21 Jul

Einwohnerverlust seit 1960 kostet Bochum 237 Mio. Euro im Jahr

Während in den meisten deutschen Großstädten die Einwohnerzahl seit 1960 gestiegen ist, ist sie in Bochum um 86.000 Menschen gesunken. Das führt zu hohen Ausfällen bei Steuereinnahmen wie Zuweisungen. Bochum muss attraktiver werden, um mehr Menschen für die Stadt zu gewinnen.

Eine Stadt lebt von ihren Einwohnern und Einwohnerinnen, das gilt nicht nur im Hinblick auf Attraktivität, sondern auch in finanzieller Hinsicht. Mehr Menschen in der Stadt zahlen mehr Steuern, wegen ihnen bekommt die Stadt mehr Finanzmittel vom Land. Zwar kosten zusätzliche Einwohner*innen auch mehr Geld, denn die Stadt benötigt zum Beispiel größere Schulen oder mehr Wohnungen, aber viele städtischen Fixkosten steigen nicht. Es ist nur ein Stadtrat erforderlich und es ist fast die gleiche Infrastruktur an Straßen, Kanälen, Strom- Gas und sonstigen Versorgungsleitungen nötig, unabhängig davon, wie viel Menschen in der Stadt leben.

Einwohnerentwicklung Bochum

Einwohner und Einwohnerinnen gewinnen war lange kein Ziel

Doch lange hat sich Bochum wenig darum gekümmert, wie viele Menschen in der Stadt leben. So ist die Einwohnerzahl von 1960 bis 2022 um 86.000 Menschen (- gesunken. Zum Vergleich 81 Großstädte gibt es in Deutschland, In 55 Städten ist die Zahl der dort lebenden Menschen im gleichen Zeitraum gestiegen oder gleichgeblieben, nur in 27 gesunken, darunter alle 10 Stadtgemeinden der Ruhrstadt.

Einwohnerentwicklung deutscher Großstädte seit 1960/61

Auf einem Jahrzehnt des Wandels, in den 60er Jahren, in dem die Ruhr-Universität und Opel nach Bochum kamen, folgten vier Dekaden des Stillstands, in denen die Stadt versuchte den Strukturwandel zu verhindern bzw. zu ignorieren. Während die Großstädte außerhalb des Ruhrgebiets in die Zukunft investierten und den Strukturwandel aktiv vorantrieben, hoffte man in Bochum auf neue Industrie.

Entsprechend nahm die Zahl der wachsenden Großstädte im Laufe der Jahrzehnte deutschlandweit deutlich zu. Im Zeitraum 2000 bis 2022 verloren nur 14 Großstädte nennenswert Einwohner*innen, davon die fast die Hälfte Stadtgemeinden der Ruhrstadt, Bochum gehörte weiter dazu, die Einwohnerzahl nahm um 25.405 Menschen (6%) ab.

Einwohnerentwicklung deutscher Großstädte seit 2000

Die Folgen des Einwohnerverlustes

Menschen und Unternehmen machten weiterhin einen Bogen um Bochum und zogen andere Großstädte vor, um dort zu leben oder sich anzusiedeln. Stadtgestaltung, ein gutes Stadtbild und hohe Attraktivität waren bis Mitte der 2010er Jahre kein Thema in Bochum. Die in dieser Hinsicht immer größer werdenden Defizite und Mängel wurden mit “Woanders ist auch scheiße.” relativiert. Die Stadt träumte rückwärtsgewandt weiter von einer Re-Industrialisierung, der Strukturwandel kam nicht voran.

Der Verlust von 86.000 Menschen ging einher mit dem Verlust von 86.000 Konsumenten, die in Innenstädten und Stadtteilzentren heute als Kunden fehlen und 86.000 potentiell Steuerzahlenden, die bei der Stadt als Einnahmequelle ausfielen. Legt man die Steuereinnahmekraft und die Zuweisungen des Landes pro Kopf zugrunde, nahm die Stadt 2021 2.725 Euro pro Kopf an Steuern und Zuweisungen ein. 86.000 Einwohner und Einwohnerinnen mehr würden für Bochum heute jedes Jahr als 237,8 Mio. mehr Einnahmen pro Jahr bedeuten.

Ausfall durch Einwohnerverlust, Stadt Bochum

Der Fehler, dass die Stadtpolitik über Jahrzehnte Stadtgestaltung, Stadtbild und Attraktivität vernachlässigt hat, kommt Bochum heute teuer zu stehen.

Weiteres Problem: Geringe Steuereinnahmekraft

Zwar kann Bochum in den letzten Jahren die Einwohnerzahl halten, jedoch ist der Grund nicht der Umzug von Menschen mit gutem Einkommen und hoher Steuerkraft, sondern insbesondere der Zuzug von Flüchtlingen. Die Steuereinnahmekraft liegt daher über 20,4% unter dem in Deutschland üblichen. 1.232 Euro Steuereinnahmen erwirtschaften die Menschen in Bochum pro Kopf für die Stadt, im deutschen Schnitt sind es 1,.547 Euro in Mainz, Frankfurt und München sogar über 3.000 Euro (Deutschlandatlas – Steuereinnahmekraft).

Steuereinnahmekraft deutscher Großstädte (31.12.2021)

Menschen mit hohem Anspruch an Stadtgestaltung, Stadtbild und Attraktivität und tendenziell hoher Steuerkraft ziehen eher nicht nach Bochum, es sind insbesondere die Menschen, für die es vorrangig ist, günstig zu leben und die sonst kaum Ansprüche stellen können.

Defizite bei Schulen und Bildung

Jedoch tut die Stadt viel zu wenig, um diesen Menschen mehr Chancen und gute Zukunftsperspektiven durch höhere Bildung und bessere Qualifizierung zu verschaffen. Das städtische Schul- und Bildungswesen ist unterentwickelt, die Schulentwicklungsplanung ist unbrauchbar (Schulentwicklungspläne erweisen sich immer wieder als unbrauchbar), der Zustand und Ausstattung der Schulen sind beklagenswert. Bildung und Qualifizierung der Menschen hat in der Bochumer Politik keine Priorität. Auch das ist ein wesentlicher Grund für die niedrige Steuereinnahmekraft.

Zwar hat sich die Hochschullandschaft in Bochum seit den 60er-Jahren massiv zum Positiven verändert – weit über 50.000 Studierende sind an Bochumer Hochschulen eingeschrieben – doch schaffte es die Stadt weiterhin nicht in ausreichendem Maße die Absolventen in Bochum zu halten. Zum einen fehlen weiterhin Beschäftigungsmöglichkeiten in Bochum, zum anderen ziehen auch die Studierenden andere Städte zum Leben vor. Liegen Jobangebote neben Bochum auch aus Städten wie Mainz, Freiburg oder Erlangen vor, ziehen die meisten weg (Warum wollen viele (Hochqualifizierte nicht im Ruhrgebiet leben und arbeiten?).

Weiterhin tut sich die Stadtpolitik in Bochum schwer, die Stadtstrukturen grundlegend zu verändern. Der Fokus der Politik liegt weiterhin auf der Versorgung der Menschen, insbesondere der sozial Benachteiligten. Wie diese Politik, bei schwindender Einwohnerzahl und abnehmender Steuereinnahmekraft im Vergleich zu den deutschen Großstädten sonst finanziert werden soll, darüber wird sich kaum Gedanken gemacht. Trotzdem die negativen Folgen der verfehlten Politik –  insbesondere die Last der fehlenden Einwohner*innen – die Stadt heute hart trifft, ist die Bereitschaft einer grundsätzlichen Neuausrichtung weiter eher gering. Zwar sehen die Ziele der Bochum-Strategie die nötige Umorientierung mittlerweile vor (Präsentation Bochum-Strategie), doch geht die Umsetzung in der Realität nur zähflüssig voran.

Für grundlegende Veränderungen fehlt der Mut

Es fehlt weiterhin der Mut und die nötige Geschwindigkeit, die Stadt so zu verändern, wie dies in erfolgreichen Großstädten schon über Jahrzehnten zu beobachten ist. Bochum tut sich nach wie vor schwer von anderen Städten zu lernen und will den Blick, den Menschen von außen auf die Stadt haben, immer noch viel zu selten wahrhaben.

Um Einwohner und Einwohnerinnen sowie Unternehmen für die Stadt zu gewinnen und die Steuereinnahmekraft pro Kopf zu erhöhen, muss die Stadt deutlich attraktiver werden. Insbesondere müssen die gravierenden Mängel bei Stadtgestaltung und Stadtbild beseitigt werden. Zweitens sollte die Schaffung von besseren Zukunftsaussichten für die Menschen Priorität bekommen, die bisher in dieser Hinsicht benachteiligt sind. Dazu sind erhebliche Investitionen in die Verbesserung der städtischen Schul- und Bildungslandschaft nötig.

07 Jul

Wie SPD, Grüne und CDU den kleinen Parteien 2025 die Sitze stehlen wollen

CDU, SPD und Grüne haben in dieser Woche ein neues Kommunalwahlgesetz verabschiedet. Es legt fest, dass die großen Parteien schon für eine Stimme einen zusätzlichen Sitz im Stadtrat erhalten, der den kleinen Parteien trotz hunderter überzähliger Stimmen abgenommen wird. In diesem Beitrag wird am Beispiel von Bochum erklärt, wie der Stimmenraub funktioniert.

Schon immer sind den großen Parteien die kleinen ein Dorn im Auge. Jetzt haben SPD, Grüne und CDU ein neues Wahlgesetz verabschiedet, um der unliebsamen Konkurrenz bei der nächsten Kommunalwahl in skandalöser Weise die Sitze zu stehlen. Die Sitzzuteilung von überzähligen Sitzen soll zukünftig nicht mehr nach der Zahl der Reststimmen erfolgen, sondern, danach wie groß bzw. stark eine Partei im Kommunalparlament vertreten ist.

Wäre das geänderte Gesetz schon bei der letzten Kommunalwahl angewendet worden, hätte die CDU landesweit 184 Kommunalsitze mehr erreicht. die SPD 84 Sitze und die Grünen 51 Sitze. Die kleinen hätten diese insgesamt 319 Sitze an die großen abgeben müssen (Landtag ändert Kommunalwahlrecht – FDP will klagen).

Wie funktioniert der Stimmenraub?

Doch wie funktioniert der Stimmenklau (Drucksache 18/9806)? Das lässt sich am Beispiel des Stadtrats der Stadt Bochum anschaulich erklären. Dazu wird im Folgenden auf das marginal abgeänderte Wahlergebnis aus 2020 zurückgegriffen. Aus Anschaulichkeitsgründen wird davon ausgegangen, dass die CDU 156 Stimmen mehr erzielt hätte, als das real der Fall war, dafür Grüne und kleine politische Gruppierungen156 Stimmen weniger. Zudem wird angenommen, dass eine der kleinen Parteien, sich in zwei Parteien aufgespalten hat, was in der Realität 2023 auch so geschehen ist.

Das Sitzzuteilungsverfahren bis 2020

Nach dem bisherigen Sitzzuteilungsverfahren, wären die 86 Sitze, des Bochumer Stadtrates, die sich aufgrund von Überhangmandaten ergeben*, im Prinzip in folgender Weise** aufgeteilt worden: 

Für jede politische Gruppierung ergibt sich, wenn man die bei der Wahl erreichte Stimmenzahl durch die Zahl der gültigen abgegebenen Stimmen (138.334) teilt und den Wert dann mit der Gesamtzahl der Ratssitze (86) multipliziert ein Idealanspruch auf die erreichten Sitze. So erreicht die Partei D 2.808 Sitze (4.517 erzielte Stimmen / 138.334 x 86). Das Problem, 2 Sitze kann man an die Partei D direkt vergeben, ein 0,808 Sitz kann aber nicht zugeteilt werden. Entweder die Partei bekommt einen vollen Sitz oder keinen.

Stimmenzuteilung 2020 auf Basis des Wahlergebnis in Bochum 2020 (marginal verändert)

Also wurden die 86 Bochumer Ratssitze zunächst nach dem ganzzahligen Teil des Idealanspruchs (bei 2,808 also z.B. 2) vergeben. Auf diese Weise können 81 der 86 Site auf die Partien verteilt werden. 5 weitere Sitze blieben übrig.

Teilt man die Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen (138.334) durch die Gesamtzahl der Ratssitze (86), waren für einen Sitz 1.609 Stimmen nötig. Nach Verteilung der 81 Sitze ergeben sich für jede Partei Reststimmen, für die kein Sitz zugeteilt wurde. Das wären im Beispiel für CDU und Grüne je eine Stimme, für Partei A 1.538 Stimmen für Partei E 1.486. Also wurden bisher die verbleibenden 5 Sitze nach den höchsten der verbleibenden Reststimmenwerte an die Parteien A, C, D, E und F verteilt

So brauchte die Partei F für einen zusätzlichen Sitz nur 778 Stimmen, während für die ersten 81 Sitze noch je 1.609 Stimmen nötig waren. Dies führt zu einer höheren Stimmengewichtung, die aber rein praktisch unvermeidbar ist, da nur ganze, aber keine halben, Dreiviertel- oder Viertel-Sitze vergeben werden können

Das neue Verfahren der Sitzzuteilung

Das neue Verfahren (Drucksache 18/9806) stellt aber nicht etwa diese Ungleichgewichtung ab, sondern verschärft sie und führt zudem zu einer nicht zu rechtfertigenden Umverteilung der überzähligen 5 Sitze an die großen Parteien.

Stimmenzuteilung 2025 auf Basis des Wahlergebnis in Bochum 2020 (marginal verändert)

Die ersten 81 Sitze werden wie nach dem bisherigen Wahlverfahren zugeteilt. Die weiteren 5 Sitze werden dann aber nicht mehr nach den bei der Sitzverteilung nicht berücksichtigen Stimmen (Reststimmen) verteilt, sondern nach einem “gewichteten Idealanspruch”. Dazu wird der Idealanspruch durch den ganzzahligen Idealanspruch addiert mit 1 geteilt. Beispiel Partei D: 2,808 / 3 = 0,936.

Die 5 noch zu verteilenden Sitze erhalten jetzt die Parteien mit den 5 höchsten gewichteten Idealansprüchen, also CDU und Grüne sowie die Parteien A, C und E.

Das perfide bei dieser Sitzzuteilung, obwohl CDU und Grüne nach Zuteilung der 81 Sitze jeweils nur eine einzige überzählige Reststimme haben, bekommen sie einen der 5 zusätzlichen Sitze, während Partei D mit 1.300 Reststimmen keinen zusätzlichen Sitz erhält.

Das liegt daran, dass die 5 zusätzlichen Sitze nach neuem Kommunalwahlgesetz primär nach der Größe des insgesamt bei der Wahl erzielten Stimmenanteils verteilt werden und die überzähligen Stimmen, auf die kein Sitz entfallen ist, praktisch keine Rolle mehr spielen. Der Anteil von 19 an 20 Sitzen (0,95) oder gar 29 von 30 (0,98) ist per se höher als der von 1 an 2 Sitzen (0,5) oder 2 von 3 Sitzen (0,66). Der nicht berücksichtigte Reststimmenanteil geht in den “gewichteten Idealanspruch” nicht relevant ein.

Das Kriterium “gewichteter Idealanspruch”, nach dem die 5 Sitze verteilt werden, wurde willkürlich gewählt, man hätte auch gleich den 5 stärksten Parteien jeweils einen Bonussitz zuteilen können. Das Verfahren zeigt, Ziel von SPD, Grünen und CDU war es, sich bei der Sitzzuteilung schamlos auf Kosten der kleinen Partien zu bereichern.

Bewusst wurde das Wahlverfahren so geändert, dass wie im Beispiel eine zusätzliche Stimme für eine große Partei mehr Wert erhalten sollte wie 1.300 Stimmen für eine kleine Partei. Das neue Sitzzuteilungsverfahren macht 1.300 Stimmen für eine kleine Partei wertlos, verschafft den großen Parteien aber schon zusätzliche Sitze, ohne dafür irgendwie nennenswert Stimmen erzielt zu haben. Eine einzige Stimme, wie im Beispiel, kann bereits ausreichen. Demokratisch ist das sicher nicht.

Skrupellose und arrogante Machtbesessenheit

Diese massenweise Entwertung von Wählerstimmen ist Ausdruck einer skrupellosen und arroganten politischen Machtbesessenheit, die letztlich die wesentliche Ursache von der immer wieder beklagten Politikverdrossenheit ist (Zunehmender Populismus – Rechtsruck auch in Bochum zu erwarten). Diese Haltung macht Demokratie und Politik verächtlich.

Würde ein Viktor Orban oder ein Jarosław Kaczyński solche Methoden anwenden, um seine Macht zu erhalten, würden Vertreter und Vertreterinnen von SPD, Grünen und CDU das zu Recht als undemokratisch verurteilen. Tatsächlich hat man selbst aber keine Hemmungen in gleicher Weise vorzugehen. Bei der nächsten Demo gegen Populismus und Rechtsextremismus kann man sich dann wieder ein gutes Gefühl geben, auf der richtigen Seite zu stehen.

Doch den Verfall der politischen Sitten und Kultur haben die großen Parteien selbst zu verantworten, und ein Stimmenraub, wie der beschriebene, zerstört nachhaltig das Vertrauen in die Politik und bestätigen das Vorurteil, dass Politiker und Politikerinnen nicht an der Sache interessiert, sind, sondern allein am persönlichen Machterhalt.

Das Verfassungsgericht muss es richten

FDP und Linke haben angekündigt gegen das neue Wahlgesetz beim Verfassungsgericht klagen zu wollen. Zu erwarten ist, dass das Gericht erneut, wie bereits bei den Versuchen, die kleinen Parteien über Sperrklauseln auszuschalten, die demokratischen Grundrechte wahrt und das neue Wahlverfahren als verfassungswidrig verwirft.

SPD, Grüne und CDU sind gut beraten endlich das Bildungssystem in NRW zu reformieren, das Altschuldenproblem der Kommunen anzugehen und diese finanziell auskömmlich auszustatten. Hier besteht schon seit Jahren dringender Handlungsbedarf, doch in diesen Bereichen glänzt die Politik durch Nichtstun.

Geht es dagegen um den Machterhalt und die gezielte Benachteiligung der politischen Konkurrenten, kann man zuverlässig mit entsprechenden politischen Vorhaben rechtzeitig zur nächsten Kommunalwahl rechnen.

* Da die SPD bei der Wahl 2020 mit 33,71% 29 Direktmandate erzielt hat, mussten diese 29 Sitze im neuen Rat 33,71% der Gesamtsitzzahl der Sitze im Stadtrat ausmachen, es ergaben sich also insgesamt 86 Sitze.

** Genauer werden die Sitze nach dem Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë) verteilt, das eine Sitzverteilung nach dem dargestellten Prinzip vornimmt.

30 Jun

Lohnt sich teure Stadionsanierung – Erstligaperspektive versus Tradition

Um in der ersten Liga bestehen zu können, muss das Ruhrstadion in Bochum saniert oder neu gebaut werden. Die VfL-Fans haben sich mehrheitlich gegen einen Neubau ausgesprochen. Wie sich jetzt zeigt, wird das für die Stadt allerdings sehr teuer. Müssten nicht eigentlich alle Bürger und Bürgerinnen entscheiden?

Die Entscheidung ist schwierig, die Meinungen kontrovers, aber nachvollziehbar. Viele Fans finden, dass Ruhrstadion an der Castroper muss unbedingt erhalten werden. Andere haben Zweifel, dass ein saniertes Stadion reicht, um dem VfL die wirtschaftliche Grundlage zu geben, die erforderlich ist, um in der 1. Bundesliga dauerhaft zu bestehen. Wieder andere lehnen sowohl Neubau wie Sanierung des Stadions ab und wollen das knappe städtische Geld lieber anders ausgeben.

Was wird die Stadionsanierung kosten?

Nach Gründung der Stadionbesitzgesellschaft werden die Zahlen zur Sanierung und Modernisierung des Stadions dazu jetzt konkreter. Auf 94,4 Mio. beläuft sich der erste Finanzbedarf. Für das laufende Geschäft der Stadionbesitzgesellschaft 14,5 Mio., 9,9 Mio. für den Kauf des Stadioncenters, an dem der VfL zu 90% beteiligt ist, sowie 70 Mio. Kapitaleinstellungen für die Stadionsanierung stellte der Rat in seiner Sitzung am 27.06.24 bereit (Mitteilung 20241415)

Vergleich Sanierung vs. Neubau

Die Stadionbesitzgesellschaft wird Eigentümer von Stadion, Stadioncenter, umliegender Stadioninfrastruktur, Nachwuchszentrum und Rundsporthalle. Das Stadion wird an den VfL verpachtet. Er Verein zahlt Pacht an die Stadt und sorgt für den Betrieb. Instandhaltung aller Gebäue und Anlagen sowie die Finanzierung des Stadionumbaus obliegt der Stadionbesitzgesellschaft, also der Stadt, der die Gesellschaft gehört.

Rechnet man bei der Stadionsanierung mit einer üblichen Kostensteigerung von 20%, kommen unter aktuellen Zinsbedingen in den nächsten 30 Jahren noch Finanzierungskosten von 56,9 Mio. und Instandhaltungskosten von 60 Mio. für die Stadt hinzu. Der Finanzaufwand beläuft sich für die Stadt damit für die nächsten 3 Jahrzehnte auf 226,3 Mio., rechnet man noch den angedachten Ersatzneubau der Rundsporthalle noch hinzu, sind es sogar 276,3 Mio..

Demgegenüber stehen rd. 75 Mio. Pachteinnahmen vom VfL, geht man von 2,5 Mio. Euro pro Jahr für das sanierte und modernisierte Stadion aus. Zum Vergleich, der SC Freiburg zahlt 3,8 Mio. für ein neues Stadion, das rund 7.000 mehr Zuschauer als das renovierte Ruhrstadion fasst (SC-Stadion: Die Kosten).

Für die Stadt blieben nach Abzug der Einnahmen von den Kosten ohne Betrachtung eines Ersatzneubaus der Rundsporthalle 151,3 Mio. Euro übrig, mit denen der VfL subventioniert würde. Im Falle eines Abstiegs in die 2. Bunddesliga würden die Pachteinnahmen deutlich sinken und damit der aus der Stadtkasse zu finanzierende Betrag entsprechend steigen. 

Fragwürdig: Kein Investitionsanteil des VfL

Anders als in Freiburg sieht der Bochumer Plan keinen Investitionsanteil des VfL an den Kosten für die Sanierung des Stadions vor. Im Gegenteil, die Stadt zahlt dem VfL noch 90% von 9,9 Mio. In dem sie ihm das Stadioncenter abkauft. I n Freiburg hat sich der SC dagegen mit 20 Mio. an den Kosten für das Stadion beteiligt. Warum die hoch verschuldete Stadt Bochum keinen Anteil des VfL erwartet, ist nicht nachvollziehbar, andere Bundesligavereine, wie z.B. Schalke 04 und der FC Bayern haben sogar das gesamte Stadion selbst finanziert.

Ebenfalls fragwürdig, warum die Stad die Möglichkeit eines Stadionneubaus nicht weiterverfolgt. Denn schaut man sich die Vergleichsrechnung an, wird dieser für die Stadt erheblich günstiger.

Wie stark würde ein Neubau des Ruhrstadions die Stadtkasse belasten?

Geht man davon aus, in Bochum würde ein neues Stadion in der Größe wie in Freiburg gebaut, würden zwar die Baukosten für Stadion und Infrastruktur mit 135 Mio. deutlich über den Sanierungs- und Modernisierungskosten liegen und entsprechend auch die Finanzierungs- und Instandhaltungskosten (78,5 und 84,1 Mio.), aber auch die mit dem Stadion zu erzielenden Einnahmen wären deutlich höher.

Während im Ruhrstadion auch nach Sanierung und Modernisierung nichts anderes als Fußballspiele stattfinden könnten, wäre in einem neuen Stadion die Veranstaltung von mindestens 10 Konzert- und ähnlichen Evens möglich. Das würde in 30 Jahren zusätzliche Einnahmen von rund 150 Mio. Euro bedeuten (0,5 Mio. pro Event). Auch wären die Pachteinnahmen für den Fußball höher, da der VfL aufgrund von mehr Zuschauern, mehr VIP-Plätzen und besserer Stadioninfrastruktur auch bei den Spielen deutlich höhere Einnahmen erzielen und daher mehr Pacht an die Stadt zahlen könnte. Bei 4 Mio. Pacht pro Jahr kämen auf diese Weise 120 Mio. Pachteinnahmen für die Stadt zusammen. Auch wäre ein Investitionskostenanteil des VfLs in Höhe von mindestens 20 Mio. für die stark verbesserten Einnahmechancen angemessen.

So ergäben sich über 3 Jahrzehnte in Summe Einnahmen von 290 Mio. Die den Kosten von insgesamt 312,1 Mio. gegenüberstehen. Die Stadt müsste den VfL statt mit über 150 Mio. nur mit 22,1 Mio. aus der Stadtkasse subventionieren.

Vergleich Sanierung vs. Neubau

Großer Nachteil der Neubauvariante, der Stadionneubau wäre erheblich klimaschädlicher als eine Sanierung und Modernisierung des bestehenden Stadions. Dafür würde ein neues Stadion, dem VfL eine sichere wirtschaftliche Basis für eine Erstligazugehörigkeit verschaffen.

Bürger*innen sollten entscheiden

Die Meinungen, welche Variante, die bessere für VfL und Stadt sind, gehen in Bochum weit auseinander. Dem eher traditionellen Fan ist der Erhalt des Ruhrstadions wichtiger als eine dauerhafte Zugehörigkeit zur 1. Bundesliga. Für andere Fans steht der sportliche Erfolg im Vordergrund, dieses Ziel ist mit einem neuen Stadion besser zu erreichen. Für wieder andere ist der Fußball nicht das entscheidende Kriterium, sondern die Kosten für die Stadt, sie wollen ggf. weder Sanierung noch Neubau oder wenn, die Variante, die die Stadtkasse am wenigsten belastet.

In jedem Fall sind aus Sicht der STADTGESTALTER alle Bürger*innen der Stadt an der Entscheidung zu beteiligen, wie in Sachen Ruhrstadion weiter vorgegangen werden soll. Allein nach dem Willen der Mehrheit der VfL-Mitglieder*innen zu gehen, ist angesichts von Kosten von über 150 Mio. zu Lasten des städtischen Haushalts zu kurz gegriffen. Aufgrund der erheblich geringeren Auswirkungen auf die Stadtkasse, ist auch die Variante Stadionneubau weiter in Betracht zu ziehen.

Mehr Transparenz ist nötig

Auch müssen die Auswirkungen und Maßnahmen transparent von der Stadt kommuniziert werden. In der Ratssitzung vom 27.06.24 hatten die STATGESTALTER beantragt, dass die Beschlüsse über die Finanzierung der Stadiongesellschaft und die Ermächtigungen zur Finanzierung von 94,4 Mio. aus dem städtischen Haushalt öffentlich im Rat diskutiert (Beschlussvorlage 20241410) und beschlossen werden. Dies wurde ohne Begründung abgelehnt. Gerade bei solchen Summen ist Offenheit nötig, sonst bekommt das ganze Projekt schnell einen sehr faden Beigeschmack.

23 Jun

EM 2024: Bochum vergibt Riesenchance – BOGESTRA blamiert Ruhrstadt

An 11 Spieltagen mit 570.000 Zuschauenden rollt der Ball in der Ruhrstadt. Es kommen Menschen aus ganz Europa. Doch Bochum und der RVR vergeben die Chance für sich zu werben. Stattdessen sorgt die BOGESTRA für schlechte Presse, weil sie die Abreise der Fans von der Schalke-Arena nicht organisiert bekommt.

Fußballeuropameisterschaft 2024 – Was eine riesige Chance für den Tourismus in Bochum und der Ruhrstadt. Nach Gelsenkirchen kommen in diesen Wochen 200.000 Fans, nach Dortmund sogar 370.000 Fans um die Spiele der EM 2024 zu sehen.

Es wäre eine Riesenchance gewesen

Zwei von neun Spielorten der EM liegen also in der Ruhrstadt, Bochum liegt genau zwischen beiden. Die anreisenden Fans kommen oft für mehrere Tage, um neben den Spielen noch Zeit im Land zu verbringen. Ganz wichtig wäre also gewesen, dass sich Bochum und die Ruhrstadt vor tausenden Menschen erstklassig präsentiert. Für das Ruhrgebiet bestand die einmalige Chance sich als spannende, pulsierende und gastfreundliche Reiseregion zu zeigen und so „auch in den nächsten Jahren mehr Touristen für sich gewinnen, die nach der EM wiederkommen und …. vielleicht einen längeren Urlaub hier verbringen wollen.” (EM 2024: Die Fußball-EM wird für den Tourismus ganz bedeutsam sein).

Doch es gibt keine vorzeigbare Fanmeile im Zentrum von Bochum. Die Stadt sieht sich zwar selbst als “Hotspot der Live-Kultur” (Bochum-Strategie), Man hat es aber versäumt, dieser selbst gewählten Rolle in den vier EM-Wochen gerecht zu werden.

Was wäre für eine grandiose Partv möglich gewesen, wäre die Viktoriastraße von Rathaus bis Schauspielhaus gesperrt und zur längsten Liveevent- und Fanmeile Deutschlands unter Einbeziehung von Bochum Total 2024 geworden. Bochum hätte sich als der Anlaufpunkt für 570.000 Fans profilieren können, die in der Stadt unvergessliche Momente erlebt hätten. Die Partymeile des Reviers. Bochum, der Ort in Deutschland, in dem die Menschen wissen, wie man die Nacht zum Tage macht. Was für einen Image Boost hätte das für die Stadt bedeuten können?

Mal wieder blieb es bei dem hochtrabenden Ziel in der Bochum Strategie, es fehlte jedoch der Mut und das Engagement, es richtig krachen zu lassen. Dabei ist die ARD mit dem Kneipenquiz am Kuhhirten (Kneipenquiz live im „Kuhhirten“: ARD ist „total zufrieden“ ) schon in der Stadt. Kostenlose Werbung in Form von Fernsehberichten über tausende Fans, die die Spieltage in der Stadt abfeiern, wären leicht zu haben gewesen.

Die Chance war einmalig, ein weiteres Großereignis ähnlicher Art wird es in der Region in den nächsten 20 Jahren voraussichtlich nicht geben.

Totalausfall Ruhrtourismus

So wird das mit Tourismus im Ruhrgebiet nichts. Auf der Tourismus-Seite des RVR (Ruhr Tourismus) findet die Europameisterschaft gar nicht statt auf der RVR-Seite findet man unter der Rubrik “Heimspiel” vier dürre EM-Beiträge,  auf der Bochumer Tourismusseite findet man zur EM, sehr versteckt, einen Beitrag (Bochum im EM-Fieberl), in Gelsenkirchen ist der Auftritt eher kläglich, nur Dortmund versteht es, sich als EM-Host City zu feiern,

Die mangelhaften Bemühungen des RVR über den Ruhr Tourismus die EM zu vermarkten und für das Ruhrgebiet nutzbar zu machen, muss man schon als Arbeitsverweigerung eingeordnet werden. Die Ruhrtourismus GmbH zeigt sich nicht zum ersten Mal überfordert (Ruhrgebiet: Mieser Nahverkehr schreckt Touristen ab). Der RVR sollte ernsthaft überlegen, seine Bemühungen in Sachen Tourismus einzustellen. Verfolgt man das Ziel den Tourismus zu fördern nicht ernsthaft und fehlt es auch sichtbar an der nötigen Professionalität, sollte man es lieber lassen.

Gelsenkirchen und BOGESTRA sorgen für kapitalen Imageschaden

Dass Bochum und die Ruhrstadt es leichtfertig verpasst haben, sich als attraktive Tourismusziele zu präsentieren, wäre vielleicht noch zu verschmerzen gewesen, dass aber Gelsenkirchen, BOGESTRA und der VRR mit dem An- und Abreisechaos an der Schalke-Arena die ganze Ruhrstadt öffentlich blamiert haben (Ridiculous: Englischer Fanverband entsetzt von Gelsenkirchen), bedeutet einen nicht wiedergutzumachenden Imageschaden, der die Ruhrstadt noch teuer zu stehen kommen wird.

Europaweite Schlagzeilen, die das Ruhrgebiet als trostlos, öd und in Sachen öffentlichem Nahverkehr als unfähig darstellen, sind für eine Profilierung als Touristenziel tödlich. Jetzt rächt sich, dass die Städte des Ruhrgebiets nie großen Wert auf eine gute Stadtgestaltung, ein ansprechendes Stadtbild und einen funktionierenden Stadtverkehr gelegt haben. Die Ansprüche in dieser Hinsicht sind und waren denkbar gering. Bemühungen, die Dinge zu verbessern, wurden mit dem Spruch “Woanders ist auch scheiße”, abgebügelt. Rankings zu Lebensqualität und Attraktivität, bei denen die Ruhrstadtstädte sich regelmäßig unter den Letzten platzierten, bewirken nichts, außer dass sich beschwert wird, die Situation im Ruhrgebiet werde falsch bewertet.

Wie Menschen von außen die Städte im Ruhrgebiet sehen, interessierte bisher wenig bis gar nicht. Von erfolgreichen Städten lernen und sich an diesen orientieren, wird oft immer noch abgelehnt. Also kommt es jetzt knüppeldick. Die Besucher*innen sehen Gelsenkirchen als trostloses, armes und rückständiges “Drecksloch” in dem nichts funktioniert, nicht mal der Nahverkehr (England-Fan ätzt gegen deutsche EM-Stadt und löst Debatte aus – Sky-Reporter legt nach). Und wie Gelsenkirchen aussieht, so sehen leider auch viele andere Teile des Ruhrgebiets aus. Ein Urteil über Wattenscheid-Mitte und den August-Bebel-Platz würde kaum anders ausfallen.

Verantwortlichen zeigen sich von Realität überrascht

Auf einmal sind die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung mit der Realität konfrontiert. EM-Fans haben keine Hemmungen ihre wahre Meinung über das auszusprechen, was sie sehen und erleben. Sie sind keine höflichen Gäste, die das erzählen, was die Gastgeber hören wollen. Sie äußern sich schonungslos und offen.

Tourismus setzt einen funktionierenden Nahverkehr voraus. Vor der EM hieße es, „die Mobilität ist ein wichtiger Faktor,“ um erfolgreich zu sein (EM 2024: Die Fußball-EM wird für den Tourismus ganz bedeutsam sein). Was die Menschen in der Ruhrstadt als ÖPNV geboten bekommen, entspricht jedoch nicht im Ansatz dem Standard, den Menschen aus ganz Europa in Großstädten und Metropolen gewohnt sind (England-Fans kritisieren Bahn-Chaos in Gelsenkirchen). Das meinen zwar viele in Verantwortliche im Ruhrgebiet, ist aber eine fatale Fehleinschätzung.

Rückständigkeit im Nahverkehr schadet Tourismus

Ein Stadion wie die Schalke-Arena (Kapazität: 62.500 Zuschauer) mit nur einer Straßenbahnlinie über eine nicht barrierefreie Haltestelle, die mit Straßenbahnen in Zweifachtraktion angefahren wird, anzubinden, legt offen, wie unterentwickelt das Ruhrgebiet und ganz besonders der Nahverkehr ist (Ridiculous: Englischer Fanverband entsetzt von Gelsenkirchen).  Fährt man in Montpellier und Straßburg  mittlerweile auf eigenem Gleiskörper mit bis zu sieben, in Dublin sogar mit neun Bahnteilen (Alstom Citadis), schafft die BOGESTRA es immer noch nicht mit mehr als zwei Traktionen zu fahren. Steinzeit trifft Zukunft, könnte man sagen.

Für die EM hätte man dringend Abhilfe schaffen müssen, doch man blieb untätig. BOGESTA, VRR und Stadt Gelsenkirchen ist das Anfahrt-Problem zur Arena seit jeher bekannt, doch man schwieg. Hier zeigt sich, Kundeninteressen haben weder bei BOGESTRA, VRR noch den Kommunen der Ruhrstadt eine halbwegs angemessene Relevanz schon gar keine Priorität.

Schönreden statt Handeln

Mehr als zwei Stunden mussten manche Fans auf eine Abreise mit dem ÖPNV vom Stadion im Straßenbahnchaos warten (Fans left sidelined and with nowhere to go thanks to Uefa’s bumbling genius Fans left sidelined and with nowhere to go thanks to Uefa’s bumbling genius | Euro 2024 | The Guardian). Die Stadt Gelsenkirchen blamiert sich mit der Aussage, das Chaos sei ganz normal (England-Fans kritisieren Bahn-Chaos in Gelsenkirchen). Ja, für Menschen im Ruhrgebiet ist Chaos im Nahverkehr leider oft die Normalität, man ist es nicht anders gewohnt, für Menschen aus anderen Großstädten und Metropolen ist es das allerdings nicht.

Auch mag nach den Maßstäben der BOGESTRA die abgelieferte Leistung “adäquat” gewesen sein (Aus unserer Sicht ist alles perfekt gelaufen), nach dem in europäischen Städten üblichen Standard war sie peinlich und untragbar. Die Einschätzung der BOGESTRA zeugt von Realitätsverlust. Der ist auch beim VRR festzustellen, wenn der Sprecher erklärt: “Der Transport habe sehr, sehr gut funktioniert, man habe “Enormes geleistet” (Gelsenkirchen: VRR und Bogestra verteidigen Abreiseverkehr). Bei dieser Aussage tritt sogar noch arrogante Selbstzufriedenheit hinzu.

Alle Äußerungen klingen aus Sicht der Betroffenen wie Hohn. Eine öffentliche Entschuldigung für die inakzeptable Leistung wäre die einzig richtige Reaktion gewesen. Offensichtliche Unzulänglichkeiten schön zu reden, war keine Option. Das Ruhrgebiet ist allerdings der Ort, wo vieles nicht funktioniert und schlecht läuft, aber nie jemand dafür verantwortlich ist oder zugibt, dass man Fehler gemacht hat. Diese Haltung ist wiederum ein wesentlicher Grund dafür, warum offensichtliche Mängel nicht abgestellt werden.

Die Folgen der EM für Bochum und die Ruhrstadt

Was wird nach vier Wochen EM in der Ruhrstadt, bei den Menschen, die das Ereignis europaweit live oder im TV verfolgt haben, hängen bleiben? Deutschland und die Deutschen sind toll, aber Ruhrgebiet und Ruhrstadt sollte man besser meiden. Der Imageschaden, der insbesondere durch die anmaßende Uneinsichtigkeit der Verantwortlichen angerichtet wurde, wird sich in den nächsten Jahren nur sehr schwer wieder gut machen lassen.

Die Blamage könnte ein Weckruf für die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung sein, mal zu schauen, wie Menschen von außen die Ruhrstadt sehen. um zu erkennen, was man ändern und von anderen Städten lernen bzw. sich abschauen sollte. Nur so wird man den Ansprüchen, die Menschen heute an Stadtgestaltung, Stadtbild und das Funktionieren von Großstädten und Metropolen stellen, gerecht werden können. Doch zu befürchten ist, dass man sich die Lage weiter schön redet und stattdessen den Kritikern aus dem Ausland vorwirft, die Dinge völlig falsch zu sehen.

Foto: UEFA, Logo,, Google Maps

16 Jun

Bürger*innen vier Mal im Jahr über Stadtthemen entscheiden lassen

Vier feste Termine pro Jahr gibt es in der Schweiz, an denen die Menschen über Angelegenheiten ihrer Stadt oder Gemeinde abstimmen. So funktioniert echte Bürgerbeteiligung. Ein Vorbild für Bochum?

Soll eine Schule erweitert werden? Soll Bauland zum Naherholungsgebiet umgewandelt werden? Soll eine Tempo 30 in eine 40er-Zonen umgewandelt werden? Soll auf einer Schule eine PV-Anlage errichtet werden? Das sind typische Fragen, die den Bürgern und Bürgerinnen in Schweizer Gemeinden und Städten zur Abstimmung vorgelegt werden (Volksabstimmungen Kanton Zürich)

Vorbild Schweiz

An vier schweizweit festgelegten Terminen im Jahr, wird über Volksinitiativen und Vorlagen des Stadt- oder Gemeinderats abgestimmt. Bei Volksinitiativen sind es Bürger*innen die die Initiative ergreifen, um die die Bürger*innen über eine Frage bzw. Angelegenheit abstimmen zu lassen. Volksinitiativen sind deutschen Bürgerbegehren vergleichbar.

Zusätzlich legt der Stadt- oder Gemeinderat in der Schweiz den Bürger*innen selbst Vorlagen zu Entscheidung vor. Solche Vorlagen sind verpflichtend, wenn für Bauvorhaben z.B. höhere Kredite aufgenommen werden müssen. Möglich ist auch, dass der Rat den Bürger*innen freiwillig Entscheidungen überträgt. Letzteres entspricht den deutschen Ratsbürgerentscheiden. Die aber in Deutschland nur ganz selten, in Bochum noch nie beschlossen wurden.

Traditionell versteht sich die Bochumer Politik als einzige Entscheidungsinstanz in der Stadt. Man sieht keinen Anlass, die Bürger und Bürgerinnen entscheiden zu lassen, man traut es ihnen nicht zu, sieht nur sich zur Entscheidung auserwählt und lässt die Menschen in der Stadt daher außen vor.

Eine Verpflichtung bestimmte Entscheidungen den Bürgern und Bürgerinnen gibt es in Deutschland und damit auch in Bochum nicht.

Wirkung von Bürgeerbeteiligung

Volksabstimmungen bzw. Bürgerentscheide haben besonders zwei positive Effekte für eine Stadt oder Gemeinde: Die Menschen fühlen sich mitgenommen und identifizieren sich mehr mit ihrer Stadt. Zudem beschäftigen sie sich mehr mit den anliegenden politischen Themen, weil sie sich für eine Entscheidung darüber informieren müssen. Die Haltung gegenüber der Stadt- und Stadtgesellschaft verändert sich. Der Satz “Frage nicht, was deine Stadt für dich tun kann, sondern was du für deine Stadt tun kannst” (frei nach John F. Kennedy) bekommt erst dann entscheidende Relevanz, wenn es den Bürger*innen auch wirklich möglich ist, über Stadtangelegenheiten mitzuentscheiden.

Echte Bürgerbeteiligung gibt es in Bochum bisher nicht

Diese Möglichkeit besteht bisher in Bochum nicht. Dass in Stadtverwaltung und Politik bestehende Desinteresse an Bürgerbeteiligung zeigt sich besonders deutlich auf der Bürgerbeteiligungsplattform bochum-mitgestalten.de Projekte, bei denen die Bürger*innen wirklich aktiv mitgestalten können, gibt es nur sehr wenige. Alibimäßig wird stattdessen auf Beteiligungen- und Veranstaltungen hingewiesen, die aufgrund rechtlicher Vorgaben von der Stadt durchgeführt werden müssen oder auch ohne die Plattform stattfinden würden (Förmliche Beteiligung Änderung Flächennutzungsplan, Stadtteilspaziergänge, Bürgeranhörungen Lärmaktionsplan, Stadtteilkonferenz).

Als die STADTGESTALTER 2020 das Beteiligungsformat 2020 vorgeschlagen haben, hatten sie sich Nutzung ganz anders vorgestellt (Die Bürgerbeteiligung in Bochum auf ein neues Niveau heben).

Bürgerbeteiligungsplattform in Bochum ist bisher ein Flop

Im Prinzip sollte die Bürgerbeteiligung eigentlich laufen wie beim Beteiligungsprojekt “Pocket Parks”), bei dem die Bürger*innen über bochum-mitgestalten.de Flächen für neue Pocket Parks vorschlagen konnten. So werden jetzt 20 neue Pocket-Parks geschaffen, von denen immerhin 9 durch Bürger*innen angeregt wurden (Vorlage 20240611)

Negativ anzumerken ist allerdings, die Vorschläge der Verwaltung (Amt und Projektteam) wurden den Bürger*innen über die Bürgerbeteiligungsplattform nicht zur Diskussion gestellt, ebenso wenig wie die Parkvorschläge der Politik. Der Oberbürgermeister versuchte sogar aktiv zu verhindern, dass Vorschläge der STADTGESTALTER den Bürger*innen über die Plattform zur Diskussion gestellt werden, es wurde angedroht den eingebrachten Vorschlag zu löschen (Propstei-Park).

Echte Bürgerbeteiligung erfordert, dass nicht nur die Vorschläge der Bürger*innen, sondern alle zur Diskussion gestellt werden und die Menschen in der Stadt auch eine Möglichkeit erhalten diese differenziert zu bewerten und dies nicht allein der Verwaltung vorbehalten bleibt.

Das eigentliche Problem besteht jedoch bereits darin, dass Verwaltung und Politik bisher nicht wirklich bereit sind echte Bürgerbeteiligungsprojekte auf der Plattform zur Diskussion zu stellen. Die mangelnde Qualität der Bürgerbeteiligung wie bei dem Projekt “Pocket Parks” kommt dann noch erschwerend hinzu.

Mehr Bürgerentscheide stäken die Stadtgesellschaft
 

Bürgerbeteiligung ist in Bochum also nach wie vorher mehr Alibi als echte Eibindung der Bürger*innen in Angelegenheiten, die sie direkt betreffen. Dabei könnte Bochum dem Vorbild der Schweiz folgen. In jedem Quartal könnte die Stadt den Bürger*innen zu einem festgelegten Termin eine Reihe Fragen und Angelegenheiten zur Abstimmung vorlegen. Dinge die nur einen Stadtbezirk betreffen würden nur dort zur Entscheidung gestellt, über stadtweit relevante Entscheidungen würden alle Bürger und Bürgerinnen abstimmen. Dazu können die Stadtbewohner*innen angeregt werden, selbst Fragen zur Entscheidung stellen zu lassen.

So wäre zum Beispiel vorstellbar, dass von den Bürger*innen und nicht vom Stadtrat direkt entschieden wird, ob die Stadt einen ehrenamtlichen Tierschutzbeauftragten anstellen, ob die Kreuzung vor Rietkötter zu einem Platz umgestaltet werden, ob es eine moderne ÖPNV-Verbindung zwischen Ruhr Park und Innenstadt geben oder ob die Flächenversiegelung in Bochum gestoppt werden soll.

Diese Möglichkeiten der Mitentscheidung und das stadtweite diskutieren von zu treffenden Entscheidungen würde die Demokratie in der Stadt stärken und die Stadtpolitik auf eine breitere Basis stellen. Sicher kommt es bei Bürgerentscheiden wie sonst in der Politik zu Entscheidungen, die Stadt und Bewohner*innen später bereuen. Daraus lernt die Stadtgesellschaft und kann solche Entscheidungen durch neue Abstimmungen revidieren. Auch das gehört zur Demokratie dazu.

Bürgerbeteiligung sollte man als andauernden Lernprozess für Bürger*innen genauso wie für Politik und Verwaltung verstehen. Wenn alle Beteiligten sich darauf einlassen, verbessert das den Zusammenhalt in der Stadtgesellschaft. Das sollte das Ziel sein.

09 Jun

Stadtbotschaften in Sheffield, Oviedo und Tsukuba

Leider liegen die Städtepartnerschaften der Stadt Bochum etwas brach. Es könnte viel mehr passieren. Die STADTGESTALTER haben eine Idee mit der sich die Städtepartnerschaften wieder beleben lassen: Stadtbotschafter und –botschafterinnen.

Bochum hat internationale Städtepartnerschaften mit Sheffield (UK), Oviedo (Spanien), Donezk (Ukraine) und Tsukuba (Japan). Die Städtepartnerschaft zu Donezk beschränkt sich derzeit leider auf Hilfslieferungen, da die ukrainische Stadt russisch besetzt ist. Die Partnerschaft mit Tsukuba konzentriert sich auf einen Austausch auf wirtschaftlicher und universitärer Ebene.

Probleme der Städtepartnerschaften

Die Partnerschaften zu Sheffield und Oviedo finden leider kaum mehr statt. Zwar haben sich die Oberbürgermeister von Bochum und Sheffield zuletzt nach über 10 Jahren endlich mal wieder getroffen, da der Lord Mayor in Sheffield jedoch jedes Jahr wechselt, ist ein verlässlicher Kontakt auf politischer Ebene mit ständig wechselnden Personen schwierig. Sonst basieren die Partnerschaften bisher im Wesentlichen auf einem Partnerschaftsverein und dessen Aktivitäten. Bei der Partnerschaft mit Tsukuba sind die Universitäten beider Städte eng vernetzt.

Städtepartnerschaften lebt von vielfältigen Verbindungen zwischen Menschen und Institutionen aus beiden Partnerstädten und einem regen Informationsaustausch. Solche Links fehlen insbesondere nach Oviedo und Sheffield. Die Erfahrung zeigt, das Amt des Oberbürgermeisters und ein Partnerschaftsverein, die ihr Bestes geben, reichen nicht, um vielfältige Kontakte zu den Partnerstädten zu knüpfen und zu pflegen. Damit Städtepartnerschaften gut funktionieren, sind viele weitere Verbindung auf den verschiedensten Ebenen nötig.

Die Idee der Stadtbotschaften

Also stellt sich die Frage, wie lassen sich weitere Verbindungen zu den Partnerstädten schaffen. Die STADTGESTALTER schlagen vor, in den Partnerstädten Stadtbotschafter*innen zu ernennen. Das sollen Menschen sein, die in den Partnerstädten leben, dort gut vernetzt sind und tagtäglich von dort berichten können, als Ansprechpartner*innen für Bochum dienen und auf schnellem Weg Kontakte vermitteln können.

Hauptaufgabe einer Stadtbotschaft bzw. der Botschafter*innen der Stadt Bochum, wäre Informationskanäle in den Sozialen Medien zu bespielen, auf denen sie auf deutsch über die Partnerstadt, deren Menschen, Institutionen und über das Stadtleben berichten. So könnte bezogen auf Sheffield das “Grey to Green”-Projekt vorgestellt, ein Interview mit dem Leiter der University of Sheffield geführt, das Lyceum Theatre präsentiert und über den Sheffield Grand Prix 2024 berichtet werden. Im Internet könnte Ausgangspunkt aller genannten Informationsangebote und Ziel von Anfragen eine Blogseite sein, die als virtuelle Stadtbotschaft dient.

Bisher weiß eigentlich niemand, was in Sheffield und den anderen Partnerstädten los ist, wer was tut und welche interessanten und wichtigen Einrichtungen sowie welche möglichen Ansprechpartner*innen es gibt. Ohne diese Informationen ist es aber schwierig bis unmöglich die gewünschten Links in die Partnerstädte herzustellen. Vermutlich kommen bisher viele nicht mal auf die Idee, Projekte mit Partner*innen aus Sheffield, Oviedo oder Donezk zu unternehmen, weil sie zu wenig über die Partnerstädte wissen.

Darüber hinaus sollen die Botschafter*innen der Stadt Bochum als direkte Ansprechpartner*innen in den Partnerstädten dienen und Kontakte auf direktem Weg vermitteln. Wird für ein Musikfestival in Bochum eine Band aus Sheffield gesucht, dann sollte eine Kontaktaufnahme zur Stadtbotschaft reichen und schon bekommt der/die Interessierte interessante Musikgruppen genannt. Genau so sollte es funktionieren, wenn andere Bochumer Einrichtungen, Schulen, Hochschulen oder Unternehmen Partner*innen für Projekte in Partnerstädten suchen

Wer könnte Stadtbotschafter*in sein?

Umgekehrt kann die Stadtbotschaft auch Anfragen aus Sheffield aufnehmen und Partner*innen aus Bochum vermitteln. Im besten Fall aber benennen die Partnerstädte ebenfalls Botschafter*innen für ihre Stadt, die in Bochum ansässig sind und von hier berichten und ihrerseits Verbindungen herstellen.

Der Schlüssel für eine gute Partnerschaft sind so viele Informationen wie möglich über das Leben in einer Partnerstadt und die Möglichkeit auf direktem und schnellem Weg Kontakte aufzubauen. Dafür sind Stadtbotschafter*innen ideal.

Professionell arbeitende Stadtbotschafter*innen können das Amt allerdings nicht ehrenamtlich ausfüllen. Dafür sind die Aufgaben zu umfangreich. Die Stadt muss also ein Budget schaffen, aus dem die Stadtbotschaften bezahlt werden. Möglich wäre, dass das Amt der Stadtbotschafter*in nebenberuflich oder als Studentenjob ausgeübt wird. Sinnvoll wäre, dass die Stadtbotschafter*innen von Zeit zu Zeit, z. B. nach 3-5 Jahren, zu wechseln, um wieder neue und wechselnde Einblicke aus den Partnerstädten zu bekommen.

Tag der Partnerstädte

Stadtbotschaften ermöglichen auch die Organisation eines Tages der Partnerstädte, bei dem Institutionen und Menschen aus den Partnerstädten nach Bochum kommen, um hier die gemeinsame Partnerschaft zu feiern. Die Stadtbotschafter*innen können zu diesem Anlass die nötigen Verbindungen herstellen, damit etwa die BoSys mit Symphonikern aus Partnerstädten ein Konzert auf die Beine stellen, oder im Schauspielhaus Ensemble aus Partnerstädten Aufführungen anbieten. Ebenso könnte ein OpenAir-Festival mit Musikacts, Poetryslam, Lesungen oder anderen Formaten aus allen Partnerstädten veranstaltet werden. Denkbar wäre auch ein Rave, an dem die Acts aus den verschiedenen Partnerstädten live oder digital teilnehmen.

Mit den Stadtbotschaften entstünde eine Organisationsstruktur, die es erst ermöglicht, solche Veranstaltungen zu organisieren. Die Stadtbotschafter*innen bauen durch ihre Tätigkeit ein Netzwerk zwischen den Partnerstädten auf, das lebendige und vielfältige Partnerschaften auf allen Ebenen ermöglicht. Durch die beständige gegenseitige Information über das Leben in den Städten, kommen diese sich näher und wächst das Gefühl der Verbundenheit.

Sheffield first

Zum weiteren Vorgehen schlagen die STADTGESTALTER vor, zunächst mit Sheffield zu sprechen, ob es einen Versuch wert wäre, gegenseitig Stadtbotschafter*innen zu bestellen, um auf diese Weise die Partnerschaft zu vertiefen. Erweisen sich die Stadtbotschaften als gute Idee, sollte man das Konzept auf weitere Partnerstädte übertragen.

02 Jun

Wie gut wird der neue Augst-Bebel-Platz in Wattenscheid?

Nach über 10 Jahren hat es die Stadt endlich geschafft. Das beim Architektenwettbewerb zweitplatzierte Planungsbüro wurde mit der Umsetzung der Planungen beauftragt. Der Platz wird im Norden bebaut und autofrei. Was ist von dem Entwurf zu halten?

Bereits 2013 schrieb die “Stadt der gepflegten Langsamkeit” zum ersten Mal einen Teilnahmewettbewerb zu Neugestaltung des August-Bebel-Platzes aus. Die Qualität der eingereichten Entwürfe war mäßig. Die STADTGESTALTER legten 2015 einen Alternativvorschlag vor, den Platz zu einem Park zu machen (August-Bebel-Platz vs. August-Bebel-Park).

Der Platz wird autofrei, jedoch nicht vor 2027 fertig

Dann entbrannte ein Streit darüber, ob der Platz autofrei werden sollte. Erst nachdem das Land klarstellte, Fördermittel für eine Neugestaltung des Platzes gäbe es nur für eine qualitative Aufwertung des Platzes, also einen Platz ohne Autos (Gutachten bestätigt: Autofreier August-Bebel-Platz ist die beste Lösung), kam es zu einem neuen Wettbewerb. Allerdings wurde sich die Stadt mit dem Erstplatzierten des Wettbewerbs nicht einig, als wurde die Umsetzungsplanung jetzt an das zweiplatzierte Planungsbüro vergeben. Aufgrund der endlosen Verzögerungen ist eine Fertigstellung der Umgestaltung des Platzes, vor 2027 mittlerweile nicht mehr zu erwarten

Über ein Jahrzehnt Verzögerung, in denen die Wattenscheider Innenstadt weiter den Bach runter gegangen ist, haben Wattenscheid schweren Schaden zugefügt. Schnelles und zielgerichtetes Handeln ist nicht die Stärke der Bochumer Verwaltung. Mal wieder handelt man viel zu spät. Ob der neue Platz jetzt noch irgendwas in Wattenscheid retten kann, ist fraglich. Den Platz so hässlich zu lassen, wie er ist, wäre allerdings auch keine Lösung.

Wie gut wird der neue Platz?

Es fragt sich also, was kann der neue Platz noch für die Innenstadt bewegen und wie sind die aktuellen Planungen zu bewerten?

3D-Platzansicht – Foto: ANNABAU Architektur und Landschaft

Der Planungsentwurf, der nun umgesetzt werden soll (ANNABAU Architektur und Landschaft: Umgestaltung August-Bebel-Platz), sieht vor, den Parkplatz im Norden des Platzes mit einem 6-stöckigen Gebäudekomplex zu bebauen. Die Verkehrsachse mit Bus- und Straßenbahn soll weiterhin quer über den Platz verlaufen. Der Brunnen wird erhalten. Im Osten des Platzes soll eine großzügige Beetanlage (“Grünblaues Band”) entstehen und die heute dort befindlichen Pavilions ersetzen. Die Begrünung des Platzes fällt sonst eher spärlich aus. Dafür wird es weite große Pflasterflächen geben.

Bebauung im Norden – Um einen kleineren, überschaubaren und klar abgegrenzten Platz zu schaffen, soll der Nordteil des heutigen Platzareals überbaut werden. Im Wettbewerbsentwurf ist dazu ein architektonisch anspruchsloser Klotz zu sehen. Es ist zu hoffen, dass man sich bei der Gestaltung insbesondere der Fassade, die zum Platz ausgerichtet ist, mehr Mühe gibt und die Stadt daran hohe Ansprüche stellt. Hier besteht die Chance auf ein die Innenstadt von Wattenscheid prägendes Gebäude. Diese sollte unbedingt genutzt werden.

Bebauung im Norden des Platzes – Foto: ANNABAU Architektur und Landschaft

Auch stellt sich die Frage, wie soll dieser Gebäudekomplex genutzt werden. Ist es sinnvoll eine neue Bebauung mit neuen Einzelhandels-, Gastronomie- und Büroflächen zu schaffen? Besteht dafür in Wattenscheid ein Bedarf? Unbedingt zu vermeiden ist neue Gebäude zu bauen, die sich dann nicht vermieten lassen und negativ durch zusätzliche Leerstände auffallen.

Denkbar wäre auch eine Nutzung für die Gesamtschule, die neu in Wattescheid entstehen soll. Gebäudeteile könnten die Liselotte-Rauner-Schule ergänzen, um diese von einer Haupt- in eine Gesamtschule umzuwandeln.

Verkehr – Der geplante Platz ist autofrei. Die wesentliche Voraussetzung für eine hohe Aufenthaltsqualität ist also erfüllt. Der Autoverkehr biegt zukünftig direkt nach rechts in die Hochstraße und von der Freiheitsstraße nach links in die Voedestraße ab.

Haltestelle und Brunnen – Foto: ANNABAU Architektur und Landschaft

Allerdings wird die Platzfläche weiterhin von der Verkehrsachse diagonal durchschnitten,, dies schränkt die Platzgestaltungsmöglichkeiten stark ein. Die Achse teilt den Platz in zwei Hälften. Die Bus- und Bahnhaltestelle ist relativ platzsparend geplant, es werden nur zwei Haltesteige benötigt, an denen die Busse außen, und die Straßenbahnen innen halten. Die Busse im Linksverkehr an die Haltesteige fahren zu lassen, wird allerdings zu Konfusionen und zusätzlichen Querungen der Straßenbahnschienen führen. Zudem ist zwischen Bus und Straßenbahn in die gleiche Richtung kein Umstieg möglich. Eine ähnliche Lösung mit zwei Haltesteigen, die aber die genannten Nachteile vermeidet, da die Straßenbahnen außen und die Busse innen halten, hatten die STADTGESTALTER bereits 2020 vorgeschlagen (Update Planungsentwurf). 

Zudem soll der neue Platz ein Radwegenetz erhalten. Fraglich ist, wie man vom Platz nach Osten in Richtung Hochstraße kommen soll und wie man aus Richtung Bahnhof und von der Freiheitsstraße kommend mit dem Rad auf den Platz kommen soll. Werden die Radwege als Zweirichtungsradwege ausgelegt? Hier müssen ggf. noch Lösungen gefunden werden.

Begrünung, Aufenthaltsqualiät, Nutzung – Die Begrünung mit den Beeten, die auch als Entwässerungsrigolen dienen (“Grünbllaues Band”) und den übersichtlich aufgestellten Bäumen fällt eher mager aus. Der Platz wird sich im Sommer gerade in der Mitte aufgrund der schattenlosen Pflasterflächen stark aufheizen. Es entsteht eine Hitzeinsel. Dies ist nicht mehr zeitgemäß. Hier besteht daher noch Änderungsbedarf. Ein Park, wie ihn die STADTGESTALTER vorgeschlagen haben, hätte in dieser Hinsicht eine deutliche bessere klimatische Wirkungen erzeugt (August-Bebel-Platz vs. August-Bebel-Park).

Grünblaues Band – Foto: ANNABAU Architektur und Landschaft

Sitzgelegenheiten sind rund um den Brunnen und an den Rändern der Beete einige vorgesehen. Es könnten aber nach Ansicht der STADTGESTLATER doch noch ein paar mehr sein.

In der Platzmitte ist eine Fläche vorhanden (“Stadtplatz”), die für Märkte und Veranstaltungen genutzt werden kann, Am Rand gibt es ausreichend Platz für gastronomische Freisitze. Damit bietet der neue Platz für Handel und Gastronomie einiges an Entwicklungspotential. Ein Spielbereich ist jedoch nicht vorgesehen. Sonst weist der Entwurf im Südbereich hinsichtlich der Anordnung der Nutzungsareale einige Ähnlichkeiten zu dem Entwurf der STADTGESTALTER auf (August-Bebel-Platz vs. August-Bebel-Park).

Fazit

Das große Highlight sucht man auf dem Platz vergeblich. Er ist solide geplant. Allerdings fehlt Grün und über die Bebauung im Norden kann man streiten. Der ganz große Wurf ist der Entwurf  nicht, aber trotzdem wird er die Innenstadt von Wattenscheid deutlich aufwerten und einiges an Urbanität zurückbringen. Der Platz wird das Stadtbild deutlich verbessern.

Platz von oben – Foto: ANNABAU Architektur und Landschaft

Dabei hängt jedoch vieles von der Gestaltung der Gebäudefassade im Platznorden ab. 08/15 ist hier zu wenig, die Fassade sollte ein Hingucker werden. Die Stadt muss sich hier unbedingt um eine hohe Gestaltungsqualität bemühen. Auch ein öffentlicher Dachpark auf dem Gebäudekomplex mit Blick über den Platz und Wattenscheid könnte zu einer neuen Attraktion für die Wattenscheider-Innenstadt werden.

Wichtig ist, die Umgestaltung des August-Bebel-Platzes kann nur der Anfang einer grundlegenden Neugestaltung der Wattenscheider Innenstadt sein. Die gesamte Innenstadt benötigt ein neues zeitgemäßes, modernes Stadtbild. Primäres Ziel sollte es sein, die Gründerzeitfassaden besser in Szene zu setzen. Auch dazu haben die STADTGESTALTER bereits 2020 Vorschläge gemacht (Neustart für die Wattenscheider City). Die Planungen, die die Stadt dazu bisher vorgelegt hat, werden den Anforderungen nicht gerecht. Etwas Verschönerung, neues Pflaster, ein paar Bänke, Bäume und Beete mehr, werden nicht reichen. Es muss deutlich mehr passieren.

Beitragsbild: ANNABAU Architektur und Landschaft

26 Mai

10 Jahre STADTGESTALTER – Ein Grund zum Feiern

Dachpark-Innenstadt, SeilbahnRegiotram und Hochschulcampus Wattenscheid, Tiny-House Quartier GoldhammeAugust-Bebel- und Propstei-Park, seit 2014 entwickeln die STADTGESTALTER solche und viele andere Ideen für die Stadt und bringen sie in die Stadtpolitik ein.

Seitdem sich die STADTGESTALTER im Jahr 2014 gegründet haben, ist “Stadt gestalten” in der Bochumer Politik zu einem zentralen Thema geworden. Die weit über 100 Ideen und Vorschläge der STADTGESTALTER haben immer wieder Diskussionen zu den verschiedensten Themen in der Stadt angeregt: Wie sollte die Innenstadt gestaltet werden, wie der Verkehr, wie die verschiedenen Stadtteilzentren? Was muss getan werden, um mehr Menschen und Unternehmen für die Stadt zu gewinnen? Denken und Sichtweisen in Politik und Stadtgesellschaft haben sich in dieser Hinsicht in den letzten 10 Jahren stark verändert, Die STADTGESTALTER haben daran einen nicht unerheblichen Anteil.

Wer sind die STADTGESTALTER?

Die STADTGESTALTER, das sind engagierte Einwohner und Einwohnerinnen aus Bochum und Wattenscheid, die nicht nur kritisieren, was in der Stadt schlecht läuft, sondern konkrete Ideen und Vorschläge machen, wie es besser gehen kann. Die Initiative, die man auch wählen kann, unterscheidet sich in wichtigen Punkten grundlegend von allen anderen Parteien und Wählergemeinschaften der Stadt. Hier die 5 auffälligsten Unterschiede:

Gestalten statt versorgen – Die STADTGESTALTER wollen die Stadt gestalten, es geht nicht nur darum, die Menschen nur zu versorgen oder das abzunicken, was die Verwaltung vorschlägt. Im Politikverständnis der STADTGESTALTER ist es die Politik, die über die Gestaltung der Stadt und die Stadtentwicklung durch eigene Vorschläge bestimmt.

So geht es beispielsweise nicht darum Armut und Benachteiligung möglichst gut zu verwalten und die in dem Bereich tätigen Sozialeinrichtungen mit ausreichend Finanzmitteln zu versorgen, die STADTGESTALTER wollen wirksame Maßnahmen ergreifen, die die Ursachen von Armut und Benachteiligung bekämpfen, um sie so zu beenden. Bei sich negativ entwickelnden Stadtteilen, sollte nach Ansicht der STADTGESTALTER nicht nur das Ziel verfolgt werden, die Menschen möglichst gut mit Sozialleistungen zu versorgen, sondern grundlegende Maßnahmen zur Stadtteilentwicklung zu unternehmen, damit sich die Lage ändert und sich Stadtteile aus eigener Kraft wieder positiv entwickeln.

Lernen von erfolgreichen Städten – Die STADTGESTALTER sehen die Stadt in einem positiven Wettbewerb mit anderen Großstädten. Wichtig ist also, was macht andere Großstädte erfolgreich und was kann Bochum von ihnen lernen. Ebenso stellen die STADTGESTALTER immer wieder die Frage, warum kommen Menschen und Unternehmen nicht nach Bochum? Was kann die Stadt tun, damit sich das ändert? Der Blick von außen auf die Stadt ist aus Sicht der STADGESTALTER genauso wichtig wie die Sichtweisen der Menschen, die in der Stadt leben.

Zukunft für Kinder, Enkel und Urenkel – Ebenso sehen sich die STADTGESTALTER als Vertreter und Vertreterinnen der Menschen, die zukünftig in der Stadt leben werden. Das Ziel ist, für Kinder, Enkel und Urenkel eine lebenswerte und attraktive Stadt zu schaffen, in der sie auch in der Zukunft gute Perspektiven haben. Leben auf Kosten zukünftiger Generationen ist für die STADTGESTALTER keine Option. Dies gilt besonders bei den Themen Stadtverschuldung, Klima- und Umweltschutz.

Bürgerbeteiligung – Die STADTGESTALTER sind nicht der Ansicht, dass das Entscheidungsrecht über Angelegenheiten der Stadt allein den gewählten Mitgliedern des Stadtrates vorbehalten sein sollte. Sie möchten, dass die Menschen sukzessive mehr an den Entscheidungen, die sie betreffen, beteiligt werden und bei der Stadtentwicklungen mitentscheiden.

Ruhrstadt – Für die STADTGESTALTER ist Bochum das Herz der Ruhrstadt. Sie sind davon überzeugt, dass die 15 Städte der Ruhrstadt nur erfolgreich sein und ihre Chancen nutzen können, wenn sie gemeinsam wie eine Metropole handeln. Besonders Nahverkehr, Wirtschaft, Tourismus, Flächennutzung und Verwaltung müssen nach Meinung der STADTGESTALTER ruhrstadtweit aus einer Hand organisiert werden. Das Kirchturmdenken in der Politik muss überwunden werden, die Bildung der Ruhrstadt ist erklärtes Ziel der STADTGESTALTER.

Schulen und Bildung – Für die STADTGESTALTER entscheidet die Qualität der städtischen Schul- und Bildungslandschaft über die Zukunft der Stadt Schul- und Bildungspolitik haben für die STADTGESTALTER in der Stadt Priorität und können nicht dem Land überlassen werden. Finanzierungen, die das Land nicht leistet, muss die Stadt übernehmen. Erstklassige städtische Schulen, sowohl hinsichtlich Personal- wie Sachausstattung, baulichem Zustand und pädagogischem Konzept, sind für die STADTGESTALLTER die zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Stadtentwicklung.

Zu den genannten Überzeugungen stehen die STADTGESTALTER, sie sind ihre DNA.

STADTGESTALTER feiern 10 Jahre Bestehen

10 Jahre STADTGESTALTER – Einladung

Am Samstag (25.05.2024) feierten die STADTGESTALTER mit einigen Gästen, einem Malwettbewerb für die Jüngsten und vielen Besuchern und Besucherinnen, die sich die Ausstellung von ausgewählten Ideen und Vorschlägen der STADTGESTALTER ansahen, ihr zehnjähriges Bestehen. Besonders gefreut haben sich die STADTGESTALTER über die vielen positiven Rückmeldungen zu ihren Stadtgestaltungsideen.

10 Jahre STADTGESTALTER – Bilder

Mitmachen

Wer sich für die Stadtentwicklung von Bochum und Wattenscheid interessiert, ist eingeladen bei den STADTGESTALTERn mitzuplanen, mitzureden und mitzugestalten. Seit 2014 ist die Zahl der STADTGESTALTER langsam, aber stetig gewachsen, auch darüber freut sich die Bürger- und Wählerinitiative.

Hier die regelmäßigen Termine der STADTGESTALTER:

Jeden Montag, 18 Uhr – Vorbereitung Rat und Ausschüsse
Historisches Rathaus, Räume 058/059

Jeden Donnerstag, 18 Uhr – Denkfabrik für neue Ideen
Historisches Rathaus, Räume 058/059

Jeden 1. Dienstag im Monat, 19 Uhr – Zusammensein, Absinth, Rottstraße 24

Die STADTGESTALTERmail@die-stadtgestalter.de

19 Mai

BOGESTRA wird zum Sanierungsfall

308 Mio. Euro Schulden. 36,6 Mio. Fahrgäste weniger als 2019. 88,8 Mio. Euro Verlust 2023, 19,3 Mio. mehr als geplant. Stopp aller Investitionen. Die wirtschaftliche Lage ist kritisch, die BOGESTRA wird zum Sanierungsfall.

Wie der Jahresabschluss 2023 und die Entwicklung der Fahrgastzahlen zeigen (Vorgang 20241057), befindet sich die BOGESTRA, das Nahverkehrsunternehmen der Städte Bochum und Gelsenkirchen, in einer ernsthaften wirtschaftlichen Notlage. Das Unternehmen musste 2023 die Notbremse ziehen, es kam zum Investitionsstopp. Die Anschaffung von neuen Bussen und die Modernisierung der Gleisanlagen wurde ausgesetzt. Statt geplanten 67,8 wurden 2023 nur 2,1 Mio. Euro investiert.

Investitionsstopp – BOGESTRA 2023 (Vorlage 20241057)

Dramatische Zahlen

Die bedrohliche wirtschaftliche Lage der BOGESTRA ließ keine Investitionen mehr zu. Gemeinhin gelten in der Wirtschaftswelt Unternehmen mit einer Eigenkapitalquote von unter 20% als Sanierungsfall, Der Anteil Eigenkapital am Gesamtkapital liegt bei der BOGESTRA bei nur noch 11,6%, 308 Mio. Euro Schulden belasten das Unternehmen.

88,8 Mio. Euro Verlust erwirtschaftete das Unternehmen im Jahr 2023., 21,7% mehr als geplant. Das ausufernde Defizit ist Folge des dramatischen Einbruchs der Fahrgastzahlen seit 2019. Im Jahr 2019 vermeldet die BOGESTRA noch stolz 143,3 Mio. Fahrgäste. Zudem erklärte das Unternehmen im Wirtschaftsplan 2020, dass mit der Einführung des „Netz 2020“ eine weitreichende Verbesserung des ÖPNV-Angebotes verbunden und deshalb für die Zukunft eine weitere Zunahme der Fahrgastzahlen zu erwarten sei. Die Zahlen zum Jahresabschluss 2023 zeigen jedoch eine ganz andere Entwicklung. Die Zahl der Fahrgäste ist gegenüber 2019 auf 106,7 Mio. Fahrgäste (Zählsystem BOGESTRA) und damit um über ein Viertel (25,5%) gesunken.

Während der Material-, Energie- und Personalaufwand gegenüber 2022 nur leicht, um 1,6% gestiegen ist, ist der Einbruch bei den Fahrgastzahlen und Erträgen einschneidend. Statt geplanten 184 Mio. nahm die BOGESTRA 2023 nur 158 Mio. Euro ein (-14,4%). Die Fahrgastzahlen stiegen zwar im Vergleich zum Vorjahr leicht, blieben aber weit hinter den Erwartungen von 2019 zurück. Die leichte Erhöhung dürfte allein auf den Corona-Erholungseffekt zurückzuführen sein.

Der Nahverkehrsplan, das so genannte “Netz 2020”, ist gescheitert. Anders als von Stadt und BOGESTRA immer wieder versprochen, hatte das Konzept keinen positiven Effekt auf die Fahrgastzahlen. Auch das Deutschlandticket hatte keinen nachweisbaren Effekt. Es hat allein dazu geführt, dass die Kunden ihr Abo gegen das günstigere Deutschland-Ticket getauscht haben. Die Vorgabe des Bochumer Oberbürgermeisters, die Fahrgastzahlen bis 2030 zu verdoppeln, ist zu einem irrealen Wunschtraum geworden (Positionspapier „Städte, Landkreise und Verkehrsverbünde begrüßen das Ziel der Verdoppelung der Fahrgäste des ÖPNV bis 2030!“),

Gründe für die Entwicklung

Doch warum bleiben die Fahrgastzahlen so weit unter dem Niveau von 2019? Die Entwicklung ist besonders auf vier Gründe zurückzuführen:

1. Kirchturmdenken – Eigentlich ist der Nahverkehr eine Ruhrstadtaufgabe. Doch das Kirchturmdenken in allen Gemeinden der Ruhrstadt, sowohl in der Politik wie der Verwaltung, verhindert ruhrstadtweites Denken und Handeln, stattdessen werden lieber die eigenen Pfründe gesichert und verteidigt.

2, Blockade bei Netzausbau – In der Ruhrstadt verhindert eine generelle politische Blockade einen metropolengerechten Ausbau des ÖPNV-Netzes. In Bochum etwa lehnt Rot-Grün alle Initiativen dazu seit Jahren konsequent ab.

3. Mangelnde Kundenorientierung – Die Nahverkehrsunternehmen der Ruhrstadt sind an steigenden Fahrgastzahlen und gutem Kundenservice desinteressiert. Das zeigt sich insbesondere an dem kundenfeindlichen Fahrpreis- und Ticketsystem, mit dem die Unternehmen die Nutzung von Bus- und Bahn durch Ab-und-zu-Kunden bewusst unattraktiv machen  (VRR: Fahrgäste gefangen im Tarifdschungel).

4. Multimodaldefizit – Die Umsetzung von Maßnahmen zur multimodalen Nutzung des Verkehrs werden verschleppt bzw. abgelehnt. So hat es die Stadt Bochum bis heute nicht geschafft, ein Netz von Mobilitätsstationen aufzubauen, um es Menschen zu ermöglichen, bequem und ohne Zeitverlust mit einer Kombination verschiedener Verkehrsmitteln zum Ziel zu kommen, obwohl die Schaffung der Stationen bereits 2013 beschlossen wurde. (Bochum fehlen Car-Sharing-Stellplätze und Mobilitätsstationen).

Im Ergebnis führen alle vier Punkte zu einem schlechten ÖPNV-Angebot, das viele Menschen in Bochum und dem Ruhrgebiet nicht oder nur selten nutzen, weil es für sie unattraktiv ist. Dass das Deutschland-Ticket nicht zu dem erwarteten Anstieg der Fahrgastzahlen geführt hat, zeigt auch, dass die ÖPNV-Infrastruktur so miserabel ist, dass selbst, wenn die Fahrpreise konkurrenzlos günstig sind, dies für mögliche Kunden in der Ruhrstadt kein Anreiz ist, Bus- und Bahn zu nehmen. Fahrtzeiten, die jene mit dem Auto um regelmäßig bis zum Doppelten überschreiten, werden Menschen selbst dann nicht in Kauf nehmen, wenn der ÖPNV gänzlich kostenfrei wäre.

Eine Erhöhung der Fahrgastzahlen ist aufgrund des sich absehbar nicht verbessernden OPNV-Angebots auch für die Zukunft nicht zu erwarten, Die BOGESTRA wird voraussichtlich große Schwierigkeiten haben, die Fahrgastzahlen auf dem jetzigen Niveau zu stabilisieren.

Die Folgen: Investitionsstopp, Kostensenkung und Personalabbau

Daraus ergibt sich folgende Frage: Was bedeutet die wirtschaftliche Notlage der BOGESTRA für die Zukunft des Unternehmens?

Der Investitionsstopp zeigt, die Lage ist ernst. Die BOGESTRA selbst ist nicht mehr in der Lage nennenswerte Investitionen in den Nahverkehr zu schultern. Hätte man die für 2023 geplanten Investitionen durchgeführt, wäre das Defizit der BOGESTRA um weitere rd. 7,8 Mio. Euro gestiegen. Der Abschreibungsaufwand hätte sich erhöht, ebenso wie der Zinsaufwand. Zu den 308 Mio. Euro Schulden wären weitere 30,5 Mio. aufgrund des zu finanzierenden Eigenanteils hinzugekommen. Verzinst zu 3,8% würde das pro Jahr 1,2 Mio. Euro zusätzlichen Zinsaufwand ausmachen. Busse werden über 6 Jahre abgeschrieben. Gleisanlagen und Stellwerk deutlich länger. Bei im Schnitt 10 Jahren Abschreibung ergäben sich weitere 6,6 Mio. Abschreibungsaufwand pro Jahr. Zinsen und Abschreibungen würden sich damit auf insgesamt 7,8 Mio. Euro Mehraufwand pro Jahr summieren und das über 10 Jahre. Das kann die BOGESTRA nicht mehr stemmen. Folgerichtig kam es zum Investitionsstopp.

Anders als es im Jahresabschluss suggeriert wird, ist nicht vorgesehen die 2023 in Höhe von 66 Mio. Euro ausgefallenen Investitionen nachzuholen. Für 2024 werden im Wirtschaftsplan nur 30 Mio. Euro für Investitionen vorgesehen. Dieser Betrag ist der in den letzten Jahren übliche. Bei Verschiebung der Investitionen aus 2023 ins Folgejahr hätten für 2024 über 90 Mio. eingeplant werden müssen. Die Investitionssumme wurde somit in voller Höhe gestrichen.

Doch wie kann ein weiteres Kollabieren der BOGESTRA verhindert werden? Dazu hat es laut Oberbürgermeister Thomas Eiskirch, der gleichzeitig auch im Aufsichtsrat der BOGESTRA sitzt, bereits erste Überlegungen und Berechnungen gegeben. “Er habe für seine Stadt einmal mehrere Einsparvarianten durchrechnen lassen. Wenn man dort nur fünf Millionen Euro einsparen wolle, müssten in erheblichem Umfang Verkehre reduziert werden,” (Rheinische Post vom 08.05.2024). Die von Eiskirch angesprochenen Einsparungen bedeuten, Buslinien aufgegeben, um Personal abzubauen und so die Personalkosten zu reduzieren. Denn hier zeigt sich ein weiteres Problem des Nahverkehrsunternehmens, zwar endet jede Verwaltungsvorlage zu den Wirtschaftsplänen mit dem Satz “Mittelfristig wird eine leichte Reduzierung der Gesamtzahl an Mitarbeiter*innen angestrebt.” Tatsächlich ist die Zahl aber von 2023 auf 2024 um 63 Beschäftigte gestiegen (+2,6 %).

Den zu befürchtenden Personalabbau haben diejenigen in der Politik zu verantworten, die immer wieder eine Verbesserung des ÖPNV-Angebotes verhindert haben, besonders den grundlegenden Ausbau des Schnellverkehrsnetzes. Die Versäumnisse der Vergangenheit rächen sich. Die BOGESTRA steht mit dem Rücken zur Wand.

Was ist zu tun?

Als Präsident des Städtetages hat der Bochumer OB den ersten Hilferuf schon abgesendet: Er fordert mehr ÖPNV-Mittel von Bund und Land (Rheinische Post vom 08.05.2024). Bisher gleichen die Stadtwerke in Bochum das Defizit der BOGESTA aus. Die Mittel dazu sind allerdings begrenzt, denn die Stadtwerke brauchen ihr Geld für die Strom- und Wärmewende. Ein Defizit in der aktuellen Größenordnung können sie dauerhaft nicht decken.

Statt bei anderen um Geld zu betteln, sollte die Politik der Ruhrstadt und Bochums allerdings zunächst selbst sehen, dass sie das tut, was nötig ist, um BOGESTRA und den ÖPNV in der Ruhrstadt wieder auf sichere wirtschaftliche Füße zu stellen. Da steht an allererster Stelle eine ruhstadtweit einheitliche Nahverkehrsplanung und ein Zusammenschluss aller Nahverkehrsunternehmen der Ruhrstadt zu einem einzigen.

In Bochum selbst wäre es nötig, die politische Blockade gegen den substanziellen Ausbau des Schnellverkehrsnetzes aufzugeben. Darüber hinaus muss die BOGESTRA wirtschaftlich saniert werden. Das ist nur möglich mit Hilfe einer externen Unternehmensberatung. Diese muss Vorschläge machen, mit welchen Maßnahmen die Einnahmen gesteigert und die Ausgaben gesenkt werden können. Genau das werden die STADTGESTALTER jetzt im Stadtrat beantragen.

12 Mai

Polizei Bochum muss mehr für Vision Zero tun

Die Verkehrsunfallstatistik der Polizei ist wenig aussagekräftig. Welche Ursachen Unfälle haben, wird nur unzureichend dargestellt. Auf dieser Basis lässt sich die Verkehrsinfrastruktur nicht gezielt verbessern. Zur Erreichung der Vision Zero taugt sie nicht.

Die Polizei in Bochum fällt im Stadtbild durch sympathische Beamte auf, die ein gutes Verhältnis zu den Menschen pflegen und in der Bevölkerung durchweg beliebt sind. Verkehrsverstöße werden konsequent und bestimmt geklärt, wenn nötig gibt es ein Bußgeld, aber eigentlich immer bleibt die Polizei freundlich und versucht zunächst zu überzeugen, statt zu verwarnen.

Dürftige Unfallstatistik und unzureichende Erfassung der Unfallursachen

Doch in Sachen Vermeidung von Unfällen könnte und müsste die Bochumer Polizei mehr tun, und das in zweierlei Hinsicht: Zum einen ist es aufgrund der sehr dürftigen Verkehrsunfallstatistik kaum möglich, zu erkennen, warum es in Bochum zu Unfällen kommt, zum anderen klärt die Polizei zwar in ihren Meldungen über Fehlverhalten von Unfallbeteiligten auf, wenn schlechte städtische Verkehrsinfrastruktur zu dem Unfall beigetragen hat, wird dies von der Polizei jedoch nicht erfasst und findet in den Polizeimeldungen regelmäßig keine Erwähnung.

So wird beim Vorfahrtunfall nicht erwähnt, dass es zu dem Unfall gegebenenfalls nicht gekommen wäre. wenn in der Kreuzung die Sicht nicht durch parkende Autos eingeschränkt gewesen wäre, dass es zu dem Unfall beim Überqueren der Straße nicht gekommen wäre, hätte es dort einen sicheren Fußgängerüberweg gegeben, dass ein Radunfall nicht passiert wäre, wenn die BOGESTRA die Schienen oder die Stadt die Schlaglöcher rechtzeitig beseitigt hätte oder dass es den Unfall zwischen dem Menschen auf dem Rad und dem zu Fuß nicht gegeben hätte, wenn die Stadt, statt das Radfahren auf dem Gehweg zu erlauben, einen sicheren Radweg angelegt hätte.

Ziel Vision Zero erfordert andere Herangehensweise

Spätestens seit 2021 die Vision Zero in § 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) aufgenommen wurde, wären aber solche Hinweise auf Unfallursachen wichtig. Denn nicht nur die Unfallbeteiligten sind Verursachende eines Unfalls, nicht selten trägt auch mangelhafte Verkehrsinfrastruktur dazu bei, dass es zu Unfällen kommt.

Die Vision Zero gibt das Ziel vor, die Unfallzahlen im Allgemeinen deutlich und die der tödlichen Unfälle auf null zu senken. Das bedeutet hinsichtlich der Verkehrsinfrastruktur, dass selbst wenn Menschen Fehler im Verkehr machen, die Straßen und Wege so gestaltet sein müssen, dass solche Fehler keine tödlichen Folgen haben. Nur mit einer fehlerverzeihenden, sicheren Verkehrsinfrastruktur kann die Vision Zero erreicht werden,

Es ist also vorbeugend und vorausschauend zu handeln, es reicht nicht, wenn die Polizei in der Unfallkommission gemeinsam mit Straßenverkehrs-, Straßenbaubehörden, besondere Unfallschwerpunkte identifiziert und untersucht.

Der Handlungsbedarf entsteht nicht erst, wenn es zu Unfallhäufungen gekommen ist. Er besteht bereits, wenn es aufgrund von erkennbaren Defiziten in der Verkehrsinfrastruktur zu schweren Unfällen kommen könnte. Diese Defizite zu erkennen, systematisch zu erfassen und an die Stadt zu melden, ist ebenfalls Aufgabe der Polizei. Niemand kennt sich besser mit dem Unfallgeschehen in der Stadt aus als die Polizei.

Die Forderung der Polizei gegenüber der Stadt muss lauten, dass die städtische Verkehrsinfrastruktur dem Ziel der Vision Zero in jeder Hinsicht gerecht wird. Vorbeugend ist auf fehlende oder mangelhafte Geh- und Radwege, Überwege, schlecht einsehbare Kreuzungen und andere mögliche Gefahrenstellen hinzuweisen, sofern aufgrund der Defizite schwere Unfälle die Folge sein könnten. Ist bei Unfällen mangelhafte Verkehrsinfrastruktur eine Mitursache, sollte das auch in der Unfallmeldung erwähnt werden.

Polizeiliche Unfallstatistik ist Basis einer Strategie zur Unfallvermeidung

Die Vision Zero ist ein strategischer, umfassender und qualitativer Ansatz, bei dem alle Umstände der Entstehung von Unfällen im Straßenverkehr betrachtet werden (Vision Zero). Das bedeutet auch, dass in der Verkehrsunfallstatistik der Polizei, die Umstände des Entstehens von Unfällen wesentlich umfassender erfasst und dargestellt werden müssen, als das bisher der Fall ist.

Daten Stadt Bochum – Polizeiliche Verkehrsunfallstatistik

Derzeit bleibt die Verkehrsunfallstatistik der Bochumer Polizei die Antworten auf viele Fragen schuldig (Verkehrsunfallstatistik Bochum). Die Statistik weist u.a. nicht die verschiedenen Unfallursachen aufgeteilt auf die einzelnen Verkehrsmittel auf. Die Differenzierung nach nur sieben überwiegend autospezifischen Unfallursachen ist ungenügend. Wann Mängel in der Verkehrsinfrastruktur eine Rolle spielten, wird gar nicht erfasst. Wo ein Unfall passiert ist, ob auf der Straße, dem Gehweg, dem Radweg auf der Kreuzung oder anderswo, dazu gibt es ebenfalls keine Daten. Auch nicht ausgewiesen wird die Zahl der Alleinunfälle, ebenso wenig deren spezifische Ursachen. Auch wird nicht dargestellt, wie hoch die Anteile von Unfällen zwischen den Verkehrsmitteln sind. Zudem fehlen Daten, in welchen Anteilen die verschiedenen Verkehrsmittel Hauptverursachende bei Unfällen waren. Wie viele Unfälle mit welcher Schwere (leichte, schwere Sach- und Personenschäden) mit den verschiedenen Verkehrsmitteln verursacht wurden, auch dazu findet man in der Polizeistatistik nichts.

Verkehrsunfallstatistik ist als Basis für Vision Zero unbrauchbar

Die aktuelle Verkehrsunfallstatistik ist, um die Umstände der Entstehung von Unfällen auf dem Bochumer Stadtgebiet qualifiziert zu untersuchen, nicht nur unzureichend, sondern sogar unbrauchbar.

Um die Vision Zero zu erreichen, müssen Stadt und Politik aber präzise wissen, wo in der Stadt die Verkehrsinfrastruktur präventiv verbessert werden muss, um möglichen Unfällen vorzubeugen. Wo sollte die Geschwindigkeit reduziert werden, wo Kreuzungen von parkenden Autos, wo Gehwege von Radfahrenden freigehalten werden, damit es erst gar nicht zu schweren Unfällen kommt? Wo fehlen Zebrastreifen und Radwege, um Gefahrensituationen erst gar nicht aufkommen zu lassen? Wo sind Straßenmarkierungen missverständlich der unzureichend? Wo fehlen Sicherheitsräume oder sichere Abbiegemöglichkeiten?

Schaffung sicherer Verkehrsinfrastruktur muss auch Ziel der Polizei sein

Unfälle vermeidet man in erster Linie durch sichere Verkehrsinfrastruktur. Erstes Ziel der Polizei muss es daher sein, bei der Stadt darauf zu dringen diese zu schaffen und für die Stadt alle verfügbaren Daten zu ermitteln, damit diese erkennen kann, wo Handlungsbedarf besteht.

Bei der Bochumer Polizei ist also ein Umdenken nötig. Wo ist die Kampagne für sichere Verkehrswege? Wo sind die eindeutigen Hinweise an die Stadt Defizite in der Verkehrsinfrastruktur vorbeugend zu beheben? Wann werden Mängel in der Verkehrsinfrastruktur in den Unfallmeldung kritisch erwähnt, wenn sie zur Entstehung eines Unfalls beigetragen haben?

Bekennt sich die Polizei Bochum zur Vision Zero, dann ist ihre Aufgabe, ihre Arbeit nach diesem Ziel auszurichten. Ein erster wichtiger Schritt wäre die Verkehrsunfallstatistik grundlegend zu überarbeiten und zu erweitern, damit sie als Basis geeignet ist, um die Umstände der Entstehung von Unfällen auf dem Bochumer Stadtgebiet qualifiziert zu untersuchen und gezielt beheben zu können.