27 Feb

Zehn Beispiele für die verfehlte Bochumer Schulpolitik

Die folgenden zehn Beispiele für die verfehlte Bochumer Schulpolitik zeigen, dass Stadt und Politik bisher nicht bereit sind im nötigen Umfang in Schulen und Bildung zu investieren. In der Folge weist Bochum eine weit über dem deutschen Durchschnitt liegende Zahl an Menschen ohne Arbeit bzw. mit nicht ausreichender Beschäftigung auf.

Die Arbeitslosenquote in Bochum liegt 65% über der in Gesamtdeutschland (8,5% zu 5,1%), die Unterbeschäftigtenquote sogar 82% über der in ganz Deutschland. Sie trifft vorwiegend Menschen ohne ausreichende Schul- und Berufsausbildung. Die Arbeitslosenquote bei Menschen ohne Schulabschluss fällt in etwa sechsmal so hoch aus wie bei Menschen mit abgeschlossener betrieblicher, schulischer oder akademischer Bildung (O-Ton Arbeitsmarkt). 61,3 Prozent der Arbeitslosen sind Frauen und Männer ohne abgeschlossene Berufsausbildung. (WAZ 13.12.21). Bei den Langzeitarbeitslosen hat fast ein Viertel keinen Schulabschluss, 37 % einen Hauptschulabschluss, fast 70% haben keinen Berufsabschluss.

Diese desaströsen Zahlen sind letztlich die Folge eines eklatanten Versagens der Stadt in der Schul- und Bildungspolitik und das Ergebnis einer Reihe von Fehlentscheidungen der letzten Jahrzehnte. Hier zehn Beispiele für die verfehlte Bochumer Schulpolitik:

1. Schließung der Grundschulen 2012 – Von 58 städtischen Grundschulen 2012 sind heute nur noch 42 übrig. Den Rest schloss die Stadt oder wandelte sie in Teilstandorte anderer Grundschulen um. Das Ziel: Kosten sparen. Dabei ignorierte die Stadt, dass das Land für die Grundschulen eine deutliche Verkleinerung der Klassengrößen vorgeschrieben hatte. Darüber hinaus wurden der Entscheidung falsche Annahmen zur Entwicklung der Demografie zu Grunde gelegt. Wie von den Kritikern vorgerechnet (Das Märchen von Schulschließungen aufgrund abnehmender Schülerzahlen), erwies sich die Entscheidung als falsch. Jetzt fehlt laut Stadt in jedem der sechs Bochumer Stadtbezirke je eine Grundschule.

Der Neubau von neuen Grundschulen wird für die Stadt sehr teuer werden. Die neue Feldsieper Grundschule alleine wird voraussichtlich 23 Mio. Euro kosten (Falsche Grundschulschließungen kosten die Stadt 50 Mio.).

2. Systematische Vernachlässigung des baulichen Zustands und der Ausstattung der Schulen – Weiterhin sind viele Bochumer Schulen schwer sanierungsbedürftig, bei der Ausstattung, fehlt es an allen Ecken. Teile von Schulen sind nicht benutzbar, für Fachunterricht wie beispielsweise Physik. Chemie oder Biologie fehlt es an entsprechend gut ausgestatteten Fachräumen. Nach Jahrzehnten systematischer Vernachlässigung versucht die Stadt zwar seit einigen Jahren den gigantischen Sanierungsstau aufzuholen, doch die eingesetzten finanziellen Mittel werden dafür nicht reichen. 

3. Fehlende Gesamtschule – Seit Jahren melden sich mehr Kinder an Gesamtschulen an, als Plätze an Gesamtschulen verfügbar sind. 2022 fanden 43 Kinder nicht an der Gesamtschule einen Platz, zu der sie gehen wollten, weitere 73 Kinder, mussten eine andere Schulform wählen (WAZ vom 17.02.22). Statt eine Gesamtschule dort zu schaffen, wo sie in Wattenscheid fehlt, wandelte die Stadt nach gescheitertem Schulversuch die Gemeinschaftsschule in eine Gesamtschule (Bochum-Mitte) um, die nur 700 Meter entfernt von einer weiteren Gesamtschule liegt (Gesamtschulstandort ist ungeeignet).

Wie von den Kritikern vorhergesagt, besteht für diese Gesamtschule Bochum-Mitte genau so wenig Bedarf wie bereits für die vormalige Gemeinschaftsschule an gleicher Stelle, während in Wattenscheid weiterhin eine Gesamtschule fehlt (Gesamtschulstandort ist ungeeignet). Auch 2022 meldeten sich auf die 98 Plätze der Gesamtschule nur 55 Schüler*innen an. Eine auch aus anderem Grund verständliche Entscheidung, denn wer schickt sein Kind an eine Schule mit zwei Standorten, die fast 20 Minuten Fußweg auseinander liegen?

4. Fehlende Turnhallen und Lehrschwimmbecken – Sport und Schwimmunterricht findet an Bochumer Schulen nur mit teilweise erheblichen Einschränkungen statt. Es fehlt an Turnhallen und Lehrschwimmbecken. So verfügt die vierzügige Gesamtschule Bochum-Mitte zusammen mit der dreizügige Grundschule Feldsieper Straße nur über zwei Turnhallen. Fünf von 15 Lehrschwimmbecken in Bochum können derzeit nicht genutzt werden., da sie über Jahrzehnte nicht Instand gehalten wurden (WAZ vom 28.12.21). Dazu fehlt es an Schwimmmöglichkeiten in den öffentlichen Bäder der Stadt. In der Folge sind die Schwimmfähigkeiten vieler Bochumer Schüler*innen sehr begrenzt.

5. Gescheiterte Mensaneubauprojekte – Bereits 2014 beschloss der Stadtrat, dass an Goethe-Schule, Hildegardis-Schule und Annette-von-Droste-Hülshoff-Schule aufgrund des Ganztagsbetriebs Mensen gebaut werden sollten. Die Verwaltung hat es bis heute nicht hin bekommen diese Neubauten zu errichten.

Bei der Gothe-Schule gab es bis 2016 schon 3 vergebliche Anläufe (Unfähigkeit? – Bau der Goethe-Mensa scheitert auch im dritten Versuch), bis 2021 folgten einige weitere.

Ständige neue Planungen, verschiedenste Standortuntersuchungen und Kostenüberschreitungen aufgrund von Fehleinschätzungen führten letztlich dazu, dass die Verwaltung in 8 Jahren dem Stadtrat nie einen realisierbaren Planungsentwurf vorlegen konnte. Nach Aussage der Verwaltung soll der Neubau der Mensa jetzt bis zum Beginn des Schuljahrs 2026 abgeschlossen sein. Den letzten Erklärungen der Verwaltung ist zu allerdings entnehmen, dass alle bisherigen Planungen eingestampft wurden und derzeit keine neuen Planungen laufen (Stadtverwaltung – viel zu oft viel zu langsam).

Ähnlich verliefen die Neubauprojekte an Hildegardis- und Annette-von-Droste-Hülshoff-Schule bis heute im Sande. Dass die Schüler*innen mittags gut versorgt werden, scheint weder Stadt noch Politik ernsthaft zu interessieren. Ein möglichst optimales Lernklima zu schaffen ist offensichtlich nicht das Ziel.

6. Unzureichende digitale Ausstattung – Wie die Coronakrise gezeigt hat, fehlt es in allen Bochumer Schulen an digitaler Ausstattung wie Konzepten für digitalen Unterricht. Erst 2025 sollen alle Bochumer Schulen an das Glasfasernetz angeschlossen sein. Bis heute gibt es keinen Plan, wie alle Schüler und Schülerinnen an ein digitales Endgerät kommen sollen. Gutes WLAN ist in Bochumer Schulen immer noch eine Seltenheit (Digitaloffensive: Tempo bei der Schul-Digitalisierung deutlich erhöhen). Wenn Schulen digital besser ausgestattet sind, wie die Schillerschule, ist das allein der Verdienst einer engagierten Schulleiter*in sowie Lehrkräften und eines finanzkräftigen Fördervereins. Die Stadt hat daran leider keinen Anteil (WAZ vom 26.02.2022).

Während der Coronakrise rächte sich die bisherige provokative Langsamkeit der Bochumer Schulverwaltung in allen Bereichen, die mit Digitalisierung zu tun haben. Jetzt will man die technischen Defizite an den Schulen zwar schneller beseitigen. Doch was die Verwaltung für schnell hält, ist nach allgemeinem Sprachverständnis immer noch zu langsam. Es werden noch Jahre vergehen, bis die Versäumnisse aufgeholt wurden.

Zu befürchten ist, dass dann, wenn das nötige digitale Equipment endlich an den Schulen vorhanden ist, der Unterricht und die Unterrichtsinhalte immer noch nicht an die digitalen Möglichkeiten und Erfordernisse angepasst wurden, denn in diesem Bereich passiert an den Bochumer Schulen bisher kaum etwas. Mache sind wohl noch der Meinung, man könne Schulstoff in gleicher Weise analog wie digital vermitteln, obwohl die Coronakrise längst gezeigt hat, dass das nicht funktioniert.

7. Sparen bei Ausgaben für Schulen – 2018 gab die Stadt noch knapp über 1.600 Euro pro Schüler*in aus, 2019 waren es nur noch 1.260 Euro (-340 Euro), 2020 noch mal 100 Euro weniger, nämlich 1.160 Euro. Die Ausgaben pro Kopf sanken also im Zeitraum 2018 bis 2020 um 28%. Besonders fatal der Rückgang der Ausgaben bei den Grundschulen, hier sanken die Ausgaben pro Kopf sogar um knapp über 30% (Jahr für Jahr weniger städtisches Geld für Schülerinnen und Schüler).

Die Stadt beschränkt sich bei der Schulpolitik im Wesentlichen darauf die Fördermittel von Land und Bund abzugreifen. Es fehlt die Bereitschaft selbst nennenswert städtisches Geld in die Schulen und Schüler*innen zu investieren oder gar eigenes Geld für zusätzliche Lehrkräfte bereit zu stellen.

8. Kostenexplosionen bei Schulneubauten und -sanierungen – Bei fast allen derartigen Bauprojekten kommt es zu massiven Kostenüberschreitungen, hier einige Beispiele (Bauprojektcontrolling 3. Quartal 2021):

50 Mio. sollte der Neubau des Schulzentrums noch 2018 kosten, innerhalb von nur 15 Monaten explodierten die Kosten auf zunächst auf knapp 90 Mio. und dann auf 150 Mio. Euro. Die Bauprojekte Neues Gymnasium und Hans-Böckler-Realschule wurden schon 2014 8,8 Mio. teurer (Stadt verliert Kontrolle über Bauprojekte).

Das Schulgebäude an der Feldsieper Straße, damals Heimat der Feldsieper Grundschule wie der Gemeinschaftsschule Bochum-Mitte, wurde bereits 2011 und 2015 saniert. Das kostete 13 Mio. Euro. Geplant waren nur 9,5 Mio.. Weitere Millionen wurden in die ehemalige Hermann-Gmeiner-Schule, dem zweiten Standort der ehemaligen Gemeinschafts- und heutigen Gesamtschule investiert. Dann beschloss der Stadtrat nur 2 Jahre nach dem letzten Umbau, es sollten weitere 21 Mio. für einen erneuten Umbau beider Standorte zur Gesamtschule und dem Neubau der Grundschule investiert werden. Davon allein 12,3 Mio. in das neue Grundschulgebäude. Das soll jetzt 23 Mio. kosten und damit fast doppelt so teuer werden. Bei dem Gesamtschulumbau ist mit ähnlich krassen Kostensteigerungen zu rechnen.

Die Sanierung der Willy-Brandt-Gesamtschule wird voraussichtlich statt 9,5 Mio. 13,2 Mio. Euro kosten. Bei der Schillerschule haben sich die Kosten verdoppelt (8,2 statt 4,1 Mio.). Die Sanierung der Goethe-Schule sollte mal 7 Mio. Kosten, jetzt werden 24,8 Mio. veranschlagt, also gleich 3,5-mal mehr. Dabei wurde mit dem Umbau nicht mal begonnen und die seit Jahren geplante Mensa ist nicht Gegenstand der Sanierung.

Kostenschätzungen der Verwaltung zu Baumaßnahmen bei Schulen, kann man in Bochum nicht ernst nehmen. Die Bauverwaltung schafft es nicht die Kosten- und Zeitplanungen für diese Maßnahmen mittels eines seriösen Projektmanagements unter Kontrolle zu halten. Die Stadtpolitik zeigt sich an dem Einhalten von Kostenvorgaben seit Jahren desinteressiert und ignoriert das Problem.

9. Extremer Lehrermangel an Grundschulen – Die WAZ berichtet, die aktuelle Lage an den Bochumer Grundschulen ist, noch verschärft durch die Coronakrise, katastrophal (WAZ vom 02.02.2022). Der Lehrermangel ist extrem (WAZ vom 25.02.2022), fast jede zehnte Stelle ist nicht besetzt, bei manchen Grundschulen sogar jede vierte. Hinzu kommen viele Krankheitsfälle. Die Stadt hat es versäumt selbst Grundschullehrkräfte einzustellen, wie es die Fraktion von PARTEI und STADTGESTALTERn zuletzt 2021 beantragt hat (Antrag 20211586). Weiterhin wird in der Bochumer Stadtpolitik nicht das Ziel verfolgt, allen Schüler*innen mindestens zu einer Empfehlung zur Realschule zu verhelfen. Noch immer scheint man der Ansicht zu sein, es wäre hilfreich, wenn in der Schule eine gewisse Zahl Kinder scheitert, damit eine ausreichend Zahl Menschen vorhanden ist, die mangels ausreichendem Schulabschluss auf schlechte und schlecht bezahlte Jobs angewiesen sind.

10. Demoralisierung der Lehrkräfte – Die schlechte Lage an den Bochumer Schulen, die Vernachlässigung der Schulen wie Schüler*innen sowie die desaströse Schulpolitik führt letztlich zur Demoralisierung der an den Schulen Beschäftigten (WAZ vom 16.02.2022). Die Folgen sind hohe Krankenstände, schlechte Chancen Lehrkräfte für Bochumer Schulen zu gewinnen und die fehlende Bereitschaft der Lehrer*innen als Schulleiter*in tätig zu werden. Sicher hat auch die Schulpolitik des Landes einen wesentlichen Anteil an diesem Zustand, doch auch die Stadt dokumentiert durch ihr mangelndes Interesse an Schulen und Bildung eine mangelnde Wertschätzung gegenüber den Lehrkräften. Denn die Stadt ist maßgebliche verantwortlich für die ungenügende Ausstattung der Arbeitsplätze und der teilweise desaströsen Arbeitsbedingungen an den Schulen.

Fazit: Die angeführten Fehlentscheidungen der letzten Jahre und Jahrzehnte in der Bochumer Schul- und Bildungspolitik zeigen, Schulen und Bildung haben in Bochum keine Lobby.

Selbst tut die Stadt kaum mehr, als sie aufgrund geltenden Rechts als Schulträger tun muss oder wofür sie Fördermittel abgreifen kann. Darüber hinaus tut sich viel zu wenig. Der Politik fehlt der Anspruch, Schulen und Bildung in der Stadtpolitik Priorität einzuräumen. Zwar ist Bochum Universitätsstadt, doch bei der Schulbildung tut die Stadt noch immer so, als suchten die Unternehmen primär günstige Malocher, deren Schul- und Berufsabschluss bei der Arbeitssuche keine Rolle spiele. Die Folge ist die hohe Zahl arbeitsloser und unterbeschäftigter Menschen, die eine Bevölkerungsschicht ohne Perspektiven in prekärer sozialer Lage nach sich zieht und deren finanzielle Unterstützung die Stadt jedes Jahr hohe Millionenbeträge kostet.

Die bisherige und aktuelle Schul- und Bildungspolitik ist einer Universitätsstadt unwürdig. Sie ist unsozial, da sie die Schwächsten, besonders Kinder aus unterprivilegierten Haushalten, zusätzlich benachteiligt. Es ist höchste Zeit, dass die Stadt hier endlich umdenkt und der Schul- und Bildungspolitik absolute Priorität einräumt und dafür bereit ist die erforderlichen finanziellen Mittel bereit zu stellen.

26 Jul

Die Bürgerbeteiligung in Bochum auf ein neues Niveau heben

Bürgerbeteiligung gibt es in Bochum bei vielen Projekten, doch bisher geht es meist allein darum, dass die Bürger Meinungen und Vorschläge vorbringen, die dann viel zu häufig nur abgeheftet werden. Dass die Bürger wirklich mitbestimmen, ist bisher nicht möglich.

In Sachen Bürgerbeteiligung hat sich in Bochum einiges getan

Einiges hat sich in Bochum an der Bürgerbeteiligung verbessert. Eine digitale Beteiligung ist möglich, es gibt für größere Projekte, wie jetzt den Radschnellweg RS1 (Bürgerbeteiligung RS1)  mmer Internetseiten, auf denen die Bürger Meinungen und Ideen absetzen können. Ob und inwieweit die Berücksichtigung finden, ist allerdings wenig nachvollziehbar.

Auch konnten in letzter Zeit zum ersten Mal bei Projekten (Gerthe-West und Neues Bahnhofsquartier Wattenscheid) Bürgervertreter von Bürgerintiintiativen in die Empfehlungsgremien entsandt werden, die die Entwicklung dieser städtischen Bebauungsprojekte begleiten sollen. Eine feste, institutionalisierte Regelung, die zu jedem größeren Projekt ein Bürgerbegleitgremium vorsieht, gibt es bisher aber nicht. Das genau fordert das Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung und befindet sich zu diesem Thema auch in Diskussionen mit der Verwaltung und dem Stadtbaurat. Die STADTGESTALTER unterstützen das Anliegen und haben bereits einen Vorschlag gemacht wie ein solches Gremium aus Bürgern aussehen könnte, das solche Vorhaben begleitet (Grafik Organisation Bürgerbegleitgremium).

Auch wird es bald auf der Internetseite der Stadt eine Liste der Vorhaben geben, die die Stadt beabsichtigt umzusetzen, bzw. derzeit realisiert, SO wie dies von der Fraktion “FDP & Die STADTGESTALTER” 2019 beantragt wurde (Antrag 20190151). Dann finden die Bürger alle Informationen, Pläne, den zuständigen Ansprechpartner, den politischen Entscheidungsverlauf, den aktuellen Sachstand und die vorgesehene Bürgerbeteiligung auf einen Blick zu jedem Vorhaben im Internet. Auf den Internetseiten der Stadt Freiburg kann man sich ansehen, wie das aussehen wird: Interaktive Vorhabenliste Freiburg.

Wie andere Städte zeigen, geht in Sachen Bürgerbeteiligung aber noch viel mehr. Nicht nur sollte die Bürgerbeteiligung noch digitaler werden, damit mehr Bürger erreicht werden und rechtzeitig auf Vorhaben, die sie betreffen, aufmerksam werden, sondern es müssen auch mehr richtige Mitbestimmungsmöglichkeiten geschaffen werden, sowie bessere Möglichkeiten, dass Bürger eigene Vorschläge zur Abstimmung stellen können und verbindliche Möglichkeiten haben bei Entscheidungen Veränderungen zu bewirken.

Die Bürgerbeteiligung auf ein neues Niveau heben

Die Stadt sollte nach Ansicht der STADTGESTALTER in den nächsten 5 Jahren die Bürgerbeteiligung auf ein neues Niveau heben, so wie es auch der Verein “Mehr Demokratie” formuliert (Consul – Bürgerbeteiligung im digitalen Zeitalter). Dazu gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten. Welche man davon nutzen will und welche nicht, das muss nach einer ausführlichen Diskussion zwischen Politik und Bürgern entschieden werden.

Die Ausweitung von Bürgerbeteiligung sollten in einer Stadt Schritt für Schritt erfolgen. Denn wie man Bürgerbeteiligung und mehr Mitbestimmung gestaltet und wie man sie als Bürger wahrnimmt, müssen sowohl Politik und Verwaltung wie die Bürger erst lernen.

Eine Bürgerbeteiligung ist um so erfolgreicher desto mehr Bürger sich an den Beteiligungsformaten beteiligen. Das passiert nicht von heute auf morgen. Dazu ist auch ein neues Denken in der Politik und Verwaltung wie bei den Einwohnern der Stadt nötig, Bei den Einwohnern der Stadt muss die Bereitschaft steigen, sich mit Stadtpolitik intensiver zu beschäftigen, und sich vermehrt aktiv einzumischen wie zu beteiligen und das nicht nur da, wo es einen selbst unmittelbar betrifft. Politik und Verwaltung wiederum müssen bereit sein, mehr Beteiligung und Mitbestimmung zuzulassen und Entscheidungskompetenzen abzugeben.

Eine Software und Plattform für Bürgerbeteiligung und Mitbestimmung

Im nächsten Schritt stellt sich die Frage, wie kann die Stadt, insbesondere technisch, eine vermehrte Beteiligung und Mitbestimmung der Bürger organisieren. Dazu schlägt der Verein Mehr-Demokratie die Nutzung einer spezielle Software vor, die besonders in Spanien und Lateinamerika weit verbreitet ist, aber auch schon in Paris und New York genutzt wird (Consul).

Die modular aufgebaute und kostenfreie Software hat 5 Säulen (Dossier Consul):

1. Vorschläge – Bürger können Ideen für neue Regelungen oder Aktionspläne, die in die Zuständigkeit der Stadtverwaltung fallen, einbringen und unterstützen. Erreichen sie ein gewisses Quorum, wird darüber abgestimmt.

2. Abstimmungen – Es kann sowohl über Vorschläge von Bürgern als auch von Institutionen abgestimmt werden. Außerdem ist es möglich, das gesamte Stadtgebiet oder nur bestimmte Bezirke einzuschließen.

3. Bürgerhaushalte – können Ausgabenvorschläge für Teile des städtischen Budgets machen, um Projekte in der Stadt umzusetzen. Die Vorschläge, die die meisten Stimmen erhalten, werden umgesetzt. In Madrid etwa bestimmten die Bürgerinnen und Bürger über 100 Millionen Euro.

4. Debatten – Die Software bietet eine Diskussionsplattform, die nicht zu einer direkten Entscheidungsfindung führt, sondern der Stadt Zugang zur öffentlichen Meinung verschafft und den Bürgern die Möglichkeit gibt sich untereinander auszutauschen und ihre Erfahrungen einzubringen.

5. Kollaborative Gesetzgebung – Aktive Beteiligung der Bürger an der Ausarbeitung von Regelungen und Aktionsplänen. Regelungstexte können kommentiert und diskutiert werden.

Was muss die Stadt tun, damit mehr Beteiligung und Mitbestimmung möglich ist?

Um eine derartige Software zu nutzen und darüber Beteiligung und Mitbestimmung zu organisieren, muss die Politik ganz viele Entscheidungen treffen: Auf welchen Politkfeldern sollen die Bürger in welcher Form mitbestimmen bzw. beteiligt werde? In welchen Bereichen können Vorschläge, welcher Art eingebracht werden? Welche Quoren sind vorzusehen? Werden die Ergebnisse von Bürgerabstimmungen als verbindlich oder nur als Empfehlung angesehen, über welchen Teil des Bürgerhaushaltes sollen Bürger entscheiden? Was für eine Software und Plattform soll genutzt werden? In welcher Weise sollen die Beteiligungsprozesse in der Hauptsatzung der Stadt verankert werden? Und das sind nur einige wichtige Fragen, von ganz vielen mehr, auf die die Politik eine Antwort finden muss, wenn sie die Bürgerbeteiligung auf ein höheres Niveau in Richtung mehr Mitbestimmung heben will.

Aber ehe sich all diese Fragen ergeben, muss die Stadtpolitik zunächst die Grundsatzentscheidung treffen, ob und inwieweit sie Bürgerbeteiligung und Mitbestimmung in Bochum auf ein neues Niveau heben will. Die STADTGESTALTER schlagen vor, dass der neue Stadtrat 2020 beschließt, eine Bürgerbeteiligungsplattform einzurichten, mit der genau dieses Ziel erreicht werden kann.