22 Okt

Zunehmender Populismus – Rechtsruck auch in Bochum zu erwarten

Dass es auch in Bochum bei den nächsten Wahlen voraussichtlich einen Rechtsruck geben wird bzw. vermehrt populistische Parteien gewählt werden, hat viele Ursachen. Entscheidend ist auch, wie in der Stadt seit Jahrzehnten Politik gemacht wird.

Charakteristisch für Menschen, die Populisten ihre Stimme geben, dass sie einfachen Lösungen suchen, sich gegen Veränderungen wehren, sich selbst abgehängt fühlen und Schuldige suchen, die sie für falsche Entwicklungen verantwortlich machen können. Ihr Politikverständnis beschränkt sich darauf, dass sie Forderungen an die Politik stellen und erwarten, dass diese erfüllt werden. Dabei spielt keine Rolle, ob die Forderungen realistisch erfüllbar sind, ob sie wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen oder ihre Erfüllung der (Stadt-)Gesellschaft insgesamt nutzt. Der eigene egoistische Nutzen steht im Vordergrund. Es besteht der Anspruch, dass man sich selbst gesellschaftlichen Veränderungen nicht anpassen muss, sondern die Politik dafür Sorge trägt, dass alles bleibt wie es ist, aber trotzdem für einen selbst besser wird.

Viele der in dieser Weise gestellten Forderungen sind von der Politik so eigentlich nicht erfüllbar. Wirtschaftlich wie technologischer Fortschritt, Klimaschutz und sich verändernde globale Anforderungen erfordern eine beständige Fortentwicklung und Veränderung von Stadt und Stadtgesellschaft. Den Eindruck zu erwecken, Wohlstand zu erhalten, ohne dieser Faktoren beachten zu müssen und Veränderungen voran zu trieben, sei möglich, ist wesentliches Kennzeichen populistischer Politik.

Auch in Bochum ist ein nicht unwesentlicher Teil der Bevölkerung von der aktuellen Politik enttäuscht, fühlt sich nicht wahrgenommen bzw. kann die komplexen politischen Zusammenhänge nicht nachvollziehen. Dieser Teil der Bevölkerung ist für Populisten am einfachsten erreichbar. Zu befürchten ist also, dass bei den nächsten Wahlen populistische Parteien, besonders die des rechten Spektrums, deutlich an Stimmen gewinnen.

Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig und haben auch viel mit der lokalen Politik und dem Politikstil der letzten Jahrzehnte zu tun.

Versäumnisse bei Schulen und Bildung

Die Zusammenhänge in der Politik werden immer komplexer, viele Menschen sind nicht damit vertraut wie etwa das Rentensystem, die Wirkungsmechanismen von Treibhausgasen auf das Klima oder das Prinzip von gesellschaftlichem Nutzen und externen Kosten funktionieren. Die Rechtfertigung von politischen Aktivitäten aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse und Statistiken gewinnt an Bedeutung. Dass Meinungen durch Belege zu stützen sind, ebenso wie die Notwendigkeit von politischen Forderungen, ist vielen Menschen fremd. Mangelnder Bildungsgrad und nicht ausreichende Schulbildung sind die wesentliche Ursache.

Schule und Bildung haben in Bochum seit jeher wenig Wert, der soziale Aufstieg durch Bildung ist kein Ziel der Stadtpolitik. Zum Narrativ der Politik gehörte immer, dass die Politik, auch für die Arbeitsplätze und Wohlstand schafft, die auf Jobs angewiesen sind, die nur geringe bis keine Qualifikationen erfordern. Die Verbesserung von Schul- und Bildungsgrad, um die Menschen für bessere Jobs zu qualifizieren, war dagegen nicht das Ziel. Dass die Zahl von Anlern-Jobs in der Industrie immer weiter zurück gehen würde und Schul- und Ausbildungsqualifikationen bei der Jobsuche immer wichtiger werden würden, verschwieg de Politik den Menschen.

Bei Wahlen zeigt sich immer wieder, Populisten sind besonders bei Menschen mit niedrigem Schulabschluss erfolgreich. So wählten in Hessen 36% der Menschen mit Hauptschulabschluss die AfD (Datenanalyse zur Landtagswahl in Hessen), in Bayern 21%. (Datenanalyse zur Landtagswahl in Bayern). Bei Menschen mit Hochschulabschluss wählten hingegen nur 9 bzw. 8% rechtspopulistisch.

Das Versäumnis der Bochumer Stadtpolitik, die Voraussetzungen zu schaffen, den Menschen einen möglichst hohen Schulabschluss und Bildungsgrad zu ermöglichen, spielt den Populisten also heute die Wähler*innen zu.

Wenig erfolgreiche Stadtpolitik

Ein weiteres Problem ist, dass die Stadtpolitik wenig erfolgreich ist. Die Entwicklung von Stadtteilen wie Wattenscheid oder Werne stellt sich seit Jahren negativ dar, ebenso wie die der Innenstadt. Fehlender Erfolg führt zu Enttäuschung über das, was die Politik leistet. Erschwerend kommt hinzu, dass Fehlentwicklungen, die nicht gestoppt werden, der Verbreitung von Ressentiments und Hetze durch Populisten, in die Hände spielt. Kommen z.B. Stadtteile in eine soziale Schieflage, weil die Stadt nicht rechtzeitig gegensteuert, ist damit ein Anstieg der Zahl von jenen verbunden, die billig wohnen und leben möchten und an Wohn- und Lebensqualität aufgrund ihrer Lebenssituation keine hohen Ansprüche stellen, das sind auch viele Migranten. Von Populisten wird  diesen dann die Schuld für den Niedergang des Stadtviertels zugeschoben, obwohl ihr Zuzug die Folge des Niedergangs ist, sie für die Ursachen dagegen in keiner Weise verantwortlich sind.

Aufgrund der geschilderten Entwicklungen wird der Politik nicht mehr zugetraut, die bestehenden Probleme zu lösen und Negativtrends zu stoppen. Schon bei der Wahl 2020 bekam die AfD in Stadtteilen, die in Bochum als abgehängt gelten, besonders viele Stimmen. So bekamen die Populisten in einigen Stimmbezirken von Wattenscheid-Mitte und Werne über 15% der Stimmen, während es stadtweit nur für halb so viel reichte (Wahlergebnisse Kommunalwahl 2020).

Versprechen, dass mehr Parkhäuser sowie neue Einkaufszentren die Innenstadt retten, Integrierte Stadtentwicklungskonzepte die Wende in Stadtteilen bewirken oder städtische Investition in Kohlekraftwerke die Schulden der Stadt gegenfinanzieren, erweisen sich immer wieder als falsch und nagen an dem Vertrauen der Menschen zu Politik und die dort vorhandene Kompetenz.

Überforderte Politik betreibt Symbolpolitik, erreicht selbst gesetzte Ziele aber nicht

Auch handelt die Politik wenig vorausschauend. Sie setzt sich zwar pressewirksam Ziele wie “Klimaneutralität bis 2035” oder den Anteil des Radverkehrsanteil auf 25% zu steigern, stellt endlose Listen von Maßnahmen auf, um diese zu erreichen, scheitert aber dann an deren Umsetzung. Die Ziele werden krachend verfehlt, die Politik muss diese korrigieren oder gerät, um die Ziele doch noch zu erreichen, in einen Handlungsnotstand, der den Menschen kaum zuzumuten ist.

Statt Ziele konsequent zu verfolgen, beschränkt sich die Politik zunehmend auf Aktionismus. So sollen Werbemaßnahmen wie “Stadtradeln” und die Teilnahme an Klimaawards wirksame Maßnahmen, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. ersetzen oder wird in Wattescheid für 55 Mio. Euro das Stadion saniert statt die herunter gekommene Innenstadt. Die Politik versucht sich durch Symbolpolitik zu profilieren, statt Maßnahmen zu verfolgen, die geeignet sind, die realen Probleme lösen.

Die Menschen bleibt nicht verborgen, dass die Stadtpolitik oft nicht in der Lage ist, Politik so zu betreiben, dass selbst gesetzte Ziele sicher erreicht werden. Es entsteht der Eindruck, Politik ist mit ihren Aufgaben systematisch überfordert, was sich wiederum negativ auf ihre Wählbarkeit niederschlägt, und Menschen bewegt sich nach vermeintlichen Alternativen umzuschauen.

Politik bestimmt nicht, was die Verwaltung tut, sondern umgekehrt

Verwaltung und städtische Betriebe verfolgen durchweg das Ziel, dass die Beschäftigten dort gut versorgt sind und gute Arbeitsverhältnisse vorfinden, der Service für die Einwohner*innen der Stadt scheint dagegen keine Priorität zu besitzen. So ist der öffentliche Nahverkehr unzureichend, Bearbeitungszeiten bei Behörden wie bei der Einbürgerung, Wohngeld oder Mitteln zu Bildung und Teilhabe unzumutbar, ebenso wie die Reinigung von Parks- und Grünanlagen, der Instandhaltungszustand von Schulen, Straßen, Geh- oder Radwegen zu wünschen übriglässt oder die Verkehrsüberwachung mit ihren Aufgaben überfordert zu sein scheint. Städtische Bauprojekte werden aufgrund mangelhaften Projektmanagements durchweg zu teuer und dauern zu lange. Es wird nicht das geleistet, was die Menschen von der Stadt erwarten.

Darüber hinaus werden Bürger und Bürgerinnen von der Verwaltung nicht angemessen, an den sie betreffenden Verfahren beteiligt, wie dies z.B. bei der OGS-Vergabe an den Grundschulen passiert ist oder diese finden nur alibimäßig statt, wie bei der Trassensuchshow zum Radschnellweg. In anderen Bereichen erweist sich die Verwaltung als inkompetent, so schafft sie es seit Jahren nicht Fahrradständer an den Schulen aufzustellen oder Mobilstationen in der Stadt zu errichten.

Eigentlich ist es primäre Aufgabe der Politik für eine effiziente, schnelle und bürgerorientierte Verwaltung zu sorgen. Doch sie schaut nur zu und traut sich nicht, die Verwaltung so zu organisieren, dass diese so arbeitet, wie die Menschen das zu Recht von ihr erwarten dürften. Menschen fragen sich, ob ihre Belange im Fokus der von ihnen gewählten Politik stehen oder die Interessen der Beschäftigten der Stadt.

In Bochum kontrolliert und bestimmt die Politik nicht, was die Verwaltung tut, sondern drängt sich der Eindruck auf, dass die Politik sich als verlängerten Arm der Verwaltung versteht und eigentlich die Verwaltung bestimmt, was die Politik tut. Ein Wille die Entwicklung der Stadt aktiv zu gestalten, ist insbesondere bei der Mehrheitskoalition im Stadtrat nicht zu erkennen, man hält es nicht für nötig die Stadtpolitik mit eigenen Vorschlägen und Ideen zu lenken. Das überlässt man der Verwaltung. Diese macht die Beschlussvorschläge im Stadtrat, über die sie die Stadtpolitik in ihrem Sinne steuert und die von Rot-Grün erwartet, dass diese den Vorlagen im Stadtrat die erforderliche Mehrheit verschafft.

Für die Wähler*innen stellt sich die Frage, warum sie Politiker*innen wählen sollen, die jeden eigenen Gestaltungswillen vermissen lassen, selbst nicht mit Vorschlägen und Ideen aufwarten, sondern dieses Feld der Verwaltung überlassen und alles ohne kritische Beschäftigung abnicken, was ihnen vorgelegt wird.

Politikstil – Politik wird diskreditiert

Ein weiterer Punkt ist, dass der in Bochum gepflegte Politikstil, Politik über die Jahre systematisch diskreditiert hat. Ob im Stadtrat für oder gegen einen Vorschlag gestimmt wird, entscheidet sich in Bochum danach, wer den Vorschlag macht und nicht danach, ob der Vorschlag inhaltlich gut oder schlecht ist.

Entsprechend gibt sich die Rot-Grüne-Mehrheit im Rat regelmäßig nicht mal die Mühe ihre Ablehnung von Vorschlägen anderer Fraktionen zu begründen. Mit diesem überheblichen Verhalten demonstriert Rot-Grün, dass man es als Mehrheitskoalition nicht nötig habe, sich mit Vorschlägen anderer zu beschäftigen oder sich für Entscheidungen gegenüber den Bürger*innen zu rechtfertigen. Die dadurch sichtbar werdende Hochnäsigkeit der Macht wirkt auf die Menschen abstoßend und lässt sie daran zweifeln, ob die Stadtpolitiker*innen wirklich das Wohl der Stadt im Auge haben oder vielmehr bevorzugt eigene Machtinteressen verfolgen.

Wer Politik durch solches Verhalten diskreditiert, schadet ihr und schafft selbst die Ursache dafür, dass Menschen nicht mehr gewillt sind bei Wahlen etablierten politischen Kräften ihre Stimme zu geben.

Förderung der Mentalität, Politik als Konsumgut zu betrachten

Auch hat die Stadtpolitik in Bochum seit jeher die Mentalität gefördert, dass Politik quasi ein konsumierbares Gut ist. Man wählt jemanden und erhält dafür die versprochene Leistung. Das Bewusstsein, dass alle Menschen Teil der Stadtgesellschaft sind und zu deren Entwicklung beitragen, wurde nie gefördert. Die Menschen erwarten u.a., dass die Stadtpolitik für billige Mieten, günstige Preise, tolle Läden in der Innenstadt, kostenfreie Parkplätze vor der Haustür und eine ruhige Wohngegend mit Autobahnanschluss um die Ecke sorgt. Dass die Menschen selbst auch eine Eigenverantwortung tragen, welches Einkommen sie erzielen, ob sie Miete zahlen müssen, oder eigenes Wohneigentum erwerben, wo sie wohnen und wie die Stadt und ihre Wohnumgebung gestaltet ist, ist vielen gar nicht mehr bewusst. Bürgerliches Engagement ist in Bochum im Sportverein oder für den Kleingartenverein sehr verbreitet, für die Entwicklung der Stadt und des Wohnquartiers wird das nicht erwartet, da sieht man die Stadt oder die Wohnungsbaugesellschaft in der Verantwortung.

Wird Politik als konsumierbares Gut verstanden, haben es Populisten leicht. Verfolgen Bürger*innen diese Haltung wird der gewählt, der das beste Angebot macht und den Menschen die meisten Vergünstigungen verspricht. Wenn bei der Wahlentscheidung der persönliche, häufig pekuniäre Vorteil im Mittelpunkt steht, der gesellschaftliche Nutzen aber keine echte Rolle spielt, haben bei diesem Wettbewerb die etablierten Parteien das Nachsehen.

Politik ohne Überzeugungswillen

Es stellt sich zudem die Frage, warum Menschen in Bochum Politik machen? Welche Überzeugungen treiben sie an? Betrachtet man die Politiker*innen, die Bochum im Land- und Bundestag vertreten, fragt man sich, für welche Projekte und Überzeugungen stehen sie? Welche politischen Initiativen treiben sie voran und welche haben sie für die Stadt durchgesetzt? Gibt es da Nennenswertes?

Es entsteht der Eindruck, wichtig ist ihre Anwesenheit in den Parlamenten, um im richtigen Moment für die eigene Fraktion die Hand zu heben. Politik lebt vom Gestaltungswillen, Dinge zu zum Besseren zu verändern, sich dafür zu engagieren und dem unbedingte Willen andere davon zu überzeugen. Doch wo sieht man das in der Bochumer Politik?

Eine öffentliche Auseinandersetzung über politische Themen wird nicht nur gegenüber Populisten vermieden. Es hat den Anschein, als bestünde der Anspruch, Menschen zu überzeugen, dass man bessere Politik macht als Populisten und diese zu entlarven, gar nicht. Wenn es gegen Populisten und Extremisten geht, dann geschieht das fast ausschließlich auf Demonstrationen, mit denen man pressewirksam sichtbar macht, man steht auf der richtigen Seite. So schafft man sich ein gutes Gefühl. Überzeugen kann man damit aber niemanden. Eine Demonstration zeigt nicht, dass man die bessere Politik macht und Populisten keine Alternativen oder gar Lösungen bieten, sondern jeden Unsinn versprechen, nur um gewählt zu werden. Überzeugen gelingt nur über die direkte Ansprache und Diskussionen mit denen, die geneigt sind, Populisten ihre Stimme zu geben.

Besonders die SPD wird voraussichtlich Wähler*innen an Populisten verlieren

In den genannten Bereichen verliert die etablierte Politik aus den genannten Gründen gegenüber den Populisten zunehmend an Boden. Zu erwarten ist, dass besonders Menschen, die sich abgehängt fühlen, in Stadtteilen wohnen, die sich seit Jahren negativ entwickeln und die mit der Komplexität von politischen Zusammenhängen überfordert sind, ihre Stimme bei den nächsten Wahlen populistischen, tendenziell rechten Parteien geben. Das wird besonders zu Lasten der SPD gehen, die im Ruhrgebiet bisher von vielen Menschen aus den entsprechenden Milieus weniger aus Überzeugung denn aus alter Verbundenheit wegen ihrer Verdienste für die Arbeiterklasse gewählt wurden.

Im nächsten Jahr, 2024, steht in Bochum die Europawahl an, es folgen 2025 Bundestags- und Kommunalwahlen. Bei diesen Wahlen wird sich zeigen, wie stark Populisten auch im Ruhrgebiet an Stimmen gewinnen können. Landesweit wird aufgrund der letzten Umfragen mit fast einer Verdreifachung des Stimmenanteils der AfD (15%) ggü. den Landtagswahlen 2022 gerechnet (5,4%) (Sonntagsfrage Nordrhein-Westfalen). Die SPD dagegen verliert 5%.

Will man der genannten Entwicklung wirksam entgegensteuern muss sich wohl insbesondere die SPD überlegen, wie sie ihre (Stadt-)Politik und ihren Politikstil ändert. Die Zeit für Überheblichkeit ist definitiv abgelaufen.

03 Apr

Bochum fehlt Umsetzungsregister für Beschlüsse des Rates und der Bezirksvertretungen

Viel zu viele Ratsbeschlüsse in Bochum werden zu langsam oder gar nicht umgesetzt. Es fehlt die notwendige Kontrolle und Aufsicht der Stadtverwaltung durch die Politik. Ein erster Schritt die Situation zu verbessern wäre die Einführung eines Umsetzungsregisters für Beschlüsse des Rates und der Bezirksvertretungen.

Die vom Rat beschlossenen Maßnahmen aus den Klimaschutzkonzepten werden nur teilweise umgesetzt. So gibt es  die Smartkarte mit der ÖPNV und Mobilitätsleistungen in Anspruch genommen werden sollten und die mit dem Klimaschutzteilkonzept Verkehr 2014 beschlossen wurde, bis heute nicht. Über Schulwegpläne verfügt immer noch kaum eine Bochumer Schule, obwohl diese der Rat bereits 2010 beschlossen hat. Das Radverkehrskonzept 1999 wurde bis heute nur in Ansätzen realisiert. Immer wieder beschweren sich auch die Bezirksvertretungen, dass Beschlüsse von der Verwaltung nicht umgesetzt oder verschleppt werden. Zuletzt in Höntrop bei der Kreuzung Alte Post/Westfälische Straße (WAZ vom 28.03.22).

Bochum braucht Umsetzungsregister für Ratsbeschlüsse

Entsprechend beabsichtigen die STADTGESTALTER dem Rat ein Umsetzungsregister für Ratsbeschlüsse vorzuschlagen, indem jeder Ratsbeschluss eintragen wird und jährlich vermerkt, wird wie weit die Umsetzung durch die Verwaltung fortgeschritten ist.

Keine effektive Kontrolle und Aufsicht der Stadtverwaltung durch die Politik

Eigentlich besteht aber ein viel grundsätzlicheres Problem, es fehlt wie in vielen Gemeinden auch in Bochum eine effektive Kontrolle und Aufsicht der Stadtverwaltung durch die Politik wie diese die Gemeindeordnung vorsieht (§55 GO-NRW Kontrolle der Verwaltung). Vielmehr bestimmt viel zu oft die Verwaltung die Stadtpolitik und nicht die politischen Fraktionen im Rat und der Bezirksvertretungen. Den ehrenamtlichen Kommunalpolitiker*innen fehlt häufig das Fachwissen um die Aussagen der Verwaltung kritisch hinterfragen zu können. Entsprechend werden in den Verwaltungen die politischen Gremien nicht ernst genug genommen. Millionenteure Verlustprojekte wie die Beteiligung an der STEAG oder Cross-Border-Leasing waren in Bochum nur möglich, weil es im Stadtrat an politischen Vertreter*innen mit dem zur Beurteilung solcher Projekte nötigen Sachverstand fehlte.

Die beständig auftretenden exorbitanten Kosten- und Zeitüberschreitungen bei städtischen Bauprojekten zeigen, dass der Stadtrat nicht in der Lage ist, die Verwaltung zu einem funktionierenden Projektmanagement zu verpflichten. Immer wieder wird die Politik von der Verwaltung zum Beschluss von vermeintlich günstigen Bauprojekten verleitet, die schließlich nicht selten um ein Vielfaches teurer werden und die die Ratsmitglieder nicht beschlossen hätten, hätten sie beim Beschluss die wahren Kosten und Kostenrisiken gekannt. Auf der anderen Seite werden Kosten von der Verwaltung bewusst massiv aufgebauscht, um andere Projekte zu verhindern. Dies konnte man in Bochum zuletzt bei der Kostenschätzung für den RadEntscheid erleben (Verwaltung frisiert Kostenschätzung zum RadEntscheid). Auf diese Weise entscheidet am Ende allein die Verwaltung, was in der Stadt passiert und die Politik tut, was die Verwaltung ihr vorgibt.

Lenkung von Ratsentscheidungen durch die Verwaltung

Auch hat eigentlich der Rat zu entscheiden, wie beispielsweise die Ausarbeitung und Entwicklung eines Schwimmbadkonzept für die ganze Stadt inklusive Bürgerbeteiligung erfolgen soll. Tatsächlich überlässt man das in Bochum der Verwaltung, dem Oberbürgermeister und einer städtischen GmbH wie den Wasserwelten. Auf diese Weise gestaltet nicht mehr die Politik im Stadtrat den Entscheidungsablauf, sondern die Verwaltung. Die Politik wird zum bloßen Spielball in dem Verfahren, das die Verwaltung kontrolliert. Die Verwaltung trifft letztlich die wesentlichen Vorentscheidungen, insbesondere über welche Lösungsalternativen die Politik abstimmen darf und über welche nicht. Auf diese Weise wird der eigentliche Entscheidungsspielraum der Politik immer wieder unangemessen eingeschränkt.

Ganz besonders deutlich wird diese Vorwegnahme von Entscheidungen, wenn die Verwaltung der Politik, wie etwa bei der Trassensuche zum Radschnellweg durch die Innenstadt nur noch eine einzige Lösungsvariante zum Beschluss vorlegt und damit der Politik faktisch gar keinen Entscheidungsspielraum mehr zwischen mehreren Alternativen lässt. Wenn die Verwaltung schon alle ihr nicht genehmen Lösungsvorschläge vor der Entscheidung des Rates vorab aussortiert hat, muss sie im Rat auch keine Diskussion und Entscheidung über bzw. für Varianten befürchten, die ihr nicht gefallen. In diesem besonders auffälligen Fall, z.B. Diskussionen über eine der 14 vom Gutachterbüro zwar am besten bewerteten aber von der Verwaltung vorab aus dem Entscheidungsverfahren entfernten Lösungsalternativen.

Der Einsatz von Gutachtern um Entscheidungen zu lenken

Dass die Verwaltung nicht politisch unabhängig agiert, zeigt sich auch, wenn sie bewusst einseitig vorbefasste Gutachter auswählt, bei denen sie von vornherein sicher sein kann, dass diese das Vorhaben in der Weise stützen, wie sich die Verwaltung das vorstellt. Will die Verwaltung ein Bürgerbegehren wegen mangelnder Zulässigkeit ablehnen, sucht sie sich keinen unabhängigen Gutachter, sondern genau den, von dem sie weiß, dass er in ähnlich gelagertem Fall bereits ein Gutachten mit gewünschtem Ergebnis, also die Unzulässigkeit festzustellen, verfasst hat. In Bochum so geschehen beim  Bürgerbegehren RadEntscheid, wo praktischer Weise der Gutachter auch noch das gleiche Parteibuch sein Eigen nannte wie Oberbürgermeister und die Mitglieder einer der beiden Mehrheitsfraktionen.

Will die Verwaltung, dass die Politik in einer bestimmten Weise entscheidet, nutzt sie das mangelnde Fachwissen der Kommunalpolitiker*innen im Stadtrat aus und beauftragt den Gutachter, der das von ihr gewünschte Ergebnis unterstützt. Das macht es den Politiker*innen schwierig eine andere Position zu vertreten, denn selbst ein Gutachten beauftragen können die Ratsmitglieder auf die Schnelle in der Regel nicht. Mit eigenem Fachwissen die Ergebnisse der Gutachten bestreiten ist vielen aufgrund fehlender Fachkompetenzen nicht möglich.

Verwaltung bestimmt defacto die Stadtpolitik nicht der Stadtrat

Die Macht in den Gemeinden, also auch in Bochum, geht somit immer weniger von den Repräsentant*innen der Bürger*innen in den Stadträten aus, sondern hat sich auf die Verwaltung verlagert. Es kommt zu einer Dominanz von Verwaltung und Mehrheitsfraktionen, die vom Bundesverfassungsgericht auch als “Neuer Dualismus” bezeichnet wird. Nicht der gesamte Stadtrat kontrolliert die Verwaltung (alter Dualismus), sondern die Mehrheitsfraktionen und die Verwaltung stehen auf der einen Seite und die Opposition auf der anderen. Bei der Mehrheitsfraktionen besteht kaum mehr Interesse die Verwaltung zu beaufsichtigen und zu kontrollieren. Nur noch die Opposition sieht dies als ihre Aufgabe. Das ist auch in Bochum festzustellen, wenn die Mehrheitsfraktionen von SPD und Grünen konsequent verhindern, dass das Rechnungsprüfungsamt den Ursachen für die massiven Kostenüberschreitungen bei Bauprojekten wie Husemannplatz oder den Kanalbauprojekten auf den Grund geht und entsprechende Anträge aus der Opposition immer wieder ablehnt.

Verwaltung reagiert gereizt auf Kritik aus dem Stadtrat

Gerne versucht die Verwaltung auch jede grundlegende Kritik an ihrer Arbeit zu unterbinden, in dem sie, wie der Oberbürgermeister zuletzt in der Ratssitzung vom 01.04.22, darauf verweist, dass der Rat Teil der Verwaltung sei. Entgegen der Auffassung des Oberbürgermeisters ist der Stadtrat zwar Teil der Exekutive der Gemeinde, aber nicht Teil der Verwaltung. Wie schon ausgeführt, ist es gemäß §55 GO-NRW (Kontrolle der Verwaltung) seine Aufgabe die Verwaltung zu kontrollieren und die Durchführung seiner Beschlüsse zu überwachen.

Es mag wünschenswert sein, dass der Rat Kritik an der Verwaltung zunächst intern äußert und darauf verzichtet rechtlich gegen die Verwaltung vorzugehen. Das ist aber nur möglich, wenn die Verwaltung vom Rat beschlossenen Maßnahmen auch konsequent und zeitnah umsetzt und dem Rat Beschlüsse unvoreingenommen zur Entscheidung überlässt, ohne diese bereits in eine der Verwaltung genehme Richtung zu lenken. Sofern das regelhaft nicht passiert, ist öffentliche, scharfe Kritik ebenso gerechtfertigt wie der Gang vor Gericht, um eine rechtlich einwandfreie Behandlung von Angelegenheiten durchzusetzen. Der Verwaltung wie dem Oberbürgermeister sollte klar sein, dass die fortlaufende Negierung von Ratsbeschlüssen wie die unangemessene politische Einflussnahme der Verwaltung auf die zur Abstimmung gestellten Entscheidungsoptionen von all jenen Ratsmitgliedern als respektlos empfunden wird, die ihre Aufgaben im Rat ernst nehmen. Diese reagieren auf solches Verhalten somit auch entsprechend unmissverständlich.