07 Jul

Wie SPD, Grüne und CDU den kleinen Parteien 2025 die Sitze stehlen wollen

CDU, SPD und Grüne haben in dieser Woche ein neues Kommunalwahlgesetz verabschiedet. Es legt fest, dass die großen Parteien schon für eine Stimme einen zusätzlichen Sitz im Stadtrat erhalten, der den kleinen Parteien trotz hunderter überzähliger Stimmen abgenommen wird. In diesem Beitrag wird am Beispiel von Bochum erklärt, wie der Stimmenraub funktioniert.

Schon immer sind den großen Parteien die kleinen ein Dorn im Auge. Jetzt haben SPD, Grüne und CDU ein neues Wahlgesetz verabschiedet, um der unliebsamen Konkurrenz bei der nächsten Kommunalwahl in skandalöser Weise die Sitze zu stehlen. Die Sitzzuteilung von überzähligen Sitzen soll zukünftig nicht mehr nach der Zahl der Reststimmen erfolgen, sondern, danach wie groß bzw. stark eine Partei im Kommunalparlament vertreten ist.

Wäre das geänderte Gesetz schon bei der letzten Kommunalwahl angewendet worden, hätte die CDU landesweit 184 Kommunalsitze mehr erreicht. die SPD 84 Sitze und die Grünen 51 Sitze. Die kleinen hätten diese insgesamt 319 Sitze an die großen abgeben müssen (Landtag ändert Kommunalwahlrecht – FDP will klagen).

Wie funktioniert der Stimmenraub?

Doch wie funktioniert der Stimmenklau (Drucksache 18/9806)? Das lässt sich am Beispiel des Stadtrats der Stadt Bochum anschaulich erklären. Dazu wird im Folgenden auf das marginal abgeänderte Wahlergebnis aus 2020 zurückgegriffen. Aus Anschaulichkeitsgründen wird davon ausgegangen, dass die CDU 156 Stimmen mehr erzielt hätte, als das real der Fall war, dafür Grüne und kleine politische Gruppierungen156 Stimmen weniger. Zudem wird angenommen, dass eine der kleinen Parteien, sich in zwei Parteien aufgespalten hat, was in der Realität 2023 auch so geschehen ist.

Das Sitzzuteilungsverfahren bis 2020

Nach dem bisherigen Sitzzuteilungsverfahren, wären die 86 Sitze, des Bochumer Stadtrates, die sich aufgrund von Überhangmandaten ergeben*, im Prinzip in folgender Weise** aufgeteilt worden: 

Für jede politische Gruppierung ergibt sich, wenn man die bei der Wahl erreichte Stimmenzahl durch die Zahl der gültigen abgegebenen Stimmen (138.334) teilt und den Wert dann mit der Gesamtzahl der Ratssitze (86) multipliziert ein Idealanspruch auf die erreichten Sitze. So erreicht die Partei D 2.808 Sitze (4.517 erzielte Stimmen / 138.334 x 86). Das Problem, 2 Sitze kann man an die Partei D direkt vergeben, ein 0,808 Sitz kann aber nicht zugeteilt werden. Entweder die Partei bekommt einen vollen Sitz oder keinen.

Stimmenzuteilung 2020 auf Basis des Wahlergebnis in Bochum 2020 (marginal verändert)

Also wurden die 86 Bochumer Ratssitze zunächst nach dem ganzzahligen Teil des Idealanspruchs (bei 2,808 also z.B. 2) vergeben. Auf diese Weise können 81 der 86 Site auf die Partien verteilt werden. 5 weitere Sitze blieben übrig.

Teilt man die Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen (138.334) durch die Gesamtzahl der Ratssitze (86), waren für einen Sitz 1.609 Stimmen nötig. Nach Verteilung der 81 Sitze ergeben sich für jede Partei Reststimmen, für die kein Sitz zugeteilt wurde. Das wären im Beispiel für CDU und Grüne je eine Stimme, für Partei A 1.538 Stimmen für Partei E 1.486. Also wurden bisher die verbleibenden 5 Sitze nach den höchsten der verbleibenden Reststimmenwerte an die Parteien A, C, D, E und F verteilt

So brauchte die Partei F für einen zusätzlichen Sitz nur 778 Stimmen, während für die ersten 81 Sitze noch je 1.609 Stimmen nötig waren. Dies führt zu einer höheren Stimmengewichtung, die aber rein praktisch unvermeidbar ist, da nur ganze, aber keine halben, Dreiviertel- oder Viertel-Sitze vergeben werden können

Das neue Verfahren der Sitzzuteilung

Das neue Verfahren (Drucksache 18/9806) stellt aber nicht etwa diese Ungleichgewichtung ab, sondern verschärft sie und führt zudem zu einer nicht zu rechtfertigenden Umverteilung der überzähligen 5 Sitze an die großen Parteien.

Stimmenzuteilung 2025 auf Basis des Wahlergebnis in Bochum 2020 (marginal verändert)

Die ersten 81 Sitze werden wie nach dem bisherigen Wahlverfahren zugeteilt. Die weiteren 5 Sitze werden dann aber nicht mehr nach den bei der Sitzverteilung nicht berücksichtigen Stimmen (Reststimmen) verteilt, sondern nach einem “gewichteten Idealanspruch”. Dazu wird der Idealanspruch durch den ganzzahligen Idealanspruch addiert mit 1 geteilt. Beispiel Partei D: 2,808 / 3 = 0,936.

Die 5 noch zu verteilenden Sitze erhalten jetzt die Parteien mit den 5 höchsten gewichteten Idealansprüchen, also CDU und Grüne sowie die Parteien A, C und E.

Das perfide bei dieser Sitzzuteilung, obwohl CDU und Grüne nach Zuteilung der 81 Sitze jeweils nur eine einzige überzählige Reststimme haben, bekommen sie einen der 5 zusätzlichen Sitze, während Partei D mit 1.300 Reststimmen keinen zusätzlichen Sitz erhält.

Das liegt daran, dass die 5 zusätzlichen Sitze nach neuem Kommunalwahlgesetz primär nach der Größe des insgesamt bei der Wahl erzielten Stimmenanteils verteilt werden und die überzähligen Stimmen, auf die kein Sitz entfallen ist, praktisch keine Rolle mehr spielen. Der Anteil von 19 an 20 Sitzen (0,95) oder gar 29 von 30 (0,98) ist per se höher als der von 1 an 2 Sitzen (0,5) oder 2 von 3 Sitzen (0,66). Der nicht berücksichtigte Reststimmenanteil geht in den “gewichteten Idealanspruch” nicht relevant ein.

Das Kriterium “gewichteter Idealanspruch”, nach dem die 5 Sitze verteilt werden, wurde willkürlich gewählt, man hätte auch gleich den 5 stärksten Parteien jeweils einen Bonussitz zuteilen können. Das Verfahren zeigt, Ziel von SPD, Grünen und CDU war es, sich bei der Sitzzuteilung schamlos auf Kosten der kleinen Partien zu bereichern.

Bewusst wurde das Wahlverfahren so geändert, dass wie im Beispiel eine zusätzliche Stimme für eine große Partei mehr Wert erhalten sollte wie 1.300 Stimmen für eine kleine Partei. Das neue Sitzzuteilungsverfahren macht 1.300 Stimmen für eine kleine Partei wertlos, verschafft den großen Parteien aber schon zusätzliche Sitze, ohne dafür irgendwie nennenswert Stimmen erzielt zu haben. Eine einzige Stimme, wie im Beispiel, kann bereits ausreichen. Demokratisch ist das sicher nicht.

Skrupellose und arrogante Machtbesessenheit

Diese massenweise Entwertung von Wählerstimmen ist Ausdruck einer skrupellosen und arroganten politischen Machtbesessenheit, die letztlich die wesentliche Ursache von der immer wieder beklagten Politikverdrossenheit ist (Zunehmender Populismus – Rechtsruck auch in Bochum zu erwarten). Diese Haltung macht Demokratie und Politik verächtlich.

Würde ein Viktor Orban oder ein Jarosław Kaczyński solche Methoden anwenden, um seine Macht zu erhalten, würden Vertreter und Vertreterinnen von SPD, Grünen und CDU das zu Recht als undemokratisch verurteilen. Tatsächlich hat man selbst aber keine Hemmungen in gleicher Weise vorzugehen. Bei der nächsten Demo gegen Populismus und Rechtsextremismus kann man sich dann wieder ein gutes Gefühl geben, auf der richtigen Seite zu stehen.

Doch den Verfall der politischen Sitten und Kultur haben die großen Parteien selbst zu verantworten, und ein Stimmenraub, wie der beschriebene, zerstört nachhaltig das Vertrauen in die Politik und bestätigen das Vorurteil, dass Politiker und Politikerinnen nicht an der Sache interessiert, sind, sondern allein am persönlichen Machterhalt.

Das Verfassungsgericht muss es richten

FDP und Linke haben angekündigt gegen das neue Wahlgesetz beim Verfassungsgericht klagen zu wollen. Zu erwarten ist, dass das Gericht erneut, wie bereits bei den Versuchen, die kleinen Parteien über Sperrklauseln auszuschalten, die demokratischen Grundrechte wahrt und das neue Wahlverfahren als verfassungswidrig verwirft.

SPD, Grüne und CDU sind gut beraten endlich das Bildungssystem in NRW zu reformieren, das Altschuldenproblem der Kommunen anzugehen und diese finanziell auskömmlich auszustatten. Hier besteht schon seit Jahren dringender Handlungsbedarf, doch in diesen Bereichen glänzt die Politik durch Nichtstun.

Geht es dagegen um den Machterhalt und die gezielte Benachteiligung der politischen Konkurrenten, kann man zuverlässig mit entsprechenden politischen Vorhaben rechtzeitig zur nächsten Kommunalwahl rechnen.

* Da die SPD bei der Wahl 2020 mit 33,71% 29 Direktmandate erzielt hat, mussten diese 29 Sitze im neuen Rat 33,71% der Gesamtsitzzahl der Sitze im Stadtrat ausmachen, es ergaben sich also insgesamt 86 Sitze.

** Genauer werden die Sitze nach dem Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë) verteilt, das eine Sitzverteilung nach dem dargestellten Prinzip vornimmt.

30 Jun

Lohnt sich teure Stadionsanierung – Erstligaperspektive versus Tradition

Um in der ersten Liga bestehen zu können, muss das Ruhrstadion in Bochum saniert oder neu gebaut werden. Die VfL-Fans haben sich mehrheitlich gegen einen Neubau ausgesprochen. Wie sich jetzt zeigt, wird das für die Stadt allerdings sehr teuer. Müssten nicht eigentlich alle Bürger und Bürgerinnen entscheiden?

Die Entscheidung ist schwierig, die Meinungen kontrovers, aber nachvollziehbar. Viele Fans finden, dass Ruhrstadion an der Castroper muss unbedingt erhalten werden. Andere haben Zweifel, dass ein saniertes Stadion reicht, um dem VfL die wirtschaftliche Grundlage zu geben, die erforderlich ist, um in der 1. Bundesliga dauerhaft zu bestehen. Wieder andere lehnen sowohl Neubau wie Sanierung des Stadions ab und wollen das knappe städtische Geld lieber anders ausgeben.

Was wird die Stadionsanierung kosten?

Nach Gründung der Stadionbesitzgesellschaft werden die Zahlen zur Sanierung und Modernisierung des Stadions dazu jetzt konkreter. Auf 94,4 Mio. beläuft sich der erste Finanzbedarf. Für das laufende Geschäft der Stadionbesitzgesellschaft 14,5 Mio., 9,9 Mio. für den Kauf des Stadioncenters, an dem der VfL zu 90% beteiligt ist, sowie 70 Mio. Kapitaleinstellungen für die Stadionsanierung stellte der Rat in seiner Sitzung am 27.06.24 bereit (Mitteilung 20241415)

Vergleich Sanierung vs. Neubau

Die Stadionbesitzgesellschaft wird Eigentümer von Stadion, Stadioncenter, umliegender Stadioninfrastruktur, Nachwuchszentrum und Rundsporthalle. Das Stadion wird an den VfL verpachtet. Er Verein zahlt Pacht an die Stadt und sorgt für den Betrieb. Instandhaltung aller Gebäue und Anlagen sowie die Finanzierung des Stadionumbaus obliegt der Stadionbesitzgesellschaft, also der Stadt, der die Gesellschaft gehört.

Rechnet man bei der Stadionsanierung mit einer üblichen Kostensteigerung von 20%, kommen unter aktuellen Zinsbedingen in den nächsten 30 Jahren noch Finanzierungskosten von 56,9 Mio. und Instandhaltungskosten von 60 Mio. für die Stadt hinzu. Der Finanzaufwand beläuft sich für die Stadt damit für die nächsten 3 Jahrzehnte auf 226,3 Mio., rechnet man noch den angedachten Ersatzneubau der Rundsporthalle noch hinzu, sind es sogar 276,3 Mio..

Demgegenüber stehen rd. 75 Mio. Pachteinnahmen vom VfL, geht man von 2,5 Mio. Euro pro Jahr für das sanierte und modernisierte Stadion aus. Zum Vergleich, der SC Freiburg zahlt 3,8 Mio. für ein neues Stadion, das rund 7.000 mehr Zuschauer als das renovierte Ruhrstadion fasst (SC-Stadion: Die Kosten).

Für die Stadt blieben nach Abzug der Einnahmen von den Kosten ohne Betrachtung eines Ersatzneubaus der Rundsporthalle 151,3 Mio. Euro übrig, mit denen der VfL subventioniert würde. Im Falle eines Abstiegs in die 2. Bunddesliga würden die Pachteinnahmen deutlich sinken und damit der aus der Stadtkasse zu finanzierende Betrag entsprechend steigen. 

Fragwürdig: Kein Investitionsanteil des VfL

Anders als in Freiburg sieht der Bochumer Plan keinen Investitionsanteil des VfL an den Kosten für die Sanierung des Stadions vor. Im Gegenteil, die Stadt zahlt dem VfL noch 90% von 9,9 Mio. In dem sie ihm das Stadioncenter abkauft. I n Freiburg hat sich der SC dagegen mit 20 Mio. an den Kosten für das Stadion beteiligt. Warum die hoch verschuldete Stadt Bochum keinen Anteil des VfL erwartet, ist nicht nachvollziehbar, andere Bundesligavereine, wie z.B. Schalke 04 und der FC Bayern haben sogar das gesamte Stadion selbst finanziert.

Ebenfalls fragwürdig, warum die Stad die Möglichkeit eines Stadionneubaus nicht weiterverfolgt. Denn schaut man sich die Vergleichsrechnung an, wird dieser für die Stadt erheblich günstiger.

Wie stark würde ein Neubau des Ruhrstadions die Stadtkasse belasten?

Geht man davon aus, in Bochum würde ein neues Stadion in der Größe wie in Freiburg gebaut, würden zwar die Baukosten für Stadion und Infrastruktur mit 135 Mio. deutlich über den Sanierungs- und Modernisierungskosten liegen und entsprechend auch die Finanzierungs- und Instandhaltungskosten (78,5 und 84,1 Mio.), aber auch die mit dem Stadion zu erzielenden Einnahmen wären deutlich höher.

Während im Ruhrstadion auch nach Sanierung und Modernisierung nichts anderes als Fußballspiele stattfinden könnten, wäre in einem neuen Stadion die Veranstaltung von mindestens 10 Konzert- und ähnlichen Evens möglich. Das würde in 30 Jahren zusätzliche Einnahmen von rund 150 Mio. Euro bedeuten (0,5 Mio. pro Event). Auch wären die Pachteinnahmen für den Fußball höher, da der VfL aufgrund von mehr Zuschauern, mehr VIP-Plätzen und besserer Stadioninfrastruktur auch bei den Spielen deutlich höhere Einnahmen erzielen und daher mehr Pacht an die Stadt zahlen könnte. Bei 4 Mio. Pacht pro Jahr kämen auf diese Weise 120 Mio. Pachteinnahmen für die Stadt zusammen. Auch wäre ein Investitionskostenanteil des VfLs in Höhe von mindestens 20 Mio. für die stark verbesserten Einnahmechancen angemessen.

So ergäben sich über 3 Jahrzehnte in Summe Einnahmen von 290 Mio. Die den Kosten von insgesamt 312,1 Mio. gegenüberstehen. Die Stadt müsste den VfL statt mit über 150 Mio. nur mit 22,1 Mio. aus der Stadtkasse subventionieren.

Vergleich Sanierung vs. Neubau

Großer Nachteil der Neubauvariante, der Stadionneubau wäre erheblich klimaschädlicher als eine Sanierung und Modernisierung des bestehenden Stadions. Dafür würde ein neues Stadion, dem VfL eine sichere wirtschaftliche Basis für eine Erstligazugehörigkeit verschaffen.

Bürger*innen sollten entscheiden

Die Meinungen, welche Variante, die bessere für VfL und Stadt sind, gehen in Bochum weit auseinander. Dem eher traditionellen Fan ist der Erhalt des Ruhrstadions wichtiger als eine dauerhafte Zugehörigkeit zur 1. Bundesliga. Für andere Fans steht der sportliche Erfolg im Vordergrund, dieses Ziel ist mit einem neuen Stadion besser zu erreichen. Für wieder andere ist der Fußball nicht das entscheidende Kriterium, sondern die Kosten für die Stadt, sie wollen ggf. weder Sanierung noch Neubau oder wenn, die Variante, die die Stadtkasse am wenigsten belastet.

In jedem Fall sind aus Sicht der STADTGESTALTER alle Bürger*innen der Stadt an der Entscheidung zu beteiligen, wie in Sachen Ruhrstadion weiter vorgegangen werden soll. Allein nach dem Willen der Mehrheit der VfL-Mitglieder*innen zu gehen, ist angesichts von Kosten von über 150 Mio. zu Lasten des städtischen Haushalts zu kurz gegriffen. Aufgrund der erheblich geringeren Auswirkungen auf die Stadtkasse, ist auch die Variante Stadionneubau weiter in Betracht zu ziehen.

Mehr Transparenz ist nötig

Auch müssen die Auswirkungen und Maßnahmen transparent von der Stadt kommuniziert werden. In der Ratssitzung vom 27.06.24 hatten die STATGESTALTER beantragt, dass die Beschlüsse über die Finanzierung der Stadiongesellschaft und die Ermächtigungen zur Finanzierung von 94,4 Mio. aus dem städtischen Haushalt öffentlich im Rat diskutiert (Beschlussvorlage 20241410) und beschlossen werden. Dies wurde ohne Begründung abgelehnt. Gerade bei solchen Summen ist Offenheit nötig, sonst bekommt das ganze Projekt schnell einen sehr faden Beigeschmack.

16 Jun

Bürger*innen vier Mal im Jahr über Stadtthemen entscheiden lassen

Vier feste Termine pro Jahr gibt es in der Schweiz, an denen die Menschen über Angelegenheiten ihrer Stadt oder Gemeinde abstimmen. So funktioniert echte Bürgerbeteiligung. Ein Vorbild für Bochum?

Soll eine Schule erweitert werden? Soll Bauland zum Naherholungsgebiet umgewandelt werden? Soll eine Tempo 30 in eine 40er-Zonen umgewandelt werden? Soll auf einer Schule eine PV-Anlage errichtet werden? Das sind typische Fragen, die den Bürgern und Bürgerinnen in Schweizer Gemeinden und Städten zur Abstimmung vorgelegt werden (Volksabstimmungen Kanton Zürich)

Vorbild Schweiz

An vier schweizweit festgelegten Terminen im Jahr, wird über Volksinitiativen und Vorlagen des Stadt- oder Gemeinderats abgestimmt. Bei Volksinitiativen sind es Bürger*innen die die Initiative ergreifen, um die die Bürger*innen über eine Frage bzw. Angelegenheit abstimmen zu lassen. Volksinitiativen sind deutschen Bürgerbegehren vergleichbar.

Zusätzlich legt der Stadt- oder Gemeinderat in der Schweiz den Bürger*innen selbst Vorlagen zu Entscheidung vor. Solche Vorlagen sind verpflichtend, wenn für Bauvorhaben z.B. höhere Kredite aufgenommen werden müssen. Möglich ist auch, dass der Rat den Bürger*innen freiwillig Entscheidungen überträgt. Letzteres entspricht den deutschen Ratsbürgerentscheiden. Die aber in Deutschland nur ganz selten, in Bochum noch nie beschlossen wurden.

Traditionell versteht sich die Bochumer Politik als einzige Entscheidungsinstanz in der Stadt. Man sieht keinen Anlass, die Bürger und Bürgerinnen entscheiden zu lassen, man traut es ihnen nicht zu, sieht nur sich zur Entscheidung auserwählt und lässt die Menschen in der Stadt daher außen vor.

Eine Verpflichtung bestimmte Entscheidungen den Bürgern und Bürgerinnen gibt es in Deutschland und damit auch in Bochum nicht.

Wirkung von Bürgeerbeteiligung

Volksabstimmungen bzw. Bürgerentscheide haben besonders zwei positive Effekte für eine Stadt oder Gemeinde: Die Menschen fühlen sich mitgenommen und identifizieren sich mehr mit ihrer Stadt. Zudem beschäftigen sie sich mehr mit den anliegenden politischen Themen, weil sie sich für eine Entscheidung darüber informieren müssen. Die Haltung gegenüber der Stadt- und Stadtgesellschaft verändert sich. Der Satz “Frage nicht, was deine Stadt für dich tun kann, sondern was du für deine Stadt tun kannst” (frei nach John F. Kennedy) bekommt erst dann entscheidende Relevanz, wenn es den Bürger*innen auch wirklich möglich ist, über Stadtangelegenheiten mitzuentscheiden.

Echte Bürgerbeteiligung gibt es in Bochum bisher nicht

Diese Möglichkeit besteht bisher in Bochum nicht. Dass in Stadtverwaltung und Politik bestehende Desinteresse an Bürgerbeteiligung zeigt sich besonders deutlich auf der Bürgerbeteiligungsplattform bochum-mitgestalten.de Projekte, bei denen die Bürger*innen wirklich aktiv mitgestalten können, gibt es nur sehr wenige. Alibimäßig wird stattdessen auf Beteiligungen- und Veranstaltungen hingewiesen, die aufgrund rechtlicher Vorgaben von der Stadt durchgeführt werden müssen oder auch ohne die Plattform stattfinden würden (Förmliche Beteiligung Änderung Flächennutzungsplan, Stadtteilspaziergänge, Bürgeranhörungen Lärmaktionsplan, Stadtteilkonferenz).

Als die STADTGESTALTER 2020 das Beteiligungsformat 2020 vorgeschlagen haben, hatten sie sich Nutzung ganz anders vorgestellt (Die Bürgerbeteiligung in Bochum auf ein neues Niveau heben).

Bürgerbeteiligungsplattform in Bochum ist bisher ein Flop

Im Prinzip sollte die Bürgerbeteiligung eigentlich laufen wie beim Beteiligungsprojekt “Pocket Parks”), bei dem die Bürger*innen über bochum-mitgestalten.de Flächen für neue Pocket Parks vorschlagen konnten. So werden jetzt 20 neue Pocket-Parks geschaffen, von denen immerhin 9 durch Bürger*innen angeregt wurden (Vorlage 20240611)

Negativ anzumerken ist allerdings, die Vorschläge der Verwaltung (Amt und Projektteam) wurden den Bürger*innen über die Bürgerbeteiligungsplattform nicht zur Diskussion gestellt, ebenso wenig wie die Parkvorschläge der Politik. Der Oberbürgermeister versuchte sogar aktiv zu verhindern, dass Vorschläge der STADTGESTALTER den Bürger*innen über die Plattform zur Diskussion gestellt werden, es wurde angedroht den eingebrachten Vorschlag zu löschen (Propstei-Park).

Echte Bürgerbeteiligung erfordert, dass nicht nur die Vorschläge der Bürger*innen, sondern alle zur Diskussion gestellt werden und die Menschen in der Stadt auch eine Möglichkeit erhalten diese differenziert zu bewerten und dies nicht allein der Verwaltung vorbehalten bleibt.

Das eigentliche Problem besteht jedoch bereits darin, dass Verwaltung und Politik bisher nicht wirklich bereit sind echte Bürgerbeteiligungsprojekte auf der Plattform zur Diskussion zu stellen. Die mangelnde Qualität der Bürgerbeteiligung wie bei dem Projekt “Pocket Parks” kommt dann noch erschwerend hinzu.

Mehr Bürgerentscheide stäken die Stadtgesellschaft
 

Bürgerbeteiligung ist in Bochum also nach wie vorher mehr Alibi als echte Eibindung der Bürger*innen in Angelegenheiten, die sie direkt betreffen. Dabei könnte Bochum dem Vorbild der Schweiz folgen. In jedem Quartal könnte die Stadt den Bürger*innen zu einem festgelegten Termin eine Reihe Fragen und Angelegenheiten zur Abstimmung vorlegen. Dinge die nur einen Stadtbezirk betreffen würden nur dort zur Entscheidung gestellt, über stadtweit relevante Entscheidungen würden alle Bürger und Bürgerinnen abstimmen. Dazu können die Stadtbewohner*innen angeregt werden, selbst Fragen zur Entscheidung stellen zu lassen.

So wäre zum Beispiel vorstellbar, dass von den Bürger*innen und nicht vom Stadtrat direkt entschieden wird, ob die Stadt einen ehrenamtlichen Tierschutzbeauftragten anstellen, ob die Kreuzung vor Rietkötter zu einem Platz umgestaltet werden, ob es eine moderne ÖPNV-Verbindung zwischen Ruhr Park und Innenstadt geben oder ob die Flächenversiegelung in Bochum gestoppt werden soll.

Diese Möglichkeiten der Mitentscheidung und das stadtweite diskutieren von zu treffenden Entscheidungen würde die Demokratie in der Stadt stärken und die Stadtpolitik auf eine breitere Basis stellen. Sicher kommt es bei Bürgerentscheiden wie sonst in der Politik zu Entscheidungen, die Stadt und Bewohner*innen später bereuen. Daraus lernt die Stadtgesellschaft und kann solche Entscheidungen durch neue Abstimmungen revidieren. Auch das gehört zur Demokratie dazu.

Bürgerbeteiligung sollte man als andauernden Lernprozess für Bürger*innen genauso wie für Politik und Verwaltung verstehen. Wenn alle Beteiligten sich darauf einlassen, verbessert das den Zusammenhalt in der Stadtgesellschaft. Das sollte das Ziel sein.

02 Jun

Wie gut wird der neue Augst-Bebel-Platz in Wattenscheid?

Nach über 10 Jahren hat es die Stadt endlich geschafft. Das beim Architektenwettbewerb zweitplatzierte Planungsbüro wurde mit der Umsetzung der Planungen beauftragt. Der Platz wird im Norden bebaut und autofrei. Was ist von dem Entwurf zu halten?

Bereits 2013 schrieb die “Stadt der gepflegten Langsamkeit” zum ersten Mal einen Teilnahmewettbewerb zu Neugestaltung des August-Bebel-Platzes aus. Die Qualität der eingereichten Entwürfe war mäßig. Die STADTGESTALTER legten 2015 einen Alternativvorschlag vor, den Platz zu einem Park zu machen (August-Bebel-Platz vs. August-Bebel-Park).

Der Platz wird autofrei, jedoch nicht vor 2027 fertig

Dann entbrannte ein Streit darüber, ob der Platz autofrei werden sollte. Erst nachdem das Land klarstellte, Fördermittel für eine Neugestaltung des Platzes gäbe es nur für eine qualitative Aufwertung des Platzes, also einen Platz ohne Autos (Gutachten bestätigt: Autofreier August-Bebel-Platz ist die beste Lösung), kam es zu einem neuen Wettbewerb. Allerdings wurde sich die Stadt mit dem Erstplatzierten des Wettbewerbs nicht einig, als wurde die Umsetzungsplanung jetzt an das zweiplatzierte Planungsbüro vergeben. Aufgrund der endlosen Verzögerungen ist eine Fertigstellung der Umgestaltung des Platzes, vor 2027 mittlerweile nicht mehr zu erwarten

Über ein Jahrzehnt Verzögerung, in denen die Wattenscheider Innenstadt weiter den Bach runter gegangen ist, haben Wattenscheid schweren Schaden zugefügt. Schnelles und zielgerichtetes Handeln ist nicht die Stärke der Bochumer Verwaltung. Mal wieder handelt man viel zu spät. Ob der neue Platz jetzt noch irgendwas in Wattenscheid retten kann, ist fraglich. Den Platz so hässlich zu lassen, wie er ist, wäre allerdings auch keine Lösung.

Wie gut wird der neue Platz?

Es fragt sich also, was kann der neue Platz noch für die Innenstadt bewegen und wie sind die aktuellen Planungen zu bewerten?

3D-Platzansicht – Foto: ANNABAU Architektur und Landschaft

Der Planungsentwurf, der nun umgesetzt werden soll (ANNABAU Architektur und Landschaft: Umgestaltung August-Bebel-Platz), sieht vor, den Parkplatz im Norden des Platzes mit einem 6-stöckigen Gebäudekomplex zu bebauen. Die Verkehrsachse mit Bus- und Straßenbahn soll weiterhin quer über den Platz verlaufen. Der Brunnen wird erhalten. Im Osten des Platzes soll eine großzügige Beetanlage (“Grünblaues Band”) entstehen und die heute dort befindlichen Pavilions ersetzen. Die Begrünung des Platzes fällt sonst eher spärlich aus. Dafür wird es weite große Pflasterflächen geben.

Bebauung im Norden – Um einen kleineren, überschaubaren und klar abgegrenzten Platz zu schaffen, soll der Nordteil des heutigen Platzareals überbaut werden. Im Wettbewerbsentwurf ist dazu ein architektonisch anspruchsloser Klotz zu sehen. Es ist zu hoffen, dass man sich bei der Gestaltung insbesondere der Fassade, die zum Platz ausgerichtet ist, mehr Mühe gibt und die Stadt daran hohe Ansprüche stellt. Hier besteht die Chance auf ein die Innenstadt von Wattenscheid prägendes Gebäude. Diese sollte unbedingt genutzt werden.

Bebauung im Norden des Platzes – Foto: ANNABAU Architektur und Landschaft

Auch stellt sich die Frage, wie soll dieser Gebäudekomplex genutzt werden. Ist es sinnvoll eine neue Bebauung mit neuen Einzelhandels-, Gastronomie- und Büroflächen zu schaffen? Besteht dafür in Wattenscheid ein Bedarf? Unbedingt zu vermeiden ist neue Gebäude zu bauen, die sich dann nicht vermieten lassen und negativ durch zusätzliche Leerstände auffallen.

Denkbar wäre auch eine Nutzung für die Gesamtschule, die neu in Wattescheid entstehen soll. Gebäudeteile könnten die Liselotte-Rauner-Schule ergänzen, um diese von einer Haupt- in eine Gesamtschule umzuwandeln.

Verkehr – Der geplante Platz ist autofrei. Die wesentliche Voraussetzung für eine hohe Aufenthaltsqualität ist also erfüllt. Der Autoverkehr biegt zukünftig direkt nach rechts in die Hochstraße und von der Freiheitsstraße nach links in die Voedestraße ab.

Haltestelle und Brunnen – Foto: ANNABAU Architektur und Landschaft

Allerdings wird die Platzfläche weiterhin von der Verkehrsachse diagonal durchschnitten,, dies schränkt die Platzgestaltungsmöglichkeiten stark ein. Die Achse teilt den Platz in zwei Hälften. Die Bus- und Bahnhaltestelle ist relativ platzsparend geplant, es werden nur zwei Haltesteige benötigt, an denen die Busse außen, und die Straßenbahnen innen halten. Die Busse im Linksverkehr an die Haltesteige fahren zu lassen, wird allerdings zu Konfusionen und zusätzlichen Querungen der Straßenbahnschienen führen. Zudem ist zwischen Bus und Straßenbahn in die gleiche Richtung kein Umstieg möglich. Eine ähnliche Lösung mit zwei Haltesteigen, die aber die genannten Nachteile vermeidet, da die Straßenbahnen außen und die Busse innen halten, hatten die STADTGESTALTER bereits 2020 vorgeschlagen (Update Planungsentwurf). 

Zudem soll der neue Platz ein Radwegenetz erhalten. Fraglich ist, wie man vom Platz nach Osten in Richtung Hochstraße kommen soll und wie man aus Richtung Bahnhof und von der Freiheitsstraße kommend mit dem Rad auf den Platz kommen soll. Werden die Radwege als Zweirichtungsradwege ausgelegt? Hier müssen ggf. noch Lösungen gefunden werden.

Begrünung, Aufenthaltsqualiät, Nutzung – Die Begrünung mit den Beeten, die auch als Entwässerungsrigolen dienen (“Grünbllaues Band”) und den übersichtlich aufgestellten Bäumen fällt eher mager aus. Der Platz wird sich im Sommer gerade in der Mitte aufgrund der schattenlosen Pflasterflächen stark aufheizen. Es entsteht eine Hitzeinsel. Dies ist nicht mehr zeitgemäß. Hier besteht daher noch Änderungsbedarf. Ein Park, wie ihn die STADTGESTALTER vorgeschlagen haben, hätte in dieser Hinsicht eine deutliche bessere klimatische Wirkungen erzeugt (August-Bebel-Platz vs. August-Bebel-Park).

Grünblaues Band – Foto: ANNABAU Architektur und Landschaft

Sitzgelegenheiten sind rund um den Brunnen und an den Rändern der Beete einige vorgesehen. Es könnten aber nach Ansicht der STADTGESTLATER doch noch ein paar mehr sein.

In der Platzmitte ist eine Fläche vorhanden (“Stadtplatz”), die für Märkte und Veranstaltungen genutzt werden kann, Am Rand gibt es ausreichend Platz für gastronomische Freisitze. Damit bietet der neue Platz für Handel und Gastronomie einiges an Entwicklungspotential. Ein Spielbereich ist jedoch nicht vorgesehen. Sonst weist der Entwurf im Südbereich hinsichtlich der Anordnung der Nutzungsareale einige Ähnlichkeiten zu dem Entwurf der STADTGESTALTER auf (August-Bebel-Platz vs. August-Bebel-Park).

Fazit

Das große Highlight sucht man auf dem Platz vergeblich. Er ist solide geplant. Allerdings fehlt Grün und über die Bebauung im Norden kann man streiten. Der ganz große Wurf ist der Entwurf  nicht, aber trotzdem wird er die Innenstadt von Wattenscheid deutlich aufwerten und einiges an Urbanität zurückbringen. Der Platz wird das Stadtbild deutlich verbessern.

Platz von oben – Foto: ANNABAU Architektur und Landschaft

Dabei hängt jedoch vieles von der Gestaltung der Gebäudefassade im Platznorden ab. 08/15 ist hier zu wenig, die Fassade sollte ein Hingucker werden. Die Stadt muss sich hier unbedingt um eine hohe Gestaltungsqualität bemühen. Auch ein öffentlicher Dachpark auf dem Gebäudekomplex mit Blick über den Platz und Wattenscheid könnte zu einer neuen Attraktion für die Wattenscheider-Innenstadt werden.

Wichtig ist, die Umgestaltung des August-Bebel-Platzes kann nur der Anfang einer grundlegenden Neugestaltung der Wattenscheider Innenstadt sein. Die gesamte Innenstadt benötigt ein neues zeitgemäßes, modernes Stadtbild. Primäres Ziel sollte es sein, die Gründerzeitfassaden besser in Szene zu setzen. Auch dazu haben die STADTGESTALTER bereits 2020 Vorschläge gemacht (Neustart für die Wattenscheider City). Die Planungen, die die Stadt dazu bisher vorgelegt hat, werden den Anforderungen nicht gerecht. Etwas Verschönerung, neues Pflaster, ein paar Bänke, Bäume und Beete mehr, werden nicht reichen. Es muss deutlich mehr passieren.

Beitragsbild: ANNABAU Architektur und Landschaft

19 Mai

BOGESTRA wird zum Sanierungsfall

308 Mio. Euro Schulden. 36,6 Mio. Fahrgäste weniger als 2019. 88,8 Mio. Euro Verlust 2023, 19,3 Mio. mehr als geplant. Stopp aller Investitionen. Die wirtschaftliche Lage ist kritisch, die BOGESTRA wird zum Sanierungsfall.

Wie der Jahresabschluss 2023 und die Entwicklung der Fahrgastzahlen zeigen (Vorgang 20241057), befindet sich die BOGESTRA, das Nahverkehrsunternehmen der Städte Bochum und Gelsenkirchen, in einer ernsthaften wirtschaftlichen Notlage. Das Unternehmen musste 2023 die Notbremse ziehen, es kam zum Investitionsstopp. Die Anschaffung von neuen Bussen und die Modernisierung der Gleisanlagen wurde ausgesetzt. Statt geplanten 67,8 wurden 2023 nur 2,1 Mio. Euro investiert.

Investitionsstopp – BOGESTRA 2023 (Vorlage 20241057)

Dramatische Zahlen

Die bedrohliche wirtschaftliche Lage der BOGESTRA ließ keine Investitionen mehr zu. Gemeinhin gelten in der Wirtschaftswelt Unternehmen mit einer Eigenkapitalquote von unter 20% als Sanierungsfall, Der Anteil Eigenkapital am Gesamtkapital liegt bei der BOGESTRA bei nur noch 11,6%, 308 Mio. Euro Schulden belasten das Unternehmen.

88,8 Mio. Euro Verlust erwirtschaftete das Unternehmen im Jahr 2023., 21,7% mehr als geplant. Das ausufernde Defizit ist Folge des dramatischen Einbruchs der Fahrgastzahlen seit 2019. Im Jahr 2019 vermeldet die BOGESTRA noch stolz 143,3 Mio. Fahrgäste. Zudem erklärte das Unternehmen im Wirtschaftsplan 2020, dass mit der Einführung des „Netz 2020“ eine weitreichende Verbesserung des ÖPNV-Angebotes verbunden und deshalb für die Zukunft eine weitere Zunahme der Fahrgastzahlen zu erwarten sei. Die Zahlen zum Jahresabschluss 2023 zeigen jedoch eine ganz andere Entwicklung. Die Zahl der Fahrgäste ist gegenüber 2019 auf 106,7 Mio. Fahrgäste (Zählsystem BOGESTRA) und damit um über ein Viertel (25,5%) gesunken.

Während der Material-, Energie- und Personalaufwand gegenüber 2022 nur leicht, um 1,6% gestiegen ist, ist der Einbruch bei den Fahrgastzahlen und Erträgen einschneidend. Statt geplanten 184 Mio. nahm die BOGESTRA 2023 nur 158 Mio. Euro ein (-14,4%). Die Fahrgastzahlen stiegen zwar im Vergleich zum Vorjahr leicht, blieben aber weit hinter den Erwartungen von 2019 zurück. Die leichte Erhöhung dürfte allein auf den Corona-Erholungseffekt zurückzuführen sein.

Der Nahverkehrsplan, das so genannte “Netz 2020”, ist gescheitert. Anders als von Stadt und BOGESTRA immer wieder versprochen, hatte das Konzept keinen positiven Effekt auf die Fahrgastzahlen. Auch das Deutschlandticket hatte keinen nachweisbaren Effekt. Es hat allein dazu geführt, dass die Kunden ihr Abo gegen das günstigere Deutschland-Ticket getauscht haben. Die Vorgabe des Bochumer Oberbürgermeisters, die Fahrgastzahlen bis 2030 zu verdoppeln, ist zu einem irrealen Wunschtraum geworden (Positionspapier „Städte, Landkreise und Verkehrsverbünde begrüßen das Ziel der Verdoppelung der Fahrgäste des ÖPNV bis 2030!“),

Gründe für die Entwicklung

Doch warum bleiben die Fahrgastzahlen so weit unter dem Niveau von 2019? Die Entwicklung ist besonders auf vier Gründe zurückzuführen:

1. Kirchturmdenken – Eigentlich ist der Nahverkehr eine Ruhrstadtaufgabe. Doch das Kirchturmdenken in allen Gemeinden der Ruhrstadt, sowohl in der Politik wie der Verwaltung, verhindert ruhrstadtweites Denken und Handeln, stattdessen werden lieber die eigenen Pfründe gesichert und verteidigt.

2, Blockade bei Netzausbau – In der Ruhrstadt verhindert eine generelle politische Blockade einen metropolengerechten Ausbau des ÖPNV-Netzes. In Bochum etwa lehnt Rot-Grün alle Initiativen dazu seit Jahren konsequent ab.

3. Mangelnde Kundenorientierung – Die Nahverkehrsunternehmen der Ruhrstadt sind an steigenden Fahrgastzahlen und gutem Kundenservice desinteressiert. Das zeigt sich insbesondere an dem kundenfeindlichen Fahrpreis- und Ticketsystem, mit dem die Unternehmen die Nutzung von Bus- und Bahn durch Ab-und-zu-Kunden bewusst unattraktiv machen  (VRR: Fahrgäste gefangen im Tarifdschungel).

4. Multimodaldefizit – Die Umsetzung von Maßnahmen zur multimodalen Nutzung des Verkehrs werden verschleppt bzw. abgelehnt. So hat es die Stadt Bochum bis heute nicht geschafft, ein Netz von Mobilitätsstationen aufzubauen, um es Menschen zu ermöglichen, bequem und ohne Zeitverlust mit einer Kombination verschiedener Verkehrsmitteln zum Ziel zu kommen, obwohl die Schaffung der Stationen bereits 2013 beschlossen wurde. (Bochum fehlen Car-Sharing-Stellplätze und Mobilitätsstationen).

Im Ergebnis führen alle vier Punkte zu einem schlechten ÖPNV-Angebot, das viele Menschen in Bochum und dem Ruhrgebiet nicht oder nur selten nutzen, weil es für sie unattraktiv ist. Dass das Deutschland-Ticket nicht zu dem erwarteten Anstieg der Fahrgastzahlen geführt hat, zeigt auch, dass die ÖPNV-Infrastruktur so miserabel ist, dass selbst, wenn die Fahrpreise konkurrenzlos günstig sind, dies für mögliche Kunden in der Ruhrstadt kein Anreiz ist, Bus- und Bahn zu nehmen. Fahrtzeiten, die jene mit dem Auto um regelmäßig bis zum Doppelten überschreiten, werden Menschen selbst dann nicht in Kauf nehmen, wenn der ÖPNV gänzlich kostenfrei wäre.

Eine Erhöhung der Fahrgastzahlen ist aufgrund des sich absehbar nicht verbessernden OPNV-Angebots auch für die Zukunft nicht zu erwarten, Die BOGESTRA wird voraussichtlich große Schwierigkeiten haben, die Fahrgastzahlen auf dem jetzigen Niveau zu stabilisieren.

Die Folgen: Investitionsstopp, Kostensenkung und Personalabbau

Daraus ergibt sich folgende Frage: Was bedeutet die wirtschaftliche Notlage der BOGESTRA für die Zukunft des Unternehmens?

Der Investitionsstopp zeigt, die Lage ist ernst. Die BOGESTRA selbst ist nicht mehr in der Lage nennenswerte Investitionen in den Nahverkehr zu schultern. Hätte man die für 2023 geplanten Investitionen durchgeführt, wäre das Defizit der BOGESTRA um weitere rd. 7,8 Mio. Euro gestiegen. Der Abschreibungsaufwand hätte sich erhöht, ebenso wie der Zinsaufwand. Zu den 308 Mio. Euro Schulden wären weitere 30,5 Mio. aufgrund des zu finanzierenden Eigenanteils hinzugekommen. Verzinst zu 3,8% würde das pro Jahr 1,2 Mio. Euro zusätzlichen Zinsaufwand ausmachen. Busse werden über 6 Jahre abgeschrieben. Gleisanlagen und Stellwerk deutlich länger. Bei im Schnitt 10 Jahren Abschreibung ergäben sich weitere 6,6 Mio. Abschreibungsaufwand pro Jahr. Zinsen und Abschreibungen würden sich damit auf insgesamt 7,8 Mio. Euro Mehraufwand pro Jahr summieren und das über 10 Jahre. Das kann die BOGESTRA nicht mehr stemmen. Folgerichtig kam es zum Investitionsstopp.

Anders als es im Jahresabschluss suggeriert wird, ist nicht vorgesehen die 2023 in Höhe von 66 Mio. Euro ausgefallenen Investitionen nachzuholen. Für 2024 werden im Wirtschaftsplan nur 30 Mio. Euro für Investitionen vorgesehen. Dieser Betrag ist der in den letzten Jahren übliche. Bei Verschiebung der Investitionen aus 2023 ins Folgejahr hätten für 2024 über 90 Mio. eingeplant werden müssen. Die Investitionssumme wurde somit in voller Höhe gestrichen.

Doch wie kann ein weiteres Kollabieren der BOGESTRA verhindert werden? Dazu hat es laut Oberbürgermeister Thomas Eiskirch, der gleichzeitig auch im Aufsichtsrat der BOGESTRA sitzt, bereits erste Überlegungen und Berechnungen gegeben. “Er habe für seine Stadt einmal mehrere Einsparvarianten durchrechnen lassen. Wenn man dort nur fünf Millionen Euro einsparen wolle, müssten in erheblichem Umfang Verkehre reduziert werden,” (Rheinische Post vom 08.05.2024). Die von Eiskirch angesprochenen Einsparungen bedeuten, Buslinien aufgegeben, um Personal abzubauen und so die Personalkosten zu reduzieren. Denn hier zeigt sich ein weiteres Problem des Nahverkehrsunternehmens, zwar endet jede Verwaltungsvorlage zu den Wirtschaftsplänen mit dem Satz “Mittelfristig wird eine leichte Reduzierung der Gesamtzahl an Mitarbeiter*innen angestrebt.” Tatsächlich ist die Zahl aber von 2023 auf 2024 um 63 Beschäftigte gestiegen (+2,6 %).

Den zu befürchtenden Personalabbau haben diejenigen in der Politik zu verantworten, die immer wieder eine Verbesserung des ÖPNV-Angebotes verhindert haben, besonders den grundlegenden Ausbau des Schnellverkehrsnetzes. Die Versäumnisse der Vergangenheit rächen sich. Die BOGESTRA steht mit dem Rücken zur Wand.

Was ist zu tun?

Als Präsident des Städtetages hat der Bochumer OB den ersten Hilferuf schon abgesendet: Er fordert mehr ÖPNV-Mittel von Bund und Land (Rheinische Post vom 08.05.2024). Bisher gleichen die Stadtwerke in Bochum das Defizit der BOGESTA aus. Die Mittel dazu sind allerdings begrenzt, denn die Stadtwerke brauchen ihr Geld für die Strom- und Wärmewende. Ein Defizit in der aktuellen Größenordnung können sie dauerhaft nicht decken.

Statt bei anderen um Geld zu betteln, sollte die Politik der Ruhrstadt und Bochums allerdings zunächst selbst sehen, dass sie das tut, was nötig ist, um BOGESTRA und den ÖPNV in der Ruhrstadt wieder auf sichere wirtschaftliche Füße zu stellen. Da steht an allererster Stelle eine ruhstadtweit einheitliche Nahverkehrsplanung und ein Zusammenschluss aller Nahverkehrsunternehmen der Ruhrstadt zu einem einzigen.

In Bochum selbst wäre es nötig, die politische Blockade gegen den substanziellen Ausbau des Schnellverkehrsnetzes aufzugeben. Darüber hinaus muss die BOGESTRA wirtschaftlich saniert werden. Das ist nur möglich mit Hilfe einer externen Unternehmensberatung. Diese muss Vorschläge machen, mit welchen Maßnahmen die Einnahmen gesteigert und die Ausgaben gesenkt werden können. Genau das werden die STADTGESTALTER jetzt im Stadtrat beantragen.

24 Mrz

Schulentwicklungspläne erweisen sich immer wieder als unbrauchbar

166 Schüler und Schülerinnen bekommen in Bochum keinen Platz an ihrer Wunschschule, da der Schulentwicklungsplan dort keine ausreichenden Kapazitäten vorsieht. Die Bezirksregierung untersagt zunächst an zwei Schulen die Bildung von Mehrklassen. Das Chaos ist perfekt. Stadt und Bezirksregierung blamieren sich.

Aller 5 Jahre stellt die Stadt einen Schulentwicklungsplan für die weiterführenden Schulen auf. Dieser schreibt fest, wie die Bedürfnisse nach Plätzen an Gymnasien, Gesamt-, Real-, Sekundar- und Hauptschulen befriedigt werden sollen. Konkret wird im Plan festgeschrieben wie viele Eingangsklassen jede weiterführende Schule in Bochum bilden darf.

Mehrklassen sind Folge von städtischen Fehlplanungen

Real ist es jedoch kaum möglich den Bedarf an Klassen für 5 Jahr in die Zukunft vorherzusehen und zu planen. In der Realität passen die Anmeldezahlen daher regelmäßig nicht zu den Zahlen, die im Plan an der jeweiligen Schule vorgesehen wurden. Die Planungen sind unbrauchbar. Um es den Schüler*innen trotz Fehlplanung zu ermöglichen doch noch auf ihre Wunschschule zu gehen, ermöglicht das Schulgesetz die Bildung von so genannten “Mehrklassen”, also von zusätzlichen Klassen, die über die im Schulentwicklungsplan vorgesehene Maximalzahl ausnahmsweise für ein Jahr gebildet werden können.

Die Stadt Bochum beantragte an fünf Schulen für das nächste Schuljahr die Bildung von je einer “Mehrklasse”. Für das Graf-Engelbert-Gymnasium und die Hans-Böckler-Realschule lehnte die Bezirksregierung die Bildung von zusätzlichen Klassen jedoch zunächst ab.

Hinsichtlich des Graf-Engelbert-Gymnasiums begründete die Bezirksregierung ihre Ablehnung damit, dass im Stadtgebiet unter Berücksichtigung der zusätzlichen Klassen an den anderen Gymnasien sowie weiterer freier Kapazitäten ausreichend Plätze zur Verfügung stünden (PM Stadt Bochum 20.03.2024).

Für die Realschule lautete die Begründung, dass, obwohl die Kapazitäten an den Realschulen insgesamt nicht ausreichen, noch freie Kapazitäten an Sekundar- und Gesamtschulen in Bochum bestünden. An diesen Schulformen könne ebenfalls, wie an den Realschulen, der Mittlere Schulabschluss erworben werden (PM Stadt Bochum 20.03.2024).

Für die betroffenen Schüler*innen würde der Besuch anderer Schulen jedoch regelmäßig längere bis sehr lange Schulwege bedeuten (WAZ vom 21.02.2014). Das ist auch deswegen so, weil der Nahverkehr in Bochum unterentwickelt ist und der Stadt ein flächendeckendes Netz sicherer Radwege fehlt.

Gleichwohl ist auch die Entscheidung der Bezirksregierung zu kritisieren, die den untauglichen Schulentwicklungsplan genehmigt hat und eigentlich ebenfalls daran interessiert sein sollte, dass die Schülerin, wenn die räumlichen und personellen Kapazitäten vorhanden sind, dort erfüllt werden, wo die Schüler*innen sich angemeldet haben. Darauf zu beharren, dass der Schulentwicklungsplan umgesetzt wird, ist sinnloser Bürokratismus, der die Bedürfnisse der Schulkinder außer Betracht lässt, die eigentlich bei allen Überlegungen im Vordergrund stehen sollten.

Nach langen Verhandlungen und Protesten der Eltern hat sich die Bezirksregierung zumindest erweichen lassen an der Hans-Böckler-Realschule eine zusätzliche Klasse einzurichten (WAZ vom 22.03.24).

Das teilweise Einlenken der Schulaufsicht (Bezirksregierung) kann allerdings nicht über das Versagen der Stadt bei der Schulentwicklungsplanung hinwegtäuschen, die konsequent am realen Bedarf an Schulplätzen in Bochum vorbei geht.

Chaotische Schulentwicklungsplanung

Das setzt sich auch bei der neuen Schulentwicklungsplanung fort, die die Verwaltung für die nächsten 5 Jahre erarbeitet hat und über die aktuell in der Politik diskutiert wird (Beschlussvorlage 20240052).

So sollen gemäß den Vorstellungen der Verwaltung nicht etwa an der Hans-Böckler-Realschule neue Klassenzüge eingerichtet werden, die in diesem Jahr 95 Anmeldungen über Plan verzeichnete, sondern an der Realschule in Höntrop und der Annette-von-Droste-Hülshoff-Schule.

Dabei wäre eine Erweiterung der Hans-Böckler-Schule durchaus möglich. Denn dafür käme das ehemalige Gebäude der Realschule in Frage. Das soll zwar endlich saniert werden, soll aber nicht für die Realschule, sondern für zusätzliche Klassen für drei Gymnasien genutzt werden (Graf-Engelbert-Schule, Schiller-Schule sowie Neues Gymnasiums). 2010 sahen die Planungen zum Schulentwicklungsplan sogar noch vor, die Realschule ganz zu schließen (WAZ vom 30.08.2012).

Die Schulentwicklungsplanung in Bochum folgt keinem echten langfristigen Ziel. Vor 10 Jahren wurde am Standort Feldsieper Straße die Realschule geschlossen, es folgte die Gemeinschaftsschule, die nach 5 Jahren in eine Gesamtschule umgewandelt wurde und die nach den neusten Planungen jetzt wieder ausgelagert und einem neu zu schaffenden Gymnasium weichen soll (Gesamtschulstandort ist ungeeignet).

Die neusten Planungen sehen also vor ein neues zusätzliches Gymnasium zu schaffen. Dabei hat die Stadt erst 2010 durch die Zusammenlegung der Albert-Einstein-Schule und des Gymnasiums am Ostring zum Neuen Gymnasium eines geschlossen. Fast keine Planung erreicht eine Halbwertzeit von mehr als 10 Jahren. Was vor 5 bis 10 Jahren geplant wurde, wird heute wieder eingestampft. Fehlplanungen statt Verlässlichkeit ist das kennzeichnende Merkmal der städtischen Schulentwicklungspläne.

2012 nahmen die beiden Sekundarschulen (Rupert-Neudeck und Nelson-Mandela) ihre Arbeit auf, nach der jetzt vorgelegten Planung sollen beide wieder aufgelöst werden. Die Rupert-Neudeck-Schule soll ganz schließen und die Nelson-Mandela-Schule zu einer Gesamtschule werden. Schulgemeinschaft und Schulleitung erfuhren von der beabsichtigten Schließung aus der Zeitung. Das sagt viel darüber aus, wie ernst die Verwaltung die Belange und Bedürfnisse der Schulen vor Ort nimmt.

Dafür will die Stadt beide Hauptschulen weiterführen. Obwohl alle wissen, dass es mit einem Hauptschulabschluss für die meisten Schulabgänger*innen im Berufsleben keine Zukunftsperspektive geben dürfte.

Auch die neue Schulentwicklungsplanung weist schwere Mängel auf

Die gesamte Schulentwicklungsplanung basiert auf vagen Prognosen über die Entwicklung der Schülerzahlen, die mit großen Unsicherheiten und vielen Fragezeichen einhergehen. Eine Konferenz der betroffenen Schulen zur Weiterentwicklung der Schullandschaft gab es nicht, die Schulkonferenzen wurden im Planungsverfahren nicht angehört. Die Gebäude der weiterführenden Schulen wurden von Mitarbeiter*innen des Schulverwaltungsamtes und den Zentralen Diensten gemeinsam begangen, zu mehr reichte es nicht (Beschlussvorlage 20240052).

Die Planungen erfolgten allein auf den Prognosen der Schülerzahlen, aus denen die zukünftigen Raumbedarfe abgeleitet wurden und denen die vorhandenen Räumlichkeiten gegenübergestellt wurden. Tatsächlich wurde ein Raumbedarfsplanung aufgestellt, Eine echte Planung der zukünftigen Entwicklung der Schullandschaft, bei der auch Konzepte, Bedürfnisse und Belange aller betroffenen Schulen außerhalb des Raumbedarfs hätten berücksichtigt werden müssen, fand nicht statt.

Dazu ein Beispiel: So hat sich die Rupert-Neudeck-Schule in Dahlhausen mittlerweile etabliert, die Anmeldezahlen steigen. Seit 2020 gibt es die neuen, hochmodernen Naturwissenschaftsräume. Schüler*innen, die nach der 10. Klasse Abitur machen wollen, können auf dem gleichen Schulgelände zum Theodor-Körner-Gymnasium wechseln. Auch sonst funktioniert die Zusammenarbeit im Schulzentrum mit dem Gymnasium nach Aussage beider Schulen sehr gut. Beide Schulen ergänzen sich ideal (WAZ vom 11.02.2024). Jetzt soll die Schule nach nur 12 Jahren Bestehen geschlossen werden. Entfiele die Sekundarschule, müssten die Kinder aus Linden und Dahlhausen demnächst bis zur über 7 km entfernten Gesamtschule nach Wattenscheid-Westenfeld fahren. Im Sinne der Schüler*innen wäre das sicher nicht. Doch solche Aspekte, spielten bei der städtischen Schulentwicklungsplanung keine relevante Rolle.

Schulen müssen an Schulentwicklungsplanung intensiv mitwirken

Schon die Art und Weise wie Schulentwicklungsplanung in Bochum angegangen wird, ist also nicht geeignet, eine verlässliche, zukunftsweisende Entwicklung der Bochumer Schullandschaft zu bewirken. Entsprechend erweisen sich die Schulentwicklungsplanungen der letzten Jahrzehnte immer wieder als Fehlplanungen. Das Verfahren zur Entwicklung der Pläne muss grundlegend überdacht und neu organisiert werden. Die Schulleitungen und Schulkonferenzen der betroffenen Schulen sind dabei aus Sicht der STADTGESTALTER verstärkt einzubeziehen. Das ist bisher versäumt worden. Entsprechend lehnen die STADTGESTALTER die jetzt vorgelegten Planungen ab.

Von Plänen, die am realen Bedarf vorbei gehen, hat in der Stadt niemand etwas. Das zeigt sich auch bei den Schulentwicklungsplanungen für die Grundschulen, wo der erforderliche Bedarf an Schulen und Klassen ebenfalls völlig falsch eingeschätzt wurde und jetzt versucht wird, den Folgen der Jahrzehnte langen Fehlplanungen mit der massenweisen Aufstellung von Schulcontainern zu begegnen (48 Klassen in Containern – Bochumer Schulpolitik an neuem Tiefpunkt). Zudem sollte nach Ansicht der STADTGESTALTER bei den Schulentwicklungsplanungen ein zentrales Ziel sein, dass neue Schulen sich durch visionäre Schul- und Lernkonzepte auszeichnen (Neue Schulen in Bochum sollten sich durch visionäre Schul- und Lernkonzepte auszeichnen).

11 Feb

Gestaltungssatzung ablehnen – Grüne, attraktive statt graue, trostlose Innenstadt

Die Stadt will mit der neuen Gestaltungssatzung der Bochumer Innenstadt triste, graue Fassaden nach dem Vorbild der 50er Jahre vorschreiben. Die STADTGESTALTER schlagen stattdessen vor, eine attraktive, durchgrünte Innenstadt als Vorbild für Großstädte weltweit zu schaffen.

Bereits 2019 beschloss der Stadtrat eine Gestaltungssatzung für die Innenstadt. Aufgrund erheblicher rechtlicher Mängel bei Erstellung der Satzung, kam das Verwaltungsgericht zu der Einschätzung, die Gestaltungssatzung sei unwirksam (Gestaltungssatzung absurd: Wenn die Markise nicht mit der Gestaltung der Tanke harmoniert). Folgerichtig hob der Stadtrat die Satzung auf. Jetzt nimmt die Stadt einen zweiten Anlauf eine geänderte Gestaltungssatzung auf den Weg zu bringen.

Satzung soll Baustil der Nachkriegsmoderne vorschreiben

Doch inhaltlich hat sich in der Satzung wenig geändert, lediglich der Geltungsbereich wurde verkleinert und die Begründung substanziell nachgebessert (Gestaltungssatzung – neu). Hinter der Gestaltungssatzung steht die Idee, zukünftig solle das Stadtbild der Innenstadt geprägt sein durch überwiegend graue bis hellbeige Fassaden im Stil der 50er Jahre.(Gestaltungsleitlinien). Entsprechend untersagt die Gestaltungssatzung farbige Fassaden. Auch Ganzglasfassaden und Holzfassaden sind nicht erlaubt, Die Begrünung von Fassaden soll nur im Einzelfall zugelassen werden.

Zulässige Fassadenfarben, Gestaltungssatzung

Vorbild der Gestaltung von Gebäuden in der Innenstadt soll die Architektur der Nachkriegsmoderne sein. Dieser Baustil, wird von den Menschen als überwiegend trist, grau und langweilig wahrgenommen, Flair und Ambiente vermag er einer Innenstadt nicht zu verleihen.

Die Bochumer Innenstadt weist durchaus architektonisch spannende Gebäude der Nachkriegsmoderne auf, die es zu erhalten gilt  Als Vorbild für die zukünftige Gestaltung  einer ganze Innenstadt, taugt der Baustil der Nachkriegsmoderne jedoch wenig. Das Ansinnen der Gestaltungssatzung, eine Weiterentwicklung der Architektur im Stadtbild der Innenstadt zu unterbinden und das Zeitalter der Nachkriegsmoderne quasi auf ewig festzuschreiben, steht dem Ziel der Belebung der Innenstadt entgegen.

Gestaltungssatzung soll Verunstaltung verhindern

Eine Gestaltungssatzung soll dafür sorgen, dass die Innenstadt über Flair, Ambiente und ein attraktives Stadtbild verfügt, damit sich die Menschen dort wohl fühlen, optisch von den Gebäuden angesprochen fühlen und gerne dort hin gehen. Eine Gestaltungssatzung verfolgt keinen Selbstzweck, es darf nicht darum gehen, der Innenstadt allein aufgrund architekturtheoretischer Gründe einen bestimmten Baustil vorzuschreiben.

Bei einer Gestaltungssatzung sollte es vorrangig darum gehen Verunstaltungen vorzubeugen und zu verhindern. Insoweit sind die Regelungen der Bochumer Satzung zu Werbeanlagen, Beklebungen von Schaufenstern, Kragplatten und Vordächer im Wesentlichen nachvollziehbar und richtig. Jegliche architektonische Weiterentwicklung der Innenstadt zu verhindern und einen Baustil vorzuschreiben, der kreative, architektonische Ausrufezeichen nicht vorsieht, darf dagegen nicht Ziel der Gestaltungssatzung sein. Insofern ist die jetzt vorgeschlagene Satzung auch weiterhin rechtlich bedenklich.

Gebäude im Stile von Gaudi oder Hundertwasser wären mit der neuen Gestaltungssatzung in der Bochumer Innenstadt verboten, sie passen nicht ins grau, monoton streng und eckig gegliederte Einerlei. Dabei sind es gerade solche architektonisch einzigartigen Gebäude, die eine Innenstadt attraktiv machen, Menschen anziehen und für eine Identifikation mit der Stadt sorgen.

Gestaltungssatzung sollte einer zeitgemäßen architektonische Weiterentwicklung nicht im Wege stehen

Aus Sicht der STADTGESTALTER ist der Ansatz der Bochumer Gestaltungssatzung falsch. Es muss darum gehen eine hochwertige und zeitgemäße architektonische Weiterentwicklung zu fördern, nicht sie zu verhindern. Architektur muss sich in Zukunft mit den Anforderungen an Klimaschutz vereinbaren lassen. Das erfordert u.a. den Einsatz anderer Baustoffe, insbesondere Holz. Lebendige Grünfassaden und -dächer werden andere Kubaturen erfordern. Photovoltaikfassaden, in Fassaden integrierte Windkraftanlagen u.ä. werden dazu führen, das Gebäude der Zukunft sich grundsätzlich in der Gestaltung von solchen abheben werden, wie wir sie heute kennen.

Leitbild der Gestaltungssatzung sollte nach Ansicht der STADTGESTALTER auch nicht das Vorschreiben eines bestimmten Baustils sein, sondern die Schaffung von Flair, Ambiente und einem hochwertigen Stadtbild.

Leitbild “Durchgrünte Innenstadt”

Die STADTGESTALTER schlagen daher vor die Gestaltungssatzung auf die Regelungen zu kürzen, die Verunstaltungen verbieten und verhindern. Ansonsten aber der Innenstadt keinen Baustil vorzuschreiben, sondern sich für die zukünftige Entwicklung ein fortschrittliches, zeitgemäßes Leitbild zu geben: “Die durchgrünte Innenstadt”.

Bochum könnte die erste Innenstadt weltweit sein, die alle Möglichkeiten der Begrünung ausschöpft, von Dachgärten, über Fassaden- und Platzbegrünung bis zur Schaffung von neuen Parks- und Grünflächen. Bisher wird die Stadt Bochum zwar als überraschend grün wahrgenommen, die Innenstadt präsentiert sich aber immer noch weitgehend als graue trostlose Beton- und Steinwüste.

Graue Tristesse – Innenstadt

Der Künstler Ulrich Schmitt visualisiert mit seinem “Bunten Amt für Zukunft” am Beispiel Nürnberg wie eine solche “Durchgrünte Innenstadt” (Visionen 2024) in idealisierter Weise aussehen könnte (Buntes Amt für Zukunft). Das Leitbild einer grünen und klimaresilienten Innenstadt, wie es die STADTGESTALTER vorschlagen, würde bedeuten, die Stadt schüfe in der Innenstadt die Voraussetzung und entsprechende Vorgaben jede Fassade, jedes Dach und Vordach zu begrünen. Darüber hinaus würden überall da, wo es sinnvoll und möglich erscheint, Straßenabschnitt und Plätze grün umgestaltet bzw. zu Parks und Grünflächen umgewandelt. Auch wäre zu prüfen, wo in der Innenstadt Platz vorhanden ist, um dort markante Bäume wachsen zu lassen.

Foto: Ulrich Schmitt – “Buntes Amt für Zukunft”
Foto: Ulrich Schmitt – “Buntes Amt für Zukunft”
Foto: Ulrich Schmitt – “Buntes Amt für Zukunft”
Foto: Ulrich Schmitt – “Buntes Amt für Zukunft”

Einige konkrete Begrünungsmaßnahmen in dieser Richtung haben die STADTGESTALTER in der Vergangenheit bereits vorgeschlagen: DachparkBegrünungsinitiativeFassadengärtenGrüne Schattensegel und Propstei-Park. Die durchgrünte Innenstadt umschließen könnte ein Ringpark, der entstünde, wenn man wie von den STADTGESTALTERn den Innenstadtring zur Einbahnstraße macht (Der Bochumer Innenstadtring als Einbahnstraße)

Bei einer Durchgrünung müsste darauf geachtet werden, dass es nicht zu einer übermäßigen Verschattung kommt, Sichtachsen bestehen bleiben, der Laubfall berücksichtigt wird und ausreichend Platz für den erforderlichen Verkehr vorhanden bleibt. Um mehr Platz für Grün zu schaffen, sollten im Bereich der Innenstadt sämtliche Autostellplätze konsequent von den Straßen in die Parkhäuser verlagert werden. Auf den Straßen verblieben Halteflächen für die Anlieferung.

Zu überlegen ist auch, die Innenstadtbegrünung durch Bächle und Wasserspiele zu ergänzen. Auch das wurde von den STADTGESTALTERn zusammen mit der FDP bereits 2017 vorgeschlagen und von der Verwaltung positiv aufgenommen (Mitteilung 20172592).

Als erste durchgrünte und klimaresiliente Innenstadt der Welt könnte Bochum große Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dies würde der Entwicklung von City und Stadt neue positive Impulse geben und für Investitionsanreize sorgen. Die Innenstadt könnte sich zudem zu einer Sehenswürdigkeit entwickeln, die Touristen ist die Stadt locken würde.

Dagegen würde die jetzt vorgeschlagene Gestaltungssatzung die aktuelle graue, langweilige und 08/15-Gestaltung der Innenstadt auf ewig zementieren und wird daher in der Sitzung des Stadtrats am 14.03.24 von den STADTGESTALTERn abgelehnt.

Beitragsbild Ulrich Schmitt – “Buntes Amt für Zukunft”

04 Feb

BOGESTRA mit Instandhaltung von Aufzügen und Rolltreppen überfordert

Dass Rolltreppen oder Aufzüge für Wochen, Monate oder sogar Jahre ausfallen, ist bei der Bochumer BOGESTRA kein Einzelfall. Ursache ist jedoch – anders als das Unternehmen es darstellt – nicht, dass Ersatzteile aus Asien nicht geliefert werden, sondern dass die Instandhaltung des Unternehmens schlecht organisiert ist. Die vielfältigen Probleme beleuchtet dieser Beitrag.

De Ausgangslage ist beschämend, jede sechste Rolltreppe der BOGESTRA funktioniert nicht und das immer wieder über Wochen, Monate oder sogar Jahre (WAZ vom 30.01.2024). Von 53 Aufzügen sind aktuell sechs “bis auf Weiteres außer Betrieb” (Aktuelle Aufzugsstörungen BOGESTRA), das sind über 11%. Fahrgäste, die auf Aufzüge angewiesen sind, werden in 5 von 6 Fällen aufgefordert, zu anderen Stationen zu fahren, umzusteigen und von da zur eigentlichen Zielstation mit der gleichen oder einer anderen Linie zu fahren. Und das für einen unbestimmten Zeitraum. Eine solche Behandlung der Kunden ist unzumutbar, blamabel und inakzeptabel.

Kundeninteressen stehen nicht im Fokus der BOGESTRA

Die Zustände sagen viel darüber aus, welchen Stellenwert Fahrgäste und Kunden bei der BOGESTRA besitzen. Interessen und Belange der Kunden stehen weder im Fokus des Unternehmens noch der Politik, beide sind vorrangig daran interessiert, dass es den Beschäftigten der BOGESTRA gut geht, Kunden und deren Bedürfnisse spielen allenfalls nachrangig eine Rolle. Statt die BOGESTRA aufzufordern, die Missstände endlich abzustellen, sehen sich die Ratsmitglieder von SPD und Grünen – wie zuletzt in der Ratssitzung am 01.02.2024 – allenfalls verpflichtet, zu erklären, dass alles nicht so schlimm wäre und die Beschäftigten eine gute Arbeit machen würden. An Lösungen im Sinne der Kunden, ist man nicht interessiert.

Beispiel Rolltreppe Pieperstraße

Ein typischer Fall für die Misere stellt die Rolltreppe Pieperstraße der Station Schauspielhaus dar. 23 Jahre nach Fertigstellung der Station wurden die Rolltreppen an dieser Haltestelle Ende des Jahrs 2000 aufgrund des hohen Kostenaufwands beim Betrieb der alten Fahrtreppen getauscht. In den ersten drei Jahren nach der Inbetriebnahme kam es an den vier neuen Treppen nach Aussage der BOGESTRA zu ca. 590 Störungen bzw. Außerbetriebnahmen (Mitteilung 20032686). Die Rolltreppen standen mehr als sie liefen.

Schon vor Jahren, der genaue Zeitpunkt ist nicht mehr bekannt, fällt die Rolltreppe Pieperstraße dann endgültig aus. Die BOGESTRA schaffte es bis heute nicht, diese wieder lauffähig zu bekommen. Sie streitet stattdessen mit dem Hersteller, wer die Schuld an den dauernden Ausfällen trägt. Es werden immer wieder neue Termine genannt, wann die Treppe wieder laufen soll, zuletzt sollte bis Ende September 2023 eine Generalreparatur erfolgen, Stand jetzt soll die Wiederinbetriebnahme irgendwann 2024 erfolgen. Öffentlich einen genauen Termin zu nennen, wagt die BOGESTRA nicht mehr.

Der Fall zeigt, die BOGESTRA ist mit der Instandhaltung völlig überfordert und trägt den Streit mit dem Hersteller über die Gewährleistung auf Kosten der Kunden aus. Die Treppe hätte lange komplett getauscht werden müssen. Die Kunden haben Anspruch auf eine laufende Rolltreppe. dieser wird aber von der BOGESTRA ignoriert.

Was läuft bei der Instandhaltung falsch?

Es stellt sich die Frage, warum ist die BOGESTRA nicht in der Lage die Rolltreppen und Aufzüge ordnungsgemäß Instand zu halten und zeitnah zu reparieren. Warum bekommt die BOGESTRA nicht hin, was in Einkaufszentren, und Großstädten weltweit üblich und selbstverständlich ist.

Die Ursachen sind vielschichtig: Die BOGESTRA hat bei Rolltreppen und Aufzügen immer wieder andere Modelle unterschiedlicher Hersteller eingebaut. Für eine Vielzahl verschiedenster Baureihen und Herstellervarianten Ersatzteile vorzuhalten ist aufwendig und teuer. Das Unternehmen bevorratet, um Kosten zu sparen, zu wenige Ersatzteile.

Darüber hinaus kann die BOGESTRA grundlegende Reparaturen nicht selbst durchführen, sondern beauftragt Fremdfirmen, mit denen aber keine Vereinbarungen bestehen, dass diese umgehend tätig werden und die Reparaturen innerhalb festgelegten Fristen durchführen müssen.

Auch sind Instandhaltung und Wartung von Rolltreppen wie Aufzügen bisher nicht mit anderen Nahverkehrsunternehmen abgestimmt. Eine gemeinsame Instandhaltungs- und Wartungsabteilung der Nahverkehrsunternehmen des VRR gibt es nicht. Man hat es über Jahrzehnte versäumt VRR-weit gemeinsam gleiche Baureihen von Rolltreppen und Aufzügen zu kaufen, um deren Instandhaltung- und Wartung sowie die Bevorratung der Ersatzteile dann gemeinsam zu organisieren. Immerhin koordiniert die BOGESTRA mittlerweile zumindest den Einkauf von neuen Rolltreppen mit Kooperationspartnern der Metropole Ruhr.

Das eigentliche Problem besteht darin, dass viele Anlagen überaltert und entsprechend verschlissen sind, aber immer noch betrieben werden, die eigentlich längst hätten ausgewechselt werden sollen. Rolltreppen haben im Schnitt eine Lebensdauer von 20-30 Jahren, ehe eine Kompletterneuerung oder ein Austausch erforderlich ist. Die Anlagen der BOGESTRA sind teilweise 35 Jahre und älter. 170 Rolltreppen betreibt die BOGESTRA. 4-6 werden pro Jahr getauscht (Mitteilung 20190255). Im Schnitt sind die Treppen also fast 34 Jahre alt, ehe sie erneuert werden.

Das Märchen von der schwierigen Ersatzteilbeschaffung aus Asien.

Je mehr Jahre die Treppen über die eigentlichen Lebenszeiten laufen, um so fehleranfälliger werden sie und um so schwieriger wird es für bereits lange Zeit nicht mehr gebaute Modelle noch Ersatzteile zu bekommen.

Anders als die BOGESTRA behauptet, ist die Überalterung der Treppen der Hauptgrund für die Schwierigkeiten Ersatzteile zu bekommen, nicht, dass sie – wie mittlerweile fast alle technischen Anlagen – in Asien gefertigt werden (Bochumer motzen wegen Rolltreppen-Irrsinn – BOGESTRA reagiert). Zumal sämtliche großen Rolltreppenhersteller bis auf Mitsubishi Electric nicht in Asien ansässig sind (Otis, ThyssenKrupp, Schindler und Kone) und die BOGESTRA keine Rolltreppen von Mitsubishi unterhält. Alle Hersteller betreiben seit etlichen Jahren Produktionsstandorte in Asien. Aber wie Automobilhersteller oder andere Anlagenbauer auch, sind die erforderlichen Ersatzteile für aktuelle Modelle auch in Europa und Deutschland vorrätig, nur für Oldtimer und Spezialanfertigungen ist die Besorgung nachvollziehbar schwierig.

Das Argument, die Rolltreppen und Aufzugshersteller seien wegen der Fertigung in Asien an der Misere schuld, ist also eine Ausrede. Das Problem liegt im Wesentlichen bei der BOGESTRA selbst.

Reorganisation der Instandhaltung und Wartung von Rolltreppen und Aufzügen

Die Instandhaltung und Wartung von Rolltreppen und Aufzügen muss bei der BOGESTRA grundlegend neu organisiert werden. Das Wichtigste ist, dass das Unternehmen in Zukunft die entsprechenden Tätigkeiten zusammen mit den anderen Nahverkehrsunternehmen des VRR aus einer Hand organisiert und die Ersatzteile zentral für alle bevorratet werden. Gemeinsam müssen die Unternehmen gleichartige Modelle, gleicher Hersteller einkaufen, um die Zahl der benötigten und zu bevorratenden Ersatzteile erheblich zu reduzieren.

Bereits beim Bau von Stationen sollte darauf geachtet werden, dass soweit irgend möglich nur Standardtreppen.- und -aufzüge zum Einsatz kommen und auch davon möglichst wenige. Hier wurden in der Vergangenheit Fehler gemacht, die jetzt hohen Folgekosten nach sich ziehen. Eine Rolltreppe plus Aufzug auf eine Zwischenebene und jeweils eine weitere Anlage auf den Bahnsteig, verdoppelt die Ausfall- und Reparaturwahrscheinlichkeit und lässt die Kosten immens steigen. Ein Aufzug und eine Rolltreppe direkt auf den Bahnsteig sind auf Dauer günstiger. Spezialanfertigungen wie überlange Rolltreppen und Schrägaufzüge, sind in der Instandhaltung wie der Ersatzbeschaffung ebenfalls extra teuer und aufwendig. Bei der Planung zukünftiger Stationen muss also bereits der daraus folgende Instandhaltungsaufwand berücksichtigt werden.

Ebenfalls von entscheidender Bedeutung, Aufzüge und Rolltreppen müssen rechtzeitig getauscht werden, wenn das Ende des Lebenszyklus erreicht ist und bevor die Reparaturanfälligkeit steigt und die Ersatzteilversorgung der Baureihen nicht mehr sichergestellt ist.

Defizite bei der BOGESTRA vielfältig

Die Misere bei Instandhaltung von Wartung von Rolltreppen und Aufzügen wirft ein Schlaglicht auf die Leistungsfähigkeit der BOGESTRA. Diese ist nicht nur in diesem Bereich bedenklich gering, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sowie das kundenfeindliche wie ineffiziente Ticket- und Fahrscheinsystem (VRR: Fahrgäste gefangen im Tarifdschungel) sind in dieser Hinsicht weitere Baustellen.

Auch zeigt dieser Fall, warum die Kosten bei dem Unternehmen aus dem Ruder laufen. Man ist bisher nicht bereit, die Kosten durch konsequente Zusammenarbeit mit den anderen Nahverkehrsunternehmen des VRR nachhaltig zu senken. Den Willen zur Kooperation mit anderen Unternehmen gibt es zwar auf dem Papier, Zusammenarbeit, da wo sie naheliegend, sinnvoll und im Sinne der Fahrgäste und Städte zwingend erforderlich ist, gibt es jedoch oft nicht.

Erschreckend ist zudem, was die BOGESTRA meint, den Kunden und Fahrgästen zumuten zu können. Wäre Kundenzufriedenheit das oberste Unternehmensziel und stünden die Fahrgäste im Mittelpunkt des Unternehmensinteresses, dürfte es zu dem beschriebenen Verhalten gegenüber den Kunden niemals kommen.

BOGESTRA befindet sich in einer ernsthaften Krise

Betrachtet man neben den schweren Defiziten bei Instandhaltung und Wartung, die schwindenden Fahrgastzahlen (Fahrgastschwund – Alarmierende Entwicklung bei der BOGESTRA), die Explosion des Unternehmensverlusts, die zu einem Anstieg des städtischen Zuschusses von 60 auf 90 Mio. geführt hat, sowie das jetzt schon absehbare eklatante Verfehlen der Unternehmensziele, wie der angestrebten Verdoppelung der Kundenzahlen bis 2030, so ist zu erkennen, dass die BOGEESTRA sich in einer ernsthaften Unternehmenskrise befindet, die dringend eine grundlegende Restrukturierung des Unternehmens erforderlich macht.

12 Nov

Weit über 10 Mio. Euro für fast 950 zusätzliche ungenutzte Parkplätze

Bisher standen in Bochum im Schnitt jede Woche 3.000 – 4.000 Stellplätze in den städtischen Parkhäusern in und um die Innenstadt leer, jetzt sind es noch fast 950 mehr. Denn für weit über 10 Mio. Euro hat die Stadt zwei neue Parkhäuser mit 942 zusätzlichen Plätzen in Betrieb genommen, die nicht benötigt werden. Der Bau der Parkhäuser war ein Akt sinnloser Geldverschwendung.

Bisher standen in der Innenstadt selbst sowie in der näheren Umgebung 5.585 Autoparkplätze zur Verfügung. Von denen im Wochenschnitt 3.000 bis 4.000 Stellplätze leer standen (55 – 70%), selbst in Spitzenzeiten waren rund 1.600 bis 2.000 ungenutzte Parkplätze zu verzeichnen (z.B. Parkplatzauslastung 07.05.2023 – 14.05.2023, Quelle: Verkehrswatch BO).

Parkhausnutzung in Bochum 07.05.2023 – 14.05.2023

942 zusätzliche Parkplätze in zwei neuen Parkhäusern

Obwohl also in der Innenstadt schon seit jeher Parkraum im Überfluss besteht, hat die Stadt in den letzten Monaten noch zwei weitere Parkhäuser mit 942 zusätzlichen Stellplätzen in Betrieb genommen. Erst Anfang November wurde das neu Parkhaus P7 eröffnet. Es bietet 430 Fahrzeugen Platz. Der Bau hat 10 Mio. Euro gekostet, hinzu kommen für den Abriss des alten P7 nochmals 450.000 Euro.

Einige Monate vorher wurde das neue Parkhaus unter dem Husemann Karree mit 510 Stellplätzen zum Parken frei gegeben. Hier wurde das eigentliche Parkhaus von der Gesellschaft gebaut, die das ganze Karree errichtet hat. Die Stadt allerdings hat das Parkhaus unter dem Husemannplatz saniert und den Zugang zum neuen Parkhaus ermöglicht. Das kostete 3 Mio. Euro. Ein wesentlicher Teil des Geldes floss in die Sanierung der Zufahrt Viktoriastraße, die auch für das neue Parkhaus genutzt wird und den Anschluss der neuen Parketagen an das bestehende Parkhaus unter dem Platz.

Jetzt verfügt die städtischen Parkhäuser in und um die Innenstadt also über 6.527 Autostellplätze, von denen in Spitzenzeiten 2.600 bis 3.000 nicht genutzt werden. Der Zahl der ungenutzten Autostellplätz nimmt um fast 1.000 zu.

Schaffung von 942 zusätzlichen Stellplätzen, für die der Bedarf fehlt

Trotzdem es überhaupt keinen Bedarf gab, noch mehr Autoabstellplätze und Parkhäuser zu bauen, gab die Stadt bzw. die von ihr finanzierte Gesellschaft, die die Parkhäuser betreibt, deutlich über 10 Mio. Euro aus, um fast 950 Autostellplätze zu bauen, die jetzt ungenutzt leer stehen.

Da angesichts des fortschreitenden Niedergangs der Innenstadt und bei ernsthafter Verfolgung der Mobilitätswende eher eine abnehmende Anzahl Kunden zu erwarten ist, erscheint die Annahmen, dass die zusätzlichen Stellplatzkapazitäten jemals ausgenutzt werden, abwegig. Die 950 zusätzlichen Stellplätze braucht jetzt und in Zukunft niemand. Sie wurden ohne Sinn und Verstand gebaut.

Aber wie konnte es dazu kommen, dass die Stadt fast 942 weitere Parkhausstellplätze baut, ohne dass dafür irgendein Bedarf besteht? Warum wurde vor dem Bau der neuen Parkhäuser nicht zunächst überprüft, ob überhaupt Bedarf für noch mehr Parkraum besteht?

Wie konnte es zu der Fehlplanung kommen?

Die Ursache liegt in einer beispiellos autofixierten Denkweise von Stadt, Politik und Einzelhandel. Man hängt immer noch dem Irrglauben an, mit mehr Parkplätzen könne man automatisch mehr Kunden für die Innenstadt gewinnen. Doch diese Rechnung geht schon seit Jahrzehnten nicht mehr auf. Trotz immer mehr Stellplätzen und immer luxuriöseren Parkhäusern kommen nicht mehr, sondern immer weniger Kunden in die Bochumer City. Die Annahme, Kunden würden Innenstädte wegen toller Parkplätze im Überfluss ansteuern, wird durch die in Bochum festzustellende Realität widerlegt.

Verfügen Innenstädte dagegen über viel Flair, Ambiente, Aufenthaltsqualität und Attraktionen, sind die Kunden bereit hohe Parkhauspreise zu bezahlen und mangels günstiger Stellplätze im Zentrum der Innenstadt Park & Ride-Angebote in Verbindung mit außerhalb der Innenstadt liegenden Parkplätzen oder –häusern zu nutzen. Fehlt es dagegen – wie in Bochum – an Flair, Ambiente, Aufenthaltsqualität und Attraktionen, kommen die Kunden auch dann nicht, wenn die Parkplätze noch so schick, zahlreich und günstig sind. Insbesondere bleiben die Kunden weg, die einen hohen Anspruch an Attraktivität und Stadtbild einer Innenstadt haben. Fataler Weise sind das besonders die Kunden mit hoher Kaufkraft.

Autofixierte Denkweise und Realitätsverlust

In Bochum ist diese Erkenntnis aber noch offenbar nicht angekommen. Man baut weiter sinnfrei Parkhäuser, ohne sich zu fragen, ob die benötigt werden. Jede Maßnahme, die den Autoverkehr fördert, ist aus Sicht von Stadt, Politik und Einzelhandel, eine gute Maßnahme, egal wie viel sie kostet. Es wird gar nicht hinterfragt, ob die Ausgaben überhaupt einen Effekt haben oder ob es vielleicht Maßnahmen gibt, wo die Stadt bei gleichem Geldeinsatz einen viel höheren Nutzen für die Innenstadt erzielen kann. Man ist so in der autofixierten Denkweise gefangen, die Autokunden müssten subventioniert werden, um die Innenstadt zu retten, dass man die Realitäten völlig aus dem Blick verloren hat.

In der Realität fehlt am Bochumer Hauptbahnhof ein Fahrradparkhaus, kein Autoparkhaus. Überall drängen sich Fahrräder, die Radstation ist überfüllt, der Ruf der Radfahrenden, nach mehr Abstellplätzen unüberhörbar. Doch dafür hat die Stadt kein Ohr. Die 170 mit dem Bau des Parkhauses P7 angekündigten Radstellplätze hat die Stadt bis heute nicht geschaffen, man will mit dem Bau erst beginnen, wenn der Citytower fertig ist (Vorlage 2022)2693), obwohl derzeit völlig unklar ist wann bzw. ob der überhaupt jemals errichtet wird. Statt dringend notwendigen Radparkplätzen hat die Stadt am Hauptbahnhof also lieber 430 überflüssige Autostellplätze bauen lassen.

24 Fahrräder können auf der Fläche eines Autostellplatzes in einem Fahrradparkhaus geparkt werden. Zum Abstellen von 170 Fahrrädern werden also nur 7 Autostellplätze benötigt. Der Flächenverbrauch und Investitionsaufwand ist Im Vergleich zu dem für 430 Autos somit lächerlich gering. Priorität hat das sichtbar Notwendige in Bochum aber trotzdem nicht. In der Denkweise von SPD und Oberbürgermeister ist die einseitige Bevorzugung des Autos bei der Stadtplanung seit Jahrzehnten gelebte Normalität.

Politik und Stadt nehmen nicht mehr wahr, wenn die Autofixierung absurd wird. Auch der grüne Koalitionspartner trägt diese Politik widerstandslos mit. Mobilitätswende, Umweltschutz und Klimaschutz sind für die Bochumer Grünen lästige Randthemen, die man willig der SPD überlässt. Eilfertig spricht man sich auf dem Papier und bei Wahlkampfveranstaltungen zu jeder Gelegenheit für mehr Stellplätze für Radfahrende aus. In der Realität allerdings nickt man die Schaffung von 942 zusätzlichen Auto- und nicht Radabstellplätzen ab.

Stadtgestaltung hat in Bochum keine Priorität

Die sinnfrei Schaffung von fast 950 überflüssigen Autostellplätzen zeigt leider auch, welchen Wert Stadtgestaltung bei Politik, Stadt und Einzelhandel in Bochum haben. Nämlich so gut wie keinen. Für Ortsfremde sind die Mängel von Stadtbild und Stadtgestaltung in der Innenstadt offensichtlich und entscheidend dafür, ob man nach Bochum fährt oder lieber nicht.

Doch in Bochum stört man sich anscheinend eher wenig daran. Sonst hätte man die 13,5 Mio, für P7 und das neue Parkhaus man Husemann-Patz., nicht für Stellplätze im Überfluss, sondern in Stadtgestaltungsprojekte gesteckt (Innenstadt: Die Stadt gibt fast 10x mehr für Parkhäuser aus als für Stadtgestaltung https://die-stadtgestalter.de/2023/02/19/innenstadt-die-stadt-gibt-fast-10x-mehr-fuer-parkhaeuser-aus-als-fuer-stadtgestaltung/). Dr.-Ruer-Platz, Propstei-Platz, der obere Teil des Boulevard und viele andere Ecken der Innenstadt haben dringend eine städtebauliche Überarbeitung nötig. Doch in Bochum hält man die Schaffung von mehr Parkplätzen für wichtiger, selbst dann noch, wenn es dafür gar keinen Bedarf gibt.

Das ganz Gerede, man müsse die Innenstadt neu aufstellen, andere Wege gehen, mehr für die Stadtgestaltung tun, erweist sich als heiße Luft, wenn in der Realität dann doch das Geld wieder wie eh und je in Parkhäuser fließt.

Bochum lernt nicht aus Fehlern

Die Stadt lernt nicht. Leere Autostellplätze bringen keine Kunden in die Stadt. Ehe man etwas baut, muss nachweisbar sein, dass es dafür einen Bedarf gibt. Die eindimensionale Investition allein in Autokunden rechnet sich nicht. Wäre es anders, sähe die Innenstadt anders aus und würde von Kunden überlaufen.

Es wird Zeit sich einzugestehen, dass diese Politik gescheitert ist und das Gegenteil von dem erreicht wurde, was man bewirken wollte. Einfach stur immer weiter noch und noch mehr Parkplätze zu bauen, ist reine Geldverschwendung, es führt zu nichts. Der Kurswechsel muss real statt finden, nicht nur in Sonntagsreden. Vertreter*innen von Stadt, Politik und Einzelhandel, die immer wieder blumig erklären, man habe verstanden, dass Flair, Ambiente, Aufenthaltsqualität und Attraktionen, die Menschen in die Innenstadt locken und nicht schicke Parkplätze im Überfluss, um danach doch wieder das Geld für zusätzliche Autostellplätze zu verschwenden, sind unglaubwürdig.

Quartiersparkhäuser in Wohngebieten zu errichten, ist sinnvoll, der Bau neuer Parkhäuser für Innenstadtbesucher*innen ist hingegen überflüssig und sinnlos.

22 Okt

Zunehmender Populismus – Rechtsruck auch in Bochum zu erwarten

Dass es auch in Bochum bei den nächsten Wahlen voraussichtlich einen Rechtsruck geben wird bzw. vermehrt populistische Parteien gewählt werden, hat viele Ursachen. Entscheidend ist auch, wie in der Stadt seit Jahrzehnten Politik gemacht wird.

Charakteristisch für Menschen, die Populisten ihre Stimme geben, dass sie einfachen Lösungen suchen, sich gegen Veränderungen wehren, sich selbst abgehängt fühlen und Schuldige suchen, die sie für falsche Entwicklungen verantwortlich machen können. Ihr Politikverständnis beschränkt sich darauf, dass sie Forderungen an die Politik stellen und erwarten, dass diese erfüllt werden. Dabei spielt keine Rolle, ob die Forderungen realistisch erfüllbar sind, ob sie wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen oder ihre Erfüllung der (Stadt-)Gesellschaft insgesamt nutzt. Der eigene egoistische Nutzen steht im Vordergrund. Es besteht der Anspruch, dass man sich selbst gesellschaftlichen Veränderungen nicht anpassen muss, sondern die Politik dafür Sorge trägt, dass alles bleibt wie es ist, aber trotzdem für einen selbst besser wird.

Viele der in dieser Weise gestellten Forderungen sind von der Politik so eigentlich nicht erfüllbar. Wirtschaftlich wie technologischer Fortschritt, Klimaschutz und sich verändernde globale Anforderungen erfordern eine beständige Fortentwicklung und Veränderung von Stadt und Stadtgesellschaft. Den Eindruck zu erwecken, Wohlstand zu erhalten, ohne dieser Faktoren beachten zu müssen und Veränderungen voran zu trieben, sei möglich, ist wesentliches Kennzeichen populistischer Politik.

Auch in Bochum ist ein nicht unwesentlicher Teil der Bevölkerung von der aktuellen Politik enttäuscht, fühlt sich nicht wahrgenommen bzw. kann die komplexen politischen Zusammenhänge nicht nachvollziehen. Dieser Teil der Bevölkerung ist für Populisten am einfachsten erreichbar. Zu befürchten ist also, dass bei den nächsten Wahlen populistische Parteien, besonders die des rechten Spektrums, deutlich an Stimmen gewinnen.

Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig und haben auch viel mit der lokalen Politik und dem Politikstil der letzten Jahrzehnte zu tun.

Versäumnisse bei Schulen und Bildung

Die Zusammenhänge in der Politik werden immer komplexer, viele Menschen sind nicht damit vertraut wie etwa das Rentensystem, die Wirkungsmechanismen von Treibhausgasen auf das Klima oder das Prinzip von gesellschaftlichem Nutzen und externen Kosten funktionieren. Die Rechtfertigung von politischen Aktivitäten aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse und Statistiken gewinnt an Bedeutung. Dass Meinungen durch Belege zu stützen sind, ebenso wie die Notwendigkeit von politischen Forderungen, ist vielen Menschen fremd. Mangelnder Bildungsgrad und nicht ausreichende Schulbildung sind die wesentliche Ursache.

Schule und Bildung haben in Bochum seit jeher wenig Wert, der soziale Aufstieg durch Bildung ist kein Ziel der Stadtpolitik. Zum Narrativ der Politik gehörte immer, dass die Politik, auch für die Arbeitsplätze und Wohlstand schafft, die auf Jobs angewiesen sind, die nur geringe bis keine Qualifikationen erfordern. Die Verbesserung von Schul- und Bildungsgrad, um die Menschen für bessere Jobs zu qualifizieren, war dagegen nicht das Ziel. Dass die Zahl von Anlern-Jobs in der Industrie immer weiter zurück gehen würde und Schul- und Ausbildungsqualifikationen bei der Jobsuche immer wichtiger werden würden, verschwieg de Politik den Menschen.

Bei Wahlen zeigt sich immer wieder, Populisten sind besonders bei Menschen mit niedrigem Schulabschluss erfolgreich. So wählten in Hessen 36% der Menschen mit Hauptschulabschluss die AfD (Datenanalyse zur Landtagswahl in Hessen), in Bayern 21%. (Datenanalyse zur Landtagswahl in Bayern). Bei Menschen mit Hochschulabschluss wählten hingegen nur 9 bzw. 8% rechtspopulistisch.

Das Versäumnis der Bochumer Stadtpolitik, die Voraussetzungen zu schaffen, den Menschen einen möglichst hohen Schulabschluss und Bildungsgrad zu ermöglichen, spielt den Populisten also heute die Wähler*innen zu.

Wenig erfolgreiche Stadtpolitik

Ein weiteres Problem ist, dass die Stadtpolitik wenig erfolgreich ist. Die Entwicklung von Stadtteilen wie Wattenscheid oder Werne stellt sich seit Jahren negativ dar, ebenso wie die der Innenstadt. Fehlender Erfolg führt zu Enttäuschung über das, was die Politik leistet. Erschwerend kommt hinzu, dass Fehlentwicklungen, die nicht gestoppt werden, der Verbreitung von Ressentiments und Hetze durch Populisten, in die Hände spielt. Kommen z.B. Stadtteile in eine soziale Schieflage, weil die Stadt nicht rechtzeitig gegensteuert, ist damit ein Anstieg der Zahl von jenen verbunden, die billig wohnen und leben möchten und an Wohn- und Lebensqualität aufgrund ihrer Lebenssituation keine hohen Ansprüche stellen, das sind auch viele Migranten. Von Populisten wird  diesen dann die Schuld für den Niedergang des Stadtviertels zugeschoben, obwohl ihr Zuzug die Folge des Niedergangs ist, sie für die Ursachen dagegen in keiner Weise verantwortlich sind.

Aufgrund der geschilderten Entwicklungen wird der Politik nicht mehr zugetraut, die bestehenden Probleme zu lösen und Negativtrends zu stoppen. Schon bei der Wahl 2020 bekam die AfD in Stadtteilen, die in Bochum als abgehängt gelten, besonders viele Stimmen. So bekamen die Populisten in einigen Stimmbezirken von Wattenscheid-Mitte und Werne über 15% der Stimmen, während es stadtweit nur für halb so viel reichte (Wahlergebnisse Kommunalwahl 2020).

Versprechen, dass mehr Parkhäuser sowie neue Einkaufszentren die Innenstadt retten, Integrierte Stadtentwicklungskonzepte die Wende in Stadtteilen bewirken oder städtische Investition in Kohlekraftwerke die Schulden der Stadt gegenfinanzieren, erweisen sich immer wieder als falsch und nagen an dem Vertrauen der Menschen zu Politik und die dort vorhandene Kompetenz.

Überforderte Politik betreibt Symbolpolitik, erreicht selbst gesetzte Ziele aber nicht

Auch handelt die Politik wenig vorausschauend. Sie setzt sich zwar pressewirksam Ziele wie “Klimaneutralität bis 2035” oder den Anteil des Radverkehrsanteil auf 25% zu steigern, stellt endlose Listen von Maßnahmen auf, um diese zu erreichen, scheitert aber dann an deren Umsetzung. Die Ziele werden krachend verfehlt, die Politik muss diese korrigieren oder gerät, um die Ziele doch noch zu erreichen, in einen Handlungsnotstand, der den Menschen kaum zuzumuten ist.

Statt Ziele konsequent zu verfolgen, beschränkt sich die Politik zunehmend auf Aktionismus. So sollen Werbemaßnahmen wie “Stadtradeln” und die Teilnahme an Klimaawards wirksame Maßnahmen, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. ersetzen oder wird in Wattescheid für 55 Mio. Euro das Stadion saniert statt die herunter gekommene Innenstadt. Die Politik versucht sich durch Symbolpolitik zu profilieren, statt Maßnahmen zu verfolgen, die geeignet sind, die realen Probleme lösen.

Die Menschen bleibt nicht verborgen, dass die Stadtpolitik oft nicht in der Lage ist, Politik so zu betreiben, dass selbst gesetzte Ziele sicher erreicht werden. Es entsteht der Eindruck, Politik ist mit ihren Aufgaben systematisch überfordert, was sich wiederum negativ auf ihre Wählbarkeit niederschlägt, und Menschen bewegt sich nach vermeintlichen Alternativen umzuschauen.

Politik bestimmt nicht, was die Verwaltung tut, sondern umgekehrt

Verwaltung und städtische Betriebe verfolgen durchweg das Ziel, dass die Beschäftigten dort gut versorgt sind und gute Arbeitsverhältnisse vorfinden, der Service für die Einwohner*innen der Stadt scheint dagegen keine Priorität zu besitzen. So ist der öffentliche Nahverkehr unzureichend, Bearbeitungszeiten bei Behörden wie bei der Einbürgerung, Wohngeld oder Mitteln zu Bildung und Teilhabe unzumutbar, ebenso wie die Reinigung von Parks- und Grünanlagen, der Instandhaltungszustand von Schulen, Straßen, Geh- oder Radwegen zu wünschen übriglässt oder die Verkehrsüberwachung mit ihren Aufgaben überfordert zu sein scheint. Städtische Bauprojekte werden aufgrund mangelhaften Projektmanagements durchweg zu teuer und dauern zu lange. Es wird nicht das geleistet, was die Menschen von der Stadt erwarten.

Darüber hinaus werden Bürger und Bürgerinnen von der Verwaltung nicht angemessen, an den sie betreffenden Verfahren beteiligt, wie dies z.B. bei der OGS-Vergabe an den Grundschulen passiert ist oder diese finden nur alibimäßig statt, wie bei der Trassensuchshow zum Radschnellweg. In anderen Bereichen erweist sich die Verwaltung als inkompetent, so schafft sie es seit Jahren nicht Fahrradständer an den Schulen aufzustellen oder Mobilstationen in der Stadt zu errichten.

Eigentlich ist es primäre Aufgabe der Politik für eine effiziente, schnelle und bürgerorientierte Verwaltung zu sorgen. Doch sie schaut nur zu und traut sich nicht, die Verwaltung so zu organisieren, dass diese so arbeitet, wie die Menschen das zu Recht von ihr erwarten dürften. Menschen fragen sich, ob ihre Belange im Fokus der von ihnen gewählten Politik stehen oder die Interessen der Beschäftigten der Stadt.

In Bochum kontrolliert und bestimmt die Politik nicht, was die Verwaltung tut, sondern drängt sich der Eindruck auf, dass die Politik sich als verlängerten Arm der Verwaltung versteht und eigentlich die Verwaltung bestimmt, was die Politik tut. Ein Wille die Entwicklung der Stadt aktiv zu gestalten, ist insbesondere bei der Mehrheitskoalition im Stadtrat nicht zu erkennen, man hält es nicht für nötig die Stadtpolitik mit eigenen Vorschlägen und Ideen zu lenken. Das überlässt man der Verwaltung. Diese macht die Beschlussvorschläge im Stadtrat, über die sie die Stadtpolitik in ihrem Sinne steuert und die von Rot-Grün erwartet, dass diese den Vorlagen im Stadtrat die erforderliche Mehrheit verschafft.

Für die Wähler*innen stellt sich die Frage, warum sie Politiker*innen wählen sollen, die jeden eigenen Gestaltungswillen vermissen lassen, selbst nicht mit Vorschlägen und Ideen aufwarten, sondern dieses Feld der Verwaltung überlassen und alles ohne kritische Beschäftigung abnicken, was ihnen vorgelegt wird.

Politikstil – Politik wird diskreditiert

Ein weiterer Punkt ist, dass der in Bochum gepflegte Politikstil, Politik über die Jahre systematisch diskreditiert hat. Ob im Stadtrat für oder gegen einen Vorschlag gestimmt wird, entscheidet sich in Bochum danach, wer den Vorschlag macht und nicht danach, ob der Vorschlag inhaltlich gut oder schlecht ist.

Entsprechend gibt sich die Rot-Grüne-Mehrheit im Rat regelmäßig nicht mal die Mühe ihre Ablehnung von Vorschlägen anderer Fraktionen zu begründen. Mit diesem überheblichen Verhalten demonstriert Rot-Grün, dass man es als Mehrheitskoalition nicht nötig habe, sich mit Vorschlägen anderer zu beschäftigen oder sich für Entscheidungen gegenüber den Bürger*innen zu rechtfertigen. Die dadurch sichtbar werdende Hochnäsigkeit der Macht wirkt auf die Menschen abstoßend und lässt sie daran zweifeln, ob die Stadtpolitiker*innen wirklich das Wohl der Stadt im Auge haben oder vielmehr bevorzugt eigene Machtinteressen verfolgen.

Wer Politik durch solches Verhalten diskreditiert, schadet ihr und schafft selbst die Ursache dafür, dass Menschen nicht mehr gewillt sind bei Wahlen etablierten politischen Kräften ihre Stimme zu geben.

Förderung der Mentalität, Politik als Konsumgut zu betrachten

Auch hat die Stadtpolitik in Bochum seit jeher die Mentalität gefördert, dass Politik quasi ein konsumierbares Gut ist. Man wählt jemanden und erhält dafür die versprochene Leistung. Das Bewusstsein, dass alle Menschen Teil der Stadtgesellschaft sind und zu deren Entwicklung beitragen, wurde nie gefördert. Die Menschen erwarten u.a., dass die Stadtpolitik für billige Mieten, günstige Preise, tolle Läden in der Innenstadt, kostenfreie Parkplätze vor der Haustür und eine ruhige Wohngegend mit Autobahnanschluss um die Ecke sorgt. Dass die Menschen selbst auch eine Eigenverantwortung tragen, welches Einkommen sie erzielen, ob sie Miete zahlen müssen, oder eigenes Wohneigentum erwerben, wo sie wohnen und wie die Stadt und ihre Wohnumgebung gestaltet ist, ist vielen gar nicht mehr bewusst. Bürgerliches Engagement ist in Bochum im Sportverein oder für den Kleingartenverein sehr verbreitet, für die Entwicklung der Stadt und des Wohnquartiers wird das nicht erwartet, da sieht man die Stadt oder die Wohnungsbaugesellschaft in der Verantwortung.

Wird Politik als konsumierbares Gut verstanden, haben es Populisten leicht. Verfolgen Bürger*innen diese Haltung wird der gewählt, der das beste Angebot macht und den Menschen die meisten Vergünstigungen verspricht. Wenn bei der Wahlentscheidung der persönliche, häufig pekuniäre Vorteil im Mittelpunkt steht, der gesellschaftliche Nutzen aber keine echte Rolle spielt, haben bei diesem Wettbewerb die etablierten Parteien das Nachsehen.

Politik ohne Überzeugungswillen

Es stellt sich zudem die Frage, warum Menschen in Bochum Politik machen? Welche Überzeugungen treiben sie an? Betrachtet man die Politiker*innen, die Bochum im Land- und Bundestag vertreten, fragt man sich, für welche Projekte und Überzeugungen stehen sie? Welche politischen Initiativen treiben sie voran und welche haben sie für die Stadt durchgesetzt? Gibt es da Nennenswertes?

Es entsteht der Eindruck, wichtig ist ihre Anwesenheit in den Parlamenten, um im richtigen Moment für die eigene Fraktion die Hand zu heben. Politik lebt vom Gestaltungswillen, Dinge zu zum Besseren zu verändern, sich dafür zu engagieren und dem unbedingte Willen andere davon zu überzeugen. Doch wo sieht man das in der Bochumer Politik?

Eine öffentliche Auseinandersetzung über politische Themen wird nicht nur gegenüber Populisten vermieden. Es hat den Anschein, als bestünde der Anspruch, Menschen zu überzeugen, dass man bessere Politik macht als Populisten und diese zu entlarven, gar nicht. Wenn es gegen Populisten und Extremisten geht, dann geschieht das fast ausschließlich auf Demonstrationen, mit denen man pressewirksam sichtbar macht, man steht auf der richtigen Seite. So schafft man sich ein gutes Gefühl. Überzeugen kann man damit aber niemanden. Eine Demonstration zeigt nicht, dass man die bessere Politik macht und Populisten keine Alternativen oder gar Lösungen bieten, sondern jeden Unsinn versprechen, nur um gewählt zu werden. Überzeugen gelingt nur über die direkte Ansprache und Diskussionen mit denen, die geneigt sind, Populisten ihre Stimme zu geben.

Besonders die SPD wird voraussichtlich Wähler*innen an Populisten verlieren

In den genannten Bereichen verliert die etablierte Politik aus den genannten Gründen gegenüber den Populisten zunehmend an Boden. Zu erwarten ist, dass besonders Menschen, die sich abgehängt fühlen, in Stadtteilen wohnen, die sich seit Jahren negativ entwickeln und die mit der Komplexität von politischen Zusammenhängen überfordert sind, ihre Stimme bei den nächsten Wahlen populistischen, tendenziell rechten Parteien geben. Das wird besonders zu Lasten der SPD gehen, die im Ruhrgebiet bisher von vielen Menschen aus den entsprechenden Milieus weniger aus Überzeugung denn aus alter Verbundenheit wegen ihrer Verdienste für die Arbeiterklasse gewählt wurden.

Im nächsten Jahr, 2024, steht in Bochum die Europawahl an, es folgen 2025 Bundestags- und Kommunalwahlen. Bei diesen Wahlen wird sich zeigen, wie stark Populisten auch im Ruhrgebiet an Stimmen gewinnen können. Landesweit wird aufgrund der letzten Umfragen mit fast einer Verdreifachung des Stimmenanteils der AfD (15%) ggü. den Landtagswahlen 2022 gerechnet (5,4%) (Sonntagsfrage Nordrhein-Westfalen). Die SPD dagegen verliert 5%.

Will man der genannten Entwicklung wirksam entgegensteuern muss sich wohl insbesondere die SPD überlegen, wie sie ihre (Stadt-)Politik und ihren Politikstil ändert. Die Zeit für Überheblichkeit ist definitiv abgelaufen.