet. Es fehlt in Goldhamme eine städtebauliche Mitte mit Platzcharakter, heißt es im Städebaulichen Entwicklungskonzept Goldhamme 

Entwicklungsziele für Goldhamme

Für den Stadtteil auch Menschen anderer sozialer Schichten zu gewinnen und die Nahversorgung zu verbessern, sollten daher zwei zentrale Ziele bei der zukünftigen Stadtentwicklung in Goldhamme sein.

Entwicklungspotential im Norden von Goldhamme

Die STADTGESTALTER haben vor diesem Hintergrund die Entwicklung einer Fläche ins Auge gefasst, die bisher nicht Gegenstand des Entwicklungskonzepts Goldhamme war. Es handelt sich um das Grabeland westlich der Goldhammer und nördlicher der Wattenscheider Straße. Diese Fläche befindet sich im Besitz eines Privateigentümers, der Stadt sowie der Vonovia. Aktuell befindet sich hier eine wild gewachsene Siedlung von Hütten und Schuppen. Die Gegend wird von den Bewohner und Besuchern als tendenziell verwahrlost und verloren wahrgenommen.

Lage der Entwicklungsfläche in Goldhamme

Die Fläche bietet also Entwicklungspotential, um hier Möglichkeiten zur Nahversorgung und neue Wohnmöglichkeiten für Menschen aus sozialen Schichten zu schaffen, die bisher wenig bis gar nicht in Goldhamme anzutreffen sind.

Dabei sind jedoch insbesondere 3 Punkte zu beachten:
– Das Grabeland hat einen Naturwert, der durch eine Bebauung nicht verloren gehen sollte.
– Durch das Gebiet führt eine zentrale Gaspipeline, die nicht mit festen Wohngebäuden überbaut werden darf.
– Die Fläche ist Bergschadensgebiet, so dass eine Bebauung mit großen Wohngebäuden voraussichtlich schwierig und kostenaufwendig wäre.

Die Idee des Tiny House Quartiers Goldhamme

Um diesen drei Anforderungen gerecht zu werden, schlagen die STADTGESTALTER vor, auf der beschriebenen Fläche ein Tiny House Quartier anzulegen, in dem sich 100 bis 200 Bewohner ansiedeln könnten.

Plan Tiny House Quartier Goldhamme

Tiny Houses sind Klein- und Minihäuser, in denen 1-3 Personen auf nur 15-60 Quadratmeter Grundfläche leben. Insbesondere in den USA und Großbritannien gibt es mittlerweile ein Tiny House Movement. Eine Bewegung von Menschen, deren Ziel eine nachhaltige Wohn- und Lebensweise auf möglichst kleiner Fläche ist. “Reduce to the max” bzw. “Weniger ist mehr” könnte als Slogan der Bewegung verstanden werden. Dabei geht es auch darum, sich selbst zu verwirklichen und für sich selbst Tiny Houses zu bauen, die den individuellen Ansprüchen entsprechen (Beispiel für ein Bochum stehendes und gebautes Tiny House), und regelmäßig in Abgrenzung zu typischen amerikanischen Mobilhome-Siedlungen hohe architektonische Standards erfüllen.

Der Plan der STADTGESTALTER sieht ein Quartier von unterschiedlich großen Tiny-Houses vor, in dem sich die Bewohner Nutzgärten, Plätze, Werkstätten, Fahrzeuge und anderes teilen können. Hinzu kommt ein kleines Nahversorgungszentrum an der Goldhammer Straße, mit Quartiersparkhaus , Supermarkt und ggf. anderen Einkaufsmöglichkeiten, das der besseren Nahversorgung des gesamten nördlichen Goldhammes dienen soll.

Bevorzugte Bewohner von Tiny-Houses sind 1-2 Personen-Haushalte mit niedrigem Baubudget, die sich mit ihrem Tiny-House selbst verwirklichen wollen, es daher ganz oder teilweise selbst bauen. Das können Studenten sein, Senioren oder Singles oder Paare jeden Alters sein, die in den eigenen vier Wänden und nicht zur Miete wohnen möchten, aber mit wenig Platz auskommen wollen. Tiny Houses sind mobil, sie können jederzeit an einen anderen Ort versetzt werden.

Das Tiny House Quartier soll nach den Vorstellungen der STADTGESTALTER auf einer großen Gartenfläche angelegt werden, auf der die Mini- und Kleinhäuser stehen. Autos werden im Quartiersparkhaus untergestellt. Straße und Garagen müssen daher nicht gebaut werden. Einfache Wege zum Anschluss der Häuser reichen aus. Jedes Grundstück verfügt über die erforderlichen Versorgungsanschlüsse (Wasser, Abwasser, Strom). Strom für die Siedlung könnte über eine Solaranlage auf den Abraumhügel am Westkreuz erzeugt werden. Auch sollte über eine Kleinkläranlage nachgedacht werden. Um die Bauvorschriften einhalten zu können, müsste die Gesamtfläche an die Bewohner der Tiny-Houses verpachtet werden oder diese besitzen diese gemeinschaftlich.

Weitere Vorschläge für den Norden von Goldhamme

Über die Goldhammer Straße sollte das nördliche Goldhamme einen direkten Bahnanschluss an die von den STADTGESTALTERn bereits vorgeschlagene Regiotram-Llinie (Bahnlinie von der Uni Essen über Leithe und Günnigfeld zum Bochumer Hauptbahnhof) und den Radschnellweg RS1 erhalten. Um den Regiotram-Halt und den RS1 besser zu erreichen zu können sollte darüber hinaus die zugemauerte Unterführung am „Am Frohen Blick” wieder geöffnet werden.

Umgebungsplan Tiny House Quartier Goldhamme

Im Bereich nördlich der Bahnlinie könnten sich die STADTGESTALTER zudem die Anlage eines verkehrsgünstig gelegenen Stadtcampingplatzes vorstellen.

Das Tiny House Quartier soll Goldhamme bereichern

Die Nutzung der Fläche für eine Tiny House Siedlung erscheint ideal, der Gartencharakter des jetzigen Grabelandes bliebe erhalten, jetzige Bewohner der Fläche hätten die Möglichkeit zukünftig in ein Tiny House zu ziehen, die kleinen Häuser des Quartiers passen ebenso zu den benachbarten Schrebergartenanlagen wie zu der ebenfalls kleinteiligen Bebauung entlang der Straße “An der Maarbrücke”.

Das neue Quartier bereichert das Stadtviertel um eine Bevölkerungsgruppe und ermöglicht die Schaffung neuer Nahversorgungsmöglichkeiten. Eine in den Augen der Bewohner tendenziell verwahrloste Ecke von Goldhamme verschwindet, das Stadtbild wird dagegen durch eine Siedlung mit architektonisch spannenden Klein- und Minihäusern auf einer durchgrünten Gartenfläche bereichert, die Stadt Bochum könnte zeigen, dass sie auch neuen Wohnformen Platz bietet.

Um in einem nächsten Schritt die Idee der STADTGESTALTER weiter zu entwickeln, müssten Stadt und Vonovia überzeugt werden ihre Grundstücke dafür bereit zu stellen. Der betroffene private Grundstückseigentümer hat bereits signalisiert, dass er sich eine solche Bebauung vorstellen könnte.

Entwürfe und Pläne: Sarah Staiger (Bachelor of Science Architektur)