19 Dez

Jahr für Jahr weniger städtisches Geld für Schülerinnen und Schüler

Seit Jahren sinken die städtischen Ausgaben für Schulen und Bildung in Bochum. Pro Schülerin und Schüler wird immer weniger ausgegeben. Immer noch nicht hat die Politik erkannt, dass die Ausbildung der Kinder für die Zukunft der Stadt von maßgeblicher Bedeutung ist.

2018 gab die Stadt noch knapp über 1.600 Euro pro Schüler*in aus, 2019 waren es nur noch 1.260 Euro (-340 Euro), 2020 noch mal 100 Euro weniger, nämlich 1.160 Euro. Die Ausgaben pro Kopf sanken also im Zeitraum 2018 bis 2020 um 28%. Besonders fatal der Rückgang der Ausgaben bei den Grundschulen, hier sanken die Ausgaben pro Kopf sogar um knapp über 30%  (Mitteilung 20213696, Angaben der Stadt summiert).

Die Stadt spart am falschen Ende

Etwas über 42.000 Schüler*innen gehen in Bochum zur Schule. Die Stadt gibt an 2018 noch 68,5 Mio. für die Schulbildung der Kinder und Jugendlichen bereitgestellt zu haben, 2019 waren es noch 53 Mio., 2020 nur noch 48,9 Mio. (Mitteilung 20213696, Angaben der Stadt summiert).

Ausgaben pro Schüler*in, Anlage zur Vorlage_20213696

Investiert die Stadt nicht ausreichend in Schulen und Bildung, nimmt das vielen Kinder die Chance in ihrem Schulleben, die immer wichtiger werdenden Schulabschlüsse bzw. die notwendigen Fähigkeiten zu erwerben, die Voraussetzung sind, um später einen qualifizierten Berufsabschuss und eine gut bezahlte Arbeit zu bekommen. Die Folge ist, die Stadt muss fehlendes Einkommen durch Transferleistungen, wie Grundsicherungen oder “Harz IV” ausgleichen. 14,9% der Einwohner*innen Bochums sind derzeit von Transferleistungen abhängig. Das belastet nicht nur die Stadtkasse mit 3-stelligen Millionenbeträgen, sondern im Besonderen auch die betroffenen Menschen. Ohne irgendeine Perspektive dauerhaft auf die Hilfe von Stadt und Staat angewiesen zu sein, beeinträchtigt Menschen unter Umständen ihr Leben lang. Schulische Bildung ermöglicht eine freie Berufswahl des und eine Selbstbestimmung über den persönlichen Lebensweg. Bestmögliche Bildung hilft, Lebensträume von Individuen zu erfüllen, wie ein schlechtes Bildungsangebot persönliche Lebensträume zerstört.

Ohne gute Schulbildung, kaum Chancen auf gut bezahlte Arbeit

8.000 Langzeitarbeitslose zählt die Stadt. fast ein Viertel davon hat keinen Schulabschluss, 37 % einen Hauptschulabschluss, fast 70% haben keinen Berufsabschluss. Die wesentliche Ursache für die Langzeitarbeitslosigkeit liegt somit in den fehlenden Qualifikationen und einem fehlenden oder nicht ausreichenden Schulabschluss (Arbeitsvermittlungsgesellschaft soll Langzeitarbeitslosigkeit senken). Die Arbeitslosenquote bei Menschen ohne Schulabschluss fällt in etwa sechsmal so hoch aus wie bei Menschen mit abgeschlossener betrieblichen, schulischen oder akademischen Bildung.

Hinzu kommt, die Lage am Arbeitsmarkt wird sich für Menschen ohne ausreichende Schul- und Berufsabschlüsse in den nächsten Jahren weiter verschlechtern. Schon jetzt sind Ungelernte und Langzeitarbeitslose die Verlierer der Corona-Pandemie. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist gegenüber 2020 um 17,2% gestiegen. Eine Vermittlung dieser Arbeitssuchenden ist bereits in vielen Fällen heute nicht mehr möglich, da sie die fachlichen Anforderungen der Unternehmerschaft nicht erfüllen können. 61,3 Prozent der Arbeitslosen sind Frauen und Männer ohne abgeschlossene Berufsausbildung. (WAZ 13.12.21).

Schwierige Lage am Arbeitsmarkt war vermeidbar

In den nächsten Jahren fallen zudem immer mehr Arbeitsplätze weg, die auch von Ungelernten besetzt werden könnten. Verstärkt übernehmen Roboter und Maschinen einfache Arbeiten oder werden diese ins billigere Ausland verlegt. Auf der anderen Seite kann auch in Bochum der Bedarf an gut- bis hochqualifizierten Arbeitskräften nicht gedeckt werden. Beschäftigte mit den entsprechenden Qualifikationen sind knapp, die Unternehmen suchen sie händeringend, können diese aber häufig nicht finden. Solche Arbeitsplätze bleiben dauerhaft unbesetzt.

Zu dieser schwierigen Situation am Arbeitsmarkt hätte es jedoch nicht kommen müssen, wären Stadt und Politik in den letzten Jahrzehnten bereit gewesen, massiv in Schulen und Bildung zu investieren. Das Ziel hätte sein müssen, die Zahl derer, die ungelernt bzw. ohne Berufsabschluss nach Arbeit suchen, massiv zu senken. Hätte man alles daran gesetzt Kinder und Jugendlichen in den Schulen zu einem möglichst großen Bildungserfolg zu verhelfen, so hätten fast alle nach der Schule mit dem entsprechenden Schulabschluss einen guten Berufsschulabschluss erwerben können.

Schule und Bildung sind das Stiefkind der Bochumer Politik

Man möchte meinen, Stadt und Politik lernen aus schlechten Erfahrungen. Das ist aber leider nicht der Fall. Statt die Ausgaben für Schule und Bildung zumindest für die Zukunft massiv zu erhöhen, wird auf Kosten der Schüler*innen weiterhin gespart und die Pro-Kopf-Ausgaben weiter gesenkt. Das zeigt sich auch bei den Schulen selbst. Ausstattung und Zustand lassen zu wünschen übrig. Die Digitalisierung kommt nur im Schneckentempo voran. Wann die flächendeckende Ausstattung der Bochumer Schulen mit digitalen Geräten, WLAN und Glasfaseranschluss endlich abgeschlossen sein wird, steht nach wie vor in den Sternen.

Die Stadt beschränkt sich bei der Schulpolitik im Wesentlichen darauf die Fördermittel von Land und Bund abzugreifen. Es fehlt die Bereitschaft selbst nennenswert städtisches Geld in die Schulen und Schüler*innen zu investieren oder gar eigenes Geld für zusätzliche Lehrkräfte bereit zu stellen. Die Zukunftsperspektiven der jüngsten Einwohner*innen haben nicht die erforderliche Priorität. Erst wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, gefällt sich die Politik darin mit Millionen Aufwand die Armut zu mildern die aus fehlender oder Unterbeschäftigung resultiert. 19,5% der Menschen in Bochum sind derzeit arbeitslos oder unterbeschäftigt (ohne Kurzarbeit).

Die Bochumer Politik scheint die Ursache-Folge-Beziehung von ungenügenden Ausgaben bei Schulen und Bildung und der daraus resultierenden hohen Zahlen bei Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sowie der daraus folgenden Armut nach wie vor nicht zu erkennen. Immer noch hängt man der Ansicht nach, es sei egal, welcher Schulabschluss erreicht würde, die Politik müsse und könne dafür sorgen, dass auch die ungelernten Menschen ohne Berufsabschluss einen gut bezahlten Job bekämen. Das aber gelingt schon seit über drei Jahrzehnten nicht mehr. Fast alle Unternehmen, die in Bochum neu angesiedelt werden, suchen insbesondere Fachkräfte und hochqualifizierte Beschäftigte und bieten kaum Arbeitsplätze für Ungelernte.

Auch die Annahme, man könne das durch mangelnde Investitionen in die Bildung der Schüler*innen verursachte Problem durch nachfolgende Beschäftigungs- und Weiterbildungsmaßnahmen quasi reparieren, erweist sich immer wieder als falsch. Der mit Millionenaufwand geförderte soziale “Arbeitsmarkt” hatte bisher nur einen kaum wahrnehmbaren Effekt. Trotzdem die städtische Beschäftigungsgesellschaft mittlerweile 575 Menschen, die bereits mindestens fünf Jahre arbeitslos sind, künstlich beschäftigt, davon ein Viertel bei der Stadt, stieg die Zahl der Langzeitarbeitslosen 2021 auf 8.000 Personen (+17,2%, WAZ vom 13.12.21)

Verdoppelung der städtischen Ausgaben pro Schüler*in erforderlich

Es ist also höchste Zeit für einen Kurswechsel. Die Stadt selbst muss massiv in Schulen und Bildung investieren, insbesondere in die Grundschulen. Was in jungen Jahren bei der Schulbildung versäumt wird, lässt sich später kaum mehr aufholen. Das Geld muss in Zustand, Ausstattung und zusätzliche Lehrkräfte fließen. Mittelfristig ist mindestens eine Verdoppelung der städtischen Ausgaben pro Schüler*in anzustreben. Investitionen in Schulen und Bildungen rentieren sich langfristig. Was die Stadt heute dort investiert, muss sie später nicht für Beschäftigungsmaßnahmen und Transferleistungen ausgeben.

11 Jul

Armut in abgehängten Stadtteilen nimmt bedenklich zu

Immer mehr Menschen müssen in Bochum von Sozialleistungen leben. Doch die Entwicklung ist nicht in allen Stadtteilen gleich. Von 2006 bis 2019 nahm der Anteil der Menschen, die ALG II oder Sozialgeld beziehen, in den Stadtteilen, die sich seit Jahren negativ entwickeln, massiv zu, während er in den Stadtteilen abnahm, die in Bochum als besonders lebenswert gelten. Was sind die Ursachen? Was kann die Stadt tun?

Insgesamt wuchs der Anteil der Menschen, die auf den Bezug von ALG II oder Sozialgeld in ganz Bochum angewiesen ist von 2006 bis 2019 um 8,7% (Sozialdaten Bochum). Während er aber in Stadtteilen wie, Grumme (-20,7%), Weitmar-Mark (-23,1%) und Südinnenstadt (26,3%), in denen der Anteil bisher schon relativ niedrig lag (unter 10%), stark gesunken ist, stieg er in Stadtteilen, in denen er ohnehin hoch (über 15%) lag nochmals drastisch an: Leithe (+32,7%), Wattenscheid-Mitte (+32,1%), Westenfeld (+23,6%).

Anteil der Empfänger von ALG II/Sozialgeld Entwicklung von 2006 bis 2019, Datenquelle: Sozialbericht der Stadt Bochum

Die Ursachen für die Entwicklung

Insgesamt bedeutet das, die ärmeren Stadtteile werden tendenziell immer ärmer, die reicheren Stadtteile reicher. Die Menschen, die auf Transferleistungen angewiesen sind, ziehen in die ärmeren Stadtteile, weil sie sich nur da das Wohnen leisten können, die Menschen mit gutem Einkommen ziehen in die reicheren Stadtteile, auch weil das Stadtbild und die Sozialstruktur der ärmeren Stadtteile, für sie nicht mehr attraktiv ist.

Sozialer Aufstieg ist in Bochum viel zu selten möglich

Als zweite wesentliche Ursache für die Entwicklung ist zu nennen, sozialer Aufstieg ist in Bochum weiterhin viel zu wenigen Menschen möglich, Bildungsgrad und gesellschaftlicher Stand werden in der Regel vererbt. Entsprechend ist in den Stadtteilen, in denen die Zahl der Menschen, die von Transferleistungen leben müssen, hoch ist, auch der Index der Schulempfehlungen für die weiterführenden Schulen am niedrigsten.

In fünf Stadtteilen (Hamme, Westenfeld, Kruppwerke, Werne, Wattenscheid-Mitte) bekommen über 50% der Grundschüler in der vierten Klasse eine Empfehlung für die Hauptschule oder maximal eine eingeschränkte Empfehlung für die Realschule. Alle fünf Stadtteile zählen zu den Stadtteilen mit den höchsten Anteilen an Transferleistungsempfängern. Der Anteil der Menschen, die von ALG II oder Sozialgeld leben, liegt in allen fünf Stadtteilen bei über 20 bis fast 30% und ist im Zeitraum von 2006 bis 2019 deutlich gestiegen (Sozialdaten Bochum), in Hamme signifikant (+7,7%) in den anderen Stadtteilen stark (mehr als 15%) in Wattenscheid-Mitte sogar extrem (+32,1%).

Schulempfehlung für die Grundschüler*innen Schuljahr 2019/20, Datenquelle: Sozialbericht der Stadt Bochum

Sozialer Aufstieg war und ist in Bochum nie ein politisches Ziel gewesen. Im Fokus der Sozialpolitik stehen pressewirksame Maßnahmen und Konzepte zur Linderung bereits bestehender und eingetretener Armut, die Bekämpfung und Vermeidung von Armut ist hingegen kein Ziel, das vorrangig verfolgt wird.

Gute Schulen und Bildung, die am besten Armut vorbeugen, standen nie im Fokus der Bochumer Politik. Wie der Zustand der Schulen und deren Ausstattung zeigt, herrscht in der Stadt Bildungsnotstand. In der Politik besteht bisher keine Bereitschaft für eine wirksame Bildungsoffensive, um Kindern und Jugendlichen, die in Familien aufwachsen, die auf Transferleistungen angewiesen sind, den sozialen Aufstieg durch Bildung zu ermöglichen.

Die beschriebene Entwicklung wird bisher von der Stadtpolitik mehr oder weniger achselzuckend hingenommen. Diese Untätigkeit ist aus Sicht der Betroffenen wie aus Sicht der Stadtentwicklung fatal. Die Problemlagen von Stadtteilen wie Wattenscheid-Mitte entwickeln sich Jahr für Jahr ungebremst weiter in Richtung von denen in Marxloh, Altenessen und Dortmund Nordstadt.

“Arme” Stadtteile werden für Menschen mit guten und hohen Einkommen immer unattraktiver

Ebenfalls ist die Stadt nicht in der Lage die soziale Schieflage in den Stadtteilen zu beheben und diese wieder für Gesellschaftsschichten attraktiv zu machen, die über gute und hohe Einkommen verfügen. Das zeigt sich ebenfalls besonders am Stadtteil Wattenscheid-Mitte. Die Maßnahmen, die im Rahmen des ISEK-Wattenscheid, seit 2014 auf den Weg gebracht wurden, reichen nicht ansatzweise aus um die negativen Entwicklungen zu stoppen. Zu befürchten ist, dass bereits ein Zustand eingetreten ist, der sich nicht mehr zurück drehen lässt, weil die Politik nicht bereit war, rechtzeitig mit der notwendigen Konsequenz zu handeln. Der Stadtteil und besonders die Wattenscheider Innenstadt sind nicht mehr vorzeigbar. Menschen, die es sich leisten können, ziehen weg bzw. gar nicht erst hin.

Auch bei der Bevölkerungsentwicklung zeigt sich, die Zahl der Einwohner*innen nimmt in den armen, sich negativ entwickelnden Stadtteilen tendenziell ab, in den reichen Stadtteilen mit positiver Entwicklung tendenziell zu.

Bevölkerung Entwicklung von 2006 bis 2019, Datenquelle: Sozialbericht der Stadt Bochum

Was ist zu tun?

Um die wachsende Armut und zunehmende “Verarmung” der genannten Stadtteile zu stoppen, muss die Stadt endlich die Ursachen von Armut bekämpfen und die Stadtteile wieder für alle gesellschaftlichen Schichten attraktiv machen.

Die Stadt muss dringend eine kommunale Bildungsoffensive auf den Weg bringen, um den Kindern in voller Breite sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Es reicht nicht, sich darauf zu beschränken die Fördermittel des Landes abzugreifen, die Stadt muss selbst aktiv werden und alles dafür tun, dass 95% der Kinder die Grundschule mindestens mit einer Realschulempfehlung verlassen.

Zum zweiten muss die Sanierung und Modernisierung sich negativ entwickelnder Stadtteile massiv verstärkt werden. Es ist nicht ausreichend, Geld bereit zu stellen, damit ein paar der Immobilienbesitzer ihre Fassaden neu streichen, die Stadtteile müssen in ihrer Substanz attraktiver werden. Straßen, Wohnviertel und Stadtteilzentren sollten flächendeckend so gestaltet werden, wie das in modernen Städten heute üblich ist. Dazu sind die Stadtteile in Gänze zu überplanen, nicht nur wenige ausgewählte Parks, Straßen und Plätze.

Zusätzlich ist die Wohnungspolitik so auszugestalten, dass in den Stadtteilen gezielt schwer sanierungs- und modernisierungsbedürftige Immobilien mit städtischen Finanzmitteln aufgekauft, Instand gesetzt und Einwohner*innen zum selbst Bewohnen wieder verkauft werden. Auch dieses Vorgehen wirkt der zu beobachtenden Verschärfung der sozialen Schieflage in den entsprechenden Stadtteilen wirksam entgegen.

Schluss mit Symbolpolitik

Zu hoffen ist, dass Politik und Verwaltung möglichst schnell erkennen, dass die bisherigen Anstrengungen sowohl bei den Schulen wie der Stadtteilentwicklung nicht im Ansatz ausreichen, um die beschriebenen Negativentwicklungen zu stoppen und es höchste Zeit ist, mit massivem Einsatz städtischer Mittel die Probleme nachhaltig in den Griff zu bekommen.

Sozialdaten, Datenquelle: Sozialbericht der Stadt Bochum