20 März

Verwaltung frisiert Kostenschätzung zum RadEntscheid

427 Mio. Euro soll laut Stadt die Umsetzung der 7 Forderungen des Bochumer RadEntscheids kosten. Doch bei der städtischen Kostenschätzung wurden Kostensätze grob fehlerhaft angesetzt und positive Kosteneinsparungen außer Acht gelassen. Dazu kommen Rechenfehler. Die Überprüfung der Kostenschätzung wirft Fragen auf: Wurden die Kosten absichtlich absurd hochgerechnet oder mangelte es an Fachwissen? Was wusste die Politik? Wird der RadEntscheid gegen die irreführende Kostenschätzung klagen?

17.000 Unterschriften sammelte das Bürgerbegehren RadEntscheid für ihre 7 Forderungen (Ziele des RadEntscheid Bochum). Das Bürgerbegehren war damit im ersten Schritt erfolgreich. Am ersten April entscheidet der Rat, ob er das Begehren annimmt oder die Bürger und Bürgerinnen der Stadt darüber entscheiden sollen, ob die 7 Forderungen des RadEntscheids angenommen und umgesetzt werden.

Noch verweigert die SPD im Rat die Annahme des RadEntscheids, so dass ein Bürgerentscheid über die Annahme der 7 Forderung wahrscheinlich ist. Beim Bürgerentscheid werden die Aktiven der Initiative RadEntscheid für die Umsetzung werben, doch die Verwaltung behauptet in ihrer Kostenschätzung, die Umsetzung koste die Stadt in den nächsten 9 Jahren die absurd hohe Summe von 427 Mio. Euro. Dieser riesige Betrag wird viele Menschen abhalten beim Bürgerentscheid mit “Ja” zu stimmen.

Doch stimmt die Kostenschätzung überhaupt? Die STADTGESTALTER haben jeden Punkt überprüft und stellten haarsträubend falsche Kostenansätze sowie Rechenfehler fest. Zudem blieben Kosteneinsparungen, die aufgrund der Umsetzung der Forderungen durch die daraus folgende zunehmenden Radnutzung zu erwarten sind, in der Kostenschätzung unzulässiger Weise unberücksichtigt.

Im Einzelnen wurden folgende Fehler in der Kostenschätzung festgestellt:

Forderung 1: Ausbau des Radverkehrsnetzes – In diesem Punkt wird mit fehlerhaften Kostensätzen für den Neubau von Radwegen gearbeitet. Während die Stadt von Kosten von 1 bis 4 Mio. Euro pro Kilometer Radweg ausgeht, liegt der Einheitskostensatz laut Prognosgutachen bei 550 TEuro/km (Finanzierung des Radverkehrs bis 2030). Der Unterschied erklärt sich daraus, dass die Stadt nicht nur die Kosten für den Neubau der Radinfrastruktur ausweist, sondern auch die Kosten für sämtliche Straßenbaumaßnahmen die bei der Einrichtung der Radwege für andere Verkehrsträger (Auto, Fußgänger*innen, ÖPNV) mit erledigt werden.

Kostenschätzung zu Forderung 1

Am Beispiel Königsallee wird diese Vorgehensweise deutlich. 3,2 Mio. Euro sollen nach Schätzung der Verwaltung die Straßenbaumaßnahmen (Straßenbau, Markierung, Beleuchtung, Ampelanlagen (LSA), Verkehrslenkung) auf dem rund 1 Kilometer langen Abschnitt Wohlfahrt- bis Arnikastraße kosten (Beschlussvorlage 20213175). Nach der Kostenschätzung für den RadEntscheid hätten es sogar 4 Mio. sein müssen.

Kosten Umgestaltung Königsallee

Doch nur ein Teil der 3.2 Mio. entfällt auf den Bau neuer Radwege, denn im Rahmen der Maßnahme sollen auch die Gehwege und die Stellplätze neu gepflastert werden, der gesamte Straßenbelag soll erneuert werden, die Wendespuren sollen entsiegelt werden, die Fußgängerüberwege sollen taktile Elemente erhalten und die Bepflanzung der Allee soll am Ende der Baumaßnahmen neugestaltet werden. Diese Baumaßnahmen haben aber alle nichts mit dem Bau der Radwege zu tun. Dennoch wird so getan, als entstünden diese Kosten, weil an der Königsallee neue Radwege angelegt würden

Radinfrastruktur und sonstige Maßnahmen bei Neugestaltung Königsallee

Anders als von der Verwaltung in der Kostenschätzung dargestellt, kosten die Radwege abhängig von der Breite des Querschnitts der Straße, an dem sie angelegt werden, auch nicht das eine Mal 4 Mio., ein anderes Mal 3 Mio. und dann wieder nur 1 Mio./km. Die Radwege werden unabhängig vom bestehenden Straßenquerschnitt immer in vorgeschriebener Bauweise gleich gebaut. Sie sind immer mind. 1,8 Meter breit, asphaltiert, markiert, mit Sicherheitsstreifen zur Fahrbahn und zu parkenden Autos. Lediglich die zusätzlichen Umgestaltungsmaßnahmen, die nichts mit dem Radwegebau zu tun, sind je nach Straßenquerschnitt mal mehr mal weniger aufwändig.

So kommt die Stadt auch auf eine Förderquote von real nur 35%, obwohl diese eigentlich für Radwegemaßnahmen bei 70 bis 90% liegen. Nur da viele der radinfrastrukturfremden Maßnahmen nicht gefördert werden, liegt die Förderung bezogen auf die Gesamtkosten entsprechend niedrig. Laut Beschlussvorlage rechnet die Stadt bei der Umgestaltungsmaßnahme Königsallee allerdings mit einer Förderung von 75%. Das wiederum deckt sich nicht mit den Angaben in der Kostenschätzung.

Auch die Aussage, dass bei jeder Maßnahme an Hauptverkehrsstraßen, die Anwohner 30% der Kosten als Straßenbaubeiträge abzüglich von Landeszuschüssen zu tragen hätten, stimmt nicht. Bei der Baumaßnahme Königsallee z.B. fallen laut Aussage der Verwaltung keine Straßenbaubeiträge an und so ist es, anders als in der Kostenschätzung dargestellt, auch bei einigen weiteren Straßen..

In der Kostenschätzung ist statt der Kosten der Gesamtmaßnahme generell nur der Einheitskostensatz für den Bau von Radwegen in Höhe von 550 TEuro pro km anzusetzen. Hinzu kommen ggf. Kosten für Umbauten an Kreuzungen. Aber auch hier entfallen höchstens 50% der von der Stadt angesetzten Kosten auf den Radverkehr. Die Kostensätze sind entsprechend zu reduzieren.

Für die bloße Ummarkierung von Straßenfahrbahnen zu Radstreifen veranschlagt die Stadt in ihrer Kostenschätzung mit 500 TEuro/km, während der Einheitskostensatz bei nur 50 TEuro/km liegt (Finanzierung des Radverkehrs bis 2030). Zuletzt genannter Kostenansatz bestätigt sich auch bei entsprechenden Baumaßnahmen der Stadt selbst. Bei der Berliner Straße kostete die Ummarkierung des Abschnitts von 400 Meter Länge 20.000 Euro (Beschlussvorlage 20192196). Diese Maßnahme bestätigt, dass der Ansatz von 50 TEuro korrekt ist. Offenbar hat die Verwaltung sich bei den Kostenansätzen in der Kostenschätzung bei den Markierungsmaßnahmen um eine Null vertan.

Da wie dargestellt deutlich weniger als die Hälfte der von der Stadt angesetzten Kosten auf den Bau von Radwegen entfallen, sind auch die in der Kostenschätzung angesetzten Personalkosten mindestens zu halbieren. Bau- und Planungsleistungen, die für Umgestaltungen für andere Verkehrsträger aufgewandt werden, sind nicht dem Radverkehr zuzurechnen.

Forderung 2: Gestaltung der Radinfrastruktur – Auch in diesem Bereich ist die städtische Kostenschätzung nicht schlüssig. Beträgt der Einheitskostensatz für einen Kilometer neuer Radwege 550 TEuro, veranschlagt die Verwaltung für einen Teilumbau bestehender Radwege, um diese den aktuellen Bau- und Sicherheitsanforderungen der ERA anzupassen Kosten in Höhe von 1 Mio. Euro/km. Dass eine bauliche Anpassung eines bestehenden Radwegs regelhaft doppelt so teuer sein soll wie der Neubau, ist nicht nachvollziehbar. Es ist realistisch bei einem „Teilumbau“ von niedrigeren Kosten als beim Neubau auszugehen, 300 TEuro/km scheint als Kostenwert ausreichend.

Kostenschätzung zu Forderung 2

Forderung 3: Sicherheit zuerst – Für die Sicherheit der Radfahrenden zu sorgen ist eine Pflichtaufgabe der Stadt, diese hat sie ordnungsgemäß mit dem nötigen Aufwand zu erledigen, ganz unabhängig davon ob der RadEntscheid das ebenfalls fordert.

Kostenschätzung zu Forderung 3

Gefahrenstellen für Radfahrende, wie sie aufgrund Fehlplanungen der Verwaltung z.B. an der Hans-Böckler-Straße entstanden sind, sind so schnell wie möglich zu beseitigen. Die dafür erforderlichen Kosten entstehen aufgrund der Fehlplanungen und sind nicht in den Forderungen des RadEntscheids begründet. Entsprechende Kosten sind daher in der Kostenschätzung nicht zu berücksichtigen.

Die Stadt will 5 Stellen bei der Verkehrsüberwachung schaffen, um das Parken auf Radwegen zu ahnden. Auch hier handelt es sich um eine Pflichtaufgabe der Verwaltung. Auch wird das Falschparken nicht durch die Radfahrenden verursacht. Es handelt sich um eine Überwachungsmaßnahme des Autoverkehrs, die Kosten wären damit diesem Verkehrsträger zuzurechnen. Sie sind in keinem Fall in der Kostenschätzung anzusetzen.

Kosten für den Betrieb (Reinigung u.a.) und die Unterhaltung bzw. Instandhaltung der Radwege können zwar in der Kostenschätzung berücksichtigt werden, wenn dies geschieht, sind diese Kosten aber auch mit den Kostenersparnissen bei der Instandhaltung und dem Betrieb der Straßen zu verrechnen, die aufgrund von mehr Rad- und damit verbunden weniger Autoverkehr entstehen. Die Kostenschätzung sollte dazu in einen investiven und eine konsumtive Kalkulation (jährliche Kosten, u.a. Betrieb und Instandhaltung) unterteilt werden. Es ist sinnvoll, die Kosten für Reinigung und Instandhaltung der Radwege aus der vorliegenden investiven Kostenschätzung zu streichen. Sie sollten stattdessen in einer zusätzlichen konsumtiven Kostenschätzung berücksichtig werden, deren Erstellung die Stadt jedoch versäumt hat. Wie eine solche konsumtive Kostenschätzung aussehen könnte, dazu kommen wir später in diesem Beitrag.

Forderung 4: Sichere Kreuzungen – Auch hinsichtlich des Umbaus von 3 Kreuzungen im Jahr fallen die Kostensätze der Verwaltung zu hoch aus, ebenso wie der Personalkostenansatz. Es erfolgt eine Kürzung entsprechend der bei den Forderungen 1 und 2 erläuterten Kriterien zum Kostenansatz beim Umbau von Kreuzungen.

Kostenschätzung zu Forderung 4

Forderung 5: Radschulwegpläne für Schulen – Hinsichtlich dieser Forderung sind gar keine Kosten anzusetzen. Die Umsetzung der hierzu vom RadEntscheid geforderten Maßnahmen wurde vom Stadtrat bereits am 12.12.2013 (Beschluss 20132502) beschlossen, entsprechend müssen die dafür erforderlichen finanziellen Mittel bereits im Stadthaushalt etatisiert sein. Somit verbietet sich ein Neuansatz der Kosten.

Kostenschätzung zu Forderung 5

Die Erstellung von Radschulwegplänen ist eine Maßnahme des Klimaschutzteilkonzept klimafreundlicher Verkehr (Maßnahme 8a) und sollte im Zeitraum 2014-2020 umgesetzt werden. Zur Umsetzung wurde ein zweiter Klimaschutzmanager angestellt, eine Umsetzung erfolgte aus unbekannten Gründen bisher jedoch nicht.

Forderung 6: Ausbau von Fahrradabstellplätzen – Hinsichtlich dieser Forderung sind die Einheitskostensätze, insbesondere für Fahrradbügel und Fahrradboxen (Finanzierung des Radverkehrs bis 2030) anzupassen. Die Stadt hat jeweils die Kosten für Luxusmodelle angesetzt. Das haben die Initiatoren des RadEntscheids weder gefordert, noch gibt es dafür eine erkennbare Notwendigkeit.

Kostenschätzung zu Forderung 1

Zudem weist die Kostenberechnung zu den überdachten Stellplätzen einen Rechenfehler auf. Insofern, wie von der Verwaltung angegeben, für 7 überdachte Stellplätze 10.000 Euro anzusetzen sind, kosten 2.800 Stellplätze insgesamt nicht 4,5 Mio. sondern nur 4 Mio. Euro. Entsprechend sind bei diesem Punkt 0,5 Mio. Euro abzusetzen.

Forderung 7: Förderung der Mobilitätswende – Die zu diesem Bereich angesetzt Kosten sind plausibel. Jedoch ist eine zusätzliche Ingenieurestelle zur Unterstützung der wissenschaftlichen Begleitung der Umsetzung der Forderungen des RadEntscheids nicht erforderlich. Bei einem solchen Forschungsprojekt einer Hochschule bezahlt in der Regel diese selbst die für die Umsetzung erforderlichen Mitarbeiter*innen. Sie kann dazu regelmäßig auf Forschungsgelder zurückgreifen. Die Zuarbeit kann von den drei neu im Bereich Öffentlichkeitsarbeit zu beschäftigten Bauingenieuren übernommen werden.

Kostenschätzung zu Forderung 7

Investive Kosten: 151 statt 427 Mio. Euro

Wird die Kostenschätzung der Verwaltung entsprechend der dargestellten Punkte korrigiert, ergeben sich statt der von der Verwaltung angegebenen 427 Mio. Euro investiven Kosten zur Umsetzung der 7 Forderung des RadEntscheids nur Kosten in Höhe von knapp 151 Mio. Euro, also fast dreimal weniger.

Gesamtkosten Kostenschätzung

Fehlende Betrachtung der Kosteneffekte auf den Gesamtverkehr

Zusätzlich wären darüber hinaus noch die Kosteneffekte auf den Gesamtverkehr zu betrachten, wenn mehr Menschen aufgrund der deutlich verbesserten Radinfrastruktur das Auto stehen lassen und stattdessen das Rad nehmen. Dies hat die Verwaltung unterlassen.

Hierbei wären zwei Effekte zu betrachten, zum einen der auf Betrieb, Instandhaltung und Investitionen des Bochumer Verkehrs insgesamt gerichtete Effekt und zum Zweiten der Kosteneffekt bezogen auf die externen Kosten des PKW-Verkehrs, also insbesondere hinsichtlich Klimaschutz, Lärm, Luftverschmutzung und Unfallkosten.

Positive Kosteneffekte RadEntscheid

Nimmt man an, die in Bochum mit dem PKW gefahrenen Personenkilometer nehmen aufgrund der vom RadEntscheid geforderten Maßnahmen um 135 Mio. Im Jahr ab – das entspricht rd. 5,6% der mit dem Auto gefahrenen Personenkilometer in Bochum (Sonderauswertung zum Forschungsprojekt „Mobilität in Städten – SrV 2018“) – dann ergibt sich insgesamt eine Ersparnis bei den Kosten des PKW-Verkehrs von fast 30 Mio. Euro pro Jahr. Dabei entfällt die Hälfte auf eingesparte Betriebs-, Instandhaltungs- und Investitionskosten, die andere Hälfte auf eingesparte externe PKW-Kosten. Das bedeutet bereits nach 5 Jahren hätten sich die Investitionskosten, die für die Umsetzung der sieben Forderungen des RadEntscheids ausgegeben werden müssten, refinanziert.

Es fragt sich, warum die Stadt eine solche Berechnung der positiven Kosteneffekte unterlassen hat und sie die Kosten für die Umsetzung der sieben Forderungen fast dreimal so hoch angibt wie diese realistisch einzuschätzen wären. Es liegt der Verdacht nahe, dass man den Eindruck erwecken will, dass mit den sieben Forderungen des RadEntscheids finanzielle Folgen verbunden sind, die die Stadt nicht in der Lage zu tragen ist. Es scheint das Ziel verfolgt, zu werden, zu erreichen, dass die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger angesichts der angeblich zu hohen Kosten bei einem Bürgerentscheid mit “Nein” stimmt.

Das passt in das Bild, wie die Verwaltung auch sonst in Bochum mit Radverkehr und den Bürger*innen umgeht. Das vom Rat 1999 beschlossene Radverkehrskonzept wurde bis heute in wesentlichen Teilen nicht von der Verwaltung umgesetzt. Die mehrfach vom Rat beschlossene Neufassung des Radverkehrskonzeptes erfolgte über Jahre nicht. Zwar wird aktuell an der Erstellung endlich gearbeitet, vorliegen tut das neue Konzept aber bis heute nicht, die Stadt hat keine Eile mehr für den Radverkehr zu tun (Trauriges Jubiläum – 20 Jahre Radkonzept, kaum Zählbares passiert). Die Trassensuche zum Radschnellweg wurde von der Verwaltung so hingebogen, dass eine teure aber schlechte Streckenführung das Ergebnis ist, die das von der Stadt beauftragte Gutachterbüro schon als ungeeignet aussortiert hatte. Die Bürgerbeteiligung bei der Trassensuche war nur Show, das Ergebnis stand im Wesentlichen schon vorher fest (Akteneinsicht: Verwaltung “lenkt” große RS1-Trassensuchshow zum gewünschten Ergebnis).

Beschlüsse werden nicht umgesetzt, es wird getrickst und manipuliert um die besten Radverkehrsplanungen zu verhindern. Die maßlos überzogene Kostenschätzung ist nur ein weiteres Beispiel für diese Politik der Verwaltung. Unverständlich, dass SPD und Grüne diese Machenschaften der Verwaltung trotz aller Versäumnisse und Ungereimtheiten, weiter verteidigen.

Beiden Ratsfraktionen muss klar sein, dass mit der vorliegenden Kostenschätzung der RadEntscheid bei den Bürger*innen kaum Erfolg haben dürfte. Ebenfalls müssten den Fraktionen zumindest einige der eklatanten Mängel der Schätzung aufgefallen sein, besonders die fehlende Kalkulation der positiven Kosteneffekte. Dass die Politik gleichwohl die Kostenschätzung bisher kritiklos hinnimmt, kann eigentlich nur den Grund haben, dass beiden das Scheitern des RadEntscheids aufgrund der absurd übertriebenen Kosten eigentlich ganz recht ist.

Zur Not bleibt nur der Gang vor das Verwaltungsgericht

Auf Unterstützung von SPD und Grünen kann der RadEntscheid offenbar nicht hoffen. Mit der maßlos überhöhten Kostenschätzung der Verwaltung scheint es kaum möglich, die Mehrheit der Bürger*innen bei dem zu erwartenden Bürgerentscheid für ein “Ja” zu den 7 Forderungen zu gewinnen. Will der RadEntscheid den Bürgerentscheid für sich entscheiden, muss die Grundlage dafür eine realistische Kostenschätzung sein, die auch die positiven Kosteneffekt mit darstellt. So wie es aktuell aussieht, wird das nur vor Gericht zu erreichen sein. Vor dem Verwaltungsgericht sollten die Chancen nicht schlecht stehen, da die Stadt sich bei der Kostenschätzung einige haarsträubende Fehler geleistet hat, die sich nicht durch den Einwand, man habe weites Ermessen ausgeübt, weg reden lassen.

Letztlich stimmt es traurig, wenn die Verwaltung nicht für und mit den Bürger*innen arbeitet, sondern – wie auch in diesem Letztlich ist es traurig, wenn die Verwaltung nicht für und mit den Bürger*innen arbeitet, sondern sie es – wie auch in diesem Fall – an einem Mindestmaß an Fairness im Umgang mit ihren Anliegen vermissen lässt.

13 März

Einseitige Verkehrspolitik kommt Menschen in Bochum und dem Ruhrgebiet teuer zu stehen

Die hohen Spritpreise treffen die Menschen im Ruhrgebiet besonders hart. denn in Bochum und dem Revier nehmen die Menschen deutlich häufiger das Auto als sonst in deutschen Großstädten. Ein Umstieg auf Bus und Bahn oder das Rad kommt oft nicht in Frage, der öffentliche Nahverkehr und das Radwegenetz sind im Ruhrgebiet einfach zu schlecht. Für die einseitige Autoverkehrspolitik der letzten Jahrzehnte bezahlen die Menschen jetzt einen hohen Preis.

In Bochum nehmen die Menschen doppelt bis anderthalbmal so häufig das Auto wie in modernen, in Sachen Mobilität fortschrittlichen deutschen Großstädten. Für Benzin und Diesel geben sie entsprechend mehr Geld aus. Die aktuellen Preissteigerungen bei den Kraftstoffen schlagen somit deutlich härter auf die Geldbeutel der Menschen durch, die in Bochum zu Hause sind, als bei denen, die in Frankfurt, Freiburg, Münster oder Düsseldorf wohnen.

Modal Split – Städtevergleich

Attraktive Alternativen zum Auto fehlen in Bochum wie im Ruhrgebiet

Und noch ein weiterer Nachteil trifft die Einwohnerinnen und Einwohner des Ruhrgebiets, während die Menschen in anderen Städten oft die Möglichkeit haben vom Auto auf Bus- und Bahn oder das Rad umzusteigen, um Geld für Benzin und Diesel zu sparen, besteht die Möglichkeit für Menschen in Bochum und dem Ruhrgebiet oft nicht, denn es gibt weder einen leistungsfähigen Nahverkehr noch ein stadtweites Netz guter und sicherer Radwege.

Verkehrspolitik hieß in Bochum und dem Ruhrgebiet in den letzten Jahrzehnten immer primär den Autoverkehr durch den Ausbau von Straßen und Parkmöglichkeiten noch attraktiver zu machen. Daran hat sich bis heute nicht viel verändert. Nennenswerte Ausbaupläne für den ÖPNV gibt es in Bochum trotz ausgerufenem Klimanotstands nicht. SPD und Grüne lehnen faktisch jede systematische Ausweitung des ÖPNV-Netzes ab (zuletzt im Dezember 2021; Vorgang 20213912). Seit den 60er Jahren ist das Straßen- und Stadtbahnnetz der Stadt geschrumpft statt gewachsen (Über 65 Jahre Rückbau und Stillstand beim Nahverkehrsnetz).

Auch beim Radverkehr stehen Rot und Grün auf der Bremse. Nicht mal die im Radverkehrskonzept 1999 festgeschriebenen Dringlichkeitsmaßnahmen wurden bis heute alle umgesetzt (Trauriges Jubiläum – 20 Jahre Radkonzept, kaum Zählbares passiert). Den Beschluss ein zeitgemäßes Radverkehrskonzept aufzustellen, hat die Verwaltung mit Billigung von SPD und Grünen über Jahre verschleppt (Stadt und Politik blockieren Radwegeausbau). Bis heute liegt das neue Konzept nicht zum Beschluss vor. Bei der Planung des Radschnellwegs RS1 setzte die Verwaltung entgegen der Empfehlungen des Gutachterbüros die unattraktive, von der Innenstadt abgewandte, langsame Streckenführung durch, weil die schnellen, attraktiven Streckenvarianten ggf. eine Einschränkung des Autoverkehrs bedeutet hätten (Große Radschnellweg-Trassensuche nur Show). Radverkehr darf in Bochum nur da stattfinden, wo er den Autoverkehr nicht stört. Was an Radverkehrsmaßnahmen von der Stadt geplant wird, wird mit betonter Langsamkeit umgesetzt. Bei diesem Tempo wird Bochum auch in 20 Jahren über kein flächendeckendes Netz guter und sicherer Radwege verfügen.

Menschen wurden in Bochum vom Auto abhängig gemacht

Beklagen sich Menschen in Bochum über das unzureichende Nahverkehrs- oder Radwegenetz, wird ihnen gesagt “Nimm doch das Auto.” In der Folge funktioniert das tägliche Leben vieler Bochumer Haushalte nicht mehr ohne Auto. Die Kinder werden mit dem Auto zu Schule und KiTa gebracht. Zum Wocheneinkauf wird mit dem Auto gefahren. Die Arbeitsstelle kann in angemessener Zeit nur mit dem Auto erreicht werden. Auch  zu Freizeitorten kommt man oft nur gut mit dem PKW. So fehlt nicht nur dem Kemnader See eine gute ÖPNV-Anbindung.

Für viele ist es selbstverständlich geworden, dass Arbeitsstelle, Schule, KiTa, Sportverein oder der Discounter, bei dem eingekauft wird. so weit weg vom Wohnort liegen, dass sich diese nur noch gut mit dem Auto erreichen lassen. In Sachen Mobilität moderne Städte versuchen den Menschen die Dinge des täglichen Bedarfs in der nahen Umgebung anzubieten, damit sich diese zu Fuß oder mit dem Rad erledigen lassen, in Bochum zeigt sich die Politik an solchen Zielen desinteressiert. Entsprechende Konzepte wie die 15-Minuten Stadt werden abgelehnt (Bochum wird zur 15-Minuten-Stadt, Vorlage 20210191).

Während in Freiburg bereits heute für 36% der Wege zur Arbeit das Rad genommen wird und 44% der Einkaufswege zu Fuß erledigt werden (Städte in Bewegung), nimmt man in Bochum bevorzugt das Auto, dabei zeigte die Befragung bei der Bürgerkonferenz 2019, dass auch in Bochum viele Menschen viel lieber mit dem ÖPNV (34%) und dem Rad (17%) zur Arbeit fahren würden und zum Einkaufen statt dem Auto das Rad nehmen (31%) oder zu Fuß gehen (28%) würden (Ergebnisse der Bürgerkonferenz 2019 – Befragung zur Mobilität der Zukunft)

Nur schöne Worte statt Taten bei Mobilitätswende und Klimaschutz

Die schönen Worte von Rot-Grün in Wahlkampfzeiten zu Mobilitätswende und Klimaschutz sind nichts mehr als Lippenbekenntnisse. Real ist keine Bereitschaft zu erkennen die antiquierte Autovorrangpolitik ernsthaft in Frage zu stellen. Wollen die Menschen in Bochum sicher und in angemessener Zeit von A nach B kommen, dann müssen sie in den meisten Fällen das Auto nehmen. Indirekt sind die meisten Bochumer Haushalte damit gezwungen mindestens ein Auto zu besitzen. Ohne eigenes Fahrzeug wäre es vielen nicht möglich schnell und komfortabel zu den Zielen zu kommen, die sie täglich erreichen müssen.

Haushalte zahlen 56 bis 84 Euro jeden Monat mehr für Sprit

Werden in einem Bochumer Haushalt pro Woche 200-300 km mit dem Auto gefahren, dann ergeben sich angesichts einer Preissteigerung von über einem Euro pro Liter bei Diesel und einem Verbrauch von 7 Litern pro 100 km Stand heute Mehrkosten von 56 bis 84 Euro pro Monat gegenüber dem letzten Jahr.

Die Entscheidung, die Verkehrspolitik einer Stadt einseitig auf das Auto auszurichten und die mangelnde Bereitschaft das konsequent und möglichst schnell zu ändern, haben für die Menschen, die in Bochum leben, gravierende finanzielle Folgen. Zählte Bochum und das Ruhrgebiet bisher in der Lebenshaltung deutschlandweit zu den günstigen Städten, ist dieser Standortvorteil jetzt kaum mehr vorhanden. Die überdurchschnittlich hohen Mobilitätskosten im Ruhrgebiet, machen das Leben im Ruhrgebiet plötzlich deutlich teurer und unattraktiver.

Entgegen der Erfahrungen aus der Ölkrise in den 70er-Jahren, den Folgen knapper werdender Ressourcen, den Notwendigkeiten des Klimaschutzes und allen Warnungen von Volkswirten hinsichtlich den Gefahren von hoher Abhängigkeit von Rohstofflieferungen aus autokratisch bis diktatorisch regierten Staaten, glaubte die Politik im Ruhrgebiet an ewig niedrige Benzin- und Dieselpreise. Der Preis für diese politische Fehleinschätzung ist hoch, ihn müssen jetzt die Bewohner*innen des Ruhrgebiets teuer bezahlen, besondere jene, die zu den finanzschwächeren Bevölkerungsgruppen zählen und das sind im armutsgeplagten Ruhrgebiet überdurchschnittlich viele.

Umdenken bei SPD nicht in Sicht

Wer angesichts dieser Umstände mit einem Umdenken in der Stadtpolitik rechnet, liegt falsch. Es gibt keine Anzeichen, dass Rot-Grün angesichts der sich verschärfenden Situation
ernsthafte Schritte in Richtung Mobilitätswende unternehmen wird. Der Wirtschaftsplan des städtischen Nahverkehrsunternehmens BOGESTRA sieht keine Investitionen in den Ausbau des Bochumer Nahverkehrsnetzes vor. Beim Radverkehr ist die Bochumer SPD nicht mal bereit den moderaten Forderungen des Bochumer Radentscheids nachzugeben, die für jedes Jahr 20 km zusätzliche Radwege, davon 8 km an Hauptverkehrsstraßen vorsehen (Kein Kompromiss mit der SPD). Das ist besonders angesichts dessen, dass die Stadt sich schon bei der Umsetzung der Maßnahmen aus dem noch gültigen Radverkehrskonzept 1999 zehn bis fünfzehn Jahre im Zeitverzug befindet, unverständlich. Doch das Ziel, das Versäumte aufzuholen, wird offensichtlich nicht verfolgt. Die Grünen nehmen die Blockadehaltung ihres Koalitionspartners bei der Mobilitätswende gewohnt klaglos hin. Wie immer fügt man sich. In Bochum wird im Verkehr seit jeher nur das gemacht, was die SPD will.

Eskaliert der Ukraine-Krieg weiter und stoppen Europa wie Deutschland die Rohstoffexporte aus Russland, von wo das Land 55 Prozent aller Gaslieferungen bezieht, die Hälfte der Kohle und 35 Prozent des Rohöls, werden die Energie-und Kraftstoffpreise weitere Höchststände erreichen. Dann werden immer mehr Menschen gezwungen sein ihr Auto stehen zu lassen und stattdessen den ÖPNV oder das Rad zu nutzen. Dem wird weder Bochum noch sonst eine Stadt im Ruhrgebiet gewachsen sein. In der Folge werden bei zunehmender Zahl von Radfahrenden mangels sicherer Radwege zwangsläufig die Unfallzahlen mit Fahrradbeteiligung steigen. Dann wird die Unwilligkeit von SPD und Grünen alles für eine schnelle wie konsequente Mobilitätswende zu tun für die Menschen nicht nur teuer, sondern für einige auch schmerzhaft.

06 März

Akteneinsicht: Verwaltung „lenkt“ große RS1-Trassensuchshow zum gewünschten Ergebnis

Noch bevor in Bochum mit der großen Trassensuche des Radschnellwegs (RS1) durch die Innenstadt öffentlichkeitswirksam begonnen wurde, lag der Verwaltung die Streckenführung des RS1, die am 09.03.22 die Politik beschließen soll, ausgearbeitet vor. Die offizielle Trassensuche wurde zur Farce. Die Verwaltung lies das Gutachten so lange umschreiben, bis nur noch die von ihr zuvor entwickelte Streckenführung übrigblieb.

Viele machte es gleich stutzig als die Stadt Bochum das Gutachten zur Findung der besten Streckenführung für den Radschnellweg (RS1) durch die Bochumer Innenstadt vorlegte und eine Streckenführung vorschlug, die vom Gutachterbüro mit -3 Punkten bewertet wurde, während die besten 14 Streckenführungsvarianten, die mit +1 bis +7 Punkten bewertet wurden, allesamt ohne plausible Begründung von der Verwaltung als ungeeignet verworfen wurden.

Streichung der besten Varianten aus dem Gutachten zur Trassensuche

Akteneinsicht bestätigt Verdacht

Diese nicht nachvollziehbare Vorgehensweise ließ den Verdacht aufkommen, dass die Ergebnisse des Gutachtens so lange gebogen wurden, bis nach Streichung aller guten Varianten letztlich nur noch eine bestimmte Streckenvariante zur Realisierung verblieb und zwar ausgerechnet jene, die verwaltungsintern von Anfang an präferiert wurde. “Die PARTEI und STADTGESTALTER” vorgenommene Akteneinsicht beim Tiefbauamt bestätigte jetzt diesen Verdacht.

Zwei Trassenfindungsverfahren, ein offizielles, ein verwaltungsinternes

Es zeigte sich, in der Verwaltung gab es zwei Trassenfindungsverfahren, ein offizielles und ein verwaltungsinternes.

Direkt nachdem die erste Trassensuche für den Radschnellweg 2018 gescheitert war, bei der erst viel geplant wurde, dann aber die Bahn die Bereitstellung der für die zunächst geplante Streckenführung erforderlichen Flächen abgelehnt hatte, kündigte die Stadt an eine öffentliche Trassensuche mit einer groß aufgezogenen Bürgerbeteiligung zu veranstalten. 

Einwohner*innen, Interessengruppen, die Radverbände, die Geschäftsleute und Gastronomen, also alle die Ideen hatten, sollten in der ersten Phase des Trassensuchprozesses Vorschläge zu möglichen Streckenvarianten einreichen. Daraufhin sollte ein Gutachterbüro anhand eines von ihm entwickelten Schemas alle Varianten bewerten. In der zweiten Phase des Verfahren sollten die drei am besten bewerteten Varianten als so genannte Vorzugsvarianten vorausgewählt und näher untersucht werden. Auf Basis dieser Ergebnisse sollte schließlich die Politik entscheiden, welche Vorzugsvariante realisiert werden soll. Am 31.01.19 stimmte der Stadtrat diesem Plan zu (Beschlussvorlage:20183423).

Die geheime Trassensuche

Die Planungen für die RS1-Streckenführung, die die Politik jetzt am 09.03.2022 beschließen soll (Beschlussvorlage 20220116), gab es allerdings schon, ehe überhaupt mit der öffentlichen Trassensuche publikumswirksam begonnen wurde. Denn während noch die Vorbereitungen für die offizielle Trassensuche liefen, hatte die Verwaltung intern, im Verborgenen, ohne Politik und Bürger*innen zu informieren, diese Trassenführung untersuchen und ausarbeiten lassen. In enger Zusammenarbeit mit einer Entwicklungsgesellschaft wurde für diesen Zweck ein Ingenieurebüro beauftragt, das bereits am 05.05.2020 eine umfassende Untersuchung vorlegte, die die entsprechende Streckenführung detailliert untersuchte und beschrieb.

Übereinstimmung verwaltungsintern bereits 2020 präferierte Streckenführung und Ergebnis der offiziellen Trassensuche 2022

Vom beauftragten Ingenieurebüro wurde eine rote und eine blaue Variante untersucht. Im Ergebnis wurde die Führung des RS1 über die Frederikabahn und den P&R-Parkplatz am Klever-Weg vorgeschlagen, die anschließende Brückenquerung mit Überwurf über Universitätssstraße und Buddenbergplatz sowie die Führung über die Wittener Straße durch den Kortumpark zur Akademiestraße, weiter zum Lohring, bis schließlich über die steile Straße Am Lohberg zur Springorumtrasse. Bis auf wenige Meter im Kortumpark ist das genau die Streckenführung des RS1, die in der nächsten Woche, am 09.03.22 im Mobilitätsausschuss beschlossen werden soll (Beschlussvorlage 20220116). In der Beschlussvorlage wurde noch eine Alternativstreckenführung über Ehrenfeld- und Clemensstraße ergänzt, für den Fall die Strecken entlang der Bahnlinie stünden nicht zur Verfügung.

Für die Öffentlichkeit: Die große Trassensuchshow

Bezeichnender Weise floss die bereits ausgearbeitete Streckenführung allerdings nicht in die große Trassensuchshow ein. Zu dieser wurde publikumswirksam im Juni und Juli 2021 eine großangelegte Öffentlichkeitsbeteiligung organisiert. Online konnten die Menschen insbesondere ihre Ideen zu Trassenvorschlägen angeben und ihre Meinungen zu Streckenführungen äußern. Ende August folgte ein Workshop mit allen Interessengruppen. Die Zahl der Rückmeldung war erfreulich hoch. Insgesamt wurden auf der Webseite 4.350 Zugriffe verzeichnet, es wurden 336 Trassenvarianten in die Online-Karte eingetragen. Basierend auf dieser großen Menge Streckenvarianten entwickelte das von der Stadt beauftragte Gutachterbüro anschließend ein aufwendiges Bewertungssystem um nach einer Vorauswahl 42 realistische Varianten bewerten und vergleichen zu können.

Aufgrund des Vergleichs und der Bewertung der Varianten kam das Gutachterbüro zu eindeutigen Ergebnissen, die sie der Verwaltung Ende 2020 vorstellte, Das Büro kam zu dem Schluss, im weiteren Verlauf der Trassensuche sollten folgende drei Streckenführungen als Vorzugsvarianten näher untersucht werden (zu den Variantennummern, siehe Gutachten): die erste über den Boulevard (1c), die zweite über Süd- und Ostring, am Justizzentrum vorbei und dann durch den Tunnel nördlich der Springorumtrasse (5b und 7a) sowie eine dritte über das Gelände City-Tor-Ost. Südring, Wittener Straße und Altenbochumer Straße und schließlich von dort auf die Springorumtrasse (10). Die Varianten südlich der Bahnlinie sollten nach Ansicht des Gutachterbüros nicht weiterverfolgt werden. Diese seien zu schlecht bewertet, würden zu viele Hemmnisse aufweisen und ihre Herstellung sei zu (kosten-)aufwendig. Dies betraf auch die Varianten 3e und 6a, die sich in Kombination zu einem nicht unwesentlichen Teil mit der von der Verwaltung im Geheimen bereits entwickelten Streckenführung decken.

Die Ergebnisse der Trassensuche werden von der Verwaltung auf den Kopf gestellt

Die Ergebnisse sollten der Verwaltung nicht passen. Zunächst wurde versuchte die Bewertungskriterien beim Gutachterbüro zu erweitern und zu verändern, um bessere Bewertungen für die gewünschten Varianten zu erzielen. Doch das gelang nicht. Der Punkteabstand zu den besten Varianten war zu groß.

Also entschloss man sich die ganze Bewertung auf den Kopf zu stellen. Mit der Begründung, die Ergebnisse des Gutachterbüros seien unzureichend, rechtfertigte man eine sogenannte “pragmatische” Lösung: Kurzerhand sollte alle Varianten, über Straßen, auf denen vor kurzem Radwege eingerichtet wurden oder gerade geplant würden, nicht weiter betrachtet werden, also solche über Alleestraße. Westring, Südring, Ostring, Hattinger Straße und Oskar-Hoffmann-Straße, Ebenso sollte die Variante über den Boulevard nicht weiterverfolgt werden, weil zu dieser Straße die Politik bereits vor Jahren gegenteiliges beschlossen habe. Und auch Varianten mit großen Strecken über die Wittener Straße sollten eliminiert werden.

Im Handstreich führte diese im Kreis von vier Verwaltungsmitarbeiter*innen und ohne jede politische Beteiligung getroffene Entscheidung die gesamte Bewertung des Gutachterbüros ad absurdum. Hatte das Gutachterbüro gestützt auf seine aufwendige Bewertung ausschließlich Streckenführungen nördlich der Bahnlinie als sinnvoll angesehen, hatte die Verwaltung jetzt mit fadenscheinigen Begründungen fast alle Streckenführungen nördlich der Bahnlinie eliminiert und so dafür gesorgt, dass nur die schlecht bewerteten Streckenführungen südlich der Bahnlinie übrigblieben, insbesondere auch die Streckenführung, die die Verwaltung schon seit Mai 2020 in der Schublade geparkt hatte.

Die Begründung zur Eliminierung aller nördlichen Streckenvarianten ist eine Farce. Laut Bewertungsschema des Gutachterbüros ist auf allen zur näheren Untersuchung vorgeschlagenen Varianten der RS1-Standard umsetzbar, bei den Varianten 1c und 5b sogar zu 100%, also besser als bei der von der Verwaltung favorisierten Streckenführung. Auch der frühere Beschluss des Rates, eine RS1-Führung über den Boulevard nicht mehr zu verfolgen, stand einer weiter Betrachtung dieser Variante nicht im Weg. Wenn am Ende der Trassensuche die Variante entlang des Boulevards als beste Streckenführung heraus gekommen wäre, hätte die Politik überlegen können, ihren bisherigen Beschluss ggf. zu ändern. Für den West-, Süd- und Ostring waren zum Zeitpunkt der Entscheidung noch gar keine Umgestaltungs- und Planungsmaßnahmen vom Stadtrat beauftragt worden. Die wurden erst fünf Monate später im Rahmen des Verkehrskonzepts Innenstadt beschlossen, wohl auch um zumindest pro forma die Eliminierung der entsprechenden Streckenvarianten rechtfertigen zu können. In anderen Besprechungen wurde zu der bereits im Umbau befindlichen Hattinger Straße ausgeführt, auf dieser könne der RS1 mindestens noch so lange eingeplant werden, bis der erste Randstein gesetzt werde. Warum große RS1-Strecken an der Wittener Straße zum Ausschlusskriterium für diese Straße wurden, ist aus den Akten gar nicht ersichtlich.

Die wenig überzeugende Begründung zur Eliminierung aller Streckenvarianten nördlich der Bahntrasse erkannte die Verwaltung wohl bei Abfassung des Gutachtens selbst. Für das später veröffentlichte Gutachten verfiel man daher auf die ergänzende Formulierung, der RS1-Standard sei auf den Straßen nördlich der Bahnlinie nicht umsetzbar, obwohl dies im Gutachten selbst widerlegt wird, wo den allermeisten eliminierten Streckenvarianten ein RS1-Standard von weit über 90% bis 100% attestiert wird. Ein Wert, der in der Regel besser ist, als derjenige der Streckenführung, die von der Verwaltung favorisiert wird, denn diese weist eine 219 Meter lange, nicht RS1-Standard-konforme 7%-Steigung auf (Strecke des RS1 soll in Bochum über 7%-Anstieg gehen).

Im Endeffekt hatte die Verwaltung die Bewertung des Gutachtens soweit ausgehebelt, dass alle gut bis sehr gut bewerteten Streckenvarianten eliminiert wurden. Damit war der Weg frei mit Hilfe des Gutachtens statt einer Streckenführung mit einer Bewertung von +1 bis +7 Punkten eine Vorzugsvariante vorzuschlagen, die nur mit –3 Punkten bewertet wurde. Diese ist zusammengesetzt aus den Varianten (3e und 6a) und sie verläuft zufällig entlang der Trassenführung, die die Verwaltung bereits ab 2019 im stillen Kämmerlein abseits der Öffentlichkeit hatte entwickeln lassen.

Verwaltung verspielt Glaubwürdigkeit und torpediert Bürgerbeteiligung

In der beschriebenen Weise führt man die Glaubwürdigkeit von Gutachten und Gutachter*innen ad absurdum und hintertreibt die hohe Bereitschaft der Bürger*innen sich an solchen Prozessen zu beteiligen. Tatsächlich hatten die Trassenvorschläge der Bürger*innen, Initiativen und Interessengruppen aufgrund der Voreingenommenheit der Verwaltung nie eine Chance. Die Trassensuche war nichts weiter als eine große Show, mit der die Beteiligten hinters Licht geführt wurden. Offensichtlich war nie beabsichtigt einer der vom Gutachterbüro gut bewerten Streckenführungen zu wählen. Die Bewertung der Varianten gab es allein für die Galerie. Am Ende wurde das Gutachterbüro nur benutzt, um der Verwaltung gegenüber der Politik einen Freifahrtschein für seine von Anfang an präferierte Streckenführung auszustellen.

Zu hoffen ist, dass ein solcher Fall in Bochum bisher einmalig war und das für die Zukunft auch bleibt. Er untergräbt grundlegend die Glaubwürdigkeit in das Handeln der Verwaltung sowie zukünftig zu erstellende Gutachten. Immer steht ab diesem Vorfall der Verdacht im Raum auch andere Gutachten wurden von der Verwaltung in ähnlicher Weise verfälscht und für eigene Zwecke zurechtgebogen. Dass von der Stadt beauftragte Gutachten rein fachlich fokussierte Einschätzungen von unabhängigen Expert*innen wieder geben, wird mit Verweis auf diesen Fall in den nächsten Jahren immer wieder bezweifelt werden.

Die Verwaltung hätte intransparent, ohne Information von Politik und Öffentlichkeit neben der großen Trassensuche keine eigene Untersuchung von Streckenvarianten betreiben dürfen. Zumindest hätte die aus der internen Streckensuche resultierende Variante als von der Verwaltung bisher favorisierte Streckenführung transparent in die große Trassensuche eingehen müssen. Die Einmischung in die Trassenfindung hätte nie so weit gehen dürfen, dass die Verwaltung die Ergebnisse des Gutachterbüros mit fadenscheinigen Begründungen quasi auf den Kopf stellt. Es fehlte der Verwaltung an dem für die Begleitung eines solchen Bewertungs- und Auswahlverfahrens erforderlichen Mindestmaß an Unvoreingenommenheit. Wäre das Gutachten nach Meinung der Verwaltung nicht brauchbar gewesen, dann hätte die Politik darüber entscheiden müssen, ob das Trassensuchverfahren beendet wird und wie es weiter gehen soll. So zeigt sich, man hätte sich in diesem Fall die teure Beauftragung eines externen Gutachterbüros sparen können, wie es die Fraktion “FDP und STADGESTALTER” bereits 2019 beantragt hatte (Änderungsantrag 20183423).

Die von der Verwaltung präferierte Streckenführung ist ungeeignet

In der Sache ist auch den Dokumenten der Akteneinsicht zu entnehmen, die jetzt von der Verwaltung vorgeschlagene Streckenführung ist extrem teuer. Allein die Brückenanlage zwischen Klever Weg über Universitätsstraße, Hauptbahnhof, Buddenbergplatz und Wittener Straße zum Kortumpark soll laut Schätzungen der Stadt 18,5 bis 26,5 Mio. Euro zuzüglich üblicher Baukostensteigerungen verschlingen.

Die Variante ist darüber hinaus wenig attraktiv und langsam, zum einen wegen der 7%-Steigungsstrecke Am Lohberg und der weiteren nicht unerheblichen Steigungen im sonstigen Streckenverlauf, (Strecke des RS1 soll in Bochum über 7%-Anstieg gehen) zum anderen wegen der vielen engen 90°-Kurven.

Fahrtdauer A: Schnellste Route unter aktuellen Bedingungen B: RS1-Streckenführung Verwaltung (unter aktuellen Bedingungen) C: Variante 1 über Südring und Rottstraße

Aktuell benötigt man über die vorgeschlagene RS1-Strecke vom Maarbacher Tunnel bis zur Buseloh-Brücke 31 Minuten. Durch den Umbau zum RS1 ist kaum mit einer hohen Beschleunigung zu rechnen, denn die 90°-Abbiegungen bleiben. Auch in den Fahrradstraßen, die Teil der Strecke sind, ist bei Autos im Gegenverkehr das Tempo kaum zu erhöhen. Bestenfalls wird es möglich sein die Fahrtdauer auf 24-26 Minuten zu verkürzen. Allerdings schafft man über Südring oder Boulevard die gleiche Verbindung heute bereits in 20 Minuten. Mit den für die Zukunft auf dieser Strecke geplanten Radwegen werden es sogar 18 Minuten oder noch weniger sein.

Die geplante Streckenführung ist also für einen Radschnellweg ungeeignet. Das Grundprinzip des Radschnellwegs ist, schnell und direkt unterwegs zu sein. Dieses Prinzip scheint die Bochumer Verwaltung bei der Entwicklung der von ihr favorisierten Streckenführung jedoch nicht verfolgt zu haben.

Absehbar ist, wer mit dem Rad schnell durch die Bochumer Innenstadt kommen will, wird nicht den geplanten Streckenabschnitt des RS1 nehmen, sondern über Südring oder Boulevard fahren. Das wird insbesondere an der Kreuzung zur Kortumstraße für Chaos sorgen, wenn dort zu viele Radfahrende auf zu viele Fußgänger*innen treffen. Die Schaffung solcher Gefahrenpunkte sollte eigentlich durch eine gute geplante RS1-Führung vermieden werden.

Die Bewertung der jetzt von der Stadt vorgeschlagenen Streckenführung liegt also nicht umsonst bei –3 Punkten, während andere Streckenführungen mit +7 bewertet wurden. Sie ist für Alltagsradler unattraktiv, sie hat keinen wirtschaftlichen Effekt für die Innenstadt und wird daher nicht gut angenommen werden. Wird sie realisiert, wird sie als weitere millionenteure Fehlplanung in die Geschichte der Stadt eingehen.

Es ist zu hoffen, dass die Fraktionen des Stadtrats vor der Entscheidung am 09.03 nochmal in sich gehen und sich die Akten zu der Trassensuche ebenfalls sehr genau ansehen. Eine Entscheidung auf Grundlage dieses von der Verwaltung diskreditierten Trassensuchprozesses, sollte in einer Stadt, der Bürgerbeteiligung und Transparenz wichtig sind, nicht erfolgen. Die Auswahl der für die Streckenführung des RS1 durch die Bochumer Innenstadt in Frage kommenden Streckenvarianten muss auf Basis der vom Gutachterbüro gut bewerteten Varianten wiederholt werden. Danach erst kann eine seriöse Entscheidung der Politik fallen. Der Stadtbaurat sollte die Größe besitzen und die aktuelle Beschlussvorlage von sich aus zurück ziehen.

27 Feb.

Zehn Beispiele für die verfehlte Bochumer Schulpolitik

Die folgenden zehn Beispiele für die verfehlte Bochumer Schulpolitik zeigen, dass Stadt und Politik bisher nicht bereit sind im nötigen Umfang in Schulen und Bildung zu investieren. In der Folge weist Bochum eine weit über dem deutschen Durchschnitt liegende Zahl an Menschen ohne Arbeit bzw. mit nicht ausreichender Beschäftigung auf.

Die Arbeitslosenquote in Bochum liegt 65% über der in Gesamtdeutschland (8,5% zu 5,1%), die Unterbeschäftigtenquote sogar 82% über der in ganz Deutschland. Sie trifft vorwiegend Menschen ohne ausreichende Schul- und Berufsausbildung. Die Arbeitslosenquote bei Menschen ohne Schulabschluss fällt in etwa sechsmal so hoch aus wie bei Menschen mit abgeschlossener betrieblicher, schulischer oder akademischer Bildung (O-Ton Arbeitsmarkt). 61,3 Prozent der Arbeitslosen sind Frauen und Männer ohne abgeschlossene Berufsausbildung. (WAZ 13.12.21). Bei den Langzeitarbeitslosen hat fast ein Viertel keinen Schulabschluss, 37 % einen Hauptschulabschluss, fast 70% haben keinen Berufsabschluss.

Diese desaströsen Zahlen sind letztlich die Folge eines eklatanten Versagens der Stadt in der Schul- und Bildungspolitik und das Ergebnis einer Reihe von Fehlentscheidungen der letzten Jahrzehnte. Hier zehn Beispiele für die verfehlte Bochumer Schulpolitik:

1. Schließung der Grundschulen 2012 – Von 58 städtischen Grundschulen 2012 sind heute nur noch 42 übrig. Den Rest schloss die Stadt oder wandelte sie in Teilstandorte anderer Grundschulen um. Das Ziel: Kosten sparen. Dabei ignorierte die Stadt, dass das Land für die Grundschulen eine deutliche Verkleinerung der Klassengrößen vorgeschrieben hatte. Darüber hinaus wurden der Entscheidung falsche Annahmen zur Entwicklung der Demografie zu Grunde gelegt. Wie von den Kritikern vorgerechnet (Das Märchen von Schulschließungen aufgrund abnehmender Schülerzahlen), erwies sich die Entscheidung als falsch. Jetzt fehlt laut Stadt in jedem der sechs Bochumer Stadtbezirke je eine Grundschule.

Der Neubau von neuen Grundschulen wird für die Stadt sehr teuer werden. Die neue Feldsieper Grundschule alleine wird voraussichtlich 23 Mio. Euro kosten (Falsche Grundschulschließungen kosten die Stadt 50 Mio.).

2. Systematische Vernachlässigung des baulichen Zustands und der Ausstattung der Schulen – Weiterhin sind viele Bochumer Schulen schwer sanierungsbedürftig, bei der Ausstattung, fehlt es an allen Ecken. Teile von Schulen sind nicht benutzbar, für Fachunterricht wie beispielsweise Physik. Chemie oder Biologie fehlt es an entsprechend gut ausgestatteten Fachräumen. Nach Jahrzehnten systematischer Vernachlässigung versucht die Stadt zwar seit einigen Jahren den gigantischen Sanierungsstau aufzuholen, doch die eingesetzten finanziellen Mittel werden dafür nicht reichen. 

3. Fehlende Gesamtschule – Seit Jahren melden sich mehr Kinder an Gesamtschulen an, als Plätze an Gesamtschulen verfügbar sind. 2022 fanden 43 Kinder nicht an der Gesamtschule einen Platz, zu der sie gehen wollten, weitere 73 Kinder, mussten eine andere Schulform wählen (WAZ vom 17.02.22). Statt eine Gesamtschule dort zu schaffen, wo sie in Wattenscheid fehlt, wandelte die Stadt nach gescheitertem Schulversuch die Gemeinschaftsschule in eine Gesamtschule (Bochum-Mitte) um, die nur 700 Meter entfernt von einer weiteren Gesamtschule liegt (Gesamtschulstandort ist ungeeignet).

Wie von den Kritikern vorhergesagt, besteht für diese Gesamtschule Bochum-Mitte genau so wenig Bedarf wie bereits für die vormalige Gemeinschaftsschule an gleicher Stelle, während in Wattenscheid weiterhin eine Gesamtschule fehlt (Gesamtschulstandort ist ungeeignet). Auch 2022 meldeten sich auf die 98 Plätze der Gesamtschule nur 55 Schüler*innen an. Eine auch aus anderem Grund verständliche Entscheidung, denn wer schickt sein Kind an eine Schule mit zwei Standorten, die fast 20 Minuten Fußweg auseinander liegen?

4. Fehlende Turnhallen und Lehrschwimmbecken – Sport und Schwimmunterricht findet an Bochumer Schulen nur mit teilweise erheblichen Einschränkungen statt. Es fehlt an Turnhallen und Lehrschwimmbecken. So verfügt die vierzügige Gesamtschule Bochum-Mitte zusammen mit der dreizügige Grundschule Feldsieper Straße nur über zwei Turnhallen. Fünf von 15 Lehrschwimmbecken in Bochum können derzeit nicht genutzt werden., da sie über Jahrzehnte nicht Instand gehalten wurden (WAZ vom 28.12.21). Dazu fehlt es an Schwimmmöglichkeiten in den öffentlichen Bäder der Stadt. In der Folge sind die Schwimmfähigkeiten vieler Bochumer Schüler*innen sehr begrenzt.

5. Gescheiterte Mensaneubauprojekte – Bereits 2014 beschloss der Stadtrat, dass an Goethe-Schule, Hildegardis-Schule und Annette-von-Droste-Hülshoff-Schule aufgrund des Ganztagsbetriebs Mensen gebaut werden sollten. Die Verwaltung hat es bis heute nicht hin bekommen diese Neubauten zu errichten.

Bei der Gothe-Schule gab es bis 2016 schon 3 vergebliche Anläufe (Unfähigkeit? – Bau der Goethe-Mensa scheitert auch im dritten Versuch), bis 2021 folgten einige weitere.

Ständige neue Planungen, verschiedenste Standortuntersuchungen und Kostenüberschreitungen aufgrund von Fehleinschätzungen führten letztlich dazu, dass die Verwaltung in 8 Jahren dem Stadtrat nie einen realisierbaren Planungsentwurf vorlegen konnte. Nach Aussage der Verwaltung soll der Neubau der Mensa jetzt bis zum Beginn des Schuljahrs 2026 abgeschlossen sein. Den letzten Erklärungen der Verwaltung ist zu allerdings entnehmen, dass alle bisherigen Planungen eingestampft wurden und derzeit keine neuen Planungen laufen (Stadtverwaltung – viel zu oft viel zu langsam).

Ähnlich verliefen die Neubauprojekte an Hildegardis- und Annette-von-Droste-Hülshoff-Schule bis heute im Sande. Dass die Schüler*innen mittags gut versorgt werden, scheint weder Stadt noch Politik ernsthaft zu interessieren. Ein möglichst optimales Lernklima zu schaffen ist offensichtlich nicht das Ziel.

6. Unzureichende digitale Ausstattung – Wie die Coronakrise gezeigt hat, fehlt es in allen Bochumer Schulen an digitaler Ausstattung wie Konzepten für digitalen Unterricht. Erst 2025 sollen alle Bochumer Schulen an das Glasfasernetz angeschlossen sein. Bis heute gibt es keinen Plan, wie alle Schüler und Schülerinnen an ein digitales Endgerät kommen sollen. Gutes WLAN ist in Bochumer Schulen immer noch eine Seltenheit (Digitaloffensive: Tempo bei der Schul-Digitalisierung deutlich erhöhen). Wenn Schulen digital besser ausgestattet sind, wie die Schillerschule, ist das allein der Verdienst einer engagierten Schulleiter*in sowie Lehrkräften und eines finanzkräftigen Fördervereins. Die Stadt hat daran leider keinen Anteil (WAZ vom 26.02.2022).

Während der Coronakrise rächte sich die bisherige provokative Langsamkeit der Bochumer Schulverwaltung in allen Bereichen, die mit Digitalisierung zu tun haben. Jetzt will man die technischen Defizite an den Schulen zwar schneller beseitigen. Doch was die Verwaltung für schnell hält, ist nach allgemeinem Sprachverständnis immer noch zu langsam. Es werden noch Jahre vergehen, bis die Versäumnisse aufgeholt wurden.

Zu befürchten ist, dass dann, wenn das nötige digitale Equipment endlich an den Schulen vorhanden ist, der Unterricht und die Unterrichtsinhalte immer noch nicht an die digitalen Möglichkeiten und Erfordernisse angepasst wurden, denn in diesem Bereich passiert an den Bochumer Schulen bisher kaum etwas. Mache sind wohl noch der Meinung, man könne Schulstoff in gleicher Weise analog wie digital vermitteln, obwohl die Coronakrise längst gezeigt hat, dass das nicht funktioniert.

7. Sparen bei Ausgaben für Schulen – 2018 gab die Stadt noch knapp über 1.600 Euro pro Schüler*in aus, 2019 waren es nur noch 1.260 Euro (-340 Euro), 2020 noch mal 100 Euro weniger, nämlich 1.160 Euro. Die Ausgaben pro Kopf sanken also im Zeitraum 2018 bis 2020 um 28%. Besonders fatal der Rückgang der Ausgaben bei den Grundschulen, hier sanken die Ausgaben pro Kopf sogar um knapp über 30% (Jahr für Jahr weniger städtisches Geld für Schülerinnen und Schüler).

Die Stadt beschränkt sich bei der Schulpolitik im Wesentlichen darauf die Fördermittel von Land und Bund abzugreifen. Es fehlt die Bereitschaft selbst nennenswert städtisches Geld in die Schulen und Schüler*innen zu investieren oder gar eigenes Geld für zusätzliche Lehrkräfte bereit zu stellen.

8. Kostenexplosionen bei Schulneubauten und -sanierungen – Bei fast allen derartigen Bauprojekten kommt es zu massiven Kostenüberschreitungen, hier einige Beispiele (Bauprojektcontrolling 3. Quartal 2021):

50 Mio. sollte der Neubau des Schulzentrums noch 2018 kosten, innerhalb von nur 15 Monaten explodierten die Kosten auf zunächst auf knapp 90 Mio. und dann auf 150 Mio. Euro. Die Bauprojekte Neues Gymnasium und Hans-Böckler-Realschule wurden schon 2014 8,8 Mio. teurer (Stadt verliert Kontrolle über Bauprojekte).

Das Schulgebäude an der Feldsieper Straße, damals Heimat der Feldsieper Grundschule wie der Gemeinschaftsschule Bochum-Mitte, wurde bereits 2011 und 2015 saniert. Das kostete 13 Mio. Euro. Geplant waren nur 9,5 Mio.. Weitere Millionen wurden in die ehemalige Hermann-Gmeiner-Schule, dem zweiten Standort der ehemaligen Gemeinschafts- und heutigen Gesamtschule investiert. Dann beschloss der Stadtrat nur 2 Jahre nach dem letzten Umbau, es sollten weitere 21 Mio. für einen erneuten Umbau beider Standorte zur Gesamtschule und dem Neubau der Grundschule investiert werden. Davon allein 12,3 Mio. in das neue Grundschulgebäude. Das soll jetzt 23 Mio. kosten und damit fast doppelt so teuer werden. Bei dem Gesamtschulumbau ist mit ähnlich krassen Kostensteigerungen zu rechnen.

Die Sanierung der Willy-Brandt-Gesamtschule wird voraussichtlich statt 9,5 Mio. 13,2 Mio. Euro kosten. Bei der Schillerschule haben sich die Kosten verdoppelt (8,2 statt 4,1 Mio.). Die Sanierung der Goethe-Schule sollte mal 7 Mio. Kosten, jetzt werden 24,8 Mio. veranschlagt, also gleich 3,5-mal mehr. Dabei wurde mit dem Umbau nicht mal begonnen und die seit Jahren geplante Mensa ist nicht Gegenstand der Sanierung.

Kostenschätzungen der Verwaltung zu Baumaßnahmen bei Schulen, kann man in Bochum nicht ernst nehmen. Die Bauverwaltung schafft es nicht die Kosten- und Zeitplanungen für diese Maßnahmen mittels eines seriösen Projektmanagements unter Kontrolle zu halten. Die Stadtpolitik zeigt sich an dem Einhalten von Kostenvorgaben seit Jahren desinteressiert und ignoriert das Problem.

9. Extremer Lehrermangel an Grundschulen – Die WAZ berichtet, die aktuelle Lage an den Bochumer Grundschulen ist, noch verschärft durch die Coronakrise, katastrophal (WAZ vom 02.02.2022). Der Lehrermangel ist extrem (WAZ vom 25.02.2022), fast jede zehnte Stelle ist nicht besetzt, bei manchen Grundschulen sogar jede vierte. Hinzu kommen viele Krankheitsfälle. Die Stadt hat es versäumt selbst Grundschullehrkräfte einzustellen, wie es die Fraktion von PARTEI und STADTGESTALTERn zuletzt 2021 beantragt hat (Antrag 20211586). Weiterhin wird in der Bochumer Stadtpolitik nicht das Ziel verfolgt, allen Schüler*innen mindestens zu einer Empfehlung zur Realschule zu verhelfen. Noch immer scheint man der Ansicht zu sein, es wäre hilfreich, wenn in der Schule eine gewisse Zahl Kinder scheitert, damit eine ausreichend Zahl Menschen vorhanden ist, die mangels ausreichendem Schulabschluss auf schlechte und schlecht bezahlte Jobs angewiesen sind.

10. Demoralisierung der Lehrkräfte – Die schlechte Lage an den Bochumer Schulen, die Vernachlässigung der Schulen wie Schüler*innen sowie die desaströse Schulpolitik führt letztlich zur Demoralisierung der an den Schulen Beschäftigten (WAZ vom 16.02.2022). Die Folgen sind hohe Krankenstände, schlechte Chancen Lehrkräfte für Bochumer Schulen zu gewinnen und die fehlende Bereitschaft der Lehrer*innen als Schulleiter*in tätig zu werden. Sicher hat auch die Schulpolitik des Landes einen wesentlichen Anteil an diesem Zustand, doch auch die Stadt dokumentiert durch ihr mangelndes Interesse an Schulen und Bildung eine mangelnde Wertschätzung gegenüber den Lehrkräften. Denn die Stadt ist maßgebliche verantwortlich für die ungenügende Ausstattung der Arbeitsplätze und der teilweise desaströsen Arbeitsbedingungen an den Schulen.

Fazit: Die angeführten Fehlentscheidungen der letzten Jahre und Jahrzehnte in der Bochumer Schul- und Bildungspolitik zeigen, Schulen und Bildung haben in Bochum keine Lobby.

Selbst tut die Stadt kaum mehr, als sie aufgrund geltenden Rechts als Schulträger tun muss oder wofür sie Fördermittel abgreifen kann. Darüber hinaus tut sich viel zu wenig. Der Politik fehlt der Anspruch, Schulen und Bildung in der Stadtpolitik Priorität einzuräumen. Zwar ist Bochum Universitätsstadt, doch bei der Schulbildung tut die Stadt noch immer so, als suchten die Unternehmen primär günstige Malocher, deren Schul- und Berufsabschluss bei der Arbeitssuche keine Rolle spiele. Die Folge ist die hohe Zahl arbeitsloser und unterbeschäftigter Menschen, die eine Bevölkerungsschicht ohne Perspektiven in prekärer sozialer Lage nach sich zieht und deren finanzielle Unterstützung die Stadt jedes Jahr hohe Millionenbeträge kostet.

Die bisherige und aktuelle Schul- und Bildungspolitik ist einer Universitätsstadt unwürdig. Sie ist unsozial, da sie die Schwächsten, besonders Kinder aus unterprivilegierten Haushalten, zusätzlich benachteiligt. Es ist höchste Zeit, dass die Stadt hier endlich umdenkt und der Schul- und Bildungspolitik absolute Priorität einräumt und dafür bereit ist die erforderlichen finanziellen Mittel bereit zu stellen.

12 Feb.

Men`s Sheds – Werkstätten für ältere Menschen gegen Einsamkeit

Immer mehr ältere Menschen vereinsamen, nachdem sie in Rente gegangen sind. Ihnen fehlt eine Aufgabe, soziale Kontakte zu Mitmenschen, sie wissen oft nichts mit ihrer Zeit anzufangen. In englischsprachigen Ländern hat man ein Gegenrezept gefunden: Men`s Sheds, Werkstätten, in denen ältere Menschen, nicht nur Männer, sich treffen, um miteinander zu werkeln, handwerkliche Dinge herzustellen, Sachen zu reparieren oder ihre Fertigkeiten an andere, häufig Jüngere, weiter zu geben.

Gerade die Menschen im Ruhrgebiet sind es gewohnt, dass handwerkliche Arbeit ihr Leben bestimmt. Auch sind es viele Menschen auf der Arbeit wie privat gewohnt, dass sie nicht selbst ihr Leben gestalten. Ihr Arbeitsleben lang hat der Arbeitgeber bestimmt, wann, wo welche Arbeiten zu erledigen sind, teilweise hat der Arbeitgeber sogar die Wohnung besorgt und die Eltern haben vorbestimmt, dass eine Lehre in dem Betrieb, wo schon der Vater gearbeitet hat, die richtige Wahl ist.

Einsamkeit im Alter

Wenn dann mit 65 Jahren, das Rentenalter beginnt, fällt dann auf einen Schlag nur die gewohnte Beschäftigung weg, sondern auch die täglichen Kontakte zu den Arbeitskolleg*innen. Von einem Tag auf den anderen wird der Tagesablauf nicht mehr durch die Arbeit bestimmt. Viele ältere Menschen sind es nicht gewohnt sich selbst zu beschäftigen und ihren Tag eigenständig zu gestalten, sich selbst Aufgaben zu suchen oder mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen. Es kommt zu Vereinsamung, im schlimmsten Fall zu Depressionen und anderen psychischen Krankheiten.

Das Konzept Men’s Sheds

Um solchen Entwicklungen vorzubeugen, hat sich zunächst in Australien, dann in vielen weiteren englischsprachigen Ländern, wie Groß-Britannien, Irland und Kanada die Men’s.Shed-Bewegung entwickelt. Überall in diesen Ländern werden Werkstätten eingerichtet, in denen sich insbesondere ältere Männer, aber auch Frauen treffen und handwerklich arbeiten und ihre handwerklichen Fertigkeiten austauschen.

About Men`s Sheds – 9 Minute Video

Die Werkstätten sind Treffpunkte, in denen man Gleichgesinnte trifft, in denen sich die Senioren und Seniorinnen über alles Mögliche, nicht nur über ihre handwerklichen Interessen austauschen und Bekanntschaften wie Freundschaften schließen und so neue soziale Kontakte aufbauen. Dazu finden die Menschen neue Aufgaben und Wertschätzung für ihre Arbeit und Leistungen. Psychische Gesundheit basiert darauf, dass Menschen sich gebraucht fühlen, stolz sind auf ihre Fähigkeiten, was sie schaffen und in einer Gemeinschaft mit anderen verankert fühlen. Alles das können sie in den Men`s Sheds finden.

Die Vorteile für Gesundheit und Wohlbefinden der in Men’s Sheds aktiven Männer wurde in vielen Studien nachgewiesen (Men’s sheds as an alternative healthcare route? A qualitative study of the impact of Men’s sheds on user’s health improvement behaviours). Entsprechend sind es besonders die Krankenkassen und staatlichen Gesundheitssysteme, die die Men`s Shed-Bewegung in UK, Irland, Australien und Kanada unterstützen sowie finanziell fördern.

Für gemeinnützige Einrichtungen in der Stadt sind Men’s Sheds wertvolle Partner. Ist zum Beispiel die Rutsche im Kindergarten zu reparieren, dann wendet man sich an den Men`s Sheds und dort findet sich jemand, der die Rutsche wieder flott bekommt. Wenn der Tennisverein ein neues Gartentor benötigt, dann können das die Aktiven im Men’s Shed für ihn passgenau herstellen. Solche Projekte bedeuten für die in den Sheds Beschäftigten eine besondere Wertschätzung ihrer Arbeit und Fertigkeiten.

Wie baut man einen Men`s Shed auf?

Landesweit tätige Men`s-Sheds-Verbände (z.B. UK Men`s-Sheds-Association), die den Aufbau von Men`s-Sheds unterstützen und organisieren, bestehen in Deutschland bisher nicht. Für Interessierte ist es daher schwierig aus eigener Kraft einen Men`s Shed aufzubauen. Aber die STADTGESTALTER könnten sich vorstellen, dass die Stadt, in Bochum insbesondere die Seniorenbüros, die Gründung von Men`s Sheds unterstützen.

Benötigt werden Räumlichkeiten für eine Werkstatt verbunden mit einem Raum, in dem sich die Aktiven neben der Arbeit austauschen, treffen und auch mal feiern oder eine Runde Karten spielen können. Darüber hinaus müssen die nötigen Maschinen und Werkzeuge besorgt werden. Dabei kämen auch Spenden von örtlichen Handwerks- und Industrieunternehmen gelegen und müssten organisiert werden. Im Idealfall bildet sich Gruppen Senior*innen, die einen Men`s Shed aufbauen wollen und die Seniorenbüros stehen als Ansprechpartner bereit, um bei der Suche geeigneter Räume wie dem Aufbau und der Einrichtung zu helfen.

In Abhängigkeit von den handwerklichen Fertigkeiten der Aktivitäten kann die Einrichtung der Werkstätten ganz unterschiedlich ausfallen. Will man sich eher der Holz- oder der Metallverarbeitung widmen? Gibt es Aktive die z.B. Schneidern und Nähen wollen oder solche, die Interesse haben Sachen zu reparieren, z.B. Fahrrädern oder Elektrogeräte? Je nachdem, wie die Interessenlage ist, muss der jeweilige Men`s Shed anders ausgestattet und eingerichtet sein. Auch erstrebenswert, die in den Men`s Sheds erstellten kunsthandwerklichen Produkte sollten in entsprechenden Läden angeboten werden. Dort könnten dann auch Dinge, die repariert werden sollen, abgegeben werden. Eine ideale Ergänzung zu Men`s Sheds wäre also ein Ladenlokal in der Innenstadt, das dort einen der nicht wenigen Leerstände belegen könnte. Langfristig wäre anzustreben, in jedem Stadtbezirk der Stadt Bochum mindestens einen Men`s Shed aufzubauen, so dass die Aktiven keine weiten Wegen zu ihrem Shed zurücklegen müssen.

Auch ließen sich Men’s Sheds mit der Einrichtung von MakerHubs verbinden, wie sie die STADTGESTALTER erstmals 2020 vorgeschlagen haben (Ideenschmiede und Jobmaschine – Ein MakerHub für Bochum). So könnten die Räumlichkeiten von MakerHubs auch von Men’s Shed-Initiativen genutzt werden.

Einsamkeit wird immer mehr zu einem gesellschaftlichen Thema

Die Bochumer Bevölkerung wird immer älter. Bereits heute sind in der Stadt mehr als ein Fünftel der Menschen 65 Jahre und älter (21,8%). Die Vereinsamung von älteren Menschen wird zu einem immer größeren Thema. Einsamkeit macht krank. Die Ruhr-Universität gehört zu den führenden Wissenschaftsinstitutionen, die das Thema erforschen (Einsamkeit – Erkennen, evaluieren und entschlossen Entgegentreten, Prof. Dr. Maike Luhmann, Ruhr-Universität Bochum). Das Bundesfamilienministerium plant eine Strategie gegen Einsamkeit.

Es wäre also eine Chance für die Stadt, sich des Themas “Einsamkeit im Alter” als Vorreiter besonders anzunehmen. Der Aufbau und die Einrichtung von Men`s Sheds ist zwar letztlich kein Allheilmittel gegen Einsamkeit, aufgrund der spezifischen Bevölkerungsstruktur im Ruhrgebiet hinsichtlich Alter und handwerklichen Fertigkeiten, sind entsprechende Werkstätten aber gerade in Bochum ein gutes Instrument viele ältere Menschen zu erreichen, die nach neuen Aufgaben, sozialen Kontakten und Wertschätzung suchen, um ihr Leben im Alter nicht alleine in ihrer Wohnung vor dem Fernseher sitzend zu verbringen. Men`s Sheds wären somit ein ideales Thema für die Bochum-Strategie.

05 Feb.

Straßenbahnlinie sollte von Gerthe bis Merklinde verlängert werden

Seit nunmehr 3 Jahrzehnten versucht die Verwaltung die Straßenbahnlinie in Gerthe zweispurig auszubauen und nach Cöppencastrop zu verlängern. Doch die Versuche scheitern immer wieder kläglich. Das Projekt ist zu unambitioniert, hat zu wenig Nutzen und bekommt daher keine Förderung. Die STADTGESTALTER schlagen jetzt eine Verlängerung nach Castrop-Rauxel oder Merklinde vor.

Bis 1967 fuhr die Straßenbahn noch vom Bochum Hauptbahnhof bis Castrop-Rauxel Münsterplatz. Dann entschied die Politik, die Bahn würde den Autoverkehr stören und legte die Linie still. Eine Fehlentscheidung wie sie in Bochum in den 60er Jahren für viele Straßenbahnlinien getroffen wurde. Aufgrund fehlender Weitsicht schrumpfte die Stadt das Straßenbahnnetz auf nur noch 4 Linien ein. (Über 65 Jahre Rückbau und Stillstand beim Nahverkehrsnetz).

Projekte zum Ausbau des Straßen- und Stadtbahnnetzes überfordern Bogestra und Verwaltung

In den 90er Jahren erkannte die Stadt ihre falsche Politik und erklärte das Straßenbahnnetz nunmehr wieder ausbauen zu wollen. Doch außer diesem Lippenbekenntnis brachten die Verantwortlichen in den folgenden drei Jahrzehnten keine nennenswerten Straßen- bzw. Stadtbahnprojekte zum Ausbau des Netzes auf den Weg. Immer wieder blieb es bei Planungen, die dann scheiterten. So gibt es bis heute keine Bahnlinie zum Ruhr Park, ebenso wie die Linie 310 immer noch in Höntrop endet und die Linie 308/318 in Dahlhausen bzw. Gerthe. Zuletzt scheiterte die Verlängerung der U35 an einem kapitalen Rechenfehler bei der Kosten-Nutzen-Analyse (U35-Verlängerung vor dem Aus). Verkehrsplanung und Bogestra erwiesen sich über Jahrzehnte als unfähig auch nur eines der genannten Projekte zu realisieren. Alle Planungen erwiesen sich als undurchführbar, nicht bezahlbar oder nicht förderfähig.

Land will Projekt in Gerthe nicht fördern

Das gleiche Spiel wiederholte sich jetzt beim beabsichtigten zweispurigen Ausbau der Linie 308/318 von Gerthe-Mitte bis Haltestelle Schürbankstraße und der daran anschließenden 300 Meter langen Verlängerung bis Cöppencastrop. Das Land verweigerte mangels ausreichendem Nutzen die Förderung. Wobei der zweigleisige Ausbau der Straßenbahnlinie bis Schürbankstraße durchaus sinnvoll wäre, um statt des aktuellen 15-Minuten-Taktes nach Gerthe einen 7,5-Minuten-Takt zu ermöglichen. Eine Verlängerung ins Nichts nach Cöppencastrop wäre dagegen mit verhältnismäßig hohen Kosten verbunden, würde aber zu kaum neuen Fahrgästen führen. Ob der Nutzen des Projekts insgesamt die Kosten überwiegt, ist also fragwürdig. Entsprechend vergab das Land die Fördermittel an andere Städte, für ÖPNV-Projekte, denen das Verkehrsministerium ein besseres Nutzen-Kosten-Verhältnis zumaß.

Erst auf Nachfrage der Bezirksfraktion Nord der Grünen kam das erneute Scheitern des Projekts ans Licht. Bereits im Juli 2021 fragten die Grünen bei der Verwaltung den Sachstand des Projektes nach (Anfrage: 20212208). Die Verwaltung brauchte aufgrund der ihr eigenen Gemächlichkeit sechs Monate um auf einer halben DIN A4-Seite im Januar 2021 einzugestehen (Mitteilung 20213545), dass der Förderantrag bereits im April 2021 abgelehnt wurde (Informationen zum Planungsvorrat zur Beschleunigung von Stadtbahn- und Eisenbahnprojekten).

Projekt in Gerthe ist zu wenig ambitioniert

Letztlich scheiterte das Projekt daran, dass die Verlängerung der Linie bis nach Cöppencastrop wenig ambitioniert ist und keinen nennenswerten Beitrag zur Mobilitätswende leisten kann. Eigentlich handelt es sich um ein Alibi-Projekt, dass davon ablenken soll, dass Rot-Grün im Bochumer Stadtrat an einem nennenswerten Ausbau des Bochumer Nahverkehrsnetzes nur auf dem Papier interessiert ist, sonst aber alle Bemühungen das städtische Schienennetz auszubauen, kommentarlos ablehnt, wie zuletzt am 16.12.2021 den Vorstoß der Fraktion ”Die PARTEI und STADTGESTALTER” eine systematische Vorplanung zur Ausweitung des Bahnnetzes im städtischen Nahverkehr aufzunehmen (Antrag 20213912).

Wirklich sinnvoll ist nur eine Verlängerung nach Castrop-Rauxel oder Merklinde Bahnhof

Ein wirklich nennenswerter Zuwachs an Fahrgästen wäre nur zu erwarten, wenn die Straßenbahnlinien nicht nur bis Cöppencastrop sondern wieder nach Castrop-Rauxel bis zum Münsterplatz verlängert würde oder mindestens bis zum Bahnhof Merklinde. Von diesem Bahnhof könnten die Fahrgäste dann mit der RB43 nach Castrop-Rauxel, Herne, Wanne-Eickel, Gelsenkirchen-Buer und –Zoo sowie nach Gladbeck, Dorsten und Dortmund kommen.

Die Verlängerung der Straßenbahnlinie bis zum Münsterplatz wäre allerdings technisch anspruchsvoll und entsprechend aufwendig, langwierig und kostenintensiv. Die Verlängerung zum Bahnhof Merklinde, wie bereits 2021 von den STADTGESTALTERn vorgeschlagen (Zehn neue Linien für das Bochumer Nahverkehrsnetz) wäre hingegen vergleichsweise einfach zu realisieren. Die Straßenbahn müsste nur um rund 3 km verlängert werden, damit die Fahrgäste zukünftig den Bahnhof Merklinde von Gerthe-Mitte aus in etwa 6 Minuten erreichen könnten.

ängerung Straßenbahnlinie 308/318 bis CAS-Merklinde

In Merklinde fährt aktuell aller 60 Minuten die RB43 (Emschertal-Bahn) Richtung Dorsten über Castrop-Rauxel, Herne und Gelsenkirchen und in die andere Richtung nach Dortmund. Ein Gutachten aus dem Jahr 2011 hat bereits festgestellt, dass sich die Zahl der Fahrgäste verdoppeln ließe, würde auf der Strecke ein 30-Minuten-Takt realisiert (Emschertalbahn RB43 Analysen und Perspektiven). VRR sowie die Bürgermeister von Castrop-Rauxel und Herne machen sich seit 2020 dafür stark, nicht nur den Takt zu verdichten, sondern die Linie erheblich zu beschleunigen und sogar nach Holland (Winterswijk) zu verlängern (Mit der Wasserstoff-Bahn von Castrop-Rauxel alle 30 Minuten nach Holland). Dieser Initiative sollte sich die Stadt Bochum anschließen.

Eine Verlängerung der Linie 308/318 sollte mit einer Modernisierung der RB43 kombiniert werden

Ein 15-Minuten-Takt abgestimmt auf die Ankunftszeiten der Linie 308/318 am Bahnhof Merklinde wäre ideal. Die Straßenbahn könnte aller 7,5 Minuten bis Gerthe–Mitte fahren, Jede zweite Fahrt, aller 15 Minuten könnte bis Merklinde fortgesetzt werden. Dort am Bahnhof kann dann nach Castrop-Rauxel, Herne, Gelsenkirchen-Buer und Dortmund umgestiegen werden. Dadurch könnte nach Beschleunigung der RB43 im Idealfall die Fahrtzeit von Gerthe-Mitte nach Castrop auf 15 Minuten, zum Bahnhof Herne auf 20 Minuten und nach Buer sowie Dortmund auf 25 Minuten verkürzt werden.

In Verbindung mit einer Modernisierung der RB43 könnte also eine Verlängerung der Linie 308/318 zum Bahnhof Merklinde zu erheblichen Fahrgastzuwächsen führen und viele Menschen bewegen, statt dem Auto die Bahn zu nehmen. Ein solches Projekt wäre damit auch ein echter Beitrag zur von der Stadt Bochum angestrebten Mobilitätswende. Aufgrund dieser Perspektiven, sähe auch das Kosten-Nutzen-Verhältnis deutlich positiver aus als bei der bisher angestrebten Verlängerung nach Cöppencastrop. Vergleichsweise geringen Baukosten stünde eine erhebliche Erhöhung der Fahrgastzahlen gegenüber. Unter diesen Bedingungen wäre es dann auch erheblich einfacher die gewünschten Fördergelder vom Land zu erhalten.

Die Verlängerung der Straßenbahnlinie 308/318 sollte also mit der Modernisierung der RB 43 gemeinsam gedacht werden. Entsprechend sollte sich die Stadt Bochum gemeinsam mit Dortmund, Herne, Castrop-Rauxel und dem VRR im ersten Schritt für eine Modernisierung der RB43 stark machen, die dann mit dem Verlängerungsprojekt der Straßenbahnlinie von Gerthe nach Merklinde verknüpft wird. Denn umgekehrt bedeutet die Verlängerung der Straßenbahn auch mehr Fahrgäste für die RB43.

Leitprojekte öffentlicher Nahverkehr müssen zukünftig auch echte Leitprojekte sein

Insgesamt wird es Zeit, dass die Stadt Bochum sich endlich dazu durchringt ambitionierte ÖPNV-Projekt zu verfolgen, statt mit der Realisierung von Alibi-Projekten immer wieder zu scheitern. Eine Kernaktivität der Bochum-Strategie trägt die vielversprechende Bezeichnung “Vorfahrt ÖPNV-Leitprojekte öffentlicher Nahverkehr”, diesem Anspruch müssen die ÖPNV-Projekte, die die Stadt verfolgt, auch gerecht werden.

30 Jan.

Strecke des RS1 soll in Bochum über 7%-Anstieg gehen – Sollen die Radfahrenden schieben?

Nach Jahren legt die Stadt endlich einen Vorschlag vor, wie der Radschnellweg RS1 durch die Innenstadt geführt werden soll. Bei näherem Hinsehen erweist sich die Führung als ungeeignet. Sie erfüllt an wesentlichen Stellen nicht die Grundanforderungen, die an den Bau von Radschnellwegen gestellt werden. In einem Streckenabschnitt ist die Strecke so steil, dass viele ihr Rad hochschieben werden. Für einen Radschnellweg ein Witz.

Erst plant die Stadt über Jahre eine Führung südlich entlang der Bahnlinie von Essen nach Dortmund. Danach erst spricht sie 2018 mit der Deutschen Bahn, um die für die Umsetzung der Planungen erforderlichen Grundstücke zu erwerben. Die Bahn erteilt eine Absage und jahrelange Planungsarbeiten sind für die Tonne. Also musste 2018 mit der Suche nach einer Trasse wieder bei Null angefangen werden (Vorlage 20183423). Es dauerte sagenhafte weitere 4 Jahre, bis nunmehr eine neue Trassenführung vorgeschlagen wird, die in einer Variante wiederum die Nutzung der Bahnflächen vorsieht, deren Abgabe die Bahn 2018 abgelehnt hatte. Und wieder wird etwas vorgeschlagen, ohne dass man mit der Bahn gesprochen hat. Aber das ist nicht der einzige eklatante Mangel der vorgeschlagenen RS1-Führung.

“Kreuzungsfreie Strecke südlich der DB” ist mitnichten kreuzungsfrei
Der ganze Vorschlag zu der neuen Streckenführung ist eine Mogelpackung. In ihrer Beschlussvorlage (Vorlage 20220116) bezeichnet die Verwaltung die von ihr favorisierte Trassenführung als “Kreuzungsfreie Strecke südlich der DB”, nur eines ist diese RS-1 Strecke tatsächlich nicht, kreuzungsfrei.

Mängel der geplanten RS1-Führung im Bereich Innenstadt

Sie führt zu der Kreuzung von gleich drei Hauptverkehrsstraßen: der Bessemerstraße, der Königsallee und der Gahlenschen Straße. Die zuletzt genannte Kreuzung wird erforderlich, weil die von der Verwaltung vorgeschlagene Streckenführung, nur über eine Zuwegung über den Tunnel unter der Alleestraße zu erreichen ist, die wiederum eine nicht kreuzungsfreie Querung der Gahlenschen Straße zur Folge. Lediglich bei der in der Verwaltungsvorlage ebenfalls genannten optionalen Trassenvariante, direkt entlang der Bahnlinie wäre eine Kreuzung von Bessemerstraße und Königsallee nicht erforderlich. Der RS1 würde bei dieser Option zwei der drei Straßen mittels ehemaliger Bahnbrücken queren. Die für diese Option erforderliche Abtretung der entsprechenden Bahngrundstücke hat die Bahn aber bereits 2018 abgelehnt und neue Gespräche mit der Bahn wurden bis heute nicht geführt. Dass sich die Verwaltung eine Kostenschätzung für die optionale Streckenführung spart, weist darauf hin, dass sie auch selbst nicht mit einer Realisierbarkeit rechnet.

Option entlang der Bahnlinie ist ungeklärt und unwahrscheinlich

Dem Rat der Stadt eine Streckenführung unter falschem Label vorzuschlagen, mit einer Option, bei der völlig ungelöst bis unwahrscheinlich ist, dass sie überhaupt realisiert werden kann, ist unseriös. Erst klärt man die Realisierbarkeit, dann macht man der Politik einen Vorschlag. Der Hintergedanke der Verwaltung scheint zu sein, die Politik die vorgelegte Streckenführung in der Hoffnung beschließen zu lassen, die Option könne trotz der bisher klaren Ablehnung der Bahn doch noch realisiert werden. Auf diese Weise käme die Verwaltung, wenn die DB bei ihrer ablehnenden Haltung bleibt, zu einem Beschluss des Rates, der eine Streckenführung für den RS1 vorsieht, die nicht den Grundanforderungen, die an Radschnellwege gestellt werden, entspricht und den die Politik unter anderen Vorzeichen aller Voraussicht nach auch nicht treffen würde.

Denn die Grundanforderungen an den Bau von Radschnellwegen sehen eine möglichst kreuzungsfreie Führung vor, bei der dem RS1 an Kreuzungspunkten so weit wie möglich Vorrang eingeräumt werden soll (Vorlage 20183423). Dass bei der vorgeschlagenen Streckenführung dem Radverkehr bei der Kreuzung von Gahlenscher Straße, Bessemerstraße und Königsallee gegenüber dem Autoverkehr Vorrang eingeräumt wird, ist wohl kaum realistisch.

7%-Steigung Am Lohberg, würden viele Radfahrende zum Schieben zwingen

Aber es gibt noch einen weiteren Streckenabschnitt, bei dem die vorgeschlagene Strecke nicht den Grundanforderungen an den Bau von Radschnellwegen entspricht. Die Trasse soll über die Straße Am Lohberg führen, Diese hat auf 130 Metern eine extreme Steigung von über 7% (9,20 Meter).

Steigung der geplanten RS1-Führung Am Lohberg

Durchschnittliche Bochumer Radfahrende werden diese Straße aus eigener Kraft regelmäßig nicht hoch kommen. Gemäß Qualitätsstandards an den RS1 soll dieser steigungsarm sein und nur in Ausnahmefällen Steigungen bis maximal 6% aufweisen (Vorlage 20183423). Die Stadt Bochum will ernsthaft einen Radschnellweg mit einem Streckenabschnitt bauen, an dem viele ihr Rad hochschieben werden. So wird aus dem Schnell- ein Schiebeweg.

2018 hatte die Stadt noch selbst ausgeführt (Vorlage 20183423): Es „ist festzuhalten, dass zum Beispiel 6 %-ige Steigungen (Längsneigung) auf längerer Strecke von Radfahrern nicht als positiv bewertet werden. Je stärker die Steigung, umso geringer ist die Attraktivität. Aus diesem Grund bemüht sich die Stadt Bochum 6 %-ige Steigungen zu vermeiden.“ Diesen Vorsatz hat die Stadt offenbar aufgegeben. Die Attraktivität des Radschnellwegs für die Radfahrenden scheint bei der Auswahl der Streckenvariante eine eher untergeordnete Rolle gespielt zu haben.

Führung über den Buddenbergplatz am Hauptbahnhof ist sinnvoll

Lediglich die Führung des RS1 über den Buddenbergplatz kann überzeugen. Diese wurde von den STADTGESTALTERn bereits 2018 vorgeschlagen. Die Führung über den Platz würde den Bau einer Mobilitätsstation auf dem Buddenbergplatz hinter dem Hauptbahnhof ermöglichen, die direkt am RS1 liegt, so wie das die Planungen der STADTGESTALTER bereits vorsehen (Buddenbergplatz – Vom Platz zur Mobilitätsstation).

Für die hohen Kosten bekommt man eine bessere Lösung für die Innenstadt

Die Kosten für die Realisierung der von der Verwaltung vorgeschlagenen Streckenführung schätzt die Stadt auf 20,6 Mio. Euro. Eine erste Kostenschätzung für die optionale Streckenführung entlang der Bahnlinie, gibt die Verwaltung erst gar nicht an, diese dürfte wegen der zusätzlich zu nutzenden Brückenbauwerke nochmal deutlich höher liegen. Legt man die bei solchen Bauprojekten der Stadt Bochum üblichen Kostensteigerung zugrunde, ist eine Verdoppelung der Kosten bis zur Fertigstellung durchaus realistisch.

Das ist eine Menge Geld, für eine Streckenführung, die letztlich nicht, wie eigentlich auch von den Geschäftsleuten der Innenstadt gewünscht, direkt durch die Innenstadt verläuft, sondern daran vorbei. Neue Radkunden für die Innenstadt werden mit dieser Trassenführung kaum zu gewinnen sein. Die beiden von den STADTGESTALTERn vorgeschlagenen steigungsarmen Streckenlösungen ohne Kreuzungen mit Hauptverkehrsstraßen, die eine am Südring entlang (Radschnellweg über Rottstraße und Südring) , die andere über eine Hochtrasse entlang des Bongard-Boulevards durch die Innenstadt (Den Radschnellweg (RS1) über eine Hochtrasse mitten durch die Innenstadt führen), dürften am Ende im gleichen Kostenrahmen liegen, aber der Innenstadt viel mehr nutzen.

Beschlussvorlage zur Streckenführung und Trassenauswahl ist intransparent

Warum die Verwaltung der Politik ausgerechnet diese dargestellte Streckenführung vorschlägt und nur diese und keine weitere, wirft Fragen auf. Trotzdem angeblich 336 Trassenvarianten vorgeschlagen und geprüft wurden, stellt die Verwaltung der Politik in ihrer Beschlussvorlage bewusst nicht mehrere alternative Streckenführungen zur Auswahl und Abstimmung. Die Politik bekommt keine Wahl. Der Stadtrat soll entweder für diese eine Trasse stimmen oder sie ablehnen. Auch wird der Politik vorenthalten, wie die Verwaltung dazu kommt, dass ausgerechnet diese Streckenführung, die beste ist. Das entsprechende Gutachten, in dem die verschiedenen Varianten untersucht und bewertet worden sein sollen, wird der Politik vorenthalten und ist nicht Gegenstand der Beschlussvorlage. Diese Intransparenz gegenüber Politik und Einwohner*innen ist nicht zu tolerieren und beschädigt das Vertrauen in die Seriosität des verwaltungsinternen Auswahlprozesses, der zum Vorschlag der Streckenvariante geführt hat.

Der Stadtrat sollte die Beschlussvorlage zurückweisen

Zusammenfassend ist festzuhalten, auch nach mittlerweile fast 8 Jahren schafft die Verwaltung es nicht, eine Streckenführung vorzuschlagen, die den Grundanforderungen für den Radschnellwegebau entspricht. Die Verwaltung will den Radschnellweg über einen Abschnitt führen, auf dem viele Radfahrer ihr Rad schieben werden, weil der ihnen zu steil ist. Die Verwaltung schlägt eine Option zu der Streckenführung vor, deren Realisierung bisher ungeklärt und unrealistisch ist. Allerdings sollte, bevor geklärt ist, ob die Option überhaupt realisierbar ist, kein politischer Beschluss erfolgen. Der Prozess wie die vorgeschlagene Variante verwaltungsintern aus 336 vorgeschlagenen Varianten ermittelt wurde, ist nicht nachvollziehbar und intransparent. Schließlich fehlt die Möglichkeit, dass die Politik zwischen mehreren möglichen Streckenführungen eine auswählt.

Somit sollte der Stadtrat die Beschlussvorlage zurückweisen und die Verwaltung beauftragen unverzüglich eine Vorlage auszuarbeiten, die eine Abstimmung über mindestens drei alternative Streckenführungen vorsieht, die alle drei sämtliche Grundanforderungen erfüllen, die an den Bau von Radschnellwegen gestellt werden.

23 Jan.

Gutachten bestätigt: Autofreier August-Bebel-Platz ist die beste Lösung

Seit Jahren können sich Stadt und Politik nicht entscheiden wie der hässlichste Platz der Stadt umgestaltet werden soll. Jetzt schafft ein Gutachten Klarheit, ein Platz ohne Autos hat für die Innenstadt Wattenscheid das mit Abstand größte Potential. Die von den STADTGESTALTERn bereits 2015 vorgeschlagene Herausnahme des Verkehrs soll nun Wirklichkeit werden.

Eigentlich sollte der August-Bebel-Platz schon vor Jahren umgestaltet werden. Doch wie so häufig, dauert in Bochum und Wattenscheid vieles etwas länger als in anderen Städten. 2013 hatte die Stadt drei Planungsbüros beauftragt. Vorschläge für eine Umgestaltung zu machen. Obwohl in städtebaulicher Hinsicht fortschrittlichen Städten schon lange üblich, traute sich die Verwaltung unter dem damaligen Stadtbaurat jedoch nicht den Planungsbüros vorzugeben den Platz autofrei zu gestalten. 75.000 Euro zahlte die Stadt für drei mäßige Planungsentwürfe, denen es nicht gelang, bei gleichzeitigem Verkehr den Platz spürbar aufzuwerten. Die Politik war wenig begeistert. Ein vierter Konsensentwurf der Verwaltung mit Elementen aus allen drei Entwürfe konnte die Politik ebenfalls nicht überzeugen.

August-Bebel-Platz mit Autoverkehr nicht förderfähig

Auch die Bezirksregierung, die die einen Großteil der Fördermittel zur Neugestaltung de Platzes bereitstellen soll, war nicht überzeugt von den Bochumer Konzepten, man ließ durchblicken, dass es für einen Platz, über den weiter Verkehr fließen sollte, es keine Fördermittel geben werde (August-Bebel-Platz autofrei?!). Also überzeugte die SPD die Wattenscheider Grünen, den Platz doch autofrei zu gestalten. Die CDU und UWG liefen Sturm und drohten mit einem Bürgerbegehren. SPD und Grüne knickten ein. Man einigte sich darauf ein unabhängiges Verkehrsgutachten erstellen zu lassen, das vier Planungsvarianten mit unterschiedlichen Verkehrsführungen prüfen und vergleichen sollte. Darauf basierend sollte dann ein neuer Planungswettbewerb zur Gestaltung des Platzes ausgeschrieben werden.

Verkehrsgutachten sieht mit Abstand größtes Potenzial für die Wattenscheider Innenstadt bei autofreiem Platz

Das Verkehrsgutachten (Verkehrliche Auswirkungen möglicher Umbauvarianten) inklusive einer schalltechnischen Untersuchung (Untersuchung Schall) liegt jetzt vor. Aufgrund der eindeutigen Ergebnisse schlägt die Verwaltung vor, den Platz nunmehr doch autofrei zu gestalten. Die autofreie Gestaltungsvariante bietet laut Gutachten das größte Potential für eine neue Platzgestaltung und wie alle Varianten keine nennenswerten negativen Auswirkungen bezogen auf den Verkehr. Nur 5.000 Fahrzeuge (ohne ÖPNV) queren den Platz pro Tag. Das bedeutet am Tag fahren aller 5 Minuten rd. 30 Autos über den Platz. Die Verkehrsbelastung kann somit nur als gering bezeichnet werden.

Im Gutachten wurden vier Varianten untersucht:
Variante 1: Autos und ÖPNV queren auf einem gemeinsamen Fahrstreifen je Fahrtrichtung den Platz. Es gilt ein Tempolimit von 20 km/h.
Variante 2: Autos queren den Platz nur noch im Einbahnstraßenverkehr von Süd nach Nord.
Variante 3: Der Verkehr wird mit einem Auto- wie einem davon separierten ÖPNV-Fahrstreifen je Fahrtrichtung über den Platz geführt.
Variante 4: Der August-Bebel-Platz wird autofrei.

Im Rahmen des Gutachtens wurden die Auswirkungen der Verkehrsführungen auf die Umgebung geprüft. Insbesondere wurden negative Auswirkungen von eventuellem Ausweichverkehr auf Straßen in der Nachbarschaft des Platzes betrachtet. Zudem wurde bewertet, welche Umgestaltungspotentiale die Varianten für die Innenstadt bieten.

Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass alle vier Varianten die Qualität im umliegenden Straßennetz nicht negativ beeinflussen. Die Varianten 2 und 3 lassen kaum Raum für eine positive Umgestaltung des August-Bebel-Platzes. Dieser ist bei Variante 4 mit Abstand am größten. Die Verkehrssicherheit für Menschen die zu Fuß gehen oder das Rad nehmen, weißt zudem bei den Varianten 2 und 3 immer noch deutliche Defizite auf. Variante 4 besitzt darüber hinaus das größte Potenzial für die Stärkung der Nahmobilität, die für die Entwicklung der Wattenscheider Innenstadt von entscheidender Bedeutung ist.

Bewertungsmatrix, ISG Ingenieure-Gesellschaft Stolz mbH

Insgesamt wurden die vier Varianten nach acht Kriterien bewertet. Die autofreie Variante schafft es dabei auf 12 Punkte, die anderen drei Varianten 1, 2 und 3 nur auf 7, 5 bzw. 4 Punkte. Die Umgestaltungsvariante ohne Autoverkehr auf dem August-Bebel-Platz setzt sich somit deutlich gegenüber den anderen Varianten durch. Ein erwartbares Ergebnis, dass die Analyse der STADTGESTALTER bestätigt, die sich als erste politische Kraft bereits vor 7 Jahren, im Januar 2015, für einen autofreien August-Bebel-Platz ausgesprochen haben (Neue Ideen für Wattenscheid).

Nunmehr verfolgt auch die Verwaltung diese Lösung. Im Auslobungstext für den Gestaltungswettbewerb für den Platz (Entwurf Auslobungstext) soll es jetzt heißen: „Vorgabe für den Planungswettbewerb ist eine MIV-freie Verkehrsführung für den August-Bebel-Platz. Die Querung der Platzfläche wird somit für den Kfz-Verkehr gesperrt. Lediglich der Busverkehr sowie die Straßenbahn passieren den Platz.“ (MIV = Motorisierter Individualverkehr = Auto).

Erkenntnis, dass der Platz autofrei sein sollte, kommt spät, hoffentlich nicht zu spät

Wären Politik und Verwaltung den Erkenntnissen gefolgt, die in erfolgreichen Großstädten zu Platzumgestaltungen schon seit Jahrzehnten vorliegen, hätte es für die Entscheidung, den August-Bebel-Platz zukünftig für den motorisierten Individualverkehr zu sperren, keines Gutachtens bedurft. Der Platz hätte schon in den letzten Jahren grundlegend umgestaltet werden können, ja müssen, denn er lädt die Menschen nicht nach Wattenscheid ein, seine derzeitige Gestaltung schreckt sie ab. So kommt die Erkenntnis, dass der Verkehr auf dem Platz der Innenstadt schadet und nicht nützt, zwar spät, aber hoffentlich nicht zu spät. Besser jedenfalls als hätte man den Platz schon umgebaut und müsste nun feststellen, die teuren Umgestaltungen würden nichts für die Wattenscheider Innenstadt bewirken, da der Autoverkehr immer noch über den Platz fährt.

Noch besser: Park statt Platz

Die STADTGESTALTER hatten 2015 jedoch nicht nur einen autofreien August-Bebel-Platz vorgeschlagen, sie schlugen vor, aus dem Platz einen Park zu machen. (Aus dem August-Bebel-Platz einen Park machen). Dabei könnte Park Im südlichen Teil auch als Platz gestaltet werden. Dieser Vorschlag ist auch angesichts der Klimakrise 2022 noch genau so aktuell wie schon 2015. So stellt das bereits dargestellte Gutachten ebenfalls fest, dass der August-Bebel-Platz aufgrund seiner fast vollständigen Pflasterung und Asphaltierung derzeit eine Hitze-Insel darstellt. Eine Beschattung durch Vegetation, mehr Begrünung und Wasserflächen sollte der Überhitzung des Platzes entgegen wirken. Genau da setzt die Parkidee der STADTGESTALTER an.

August-Bebel-Platz, Plan STADTGESTALTER

Nach den Vorstellungen der STADTGESTALTER soll der neue Park zu einem attraktiven und belebten Ort am Eingang der Wattenscheider Innenstadt gemacht werden. Der Autoverkehr bis auf Straßenbahnen und Busse soll umgeleitet werden. Für die wegfallenden Parkplätze kann an der Nordseite des Platzes ein offenes Parkhaus errichtet werden.

in dem neuen Park sollen viele verschiedene Aktivitäten für alle Altersgruppen möglich sein (Plan des neuen Parks). Es soll ein Spielareal geben, viele Sitzgelegenheiten, neben dem bestehenden Brunnen ein weiteres Wasserspiel und ein Spielfeld, das den Park besonders für Kinder und Jugendliche attraktiv macht. Vorbild könnte der Vasaparken in Stockholm sein (Vasaparken Wikipedia).

Um den gesamten heutigen August-Bebel-Platz in einen neuen autofreien Platz umzuwandeln, ist die Fläche mit 12.700 Quadratmetern eigentlich viel zu groß (August-Bebel-Platz vs. August-Bebel-Park). Für einen Innenstadtpark mit integrierter Platzfläche am Eingang zur Oststraße könnte die Fläche viel besser und vielfältiger genutzt werden.

Am 09.03.2022 wird der Stadtrat die Ausschreibung für die Gestaltung eines neuen, autofreien August-Bebel-Platzes auf den Weg bringen. Im Rahmen der Ausschreibung sollen maximal 15 Planungsbüros bzw. Bürogemeinschaften im Rahmen eines Wettbewerbs qualitativ hochwertige Umgestaltungsvorschläge einreichen. Fünf Büros davon werden von der
Stadt Bochum gesetzt (Beschlussvorlage 20222823). Die Wattenscheider dürfen gespannt sein, welche Umgestaltungsideen die Städtebauer 2023 präsentieren werden.

Zu hoffen ist, dass die Arbeiten zur Umgestaltung dann 2024 beginnen und vielleicht schon 1 bis 2 Jahre später der neue Platz der Öffentlichkeit übergeben werden kann. Denn es wird höchste Zeit, dass sich in der Wattenscheider Innenstadt grundlegend was tut, um den sich ungebremst fortsetzenden Niedergang endlich zu stoppen.

15 Jan.

Die Stadtfläche muss besser genutzt werden: Mehr Grün, weniger Asphalt, mehr Wohnraum

Jeder Quadratmeter in der Stadt existiert nur einmal und jeden Quadratmeter sollte man möglichst optimal nutzen. Von der optimalen Nutzung der Stadtfläche hängt letztlich die Lebensqualität und Attraktivität einer Stadt ab. Leider fehlt Bochum bisher ein Konzept wie jeder Quadratmeter Stadtfläche möglichst optimal genutzt werden kann

Ein Quadratmeter Stadtfläche kann Teil einer grünen Oase sein, Teil eines Parkplatzes, einer Straße oder auf ihm kann ein Gewerbebetrieb wie ein Wohngebäude stehen. Ein Wohnhaus kann mehrgeschossig sein und über einen Dachgarten sowie eine Solaranlage verfügen oder es kann eingeschossig sein mit einem Flachdach, das nur mit Dachpappe gedeckt ist. So verschieden wie die Nutzung ist, so unterschiedlich ist auch der Wert, den die Nutzung für die Stadt hat.

Die Nutzungsoptimierung von Stadtflächen

Drei Nutzungsperspektiven können unterschieden werden, der individuelle Nutzen einzelner Einwohner*innen, der Nutzen für die Stadt bzw. das Ruhrgebiet und der Nutzen für das gesamte Land. Ein Stellplatz etwa hat nur Nutzen für jemanden, der dort sein Auto abstellt, ein Stadtplatzlatz dagegen einen Nutzen für alle, die in dem Viertel leben und den Platz nutzen. Eine Autobahn, eine Bahnlinie oder ein weltweit agierender Industriebetrieb kann auch einen überregionalen Nutzen für das ganze Land haben. Entsprechend ist der Nutzen für jeden Quadratmeters Stadtfläche unterschiedlich zu bewerten.

Ziel der Stadt sollte es sein, Maßnahmen zu entwickeln, die sicherstellen, dass jeder Quadratmeter möglichst optimal genutzt wird. Das bedeutet zum Beispiel Wohngebäude sollten in Abstimmung mit der Umgebung mit möglichst vielen Etagen gebaut werden, um auf einem Quadratmeter möglichst viel Wohnraum zu schaffen. Es sollte die Verpflichtung zur Begrünung von Dach und Fassaden bestehen. Um den Nutzwert der Fläche zu maximieren sollte zudem eine energetische Nutzung des Dachs bzw. des Grundstücks (solar oder mit Erdwärme) vorgesehen werden.

Mobilität ist ein Grundbedürfnis in einer Stadt, trotzdem sollten die Verkehrsflächen auf das notwendigste minimiert werden. Verkehrsmittel, die wenig Fläche für den Transport vieler Menschen beanspruchen, sollten gegenüber denen bevorzugt werden, die viel Platz für den Transport weniger Menschen benötigen. Ein weiteres städtisches Ziel sollte sein, die negativen Effekte von Verkehr wie Lärm, Luftverschmutzung, Flächenversiegelungen, Wertminderungen zu minimieren. Statt Stadtflächen als Stellplätze für Autos. zu nutzen, kann man sie besser als Grün-, Platzflächen, für Verkehrswege oder für Wohngebäude nutzen. Der Nutzen eines Parkplatzes ist nur für denjenigen, der ihn nutzt hoch für die Stadt aber gering, der Wert für alternative Nutzungen deutlich höher, insbesondere da die Fläche von erheblich mehr Einwohner*innen genutzt werden kann oder ein positiver Effekt für Klima- und Umwelt erreicht wird. Irgendwo abgestellt werden müssen die Autos aber gleichwohl. Das muss unter bestmöglicher Ausnutzung der Fläche geschehen also am besten in mehrstöckigen Parkhäusern oder unter Wohngebäuden.

Für die Attraktivität und Wohnqualität der Städte ist Grün wichtig sowie Straßen und Plätze, die zum Leben im öffentlichen Raum einladen. Der Nutzen eines asphaltierten Quadratmeters ist ggü. einer Fläche, der als Beet genutzt wird, auf dem ein Baum, ein Spielgerüst oder eine Bank steht gering. Trotzdem müssen Flächen asphaltiert werden, da Verkehrswege in jeder Stadt unverzichtbar sind, um sicher und schnell von A nach B zu kommen. Die Zahl der Verkehrswege sollte aber wegen des hohen Nutzens einer alternativen Nutzung auf das unbedingt notwendige Maß begrenzt werden.

Frei- und Naturflächen sind für das Klima wie die Attraktivität und das Lebensgefühl in einer Stadt von großer Bedeutung. Entsprechend groß ist ihr Nutzen und der Wert hoch, so dass sie, wenn irgend möglich, unbebaut erhalten bleiben sollten.

Im Bereich des Gewerbes können wenige Arbeitsplätze auf einer großen Fläche entstehen (z.B. DHL auf Mark 51°7) oder viele Arbeitsplätze in einem mehrstöckigen Bürogebäude. Der Nutzen pro Quadratmeter städtischer Fläche kann also auch hier recht unterschiedlich sein. Auch können z.B. Industriebetriebe negative Folgen, wie Lärm und Luftverschmutzung mit sich bringen, die den Nutzwert schmälern, aber auch einen positiven gesamtgesellschaftlichen Nutzen für das ganze Land mit sich bringen, der den Nutzwert pro Quadratmeter erhöht. Beide Effekte sind bei einer Nutzenbewertung zu berücksichtigen.

Einbeziehung der negativen Folgen von Nutzungen

Bewertet die Stadt den Nutzen eines Quadratmeters muss sie also den gesamtgesellschaftlichen Nutzen der Fläche betrachten und die negativen Folgen der Nutzung für die Stadt (Lärm, Luftverschmutzung usw.).

Hauptsächliche Nutzung einer Fläche und zusätzliche Nutzungen

Grundsätzlich kann jedem Quadratmeter Fläche eine Hauptnutzung zugeordnet werden, Natur- und Freifläche, Wohnen, Gewerbe, Verkehr, Freizeit. Die Intensität der Nutzung kann dabei je nach Intensität der Nutzung variieren. Ob eine Freifläche als Acker oder als Wald genutzt wird, führt zu einem unterschiedlichen Nutzwert, insbesondere wenn man den Nutzen hinsichtlich des Klimaschutzes bewertet. Steht auf einem Quadratmeter Fläche ein mehrstöckiges Wohn- oder Parkhaus, ist die Nutzung ebenfalls intensiver und der Nutzwert höher, als bei einstöckigen Nutzungen.

Zu der Hauptnutzung kommen Zusatznutzungen hinzu. Zur Nutzung als Wohnfläche kann ein Quadratmeter zusätzlich als Parkfläche, Gartenfläche und Fläche zur Energieerzeugung, ja sogar landwirtschaftlich genutzt werden, wenn das Gebäude über eine Tiefgarage, einen Dachgarten, eine Solaranlage und ggf. sogar eine landwirtschaftliche Dachnutzung mit einem Gewächshaus verfügt. In der Stadt sollte also das Ziel verfolgt werden, dass jeder Quadratmeter Fläche nicht nur mit seiner Hauptnutzung einen möglichst hohen Nutzwert erzielt, sondern darüber hinaus noch möglichst vielen zusätzliche Nutzungen aufweist.

Exkurs: Ökonomisch-mathematische Modell zu flächenoptimierter Stadtplanung

Die Stadt Bochum ist 145.400.000 Quadratmeter groß. Jedem Quadratmeter könnte ein Nutzwert zugeordnet werden, der angibt wie gut die entsprechende Fläche genutzt wird. Die Summe aller Nutzungswerte gäbe dann wieder, wie gut die gesamten Stadtfläche genutzt wird. Entsprechend sollte diese Summe, der Flächennutzwert der gesamten Stadt, maximiert werden.

Bei der Maximierung dieses Zielwertes sind jedoch diverse Restriktionen zu berücksichtigen. Unter anderem sollte eine vorgegebene Verkehrsfläche sowohl an Verkehrswegen wie Stellflächen vorhanden sein. Weiterhin sollte festgelegt werden, welcher Teil an städtischer Fläche auf jeden Fall von Bebauungen freigehalten werden soll. Ebenso wäre vorzugeben, welche Fläche für Wohnraum in jedem Fall zur Verfügung stehen muss. In diesem Sinne ist die Berücksichtigung weiterer Restriktionen sinnvoll.

Mit Zielfunktion und Restriktionen ließe sich ein lineares Optimierungsmodell aufstellen, mit dem mathematisch die Flächennutzung der gesamten Stadt optimiert werden könnte. Insbesondere ließe sich mit dem Modell analysieren, wie sich in der Stadt eine Veränderung der Flächennutzung auf den Gesamtflächennutzwert auswirken würde und welche Nutzungsänderungen wo in der Stadt besonders sinnvoll wären.

Ein solches komplexes mathematisches Modell kann also ein sinnvolles Instrument zu einer strategischen Maximierung des Gesamtflächennutzwertes der Stadt sein.

Von der autogerechten Stadt zur Stadtplanung nach menschlichem Maßstab

Die Nutzung der Stadtflächen entsprechend den Bedürfnissen der Stadtbewohner*innen zu maximieren, ist erst seit wenigen Jahrzehnten Ziel der Stadtplanung. Der vielleicht weltweit prägendste Stadtplaner unserer Zeit, der Däne Jan Gehl. hat dafür den Begriff Human Scale geprägt (Menschlicher Maßstab). Im Mittelpunkt der Stadtplanung steht bei Gehl der Mensch als Wesen, das bestimmte Bedürfnisse im Lebensraum befriedigen will. Das Ziel der Stadtplanung ist es, die Lebensqualität der Menschen als Bewohner*innen der Städte zu erhöhen (Jan Gehl: “In The Last 50 Years, Architects Have Forgotten What a Good Human Scale Is”). Zuvor war Stadtplanung allein auf das Transportmittel Auto fixiert. Nicht die Bedürfnisse der Menschen standen im Mittelpunkt der Stadtplanung, stattdessen wurde als Ziel verfolgt die Stadt möglichst autogerecht zu gestalten.

Dem Paradigmenwechsel, nicht mehr das Auto als Maßstab der Stadtplanung zu verfolgen, sondern die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt der Stadtplanung zu stellen, folgt logisch das Ziel den Nutzwert der Stadtfläche im Sinne der Stadtbewohner*innen ständig weiter zu maximieren. Dies geschieht jedoch bisher wenig systematisch, sondern vielmehr relativ zufällig von Projekt zu Projekt. In der Stadt werden Stadtplanungsdefizite erkannt,. Orte, an denen man die Stadt mehr den Bedürfnissen der Menschen anpassen kann werden entsprechend umgestaltet, in Bochum zum Beispiel der Husemannplatz.

Systematische Nutzenmaximierung im Rahmen der Stadtplanung

Eine systematische Maximierung der Nutzwerte von Stadtflächen erfolgt bislang nicht. So wird bei Wohngebäuden häufig keine Maximierung der Wohnfläche eingefordert und sind auch mögliche Zusatznutzen nicht Gegenstand der Planungen. Nur selten werden unterschiedliche Planungsalternativen für Bebauungs- oder Stadtsanierungsgebiete entwickelt. Eine Ermittlung von Flächennutzwerten findet bisher gar nicht statt, entsprechend können sie auch nicht in die Entscheidungen der Politik, welche Planungen realisiert werden sollen, einfließen. In der Regel wird der erstbeste Vorschlag realisiert. Die Politik entscheidet aus dem Bauch heraus, da es an konkreten und systematisch ermittelten Entscheidungskriterien wie Nutzwerten fehlt.

Dabei wäre es wichtig zu wissen, welchen Nutzwert hat eine Fläche vor einer Umgestaltung oder Neubebauung, welcher soll durch die Stadtplanungsmaßnahme erreicht werden und mit welcher Planungsvariante kann das Zeil am besten erreicht werden.

Negativbeispiel: Dietrich-Benking-Straße Ost

Es reicht nicht wie etwa bei dem Bauvorhaben Dietrich-Benking-Straße Ost, zu beschließen eine Fläche zu bebauen und dann den erstbesten Vorschlag mit einer ideenlosen Bebauung mit überwiegend Reihenhäusern und übermäßig vielen Verkehrsflächen und entsprechend geringem Flächennutzwert durchzuwinken (Städtebauliches Konzept Dietrich-Benking-Straße Ost).

Städtebauliches Konzept Dietrich-Benking-Straße Ost, Stadt Bochum

Wenn man ein Feld wie an der Dietrich-Benking-Straße bebauen will, dann hätte unter der Vorgabe den Nutzwert pro Quadratmeter zu maximieren erheblich mehr Wohnraum geschaffen werden müssen und es hätte wesentlich weniger Verkehrsfläche entstehen dürfen und es hätten viel mehr Grünflächen auf dem Gelände verbleiben müssen. Diese Ziele hätten mit dem Bau einer Quartiersgarage an der Dietrich-Benking-Straße, einer Verpflichtung zu Dach- und Fassadenbegrünung sowie einer mehrstöckigen Bebauung erreicht werden können. Auch hätte die Erzeugung von Strom und Wärme mittels Solar- und Erdwärmeanlage Gegenstand des Planungsprojekts sein müssen. Mehr als ein Drittel der Fläche zu asphaltieren oder als Stellplatzflächen vorzusehen, ist hingegen ideen- wie anspruchslos und widerspricht allen Grundsätzen moderner Stadtplanung. Auch der Versuch der Fraktion “Die PARTEI und die STADTGESTALTER”, die Planungen noch zu korrigieren scheiterte, der Antrag (Vorlage 20213996) die Verkehrsflächen deutlich zu reduzieren und die Bauherren zur Einhaltung eines höheren Energiestandards zu verpflichten, wurde vom Ausschuss des Stadtrates abgelehnt.

Das Vorhaben an der Dietrich-Benking-Straße zeigt anschaulich, weder bei der Verwaltung noch im Stadtrat wird bisher systematisch das Ziel verfolgt, bei jeder Neu- oder Umplanung die städtische Fläche möglichst optimal zu nutzen und damit einen möglichst hohen Flächennutzwert zu erreichen. Es ist höchste Zeit sich mit dieser Thematik zu befassen.

09 Jan.

Trauerspiel am Zeche-Holland-Turm

Überschwemmungen, Fehlplanungen, Baumängel, Müll und Verwahrlosung im Umfeld prägen ein halbes Jahr nach der Eröffnung des Platzes am Zeche-Holland-Turm das Bild rund um das ehemalige Fördergerüst. Trotzdem die Bürgerinitiative “Wir in Wattenscheid – Schacht IV” seit Monaten immer wieder die Beseitigung der Missstände einfordert, tut sich von Seiten der Stadt bisher nichts.

Eigentlich sollte der sanierte Turm der ehemaligen Zeche Holland mit dem Platz darum herum ein Vorzeigeprojekt für Wattenscheid werden (Platz am Zeche-Holland-Turm ist fertig), doch auf dem Platz am Zeche-Holland-Turm bietet sich ein trauriges Bild, am Fördergerüst steht das Wasser Zentimeter hoch. Es kann nicht mehr richtig abfließen. Der Regen hat die Dolomitdeckschicht von den Wegen auf die Pflasterflächen rund um das Fördergerüst geschwemmt und die Drainagen und Abflüsse sind verstopft. An einigen Stellen ist bereits der grobe Schotter zu sehen. Da, wo die Deckschicht weggelaufen ist, sind Stolperkanten entstanden.

Mängel, Planungsfehler und Versäumnisse

Nachdem die Dolomitschicht eingebracht und der Platz fertig gestellt worden war, hätten, um eine Verfestigung der Oberfläche zu erreichen, die Flächen mit dem noch losen Dolomitmaterial ständig gewässert werden müssen. Das hat die Stadt versäumt. Das Material blieb lose und trocken liegen. Es konnte keine wassergebundene Decke entstehen. Die folgenden Regenfälle schwemmten das lose Material ab, in weiten Teilen erodierte die Platzfläche.

Auf dem verwahrlosten Grundstück neben dem neuen Platz entsteht bei jedem Regen ein See, da der Kanaldeckel, über den das Wasser ablaufen soll deutlich zu hoch liegt. Auch von hier drückt das Wasser auf den Platz. Die Bochumer Wirtschaftsentwicklung hatte das Grundstück an die benachbarte Druckerei verkauft und die lässt es weiter verkommen. Immer wieder wird illegal dort Müll abgeladen, der Pflanzenwildwuchs drängt auf den neuen Platz.

Auch die Aufstellung des Gastro-Containers war kein Meisterstück. Statt an der vorgesehenen Pflasterfläche, steht der Container zu einem guten Teil auf dem Pflaster, das eigentlich erst an der Containerkante beginnen sollte. Zudem wurde beim Bau des Platzes nicht an den für die Gastronomie nötigen Wasseranschlusses gedacht. Also haben die Stadtwerke den Container zunächst mit einer provisorischen und abenteuerlichen Konstruktion an einen Straßen-Hydranten angeschlossen. Wann der vergessene Wasseranschluss gelegt werden soll, darüber schweigt sich die Stadt bislang aus.

Immerhin wurde der Turm mittlerweile halbwegs gegen illegales Besteigen gesichert. Zuvor waren durch die viel zu großen Lücken über und unter dem Zaun um die Treppenanlage des Fördergerüsts immer wieder Menschen widerrechtlich durch geklettert und auf den Turm gestiegen.

Ebenfalls steht noch in den Sternen, wie der Platz zukünftig bespielt werden soll, welche Veranstaltungen dort stattfinden sollen und wie die Bürgerinitiative “Wir in Wattenscheid – Schacht IV” dabei eingebunden wird. Wie die Initiative zum Beispiel ihren Plan umsetzen kann eigene Führungen mit ehemaligen Bergleuten der Zeche Holland zu organisieren. Eigentlich sollte es dazu einen weiteren Workshop geben, doch der ist auch über sechs Monate nach Freigabe des Platzes für die Öffentlichkeit immer noch nicht terminiert.

Mangelhaftes Projektmanagement

Vor Ort sieht es so aus, als habe die Stadt das Interesse an dem Platz verloren und überließe ihn jetzt sich selbst. Alle Bemühungen der Bürgerinitiative die Stadt dazu zu bewegen, die Missstände zu beheben liefen bisher ins Leere. Es passiert seit Monaten nichts.

Auch sah sich die Verwaltung bis heute nicht in der Lage die bereits im Oktober gestellte Anfrage der Fraktion “Die PARTEI und STADTGESTALTER” (Anfrage 20213262) zum Zustand des Platzes zu beantworten. Dabei wurden in der Anfrage ausschließlich Informationen abgefragt, die nur hätten zusammengetragen werden müssen. Bei guter Projektorganisation hätte die Beantwortung in 2 bis 4 Wochen gelingen müssen.

Doch genau da hapert es offenbar mal wieder. Dem Projekt fehlt jemand, der oder die den Hut auf hat, ein/e Projektverantwortliche/r mit durchgreifenden Befugnissen, der oder die das Projekt federführend vorantreibt, die Handlungen aller Beteiligten effektiv koordiniert und kompetente/r Ansprechpartner*in ist. Derzeit gewinnt man den Eindruck Stadtplanungsamt, Grünflächenamt, Technischer Betrieb, ISEK-Stadtteilmanagement, Wirtschaftsförderung, Bochum Marketing, Architekten, Bauunternehmen, Stadtwerke und wer noch alles beteiligt ist, sie alle ziehen nicht am selben Strang, sondern stehen sich eher gegenseitig im Weg oder arbeiten aneinander vorbei. Und jetzt, wo das Projekt formal abgeschlossen wurde, fühlt sich niemand mehr wirklich zuständig.

Zu kurz gedacht

An die Behäbigkeit und Langsamkeit vieler städtischer Abläufe hat man sich in Bochum und Wattenscheid gewöhnt, doch bei diesem Projekt scheint einiges mehr aus dem Ruder gelaufen zu sein, wie die Zeitplanung. Darüber hinaus gab es grobe Planungsfehler und das Projekt wurde zu kurz gedacht. Weder wurden die umliegenden Flächen in die Platzplanungen einbezogen, noch scheint eine Fortführung der Umgestaltungen auf den angrenzenden Flächen geplant zu sein. Auch scheint man sich im Rahmen des Projekts zur Unterhaltung und Bespielung des Platzes so gut wie keine Gedanken gemacht zu haben. Ein schicker Platz in einem vermüllten und verwahrlosten Umfeld wird nicht lange schick bleiben, schon gar nicht, wenn man für die Erhaltung eines guten Platzzustandes nicht wirklich viel tun will.

Der Zustand des Platzes inklusive des Umfelds ist nach nur 6 Monaten ein Trauerspiel und lässt die Verantwortlichen bei der Stadt Bochum in keinem guten Licht dastehen. Der traurige Zustand des Platzes spiegelt ihre Leistung wider. Es ist den Verantwortlichen abzunehmen, dass sie alle ein tolles Projekt für Wattenscheid auf den Weg bringen wollten. Doch nach nur einem halben Jahr sieht es so aus, als würde aus dem Vorzeigeprojekt für das ISEK Wattenscheid ein Schuss in den Ofen. Es fehlt wie so oft bei Stadtentwicklungsprojekten an Nachhaltigkeit. Punktuell wird ein Ort gut und sinnvoll umgestaltet, doch dann mangelt es an Pflege, Instandhaltung und Weiterentwicklung.

Zudem zeigt auch dieses städtische Projekt. eine erfolgreiche und zeitgerechte Projektplanung wie -realisierung ist nur mit einem effizienten Projektmanagement möglich. Das setzt Projektverantwortliche mit klaren und Ämter übergreifenden Handlungsbefugnissen voraus. Das ständige interne Durcheinander bei den Zuständigkeiten, die Behäbigkeit der Abläufe und die mangelnde Nachhaltigkeit des Projekterfolgs frustriert die Beteiligten, ebenso wie die ständige und berechtigte Kritik der Bürger*innen, die sehen, wie Millionen in eigentlich gute Projekte investiert werden, die dann aber schon nach Monaten abgegammelt aussehen.