10 Mrz

In welchem Ausmaß ist Autoverkehr stadtverträglich?

Viele fühlen sich von Verkehrslärm, Stau oder zugeparkten Geh- und Radwegen genervt. Zu viel Autoverkehr in der Stadt macht diese unattraktiv. Auf der anderen Seite ist Autoverkehr nützlich und unverzichtbar. Das Problem ist der übermäßige Verkehr. Doch bis zu welchem Maß ist Autoverkehr stadtverträglich?

Eine Stadt ist zum Wohnen und Leben da, Verkehr in der Stadt ist aber notwendig, um sich in der Stadt zu bewegen, sollte jedoch nicht zur Belastung der Einwohner*innen werden. Zu viel Autoverkehr schadet der Stadt.

Folgen von übermäßigem Verkehr

Die Folgen von übermäßigem Autoverkehr sind vielfältig und beeinträchtigen die Lebens- und Wohnqualität in einer Stadt in vielerlei Hinsicht. Anwohnerinnen von Hauptverkehrsstraßen sind Lärm und Luftverschmutzung ausgesetzt. Zu viel Verkehr verhindert direkte und schnelle Straßenquerungen. Der Verkehr führt zu Trading-Down-Effekten an Hauptverkehrsstraßen. Immobilien lassen sich schwer vermieten, die Mieteinnahmen reichen nicht aus, um die Gebäude Instand zu halten und zu sanieren. Es kommt zu sichtbarem Sanierungsstau bis Verfall. Für Vermieterinnen hat der Verkehr gravierende Mietpreisverluste zur Folge.

Aber auch Menschen, die andere Verkehrsmittel benutzen werden schwer beeinträchtigt. Geh- und Radwege werden zugeparkt, auch Kreuzungen, Grünflächen und anders mehr. Es fehlen Radwege, weil der Autoverkehr den nötigen Raum dafür beansprucht. Der ÖPNV wird behindert, Bus und Bahn stehen im Autostau oder werden durch Falschparkende an der Weiterfahrt gehindert. Auch behindert der Autoverkehr sich selbst. Notwendiger Verkehr zur Arbeit, zu Anlieferung oder Handwerkerverkehr bleibt im übermäßigen Verkehr stecken, weil manche auch für den Weg zum Fitnessstudio oder dem Kleingartenverein noch unbedingt das Auto nehmen müssen.

Zudem bedeutet übermäßiger Autoverkehr für die Stadt überhöhte finanzielle Belastungen. Denn die Autofahrenden zahlen nur 40-60% der Kosten, die das Autofahren tatsächlich verursacht (Studie: Straßenverkehr deckt Kostenbedarf nur zu 36 Prozent). Wissenschaftliche Studien zeigen, die Subventionen liegen in Städten im Schnitt beim Dreifachen von dem, mit dem Bus und Bahn bezuschusst werden (Der Autoverkehr kostet die Kommunen das Dreifache des ÖPNV).

Der Verlust der BOGESTRA, des Nahverkehrsunternehmens von Gelsenkirchen und Bochum, liegt bei rund 90 Mio. Euro im Jahr. Die Subventionen des Autoverkehrs lägen rein rechnerisch also für beide Städte zusammen bei schätzungsweise 270 Mio., Umgerechnet auf Bochum, dass fast 73% der Anteile des Nahverkehrsunternehmens hält, ergeben sich somit 197 Mio. Euro pro Jahr. So kostet allein das kostenfreie Anwohnerparken die Stadt über 20 Mio. Im Jahr. Dazu kommt die Subvention der städtischen Parkhäuser (Parkhäuser verkaufen und Geld in die Innenstadt investieren). Ebenso steht den Kosten, die die Stadt für den Bau und die Erhaltung der Straßen sowie für Maßnahmen zur Lärmminderung und die Beseitigung von Umweltschäden ausgibt, kein ausreichender Finanzierungsbeitrag der Autofahrenden gegenüber.

Autoverkehr belastet also nicht nur die Bewohner*innen der Stadt, sondern auch massiv die Stadtkasse. Auf der anderen Seite ist Autoverkehr in der Stadt nötig, um die Menschen zu versorgen und sie von A nach B zu bringen, hat also auch einen erheblichen Nutzen.

Nutzen von Autoverkehr

Allerdings hat nicht jede Fahrt mit dem Auto den gleichen Nutzen. Viele Fahrten haben nur für den Fahrenden einen privaten Nutzen, für sonst aber niemanden. Handels- und Handwerks- wie öffentlicher Verkehr haben wiederum einen Nutzen für die Allgemeinheit und die Gesellschaft. Dazu gibt es Fahrten, für die könnten auch andere Verkehrsmittel verwendet werden, deren Benutzung fast ohne Belastungen für die Stadtbewohner*innen und mit kaum oder deutlich geringeren Kosten für die Stadtkasse verbunden wären, z.B. die Nutzung von Fahrrädern, den Füßen oder von Bus und Bahn.

Es gibt also einen Anteil Autoverkehr, der ist notwendig, nicht mit anderen Verkehrsmitteln sinnvoll durchführbar und nutzt der Allgemeinheit und einen anderen. der nutzt nur privat dem Fahrenden, bedeutet aber für die Stadt massive Belastungen sowohl hinsichtlich Lebensqualität wie für die Stadtfinanzen und wäre vermeidbar, weil andere Verkehrsmittel genutzt werden könnten.

Ziel einer Stadt sollte also sein, den Autoverkehr auf das notwendige stadtverträgliche Maß zu reduzieren. Aktuell werden 54% der Wege in Bochum mit dem Auto zurückgelegt. In
wirtschaftlich erfolgreichen Städten sind es heute schon ein Drittel bis die Hälfte weniger. Es ist also auch in Bochum möglich den Autoverkehr deutlich zu reduzieren.

Vergleich Modal Split

Eine Stadt sollte nicht mehr Autoverkehr zulassen, als sie verträgt. Der Platz für Straßen und Parkplätze in der Stadt ist begrenzt, er kann nicht beliebig erweitert werden. Andere Nutzungen, die mehr Menschen nutzen als z.B. ein Parkplatz, müssen Vorrang haben vor einer verkehrlichen Nutzung des öffentlichen Raums. Der öffentliche Raum gehört allen Stadtbewohner*innen und muss daher auch zum Vorteil von möglichst vielen nutzbar sein.

Doch bis zu welchem Maß ist Autoverkehr stadtverträglich und ab wann wird es zu viel? Um diese Grenze zu definieren, muss man die einzelnen Bereiche des Verkehrs betrachten:

Parken – Zahl der zugelassenen Autos
In einer Stadt können nur so viele Autos zugelassen werden, wie auch Platz vorhanden ist, wo sie abgestellt werden können. Stellplätze im öffentlichen Raum sind nur da anzulegen, wo sie andere nicht behindern und die Fläche nicht besser und zum Nutzen von mehr Menschen genutzt werden kann. Auf Gehwegen sind also keine Abstellplätze auszuweisen, das Parken ist dort auch nicht zu dulden. Flächen für Wohnungen, gut gestaltete autofreie Stadtplätze oder Radwege zu nutzen ist einer Nutzung als Parkplatzfläche vorzuziehen.

Es ist also darauf zu achten, dass in einer Stadt nur so viele Autos zugelassen werden, wie Abstellplätze dafür vorhanden sind. Entsprechend muss man in asiatischen Großstädten und Metropolen die Voraussetzung, um ein Auto anschaffen und zulassen zu können, der Nachweis eines Stellplatzes. Um die Zahl der Stellplätze zu erhöhen, kann die Stadt Quartiersgaragen bauen (Quartiersparkhaus plus+ – viel mehr Nutzungen außer Parken).

Werden im mehr Autos angeschafft, ohne, dass in der Stadt die erforderlichen Abstellplätze dafür vorhanden sind, ist dies nicht stadtverträglich.

Autogröße
Um so kleiner das Fahrzeug um so stadtverträglicher ist es. Die verbrauchte Fläche ist geringer. Der Verkehr fließt besser. Das Überholen von Fahrrädern mit ausreichendem Abstand ist. Z.B. einfacher. 1,4 Menschen fahren im Durchschnitt in deutschen Autos. In vielen sitzt also nur eine Person. In den meisten Fällen ist die Nutzung eines großen Autos also gar nicht nötig. Die verstärkte Nutzung übergroßer Autos hat für die Allgemeinheit keinen Nutzen und ist nicht stadtverträglich sie schafft nur Probleme. So nimmt auch die Schwere von Unfallverletzungen mit Zunahme der Autogröße zu.

Die Stadt sollte also die Anschaffung von Kleinstfahrzeugen fördern und die Anschaffung von unnötig großen Fahrzeugen sanktionieren.

Kosten des Autoverkehrs
Die Nutzung des Autoverkehrs ist nicht stadtverträglich, wenn dadurch die Stadtkasse unnötig belastet wird. Es ist zudem nicht gerecht, wenn diejenigen, die kein oder kaum Auto fahren die Kosten des Autofahrens, die andere verursachen, durch ihre Steuern mittragen.

Die Stadt muss also dafür sorgen, dass die Nutzung des Autos so viel kostet, wie das Fahren an Kosten verursacht. Mögliche Instrumente dafür wären eine Zulassungs- und Parksteuer oder eine Citymaut. In jedem Fall sind die Kosten, die Parkplätze im öffentlichen Raum bei der Stadt verursachen, zu 100% allein von denen zu tragen, die sie nutzen.

Behinderung von Rad- und Fußverkehr
Aus der Nutzung des Autos darf keine Behinderung des Rad- und Fußverkehrs folgen. Wird dieser durch übermäßigen Autoverkehr behindert, ist dieser nicht mehr stadtverträglich. aus dem Demokratieprinzip folgt, Menschen müssen mit allen Verkehrsmittel gut und sicher durch die Stadt kommen. Dass zu viele Menschen das Auto nutzen, darf nicht zu Lasten der Menschen gehen, die zu Fuß Gehen oder das Rad nutzen möchten.

Das bedeutet es muss ein flächendeckendes und komfortables Netz an Rad- und Gehwegen geben. Der dafür nötige Platz ist unabhängig vom Autoverkehr bereit zu stellen. Die von Autos auf Hauptverkehrsstraßen zu beanspruchende Fläche kann nur so bereit sein, wie nach Abzug von den nötigen Flächen von Rad- und Fußverkehr übrigbleibt. Gegebenenfalls können keine Abstellflächen ausgewiesen werden oder ist nur das Angebot einer Fahrspur möglich. Auch muss überall eine gute Querung von Straßen möglich sein, es darf nicht zu einer sich negativ auf die Wohn- und Lebensqualität auswirkende Barrierewirkung von Straßen kommen.

Den Komfort von Menschen, die Rad fahren oder zu Fuß gehen zu Gunsten des Autoverkehrs einzuschränken, widerspricht dem Grundsatz einer stadtverträglichen Autonutzung.

Belastung für Anwohnerinnen von Straßen
Wohn- und Lebensqualität sind höher zu bewerten als der Wunsch überall durch die Stadt schnell mit dem Auto fahren zu können. Insofern die Folgen des Autoverkehr Wohn- und Lebensqualität von Menschen beeinträchtigt, die an Straßen wohnen, sind diese Belastungen so gering wie möglich zu halten. Somit bedeutet stadtverträglicher Autoverkehr auch, Wohngebiete konsequent von Durchgangsverkehr freizuhalten und Tempo 30 stadtweit dort einzuführen, wo Menschen wohnen. Auch sind in Wohngebieten, Straßen zum Nutzen und Leben der der Bewohnerinnen zu gestalten, das Bedürfnis einzelner auf der Straße direkt vor der Haustür parken zu können ist nachrangig zu behandeln.

Auch darf übermäßiger Verkehr nicht dazu führen, dass Immobilien sich nicht mehr kostendeckend vermieten lassen und Gebäude an Hauptverkehrsstraßen deswegen nicht mehr saniert und modernisiert werden können.

Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen
Die Bedürfnisse gesellschaftlicher Gruppen, die aufgrund Alters oder einer Behinderung nicht mit dem Auto unterwegs sein können, bedürfen besonderer Beachtung. So muss es für Kinder ab 11 Jahren möglich sein sicher und selbständig durch die Stadt und zur Schule zu Fuß oder mit dem Rad zu fahren. Für mobilitätseingeschränkte und ältere Menschen müssen die Wege, die sie laufen müssen, um Straßen queren zu können möglichst kurz sein und die Querungszeiten an Ampeln ausreichend lang. Auch ist Menschen, die zu Fuße gehen, bei der Überquerung von Straßen grundsätzlich durch Zebrastreifen Vorrang zu gewähren. Solange übermäßiger Autoverkehr all diese Dinge nicht zulässt, ist er nicht stadtverträglich

Umgekehrt ist für Menschen mit nachgewiesenen Mobilitätseinschränkungen, die auf ein Auto angewiesen sind, zu ermöglichen, dass sie überall gut mit dem Auto hinkommen.

Behinderung von notwendigem Autoverkehr durch unnötigen Autoverkehr
Letztlich ist es auch nicht stadtverträglich, wenn überflüssiger Autoverkehr, für den auch andere Verkehrsmittel genutzt werden könnten, den Verkehr, für den ein Auto notwendig ist, behindert und zum Beispiel Staus erzeugt, oder erforderliche Abstellflächen belegt. Will man größere Dinge transportieren oder fehlt es an einer alternativen bzw. zumutbaren ÖPNV-Verbindung, ist die Nutzung des Autos sinnvoll und muss stadtverträglich möglich sein.

Die Stadt muss also versuchen, den notwenigen Verkehr zu bevorzugen, z.B. durch Bereitstellung von Ladezonen und den übermäßigen und stadtunverträglichen Autoverkehr unattraktiv machen. Dazu ist zum einen der Ausbau von Alternativen erforderlich, insbesondere des ÖPNV- und Radwegenetzes, zum anderen ist unnötigem Verkehr entgegenzuwirken, zum Beispiel Straßen vor Schulen zu sperren, damit Eltern ihre Kinder nicht mit dem Auto zur Schule bringen.

Autoverkehr auf ein stadtverträgliches Maß reduzieren

Bisher verfolgt die Stadt Bochum nicht das Ziel, den Autoverkehr in der Stadt auf ein verträgliches Maß zu reduzieren. So lässt sie es weiterhin zu, dass immer neue Autos angeschafft werden, auch wenn im Stadtgebiet dafür gar keine legalen Abstellplätze mehr vorhanden sind. Die Stadt hat die Kontrolle über den Autoverkehr verloren. Sie ergreift nicht aktiv Maßnahmen, um den übermäßigen Autoverkehr zu reduzieren, sie reagiert nur in dem sie z.B. zusätzliche Parkplätze auf Gehwegen ausweist oder das Parken auf Gehwegen duldet und damit anderen Verkehren Platz wegnimmt.. Ebenso werden mit übermäßigem Autoverkehr immer wieder Zustände gerechtfertigt, die zum Nachteil anderer Verkehrsträger gehen. So wird die Einrichtung von Radwegen oder die Anlage von Zebrastreifen gerne mit der Begründung abgelehnt, der Autoverkehr sei zu hoch.

Eine attraktive Stadt lässt nur so viel Autoverkehr zu wie nötig und stadtverträglich möglich ist. Zu viel Verkehr macht Städte unattraktiv, besonders für Manschen die aus anderen Städten die negativen Folgen übermäßigen Autoverkehrs nicht kennen. Den Autoverkehr auf ein stadtverträgliches Maß zu senken ist also nicht nur ein Gewinn für die Wohn- und Lebensqualität in der Stadt, sondern ist auch ein entscheidender Faktor bei der Ansiedlung von Menschen und Unternehmen sowie für den Eindruck ,den Menschen von der Stadt haben, die sie besuchen, z.B. als Touristen.

Foto Beitragsbild: Wolfram Däumel

18 Dez

Warum ist die Verkehrsorganisation im Ruhrgebiet so schlecht?

ÖPNV, Fuß- und Radverkehr sind in kaum einer Metropolregion hoch entwickelter Länder schlechter organisiert als im Ruhrgebiet. Was sind die Ursachen, und wie ginge es besser? Ein Vergleich mit Japan.

Menschen, die aus Ländern mit hohem Lebensstandard kommen, um das Ruhrgebiet zu besuchen, sind überrascht, wie schlecht der Verkehr in einer der größten Metropolregionen in Europa organisiert ist. Ein metropolengerechtes, flächendeckendes Nahverkehrsnetz gibt es nicht. Das ÖPNV-Netz hat große Lücken, die Takte sind weit entfernt von dem, was in Metropolen heutzutage üblich ist. Ein Radverkehrsnetz gibt es nur in Ansätzen. Das Ruhrgebiet erstickt in Staus. Verkehrslärm und Luftverschmutzung sind nach wie vor hoch, Hauptverkehrsstraßen, an denen wegen des überbordenden Verkehrs niemand wohnen will, sind oft heruntergekommen. Gehwege, Kreuzungen und Radwege werden durchweg rücksichtlos zugeparkt. Bürgersteige sind in schlechtem Zustand und für älter und behinderte Menschen nicht selten kaum nutzbar. Zebrastreifen scheinen kaum bekannt. Alles ordnet sich dem Autoverkehr unter. Nur mit dem Auto kommt man gut und sicher überall hin.

Stadtentwicklung im Verkehr ist im Ruhrgebiet in den 80ern stecken geblieben

In Sachen Verkehr scheint die Stadtentwicklung im Ruhrgebiet in den 80er-Jahren stehen geblieben zu sein. Die Rückständigkeit ist überall sichtbar und augenfällig. Die Entwicklung,, die andere Metropolregionen in den letzten vier Jahrzehnten erlebt haben, hat das Ruhrgebiet fast vollständig verschlafen.

Dern Goldstandard in Sachen Verkehrsorganisation kann man in japanischen Metropolen wie Tokio oder Osaka erleben. In den 80er-Jahren erkannte man im Land der aufgehenden Sonne, dass zunehmender motorisierter Verkehr für die Städte kaum verträglich sein würde und Flächen für eine weitere Expansion des Autoverkehrs nicht vorhanden waren, also tat man ab da alles, um diesen Verkehr auf ein stadtverträgliches Maß zu begrenzen.

Sicher sind nicht alle Maßnahmen, die in japanischen Metropolen erfolgreich waren, 1:1 auf das Ruhrgebiet übertragbar, doch lohnt sich ein Blick nach Fernost, um zu erkennen, wie der Verkehr auf einem ganz anderen Niveau organisiert werden kann.

Öffentlicher Nahverkehr

ÖPNV-Netz –  Das Rückgrat des Öffentlichen Nahverkehrs in japanischen Metropolen bildet ein dichtes Schienennetz. Flächendeckend überspannt ein Schnell- und U-Bahnnetz die Metropolregionen. Busverkehr ist unüblich, Busse werden nur für absolute Nebenlinien eingesetzt. Die Takte der wichtigen Linien liegen unter 5 Minuten. Von einem Schienenring (Tokio: Yanamote Line, Osaka: Loop Line) ausgehend (Eine Ring- und Achtlinie für das Ruhrgebiet), fahren die verschiedenen Linien sternförmig in die Außenbezirke. Eingesetzt werden auf diesen Linien Rapid, Semi-Rapid und Local Züge. Local-Bahnen halten überall, Rapid nur an den wichtigsten Stationen, Semi-Rapid auf einem Teil der Strecke an allen Stationen, sonst nur an den wichtigsten.

Fern- und Nahverkehrsnetz sind strikt getrennt. Der Shinkansen hält in Tokio nur an zwei Stationen. Seit den 80er-Jahren hat man das Streckennetz so ausgebaut, dass die Linien ganz überwiegend auf eigener Gleistrasse unterwegs sind. Das garantiert extrem hohe Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit.

Nahverkehrsunternehmen und Leitbild – Die japanischen Bahnen sind privatisiert und fahren auf der japanischen Hauptinsel Honshū mit Gewinn. Eine Sperrung des Bahnverkehrs wie sie im Ruhrgebiet im Januar für sieben Wochen vorgesehen ist, wäre in Japan undenkbar. Die Zufriedenheit der Kunden, hat einen ganz anderen Stellenwert. „In Deutschland wird Effizienz von der Seite des Kapitals her definiert. Es geht darum, Renditen zu maximieren sowie Investitionen und Kosten zu senken. … [In Japan wird] Effizienz … vom Kunden her definiert. Die Aufgabe eines Unternehmens ist, die Zumutung für Kunden zu minimieren, auch wenn dafür – zum Beispiel durch mehr Personal – etwas Eigenkapitalrendite geopfert werden muss. Denn im japanischen Verständnis entspringt der Gewinn der Zufriedenheit der Kunden.“ (Handelsblatt vom 12.07.22)

Verspätungen und Zug- wie Busausfälle, wie sie die im Ruhgebiet im Nahverkehr tätigen Unternehmen den Kunden regelmäßig zumuten, würden in Japan als Missachtung und Ignoranz gegenüber den Kunden angesehen. Der Rücktritt der Verantwortlichen nach einer öffentlichen Entschuldigung mit tiefst möglicher Verbeugung ggü. den betroffenen Kunden, wäre der einzige mögliche Ausweg.

Fahrscheinsystem – Die Bezahlung des Nahverkehrs erfolgt, wie in fast allen Metropolen der Welt mittlerweile üblich über so genannte IC-Karten, die auch digital aufs Handy geladen werden können (VRR – Höchste Zeit für den E-Fahrschein). Bei Antritt der Fahrt hält man Handy oder Karte im Vorbeigehen kurz auf einen Kartenleser, das gleiche an der Zielstation. Niemand muss Zeit für einen Ticketkauf aufwenden oder für die Bedienung einer absonderlich umständlich bedienbaren Eezy-App.

Eine in einer Stadt erworbene IC-Karte kann selbstverständlich in allen japanischen Großstädten verwendet werden. Ebenso dient sie zum Entsperren von Fahrrädern an Fahrradverleih-Stationen und man kann mit den Karten in vielen Geschäften, Restaurants und an Automaten bezahlen.

Fuß- und Radverkehr

Fußverkehr – Fußwege befinden sich durchweg in einem sehr guten Zustand, Fußgängerüberwege und Zebrastreifen in kurzer Folge sind selbstverständlich. An großen Kreuzungen gibt es Anzeigen an denen ablesbar ist, wie lange Grün oder Rot ist. Grünphasen sind regelmäßig lang bemessen und auch für ältere und behinderte Menschen gut zu schaffen. Parken auf Gehwegen ist undenkbar.

Teilweise wird eine ganze Kreuzung für die zu Fuß Gehenden auf Grün geschaltet, Fahrzeuge aus allen Richtungen haben rot und die Menschen können auch diagonal die Kreuzung queren. So funktioniert das auch bei der berühmtesten und meistfrequentierten Fußgängerkreuzung der Welt der so genannten Scramble Crossing in Tokioter Stadtteil Shibuya.

Mit Bordstein erhöhte Bürgersteige gibt es nur an Hauptverkehrsstraßen. In Wohngebieten sind Straßen in der Regel so schmal, dass man rechts und links mit einer weißen Linie Bereiche für Fußgänger*innen abtrennt, wo diese laufen können. Aufgrund des geringen Autoverkehrs in Wohnvierteln und des ausnahmslosen Verbots von Straßenparken, sind in Wohnstraßen weder Bürgersteige wie wir sie kennen noch Radwege erforderlich.

Radverkehr – Zwar wird in japanischen Metropolen regelmäßig mehr Rad als Auto gefahren, doch Radwege gibt es kaum und wenn nur an Hauptverkehrsstraßen. In Osaka werden 25% der Wege mit dem Rad zurück gelegt, in Tokio 14% (Bike share deployment and strategies in Japan).

Radfahrende dürfen die Gehwege benutzen, wenn ihnen das Fahren auf Hauptstraßen zu gefährlich ist. Diese Regel wird durchweg genutzt. Das Miteinander auf den Gehwegen funktioniert erstaunlich gut. Japanische Radfahrende sitzen deutlich tiefer im Sattel, die Laufräder sind im Durchmesser häufig kleiner. Das macht Fahrräder wendiger und die Radfahrenden haben schnell beide Beine am Boden. Die zu Fuß Gehenden sind die gemischte Nutzung der Gehwege gewohnt und zeigen Verständnis für die Radfahrenden, obwohl aufgrund des dichten Fußverkehrs auf Gehwegen deutlich dichter überholt wird als das bei uns der Fall ist. Halten sich Radfahrende aufgrund unzureichender Infrastruktur nicht an Verkehrsregeln, wird das auch von der Polizei toleriert. Es besteht zwar in der japanischen Straßenverkehrsordnung die unbedingte Empfehlung, das Radfahrende einen Helm tragen sollen, doch Radfahrende mit Helm sieht man nur selten.

Sofern es möglich ist, und das ist es oft, meiden Radfahrende Hauptstraßen und nutzen die wenig mit verkehrsbelasteten Wohnstraßen.

Japanische Metropolen verfügen über dichte Netze von Radverleihsystemen. Bis zu drei Unternehmen betreiben in einer Stadt parallel derartige Netze. Verliehen werden durchweg E-Bikes, teilweise zusammen mit E- Scootern, die aber eher wenig verbreitet sind. Verleihstationen sind manchmal schwer zu finden, da sie in der Regel nicht auf öffentlichem, sondern auf privatem Raum zu finden sind.

Gerne werden in Japan auch schmale, wendige Lastenräder verwendet, bevorzugt, um Kinder oder Einkäufe zu transportieren. Jede Bahnstation verfügt über für unsere Verhältnisse riesige meist unterirdische Radparkhäuser. Das Abstellen von Fahrrädern ist fast immer nur an Abstellanlagen möglich, da sonst verboten.

Autoverkehr

Parken – Ein Auto kann man in japanischen Metropolen nur dann zulassen, wenn man einen privaten Stellplatz dafür nachweist. Parken m öffentlichen Raum und an Straßen ist in Japan unbekannt. Parken ist nur auf privatem Grund möglich und teuer. 24 Euro pro Stunde werden in Zentraltokio fällig in den großen Stadtteilen sind immer noch 9 Euro/Stunde die Regel Es gilt der Grundsatz, Platz ist in der Stadt rar und soll bevorzugt für wichtigere Dinge als Parken verwendet werden.

PKW und LKW – Autofahrende haben die Kosten zu tragen, die sie mit dem Auto verursachen, Entsprechend machen neben dem Parken, verschiedene Fahrzeugsteuern und Mautgebühren das Autofahren teuer. Weder PKW- noch LKW-Verkehr werden subventioniert.*

°Diese Gegebenheiten führen dazu, dass 54,4 % der in Japan zugelassenen Autos Kleinstfahrzeuge, so genannte Kei-Cars., sind. Die dürfen nicht breiter sein als 1,48 m, länger als 3,4 m und mehr als 64 PS haben (Kei Car). Auch große 40t-LKW sieht man in Städten nicht. Fast der gesamte LKW-Verkehr wird mit Kleinst-LKW abgewickelt, auch 3,5- bis 7,5t-LKW sieht man häufiger, größere LKW sind nicht gut stadtverträglich und daher unüblich.

Auf den Straßen japanischer Metropolen fahren überwiegend Taxen, gewerbliche PKW und LKW, kaum Busse und vergleichsweise wenige Privat-PKW. Staus kommen nur selten vor. Trotzdem lohnt sich das Autofahren nicht. Es ist zu teuer und dauert zu lange. Fast alle Kreuzungen sind beampelt, Grüne Wellen eher die Ausnahme. Von Tokio nach Osaka braucht man mit dem Auto 6,5 Std, mit der Bahn 2,5 Std. Das Auto wird nur dann genutzt, wenn es keine bessere Alternative dazu gibt.

Japanische Metropolregionen vs. Metropolregion Ruhrgebiet

Stellt der Verkehr im Ruhrgebiet eine permanente Belästigung und Belastung dar, nervt die Menschen und ist man, wenn es um Zeit geht, häufig auf das Auto angewiesen, läuft das Leben in japanischen Metropolen entspannt. Der ÖPNV läuft reibungslos, alles ist perfekt organisiert, alle Verkehrsarten sind bestens aufeinander abgestimmt. Man kommt immer, auch ohne Auto, schnell, sicher und pünktlich zum Ziel. Die Verkehrsorganisation hat ein anders zivilisatorisches Level erreicht. Einzig beim Radverkehrsnetz an Hauptverkehrsstraßen haben auch japanische Metropolen noch Nachholbedarf.

Sonst haben Metropolen wie Osaka und Tokio in fast allen Bereichen der Verkehrsorganisation weltweit neue Maßstäbe gesetzt. während die Verkehrsorganisation im Ruhrgebiet eigentlich nur als Negativbeispiel wie man Verkehr auch schlecht organisieren kann, wertvoll sein kann.

Warum ist das Ruhgebiet in Sachen Verkehrsorganisation so rückständig?

Das führt zu der Frage, wie in japanischen Metropolen eine derart hochentwickelte Verkehrsorganisation  entstehen konnte, im Ruhrgebiet aber in dieser Richtung in den letzten vier Jahrzehnten fast nichts passiert ist.

Dafür gibt es sicher viele Gründe, drei besonders wichtige seien hier explizit genannt:

– Gibt es in Japan ein Problem, werden Pläne zur Lösung entwickelt und diese konsequent umgesetzt. Man handelt so lange bis die gesetzten Ziele erreicht und das Problem gelöst ist. Im Ruhrgebiet wird das Problem erkannt, viel erzählt und diskutiert, festgestellt, das andere Schuld sind, wenn es hoch kommt halbherzig Konzepte zur Lösung beauftragt, umgesetzt wird am Ende wenig bis nichts. Sollte etwas realisiert werden, dann im Schneckentempo, siehe Radschnellweg oder RRX. Politik und Verwaltung sind häufig keine Macher nur Schaumschläger*innen., die kaum mehr als heiße Luft verbreiten.

– Die Planung und Organisation des Verkehrs Ruhrgebiets erfolgt nicht aus einer Hand. Jede Stadt plant für sich selbst. Niemand ist bereit die entsprechenden Kompetenzen an eine höhere Instanz abzugeben, Obwohl alle Verantwortlichen in Städten und Politik wissen, eine gute Verkehrsorganisation der Metropole Ruhr ist nur mit einer zentralen Planung möglich, hält man borniert daran fest, dass jeder für seine Stadt rumwurschtelt. Der Erhalt der eignen Kompetenzen und Strukturen zählt mehr als die Realisierung einer guten Verkehrsorganisation.

– In Japan stehen immer die Kundeninteressen im Mittelpunkt der Unternehmensziele, im Ruhrgebiet sind diese irrelevant und werden ignoriert. Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Benutzerfreundlichkeit, dichte Netze und Takte im ÖPNV, sind alles Ziele, die im Ruhrgebiet nur auf dem Papier vorkommen, aber nicht ernsthaft verfolgt werden. Entsprechend sind in allen Punkten in den letzten Jahrzehnten keine signifikanten Verbesserungen zu beobachten.

Zu guter Letzt sei angemerkt, dass es nicht zielführend sein kann, die Verhältnisse japanischer Metropolen unreflektiert auf das Ruhrgebiet zu übertragen. Aber Japan zeigt, was möglich ist, wenn man es denn will und konsequent daraufhin arbeitet. Das Ruhrgebiet muss an manche Stellen sicher andere Lösungen und Lösungswege finden. Der erste Schritt aber wäre, dass man nicht nur von Verkehrswende und besseren Verkehrsorganisation redet, sondern auch ernsthaft Schritte unternimmt, die genannten Ziele zu erreichen. Dabei kann Japan für das Ruhrgebiet in vielerlei Hinsicht Vorbild sein.

* Aktuell (2023) wird wegen der Inflation das Benzin subventioniert. Trotzdem erreichte der Benzinpreis im August ein Rekordhoch.

12 Nov

Weit über 10 Mio. Euro für fast 950 zusätzliche ungenutzte Parkplätze

Bisher standen in Bochum im Schnitt jede Woche 3.000 – 4.000 Stellplätze in den städtischen Parkhäusern in und um die Innenstadt leer, jetzt sind es noch fast 950 mehr. Denn für weit über 10 Mio. Euro hat die Stadt zwei neue Parkhäuser mit 942 zusätzlichen Plätzen in Betrieb genommen, die nicht benötigt werden. Der Bau der Parkhäuser war ein Akt sinnloser Geldverschwendung.

Bisher standen in der Innenstadt selbst sowie in der näheren Umgebung 5.585 Autoparkplätze zur Verfügung. Von denen im Wochenschnitt 3.000 bis 4.000 Stellplätze leer standen (55 – 70%), selbst in Spitzenzeiten waren rund 1.600 bis 2.000 ungenutzte Parkplätze zu verzeichnen (z.B. Parkplatzauslastung 07.05.2023 – 14.05.2023, Quelle: Verkehrswatch BO).

Parkhausnutzung in Bochum 07.05.2023 – 14.05.2023

942 zusätzliche Parkplätze in zwei neuen Parkhäusern

Obwohl also in der Innenstadt schon seit jeher Parkraum im Überfluss besteht, hat die Stadt in den letzten Monaten noch zwei weitere Parkhäuser mit 942 zusätzlichen Stellplätzen in Betrieb genommen. Erst Anfang November wurde das neu Parkhaus P7 eröffnet. Es bietet 430 Fahrzeugen Platz. Der Bau hat 10 Mio. Euro gekostet, hinzu kommen für den Abriss des alten P7 nochmals 450.000 Euro.

Einige Monate vorher wurde das neue Parkhaus unter dem Husemann Karree mit 510 Stellplätzen zum Parken frei gegeben. Hier wurde das eigentliche Parkhaus von der Gesellschaft gebaut, die das ganze Karree errichtet hat. Die Stadt allerdings hat das Parkhaus unter dem Husemannplatz saniert und den Zugang zum neuen Parkhaus ermöglicht. Das kostete 3 Mio. Euro. Ein wesentlicher Teil des Geldes floss in die Sanierung der Zufahrt Viktoriastraße, die auch für das neue Parkhaus genutzt wird und den Anschluss der neuen Parketagen an das bestehende Parkhaus unter dem Platz.

Jetzt verfügt die städtischen Parkhäuser in und um die Innenstadt also über 6.527 Autostellplätze, von denen in Spitzenzeiten 2.600 bis 3.000 nicht genutzt werden. Der Zahl der ungenutzten Autostellplätz nimmt um fast 1.000 zu.

Schaffung von 942 zusätzlichen Stellplätzen, für die der Bedarf fehlt

Trotzdem es überhaupt keinen Bedarf gab, noch mehr Autoabstellplätze und Parkhäuser zu bauen, gab die Stadt bzw. die von ihr finanzierte Gesellschaft, die die Parkhäuser betreibt, deutlich über 10 Mio. Euro aus, um fast 950 Autostellplätze zu bauen, die jetzt ungenutzt leer stehen.

Da angesichts des fortschreitenden Niedergangs der Innenstadt und bei ernsthafter Verfolgung der Mobilitätswende eher eine abnehmende Anzahl Kunden zu erwarten ist, erscheint die Annahmen, dass die zusätzlichen Stellplatzkapazitäten jemals ausgenutzt werden, abwegig. Die 950 zusätzlichen Stellplätze braucht jetzt und in Zukunft niemand. Sie wurden ohne Sinn und Verstand gebaut.

Aber wie konnte es dazu kommen, dass die Stadt fast 942 weitere Parkhausstellplätze baut, ohne dass dafür irgendein Bedarf besteht? Warum wurde vor dem Bau der neuen Parkhäuser nicht zunächst überprüft, ob überhaupt Bedarf für noch mehr Parkraum besteht?

Wie konnte es zu der Fehlplanung kommen?

Die Ursache liegt in einer beispiellos autofixierten Denkweise von Stadt, Politik und Einzelhandel. Man hängt immer noch dem Irrglauben an, mit mehr Parkplätzen könne man automatisch mehr Kunden für die Innenstadt gewinnen. Doch diese Rechnung geht schon seit Jahrzehnten nicht mehr auf. Trotz immer mehr Stellplätzen und immer luxuriöseren Parkhäusern kommen nicht mehr, sondern immer weniger Kunden in die Bochumer City. Die Annahme, Kunden würden Innenstädte wegen toller Parkplätze im Überfluss ansteuern, wird durch die in Bochum festzustellende Realität widerlegt.

Verfügen Innenstädte dagegen über viel Flair, Ambiente, Aufenthaltsqualität und Attraktionen, sind die Kunden bereit hohe Parkhauspreise zu bezahlen und mangels günstiger Stellplätze im Zentrum der Innenstadt Park & Ride-Angebote in Verbindung mit außerhalb der Innenstadt liegenden Parkplätzen oder –häusern zu nutzen. Fehlt es dagegen – wie in Bochum – an Flair, Ambiente, Aufenthaltsqualität und Attraktionen, kommen die Kunden auch dann nicht, wenn die Parkplätze noch so schick, zahlreich und günstig sind. Insbesondere bleiben die Kunden weg, die einen hohen Anspruch an Attraktivität und Stadtbild einer Innenstadt haben. Fataler Weise sind das besonders die Kunden mit hoher Kaufkraft.

Autofixierte Denkweise und Realitätsverlust

In Bochum ist diese Erkenntnis aber noch offenbar nicht angekommen. Man baut weiter sinnfrei Parkhäuser, ohne sich zu fragen, ob die benötigt werden. Jede Maßnahme, die den Autoverkehr fördert, ist aus Sicht von Stadt, Politik und Einzelhandel, eine gute Maßnahme, egal wie viel sie kostet. Es wird gar nicht hinterfragt, ob die Ausgaben überhaupt einen Effekt haben oder ob es vielleicht Maßnahmen gibt, wo die Stadt bei gleichem Geldeinsatz einen viel höheren Nutzen für die Innenstadt erzielen kann. Man ist so in der autofixierten Denkweise gefangen, die Autokunden müssten subventioniert werden, um die Innenstadt zu retten, dass man die Realitäten völlig aus dem Blick verloren hat.

In der Realität fehlt am Bochumer Hauptbahnhof ein Fahrradparkhaus, kein Autoparkhaus. Überall drängen sich Fahrräder, die Radstation ist überfüllt, der Ruf der Radfahrenden, nach mehr Abstellplätzen unüberhörbar. Doch dafür hat die Stadt kein Ohr. Die 170 mit dem Bau des Parkhauses P7 angekündigten Radstellplätze hat die Stadt bis heute nicht geschaffen, man will mit dem Bau erst beginnen, wenn der Citytower fertig ist (Vorlage 2022)2693), obwohl derzeit völlig unklar ist wann bzw. ob der überhaupt jemals errichtet wird. Statt dringend notwendigen Radparkplätzen hat die Stadt am Hauptbahnhof also lieber 430 überflüssige Autostellplätze bauen lassen.

24 Fahrräder können auf der Fläche eines Autostellplatzes in einem Fahrradparkhaus geparkt werden. Zum Abstellen von 170 Fahrrädern werden also nur 7 Autostellplätze benötigt. Der Flächenverbrauch und Investitionsaufwand ist Im Vergleich zu dem für 430 Autos somit lächerlich gering. Priorität hat das sichtbar Notwendige in Bochum aber trotzdem nicht. In der Denkweise von SPD und Oberbürgermeister ist die einseitige Bevorzugung des Autos bei der Stadtplanung seit Jahrzehnten gelebte Normalität.

Politik und Stadt nehmen nicht mehr wahr, wenn die Autofixierung absurd wird. Auch der grüne Koalitionspartner trägt diese Politik widerstandslos mit. Mobilitätswende, Umweltschutz und Klimaschutz sind für die Bochumer Grünen lästige Randthemen, die man willig der SPD überlässt. Eilfertig spricht man sich auf dem Papier und bei Wahlkampfveranstaltungen zu jeder Gelegenheit für mehr Stellplätze für Radfahrende aus. In der Realität allerdings nickt man die Schaffung von 942 zusätzlichen Auto- und nicht Radabstellplätzen ab.

Stadtgestaltung hat in Bochum keine Priorität

Die sinnfrei Schaffung von fast 950 überflüssigen Autostellplätzen zeigt leider auch, welchen Wert Stadtgestaltung bei Politik, Stadt und Einzelhandel in Bochum haben. Nämlich so gut wie keinen. Für Ortsfremde sind die Mängel von Stadtbild und Stadtgestaltung in der Innenstadt offensichtlich und entscheidend dafür, ob man nach Bochum fährt oder lieber nicht.

Doch in Bochum stört man sich anscheinend eher wenig daran. Sonst hätte man die 13,5 Mio, für P7 und das neue Parkhaus man Husemann-Patz., nicht für Stellplätze im Überfluss, sondern in Stadtgestaltungsprojekte gesteckt (Innenstadt: Die Stadt gibt fast 10x mehr für Parkhäuser aus als für Stadtgestaltung https://die-stadtgestalter.de/2023/02/19/innenstadt-die-stadt-gibt-fast-10x-mehr-fuer-parkhaeuser-aus-als-fuer-stadtgestaltung/). Dr.-Ruer-Platz, Propstei-Platz, der obere Teil des Boulevard und viele andere Ecken der Innenstadt haben dringend eine städtebauliche Überarbeitung nötig. Doch in Bochum hält man die Schaffung von mehr Parkplätzen für wichtiger, selbst dann noch, wenn es dafür gar keinen Bedarf gibt.

Das ganz Gerede, man müsse die Innenstadt neu aufstellen, andere Wege gehen, mehr für die Stadtgestaltung tun, erweist sich als heiße Luft, wenn in der Realität dann doch das Geld wieder wie eh und je in Parkhäuser fließt.

Bochum lernt nicht aus Fehlern

Die Stadt lernt nicht. Leere Autostellplätze bringen keine Kunden in die Stadt. Ehe man etwas baut, muss nachweisbar sein, dass es dafür einen Bedarf gibt. Die eindimensionale Investition allein in Autokunden rechnet sich nicht. Wäre es anders, sähe die Innenstadt anders aus und würde von Kunden überlaufen.

Es wird Zeit sich einzugestehen, dass diese Politik gescheitert ist und das Gegenteil von dem erreicht wurde, was man bewirken wollte. Einfach stur immer weiter noch und noch mehr Parkplätze zu bauen, ist reine Geldverschwendung, es führt zu nichts. Der Kurswechsel muss real statt finden, nicht nur in Sonntagsreden. Vertreter*innen von Stadt, Politik und Einzelhandel, die immer wieder blumig erklären, man habe verstanden, dass Flair, Ambiente, Aufenthaltsqualität und Attraktionen, die Menschen in die Innenstadt locken und nicht schicke Parkplätze im Überfluss, um danach doch wieder das Geld für zusätzliche Autostellplätze zu verschwenden, sind unglaubwürdig.

Quartiersparkhäuser in Wohngebieten zu errichten, ist sinnvoll, der Bau neuer Parkhäuser für Innenstadtbesucher*innen ist hingegen überflüssig und sinnlos.

23 Okt

Untätigkeit der Stadt kostet Mensch das Leben

Trotzdem es aufgrund von nicht mehr benutzten Straßenbahngleisen jedes Jahr zu schweren Unfällen von Zweiradfahrenden kommt, verschleppen Verwaltung und BOGESTRA seit Jahrzehnten deren Beseitigung. Jetzt ist ein Mann auf den alten Schienen gestürzt und gestorben.

Seit jeher lehnen die städtischen Verantwortlichen die Beseitigung von Gefahrenstellen mit der immer gleichen Begründung ab, die Leistungsfähigkeit der Straßen für den Autoverkehr und die Einsparung von Kosten sei wichtiger als die Verbesserung der Verkehrssicherheit. Diese Sichtweise ist ebenso rechtswidrig wie ethisch inakzeptabel.

Die Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) gibt der Stadt seit Juli 2021 auch ausdrücklich im Text vor, welches Ziel bei der Verkehrsplanung und der Organisation des städtischen Verkehrs vorrangig zu verfolgen ist, die “Vision Zero”. Wörtlich heißt es im ersten Absatz des ersten Paragrafen: “Oberstes Ziel ist … die Verkehrssicherheit. Hierbei ist die „Vision Zero“ (keine Verkehrsunfälle mit Todesfolge oder schweren Personenschäden) Grundlage aller verkehrlichen Maßnahmen.”

„Vision Zero“ in der VwV-StVO

Was bedeutet “Vision Zero”?

Zwei entscheidende Grundbedingungen zeichnen die “Vision Zero” aus (VCD- Zeit für null Verkehrstote):

  • Der Mensch macht Fehler. Straßen müssen so gebaut und der Verkehr so organisiert werden, dass selbst wenn Fehler passieren, diese nicht schwere Personenschäden oder gar Tote zur Folge haben.
  • Die Belastbarkeit des menschlichen Körpers wird zum entscheidenden Maßstab. Unfallfolgen dürfen auch im schlimmen Fall nicht mehr tödlich sein.

“Vision Zero” bedeutete einen Paradigmenwechsel in der deutschen Verkehrspolitik. Helsinki und Oslo sind Vorreiter beim Vision-Zero-Ziel. Mit durchschlagendem Erfolg, 2019 war das erste Jahr in dem in beiden Städten nicht ein Mensch mit dem Rad oder zu Fuß im Straßenverkehr ums Leben kam (Keine Verkehrstoten: Was Helsinki richtig machtHow Oslo Reached Vision Zero).

Für die Deutsche Verkehrssicherheitsrat ist die “Vision Zero” bereits seit 2007 Grundlage der Verkehrssicherheitsarbeit (Die Vision Zero im DVR) In Bochum jedoch scheint von diesem sich seit mindestens einem Jahrzehnt abzeichnenden Paradigmenwechsel noch nichts angekommen zu sein.

In Bochum wird bei verkehrlichen Maßnahmen weiterhin alles der Leistungsfähigkeit der Straßen für den Autoverkehr untergeordnet. Ganz offen wird erklärt, man könne Gefahrenstellen nicht beseitigen, weil dann der Autoverkehr nicht mehr störungsfrei laufe. Für den ungestörten Verkehrsfluss werden bewusst Unfälle in Kauf genommen.

Des weiteren werden Kostengründe angeführt, warum Gefahrenstellen, die in der Regel aus eigenen Fehlplanungen der Verwaltung resultieren, nicht beseitigt werden könnten. Immer wieder heißt es, für die Beseitigung sei ein grundlegender Umbau erforderlich, die Kosten dafür seien zu hoch.

Fünf Gefahrenstellen in Bochum, die es nicht geben dürfte

Die folgenden fünf Beispiele zeigen, wie in Bochum mit Gefahrenstellen für Menschen, die sich zu Fuß oder mit dem Rad durch die Stadt umgegangen wird:

Alte Straßenbahngleise – Immer wieder kommt es in Bochum zu Unfällen von Zweiradfahrenden auf alten Straßenbahngleisen, die schon seit Jahrzehnten nicht mehr von der BOGESTRA befahren werden (Polizei Bochum vom 12.09.18WAZ vom 17.09.19Polizei Bochum vom 02.08.2020Polizei Bochum vom 08.08.21) Jetzt musste ein Mensch sterben, der in die Gleise an der Alleestraße einfädelte und auf die Fahrbahn stürzte (Radfahrer stirbt nach Sturz – Gefahrenstelle war bekannt).

An dieser Stelle werden die Gleise seit 16 Jahren nicht mehr von Straßenbahnen befahren. Die Gefahrenquelle wie die vielen Unfälle jedes Jahr waren der Stadt bekannt. Angeblich aus Kostengründen wurden die Gleise bis heute nicht entfernt. Die gepflegte Langsamkeit in vielen Bereichen der Verwaltung verzögerte die Entfernung immer weiter (Stadtverwaltung – viel zu oft viel zu langsam).

Der Stadt war klar, beseitigen wir die alten Gleise, also die Gefahrenquelle, wird es keine Unfälle mehr geben. Sie entschied sich jedoch bewusst gegen eine sofortige Beseitigung in dem Wissen, dass sie damit Unfälle mit schweren Personenschäden oder gar Toten in Kauf nehmen würde. Diese Haltung ist weder rechtlich noch ethisch zu rechtfertigen und widerspricht grundlegend der “Vision Zero”.

In vorliegendem Fall trifft auch die Politik eine Mitverantwortung, STADTGESTALTER und FDP hatten zuletzt 2018 die umgehende Beseitigung der alten Gleise mit Hinweis auf die Verkehrssicherungspflicht der Stadt beantragt (Antrag 20181151), doch SPD und Grüne lehnten mit Unterstützung von CDU und UWG, den Antrag ab.

Dorstener Straße, Kreuzung Hordeler Straße – In diesem Bereich ist aus Herne kommend stadteinwärts der Gehweg für den Radverkehr freigegeben. Für gleichzeitigen Rad- und Fußverkehr ist der Bürgersteig allerdings im Bereich der Kreuzung viel zu schmal. Dazu stehen noch Schilder auf dem Bürgersteig.

Im März 2022 kommt es in Folge der beschriebenen Gefahrenlage zu einem folgenschweren Unfall. Ein Radfahrer überholt auf dem Gehweg eine Fußgängerin bleibt an einem Schild hängen, das mitten auf dem Gehweg steht und stürzt auf die Fahrbahn. Ein LKW überfährt seinen Arm, mit viel Glück entgeht das Unfallopfer dem Tod (WAZ 23.03.2022).

Die Gefahrenstelle ist Verwaltung und Politik seit 30 Jahren bekannt (bo-alternativ vom 21.03.21), die Stadt verweigert seit drei Jahrzehnten eine Beseitigung mit dem Argument, dass dadurch die Leistungsfähigkeit der Kreuzung für den Autoverkehr gemindert würde. Die Gefahrenuelle zu beseitigen, und die Linksabbiegespur oder eine Fahrspur zu Gunsten eines sicheren Radweges einzuziehen, kommt für die Verwaltung nicht in Frage. Der Leistungsfähigkeit für den Autoverkehr wird die Sicherheit der Menschen, die zu Fuß gehen oder das Rad fahren, untergeordnet. Bewusst werden auch hier Unfälle mit Schwerverletzten und Toten in Kauf genommen, die “Vision Zero” wird mit Füßen getreten.

Die Politik zeigt sich hilflos. Nach jedem Unfall fordert auch die SPD eine Beseitigung der Gefahrenstelle (WAZ vom 12.04.22), traut sich aber nicht die Verwaltung anzuweisen, ihrer Verkehrssicherungspflicht nach zu kommen. Der nächste schwere Unfall mit Personenschaden ist nur eine Frage der Zeit.

Wittener Straße, Kreuzung Lohring – Diese Gefahrenstelle, dokumentiert eine beschämende Inkompetenz der verantwortlichen Verkehrsplaner. Auf einem 2,8 Meter breiten Gehweg wurde entgegen jeder gültigen Rechtsvorschrift und Planungsempfehlung für Radverkehrsanlagen ein kaum 1 Meter breiter benutzungspflichtiger Radweg angelegt. Damit schuf die Stadt die Gefahrenstelle quasi selbst.

Im August dieses Jahres kommt es zu einem beinahe tödlichen Unfall (WAZ vom 25.08.22). Ein 14-jähriger Junge fährt auf dem “Radweg”, eine 13-Jährige kommt ihm entgegen, tritt plötzlich auf die Radwegfläche, der Jugendliche weicht aus und stürzt auf die Straße. Die herannahende Autofahrerin legt blitzartig eine Vollbremsung hin, kommt gerade noch rechtzeitig zum Stehen, sonst wäre der Junge von dem PKW überrollt worden. Ein Szenario, das er voraussichtlich mit dem Leben bezahlt hätte.

Auch an diesem Ort weigert sich die Stadt seit Jahren die Gefahrenstelle zu beseitigen. Ein Radweg auf der Straße wird abgelehnt, eine Fahrspur müsste entfallen, der Leistungsfähigkeit der Straße für den Autoverkehr sei vor einer Verbesserung der Verkehrssicherheit Vorrang einzuräumen. Für die Erhaltung der Leistungsfähigkeit seien also Unfälle mit Schwerverletzten oder gar Toten in Kauf zu nehmen.

Auch in diesem Fall trägt die Politik eine Mitschuld. Zu dem Unfall wäre es nicht gekommen, wäre man dem Antrag der STADTGESTATER im Februar 2022 gefolgt. In diesem wurde beantragt die Gefahrenstelle durch einen Pop-Up-Radweg zu beseitigen (Antrag 20220231). Doch bis auf die Linke, sprachen sich alle anderen Fraktionen gegen eine sofortige Beseitigung der Gefahrenquelle aus.

Wittner Straße auf Höhe Ümminger See – In diesem Bereich erneuerte die Verwaltung im Herbst des Jahres 2021 den Gehweg, der wiederum entgegen jeder rechtlichen Vorgaben und Empfehlungen zur Anlage von Radverkehrsanlagen besonders im Bereich der Bäume mit rund 1,2 Metern viel zu schmal ausfällt (hallobo vom 21.01.2022). Ein Unfall mit schweren Personenschäden oder gar Toten ist auch hier vorprogrammiert. Wenn auf dem Gehweg, ein zu Fuß Gehender plötzlich und unbeabsichtigt vor einem Rad ausweicht oder zwei Radfahrende sich beim Entgegenkommen an einer Engstelle ins Gehege kommen, ist die Gefahr groß, dass einer der Radfahrenden auf die Straße fällt und dort von einem Auto erfasst wird. Bei den hohen Geschwindigkeiten, die in diesem Bereich gefahren werden, dürfte die Überlebenschance gering sein.

Aber auch in diesem Fall will die Stadt nicht eine Fahrspur in einen geschützten Radweg umwandeln. Wieder räumt die Stadt der Leistungsfähigkeit der Straße für den Autoverkehr Vorrang vor der Sicherheit der Menschen ein, die zu Fuß gehen oder das Rad nehmen. Dabei zeigte sich während der Sanierung des Gehweges, als eine Fahrspur über Wochen gesperrt war, dass die verbleibende Fahrspur für den Verkehrsfluss ausreichte, Staus oder stockender Verkehr war nicht zu beobachten.

In einem Dringlichkeitsantrag hatten die STADTGESTALTER im Oktober 2021 gefordert, die Gefahrenstelle zu beseitigen (Antrag 20213266) Am 4. November beauftragt die Politik daraufhin im Mobilitätsausschuss die Verwaltung zu prüfen wie die Radwegeführung auf der Wittener Straße im Teilstück zwischen Ümminger Straße und Alte Wittener Straße baulich so umgestaltet werden kann, dass Radfahrende die Straße sicher und konfliktfrei nutzen können. Die Verwaltung ignoriert den Auftrag. Bis heute, ein Jahr später, ist keine Prüfung erfolgt. Auch in diesem Fall wird das Ziel “Vision Zero” missachtet. Um dieses zu erreichen, muss jede bekannte Gefahrenstelle umgehend beseitigt werden. Die Verwaltung aber bleibt untätig.

Gemeinsame Geh- und Radweg auf der Königsallee – Dieser Fall zeigt, die Verwaltung schafft unnötig selbst neue Gefahrenstellen, wieder mit der Begründung die Verkehrssicherheit sei ggü. der Leistungsfähigkeit von Straßen für den Autoverkehr nachrangig zu behandeln. Statt bei der in diesem Jahr begonnenen Umgestaltung der Königsallee den Radweg durchgehend neben der Straße zu führen, wird der Radverkehr auch bei dieser Maßnahme wiederum teilweise auf den Gehweg geführt.

Die geplante Radwegeführung widerspricht sämtlichen Empfehlungen wie Radwege sicher anzulegen sind. Vorhersehbar wird es auf dem gemeinsamen Geh- und Radweg zu weiteren schweren Unfällen zwischen Radfahrenden und zu Fuß Gehenden kommen. Schon heute werden die Radfahrenden an der entsprechenden Stelle über den Gehweg geführt, zuletzt kam es im März zu einem Unfall (Polizei Bochum vom 06.03.2022). Eine 17-jährige Bochumerin stieg an der Bushaltestelle „Werk Eikhoff“ aus dem Bus aus und kollidierte unmittelbar nach dem Aussteigen mit einem Radfahrer. Beide Personen stürzten zu Boden. Bei Stürzen kann es immer zu schweren Personenschäden oder gar schlimmerem kommen.

Trotz dieses Wissens beschloss die Politik den Umbau der Königsallee mit gemeinsamem Geh- und Radweg und damit einer neuen Gefahrenstelle, anstatt wie von den STADTGESTALTERn vorgeschlagen und beantragt, eine sichere Radwegeführung umzusetzen (Grüne bleiben in Bochum Autopartei). Es zeigt sich, auch die Politik verfolgt das Ziel “Vision Zero” bisher nicht. Grundlage aller verkehrlichen Maßnahmen ist nicht Straßen, Rad- und Gehwege so zu planen, dass Verkehrsunfälle mit Todesfolge oder schweren Personenschäden bereits aufgrund der baulichen Gestaltung vermieden werden.

Die Politik muss die Verwaltung zum Umdenken zwingen

Die fünf Beispiele zeigen, die städtische Verkehrsplanung scheint immer noch nicht mitbekommen zu haben, dass seit Juli 2021 bei allen verkehrlichen Maßnahmen vorrangig das Ziel zu verfolgen ist, Personenschäden zu vermeiden und die Zahl der Toten im Straßenverkehr auf null zu senken. Straßen, Rad- und Gehwege sind so (um-)zu gestalten, dass es selbst bei Fehlern der am Verkehr Teilnehmenden nicht zu Unfällen mit Schwerverletzten oder gar Schlimmerem kommt. Bekannte Gefahrenstellen sind deshalb umgehend zu beseitigen, neue zu schaffen zu unterlassen.

Das Ziel “Vision Zero” hat uneingeschränkte Priorität. Eine Abwägung mit der Leistungsfähigkeit von Straßen für den Autoverkehr ist nicht vorgesehen. Sicherheit für zu Fuß Gehende und Radfahrende ist ohne Wenn und Aber herzustellen. Ob damit die Leistungsfähigkeit der Straße gemindert wird, ist kein Entscheidungskriterium. Ist Sicherheit nur durch Einschränkung der Leistungsfähigkeit herzustellen, dann ist dementsprechend zu handeln.

Sollte die Stadt bei ihren verkehrlichen Maßnahmen nicht umgehend den Vorgaben der StVO folgen, ist damit zu rechnen, dass Unfallopfer die Stadt mit guten Erfolgsaussichten auf Schmerzensgeld und Schadenersatz verklagen werden. Gefahrenquellen wie alte Straßenbahngleise nicht zu beseitigen, und damit vorsätzlich schwere Unfälle mit Schwerverletzten und Toten in Kauf zu nehmen, ist nicht mit der “Vision Zero” vereinbar. Bekannte Gefahrenquellen sind zu beseitigen, so dass Fahrfehler keine schweren Folgen haben. Leben ist nicht verhandelbar. Menschen machen Fehler.

Der tödliche Unfall auf der Alleestraße sollte die Verantwortlichen endlich wachgerüttelt haben. Zur Not muss die Politik die Verwaltung zwingen, die “Vision Zero” zu verfolgen.

15 Mai

Fast die Hälfte der Menschen in Bochum ist gesundheitsschädlichem Lärm ausgesetzt

Laut Lärmaktionsplan ist die Hauptquelle des Lärms in Bochum der Straßenverkehr. 172.000 Menschen sind einem 24-Stunden Lärmpegel von mehr als 53 db(A) ausgesetzt. Lärm über diesem Wert ist laut WHO gesundheitsschädlich. Die jetzt vorgelegte Fortschreibung des Lärmaktionsplans zeigt, die Stadt tut viel zu wenig um den Lärm wirksam zu reduzieren.

Gerade hat die Stadt Bochum die Fortschreibung des Lärmaktionsplans vorgelegt. Über diesen soll der Stadtrat am 21.06.22 abstimmen. Als Hauptverursacher für übermäßigen Lärm in Bochum wird im Plan der Straßenverkehr identifiziert.

In Bochum müssen 47% der Menschen gesundheitsschädlichen Lärm ertragen

Die Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu Umgebungslärm für die Europäische Region empfehlen für die durchschnittliche Lärmbelastung mit Nachdruck, dass der durch Straßenverkehr bedingte Lärmpegel (Lden) auf weniger als 53 dB(A) verringert werden soll, weil Straßenverkehrslärm oberhalb dieses Wertes mit schädlichen gesundheitlichen Auswirkungen verbunden ist. Aus gleichem Grund wird für die nächtliche Lärmbelastung stark empfohlen, den Lärmpegel (Lnight) auf weniger als 45 dB(A) zu verringern.

Empfehlungen der WHO für Straßenverkehrslärm

Gemäß dem jetzt von der Stadt vorgelegtem Lärmaktionsplan sind in Bochum rund 172.000 Menschen einem Lärmpegel von über 53 db(A) ausgesetzt. Das sind 47% aller Bewohner*innen. Wie viele Menschen einer nächtlichen Lärmbelastung über dem WHO-Grenzwert von 45 dB(A) ausgesetzt sind, kann nicht ermittelt werden, da im Lärmaktionsplan Zahlen fehlen, wie viele Menschen in der Nacht Lärm zwischen 45 und 50 db(A) ausgesetzt sind.

Lärmschutzmaßnahmen bisher wenig erfolgreich

In Bochum von Lärm betroffene Einwohner*innen

Im Lärmaktionsplan sollen die Maßnahmen festgeschrieben werden, mit denen der Lärm in der Stadt auf ein für die Bewohner und Bewohnerinnen gesundes Maß gesenkt werden soll. Leider muss die Verwaltung in der Fortschreibung einräumen, dass die bisherigen Maßnahmen, insbesondere jene zur Geschwindigkeitsreduzierung mangels ausreichender Überwachung der Tempolimits nicht wirklich erfolgreich waren. Laut Aktionsplan hat in den letzten Jahren zwar die Zahl der Menschen deutlich abgenommen, die nachts besonders hohe Lärmpegel über 55 d(B(A) ertragen müssen. Gleichzeitig kommt die im Zusammenhang mit dem Lärmaktionsplan durchgeführte Befragung zu dem Ergebnis, dass die Menschen in Bochum empfinden, dass der Lärm in der Stadt in den letzten Jahren nicht ab- sondern zugenommen hat (Anlage Lärmaktionsplan). Entsprechend ist die Zahl der Menschen, die einem 24-Stunden-Lärmpegel von 50-65 db (A) ausgesetzt sind, in den letzten 10 Jahren extrem angestiegen (+54.100).

Veränderung Lärmsituation im Wohnumfeld

Maßnahmen in der Fortschreibung des Lärmaktionsplans sind unzureichend

Trotzdem die Erfolge des bisherigen Lärmaktionsplans zu wenig Wirkung gezeigt haben. fallen, die in der Fortschreibung neu vorgeschlagenen Maßnahmen unambitioniert aus. Das Ziel, die Lärmwerte in den nächsten 5 Jahren im erforderlichen Maße zu senken, wird offensichtlich nicht verfolgt. In der Hauptsache sollen lediglich einige weitere Abschnitte von Hauptverkehrsstraße mit lärmminderndem Asphalt versehen werden. Geschwindigkeitsreduzierungen sollen keine zusätzlichen vorgenommen werden. Im Endeffekt werden diese Maßnahmen nicht im Ansatz ausreichen eine signifikante Lärmminderung zu erreichen.

Mögliche Maßnahmen um Straßenverkehrslärm aktiv zu reduzieren

Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten, um den Verkehrslärm aktiv zu reduzieren:

Bewertungsmatrix zu Maßnahmen zur Lärmminderung im Straßenverkehr

Lärmoptimierter Asphalt – Mit einem entsprechenden Straßenbelag kann, der Lärm der beim Abrollen der Fahrzeugreifen entsteht um 3 bis 6 db(A) reduziert werden. Allerdings sind die Abrollgeräusch bei PKW erst ab 30 km/h bei LKW erst ab 60 km/h lauter als die Motorengeräusche, so dass bei LKWs die lärmreduzierende Wirkung sehr viel geringer ausfällt als bei PKW. Ein Lastwagen produziert allerdings ca. 10-mal so viel Lärm wie ein Personenwagen. Der Anteil des von LKW produzierten Straßenlärms liegt bei ca. 20%. Dazu nimmt die lärmmindernde Wirkung des Flüsterasphalts nach 7-10 Jahren stark ab. Der Straßenbelag muss erneuert werden, was die Maßnahme auf Dauer teuer macht.

Im Zuge der Straßenbelagsanierung kann zusätzlich die Breite der Fahrspuren reduziert werden, was eine zusätzliche lärmmindernde Geschwindigkeitsreduzierung zur Folge hat.

Tempo 30 – kann den Lärm um 2 bis 4,5 db(A) verringern. Die Maßnahme ist kostengünstig, muss aber effektiv überwacht werden, um sicher zu stellen, dass die Tempolimits auch eingehalten werden. Eine flächendeckende Einführung von Tempo 30 hat zudem noch weitere positive Effekt für die Stadt (Mehr Stadtstraßen mit Tempo 30). Tempo 30 bewirkt insbesondere eine Verringerung der Zahl und Schwere der Unfälle sowie eine höhere Attraktivität des Straßenraums für den Langsamverkehr (Rad- und Fußverkehr). Dem stehen zumutbare Fahrtzeitverlängerungen für Autofahrende entgegen.

Autoverkehrsreduzierung – Wird ein Weg in der Stadt statt mit dem Auto zu Fuß, mit dem Rad erledigt sinkt dadurch der erzeugte Lärm auf fast null. Wird alternativ der ÖPNV zurückgelegt, sinkt der erzeugte Lärm ebenfalls drastisch. Das Gleiche gilt, wenn zum Transport von Gütern, wo es möglich ist, Lastenräder oder die Bahn eingesetzt werden. Maßnahmen zur Reduzierung des Autoverkehrs und eine Verlagerung auf andere Verkehrsmittel sind also besonders effektiv.

Darüber hinaus kann Stadtverkehr vermieden werden, in dem die Wege in der Stadt möglichst kurz gehalten werden. Eine kompakte Stadt mit starken Stadtteilzentren im Sinne einer !5-Minuten-Stadt, lässt Verkehr erst gar nicht entstehen (Sollte Bochum zur 15-Minuten-Stadt werden?).

Ergänzend können drei weitere Maßnahmen genannt werden, die zu einer Reduzierung des Lärms führen: Die Verbesserung des Verkehrsflusses, die Verlagerung des Verkehrs auf Straßen, an denen nicht bzw. wenig gewohnt wird, sowie nächtliche LKW-Fahrverbote mit denen solche Verlagerungen erreicht werden können.

Was müsste getan werden, um den Lärm in der Stadt wirksam zu reduzieren?

Die bisherige Erfahrung mit den genannten Maßnahmen in Bochum zeigt, um eine effektive Minderung des Lärms zu erreichen, reicht der Einsatz einzelner Maßnahmen nach dem Gießkannenprinzip, wie ihn der Lärmaktionsplan für die Stadt vorsieht, nicht aus. Es muss von allen Mitteln umfassend Gebrauch gemacht werden.

Um die erforderliche Lärmreduzierung zu erreichen müsste die Stadt die Rad- und ÖPNV-Verkehrsnetze so ausbauen, dass sich der Autoverkehr in der Stadt halbiert. Auch der LKW-Verkehr in der Stadt müsste erheblich gesenkt werden, dies gelänge insbesondere durch Verlagerung des Güterverkehrs auf andere Verkehrsmittel wie Verkehrswege, an denen die Stadtbewohner*innen weniger belastet werden. Dafür fehlt der Stadt jedoch ein städtisches Güterverkehrskonzept, wie die STADTGESTALTER es bereits für Teile der Stadt vorgeschlagen haben (Paketzustellung mit Seilbahn und Lastenrad).

Zusätzlich wäre die Einführung von stadtweit Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit erforderlich. Nur dort, wo keine Menschen an Straßen wohnen, sollten höhere Geschwindigkeiten ausgeschildert werden (Mehr Stadtstraßen mit Tempo 30). Mit flächendeckend Tempo 30 in der ganzen Stadt sinken Lärm und Geschwindigkeit im gesamten Stadtgebiet. Auch wird ein einfach nachvollziehbares, stadtweites Tempolimit besser eingehalten, als Geschwindigkeitsbegrenzungen für Teilabschnitte von Straßen.

Schließlich sollten besonders laute Straßenabschnitte mit lärmminderndem Asphalt versehen werden, um dort zusätzliche Lärmminderungen zu erreichen.

Nur wenn alle diese Maßnahmen konsequent und gleichzeitig verfolgt werden, ist die erforderliche Lärmreduzierung zu schaffen. Die vorgelegte Fortschreibung des Lärmaktionsplans erweckt den Anschein, die Stadt verfolge das Ziel, den Lärm zu reduzieren nicht ernsthaft. An Maßnahmen, die Autofahrende auch nur leicht einschränken könnten, trauen sich die Verantwortlichen nicht ran. In der Verwaltung scheint man der Ansicht zu sein, die Gesundheit der Anwohnerinnen und Anwohner der Hauptverkehrsstraßen sei nicht so hoch zu bewerten wie die Interessen der Autofahrenden.

Lärm kostet die Stadt jedes Jahr Millionen

Auch scheint der Stadt nicht bewusst zu sein, dass der Lärm die Stadt jedes Jahr erhebliche Summen kostet. Lärm ist besonders mit zwei externen Kostenfaktoren verbunden, bei denen die Kosten nicht von den denjenigen beglichen werden, die sie verursachen

Gesundheitskosten: – monetärer Schaden, der durch lärmbedingte Krankheitsbilder verursacht wird. (Medizinische Behandlungskosten, Nettoproduktionsausfall, Wiederbesetzungskosten, immaterielle Kosten infolge Verkürzung der Lebenserwartung und Krankheitsfälle).

Belästigungskosten – Mietzinsausfälle an lärmbelasteten Lagen in Relation zu Vergleichsobjekten an ruhigen Lagen.

Während die Gesundheitskosten zu Lasten der Gesellschaft insgesamt gehen, entstehen die Mietzinsausfälle in der Stadt und sind dort als Schaden zu verorten. Auf jeden Personenkilometer der mit dem PKW zurückgelegt wird, entfallen 0,007 Euro externe Kosten für Gesundheitsschäden und Mietausfälle (Lärm kostet). Bei 2.400 Mio. Personenkilometer, die in Bochum von den Einwohnern und Einwohnerinnen in jedem Jahr mit dem PKW zurückgelegt werden, ergeben sich so Lärmkosten in Höhe von fast 17 Mio. Euro. Davon entfallen jährlich 8 Mio. auf Gesundheitskosten und fast 9 Mio. auf städtische Mietzinsausfälle. Das sind enorme Kostenbeträge, die nur die externen Kosten des PKW-Verkehrs wiedergeben. Die nicht internalisierten Lärmkosten, die durch den LKW-Verkehr verursacht werden, kommen noch hinzu.

Lärm ist also nicht nur belästigend und gesundheitsschädlich für die städtischen Einwohner und Einwohnerinnen, er belastet auch erheblich die Stadtkasse.

Dem Lärmaktionsplan kann nicht zugestimmt werden

Der vorgelegte Lärmaktionsplan also nicht geeignet die dargestellten Lärmprobleme in der notwendigen Konsequenz anzugehen. Es soll der Anschein erweckt werden, die Stadt tue in Sachen Lärm etwas, doch tatsächlich stellen die wenigen im Plan ausgewiesenen Maßnahmen kaum mehr als Aktionismus dar. Entsprechend werden die STADTGESTALTER dem Plan nicht zustimmen. Will die Stadt den Lärm in Bochum wirklich auf das von der WHO geforderte Maß vermindern, dann muss sie auch bereit sein, das zu tun, was dazu erforderlich ist.

23 Jan

Gutachten bestätigt: Autofreier August-Bebel-Platz ist die beste Lösung

Seit Jahren können sich Stadt und Politik nicht entscheiden wie der hässlichste Platz der Stadt umgestaltet werden soll. Jetzt schafft ein Gutachten Klarheit, ein Platz ohne Autos hat für die Innenstadt Wattenscheid das mit Abstand größte Potential. Die von den STADTGESTALTERn bereits 2015 vorgeschlagene Herausnahme des Verkehrs soll nun Wirklichkeit werden.

Eigentlich sollte der August-Bebel-Platz schon vor Jahren umgestaltet werden. Doch wie so häufig, dauert in Bochum und Wattenscheid vieles etwas länger als in anderen Städten. 2013 hatte die Stadt drei Planungsbüros beauftragt. Vorschläge für eine Umgestaltung zu machen. Obwohl in städtebaulicher Hinsicht fortschrittlichen Städten schon lange üblich, traute sich die Verwaltung unter dem damaligen Stadtbaurat jedoch nicht den Planungsbüros vorzugeben den Platz autofrei zu gestalten. 75.000 Euro zahlte die Stadt für drei mäßige Planungsentwürfe, denen es nicht gelang, bei gleichzeitigem Verkehr den Platz spürbar aufzuwerten. Die Politik war wenig begeistert. Ein vierter Konsensentwurf der Verwaltung mit Elementen aus allen drei Entwürfe konnte die Politik ebenfalls nicht überzeugen.

August-Bebel-Platz mit Autoverkehr nicht förderfähig

Auch die Bezirksregierung, die die einen Großteil der Fördermittel zur Neugestaltung de Platzes bereitstellen soll, war nicht überzeugt von den Bochumer Konzepten, man ließ durchblicken, dass es für einen Platz, über den weiter Verkehr fließen sollte, es keine Fördermittel geben werde (August-Bebel-Platz autofrei?!). Also überzeugte die SPD die Wattenscheider Grünen, den Platz doch autofrei zu gestalten. Die CDU und UWG liefen Sturm und drohten mit einem Bürgerbegehren. SPD und Grüne knickten ein. Man einigte sich darauf ein unabhängiges Verkehrsgutachten erstellen zu lassen, das vier Planungsvarianten mit unterschiedlichen Verkehrsführungen prüfen und vergleichen sollte. Darauf basierend sollte dann ein neuer Planungswettbewerb zur Gestaltung des Platzes ausgeschrieben werden.

Verkehrsgutachten sieht mit Abstand größtes Potenzial für die Wattenscheider Innenstadt bei autofreiem Platz

Das Verkehrsgutachten (Verkehrliche Auswirkungen möglicher Umbauvarianten) inklusive einer schalltechnischen Untersuchung (Untersuchung Schall) liegt jetzt vor. Aufgrund der eindeutigen Ergebnisse schlägt die Verwaltung vor, den Platz nunmehr doch autofrei zu gestalten. Die autofreie Gestaltungsvariante bietet laut Gutachten das größte Potential für eine neue Platzgestaltung und wie alle Varianten keine nennenswerten negativen Auswirkungen bezogen auf den Verkehr. Nur 5.000 Fahrzeuge (ohne ÖPNV) queren den Platz pro Tag. Das bedeutet am Tag fahren aller 5 Minuten rd. 30 Autos über den Platz. Die Verkehrsbelastung kann somit nur als gering bezeichnet werden.

Im Gutachten wurden vier Varianten untersucht:
Variante 1: Autos und ÖPNV queren auf einem gemeinsamen Fahrstreifen je Fahrtrichtung den Platz. Es gilt ein Tempolimit von 20 km/h.
Variante 2: Autos queren den Platz nur noch im Einbahnstraßenverkehr von Süd nach Nord.
Variante 3: Der Verkehr wird mit einem Auto- wie einem davon separierten ÖPNV-Fahrstreifen je Fahrtrichtung über den Platz geführt.
Variante 4: Der August-Bebel-Platz wird autofrei.

Im Rahmen des Gutachtens wurden die Auswirkungen der Verkehrsführungen auf die Umgebung geprüft. Insbesondere wurden negative Auswirkungen von eventuellem Ausweichverkehr auf Straßen in der Nachbarschaft des Platzes betrachtet. Zudem wurde bewertet, welche Umgestaltungspotentiale die Varianten für die Innenstadt bieten.

Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass alle vier Varianten die Qualität im umliegenden Straßennetz nicht negativ beeinflussen. Die Varianten 2 und 3 lassen kaum Raum für eine positive Umgestaltung des August-Bebel-Platzes. Dieser ist bei Variante 4 mit Abstand am größten. Die Verkehrssicherheit für Menschen die zu Fuß gehen oder das Rad nehmen, weißt zudem bei den Varianten 2 und 3 immer noch deutliche Defizite auf. Variante 4 besitzt darüber hinaus das größte Potenzial für die Stärkung der Nahmobilität, die für die Entwicklung der Wattenscheider Innenstadt von entscheidender Bedeutung ist.

Bewertungsmatrix, ISG Ingenieure-Gesellschaft Stolz mbH

Insgesamt wurden die vier Varianten nach acht Kriterien bewertet. Die autofreie Variante schafft es dabei auf 12 Punkte, die anderen drei Varianten 1, 2 und 3 nur auf 7, 5 bzw. 4 Punkte. Die Umgestaltungsvariante ohne Autoverkehr auf dem August-Bebel-Platz setzt sich somit deutlich gegenüber den anderen Varianten durch. Ein erwartbares Ergebnis, dass die Analyse der STADTGESTALTER bestätigt, die sich als erste politische Kraft bereits vor 7 Jahren, im Januar 2015, für einen autofreien August-Bebel-Platz ausgesprochen haben (Neue Ideen für Wattenscheid).

Nunmehr verfolgt auch die Verwaltung diese Lösung. Im Auslobungstext für den Gestaltungswettbewerb für den Platz (Entwurf Auslobungstext) soll es jetzt heißen: „Vorgabe für den Planungswettbewerb ist eine MIV-freie Verkehrsführung für den August-Bebel-Platz. Die Querung der Platzfläche wird somit für den Kfz-Verkehr gesperrt. Lediglich der Busverkehr sowie die Straßenbahn passieren den Platz.“ (MIV = Motorisierter Individualverkehr = Auto).

Erkenntnis, dass der Platz autofrei sein sollte, kommt spät, hoffentlich nicht zu spät

Wären Politik und Verwaltung den Erkenntnissen gefolgt, die in erfolgreichen Großstädten zu Platzumgestaltungen schon seit Jahrzehnten vorliegen, hätte es für die Entscheidung, den August-Bebel-Platz zukünftig für den motorisierten Individualverkehr zu sperren, keines Gutachtens bedurft. Der Platz hätte schon in den letzten Jahren grundlegend umgestaltet werden können, ja müssen, denn er lädt die Menschen nicht nach Wattenscheid ein, seine derzeitige Gestaltung schreckt sie ab. So kommt die Erkenntnis, dass der Verkehr auf dem Platz der Innenstadt schadet und nicht nützt, zwar spät, aber hoffentlich nicht zu spät. Besser jedenfalls als hätte man den Platz schon umgebaut und müsste nun feststellen, die teuren Umgestaltungen würden nichts für die Wattenscheider Innenstadt bewirken, da der Autoverkehr immer noch über den Platz fährt.

Noch besser: Park statt Platz

Die STADTGESTALTER hatten 2015 jedoch nicht nur einen autofreien August-Bebel-Platz vorgeschlagen, sie schlugen vor, aus dem Platz einen Park zu machen. (Aus dem August-Bebel-Platz einen Park machen). Dabei könnte Park Im südlichen Teil auch als Platz gestaltet werden. Dieser Vorschlag ist auch angesichts der Klimakrise 2022 noch genau so aktuell wie schon 2015. So stellt das bereits dargestellte Gutachten ebenfalls fest, dass der August-Bebel-Platz aufgrund seiner fast vollständigen Pflasterung und Asphaltierung derzeit eine Hitze-Insel darstellt. Eine Beschattung durch Vegetation, mehr Begrünung und Wasserflächen sollte der Überhitzung des Platzes entgegen wirken. Genau da setzt die Parkidee der STADTGESTALTER an.

August-Bebel-Platz, Plan STADTGESTALTER

Nach den Vorstellungen der STADTGESTALTER soll der neue Park zu einem attraktiven und belebten Ort am Eingang der Wattenscheider Innenstadt gemacht werden. Der Autoverkehr bis auf Straßenbahnen und Busse soll umgeleitet werden. Für die wegfallenden Parkplätze kann an der Nordseite des Platzes ein offenes Parkhaus errichtet werden.

in dem neuen Park sollen viele verschiedene Aktivitäten für alle Altersgruppen möglich sein (Plan des neuen Parks). Es soll ein Spielareal geben, viele Sitzgelegenheiten, neben dem bestehenden Brunnen ein weiteres Wasserspiel und ein Spielfeld, das den Park besonders für Kinder und Jugendliche attraktiv macht. Vorbild könnte der Vasaparken in Stockholm sein (Vasaparken Wikipedia).

Um den gesamten heutigen August-Bebel-Platz in einen neuen autofreien Platz umzuwandeln, ist die Fläche mit 12.700 Quadratmetern eigentlich viel zu groß (August-Bebel-Platz vs. August-Bebel-Park). Für einen Innenstadtpark mit integrierter Platzfläche am Eingang zur Oststraße könnte die Fläche viel besser und vielfältiger genutzt werden.

Am 09.03.2022 wird der Stadtrat die Ausschreibung für die Gestaltung eines neuen, autofreien August-Bebel-Platzes auf den Weg bringen. Im Rahmen der Ausschreibung sollen maximal 15 Planungsbüros bzw. Bürogemeinschaften im Rahmen eines Wettbewerbs qualitativ hochwertige Umgestaltungsvorschläge einreichen. Fünf Büros davon werden von der
Stadt Bochum gesetzt (Beschlussvorlage 20222823). Die Wattenscheider dürfen gespannt sein, welche Umgestaltungsideen die Städtebauer 2023 präsentieren werden.

Zu hoffen ist, dass die Arbeiten zur Umgestaltung dann 2024 beginnen und vielleicht schon 1 bis 2 Jahre später der neue Platz der Öffentlichkeit übergeben werden kann. Denn es wird höchste Zeit, dass sich in der Wattenscheider Innenstadt grundlegend was tut, um den sich ungebremst fortsetzenden Niedergang endlich zu stoppen.

04 Jan

Bürgerentscheid zum August-Bebel-Platz

Wer an Wattenscheid denkt, der hat als erstes den August-Bebel-Platz im Auge. Der schlechte Ruf der Stadt ist nicht zuletzt Folge des trostlosen Stadtbildes der Innenstadt, das besonders durch diesen Platz geprägt wird.

Die Umgestaltung des Platzes wurde bereits 2014 beschlossen

Schon 2014 wurde beschlossen, der Platz soll neu gestaltet werden. Die Umgestaltung ist eine Maßnahme des Stadtteilumbaukonzeptes für Wattenscheid (ISEK Wattenscheid). Also wurden vom Stadtteilbüro zur Umgestaltung des Platzes Bürgerwünsche eingeholt, es gab Begehungen, auch Nutzer und Anwohner wurden befragt.

August-Bebel-Park

Als erste entwickelten die STADTGESTALTER bereits 2014 ein Konzept für die grundlegende Neugestaltung des Platzes. Nach Vorstellung der STADTGESTALTER soll aus dem Platz, der bisher mehr eine überdimensionierte Verkehrskreuzung denn ein echter Platz ist, ein Park werden (Vorschlag August-Bebel-Park). Weiterlesen