22 Sep

180 Mio. Defizit – Haushaltsnotlage 2.0 – Die Ursachen

Erst ab 2020 endete für Bochum die Haushaltssicherung. Jetzt weist der Doppelhaushalt 2025/2026 wieder erhebliche Defizite in Höhe von 80 Mio. und 106 Mio. aus. Der Weg in eine neue Haushaltsnotlage ist vorgezeichnet. Die Ursachen für die erneute Haushaltskrise zeigen, die Politik hat aus 11 Jahren Haushaltsnotlage (2009-2019) nichts gelernt.

Zumindest auf dem Papier schafft Bochum seit dem Jahr 2018 den Haushaltsausgleich. Es wurden angesichts des Haushaltsvolumens von 1.800 Mio. geringfügige Haushalsüberschüsse von 1-17 Mio. erzielt, 2020 ein minimales Defizit von 7 Mio.. Aber bereits im laufenden Haushaltsjahr wird das Defizit nur durch die mit mehr Glück als Verstand erzielten Sondereinnahmen des STEAG-Verkaufs aufgrund der Ukraine-Krise vermieden, sonst müsste der überplanmäßige Verlust der BOGESTRA aus dem Haushalt finanziert werden, was schon für 2024 ein Defizit von über 30 Mio. bedeuten würde.

Entwicklung Haushaltsüberschüsse/ -defizite – Grafik: Stadt Bochum

Wie konnte es zu der erneuten Haushaltsnotlage kommen?

Der am 05.09.2024 von der Kämmerin eingebrachte Haushaltsentwurf sieht für 2025 ein Defizit von 80 Mio., für 2026 sogar von 106 Mio. Euro vor.

Es stellt sich die Frage, wie konnte es dazu kommen? Politik und Kämmerin beklagen zu Recht die Unterfinanzierung der Kommunen und eine fehlende Lösung für die Ablösung der Altschulden. Doch wesentliche Ursachen liegen auch in der Stadtpolitik, die es nicht als Aufgabe angesehen hat, den absehbar steigenden Ausgaben entgegenzuwirken und gezielt die Einnahmen zu steigern. Das nun eintretende Finanzdesaster war lange absehbar, man hat die Entwicklung jedoch bewusst ignoriert.

Um die genannten Defizite zumindest teilweise zu mindern, will die Kämmerin 2025/26 30 Mio. einsparen. Wie, dafür haben weder Verwaltung noch Politik bisher ein Konzept, nur die Position “Globaler Mehraufwand” steht im Haushalt. Das ist weder kreativ noch seriös.

Die Versäumnisse der Stadtpolitik

Betrachtet man die Ursachen für das zunehmende Haushaltsdefizit, lässt sich erkennen, wo die Versäumnisse der Bochumer Stadtpolitik – besonders der letzten 10 Jahre – liegen:

Personalaufwand – Die Personalaufwendungen der Stadt werden sich von 2015 bis 2026 um 186 Mio. Euro von 313 Mio. auf knapp 500 Mio. Euro erhöhen. Das ist ein Anstieg von fast 60%. Hinzu kommen die Kosten für die Einrichtung der neuen Arbeitsplätze (Büromieten, Arbeits- und Büroausstattung u.ä.). In 12 Jahren hat die Stadt 1.285 neue Stellen geschaffen, aus 5.165 Stellen 2015 werden bis 2026 voraussichtlich 6.450. Das bedeutet eine Zunahme um fast ein Viertel.

Entwicklung Personalaufwand und Zahl der Vollzeitstellen

Was tat die Politik gegen die sichtbar ausufernden Personalkosten? Nichts. Dabei war das Problem und seine Folgen bekannt (2017: Bochumer Bürokratie wächst ungebremst, 2022: Verwaltung wird immer teurer, Geld fehlt für Zukunftsinvestitionen ). Die Mehrheitskoalition von Rot-Grün ignorierte das Problem.

Entwicklung Zahl Stellenhochgeladen

Bis heute ist man weder willens, die Verwaltung effizienter und schneller aufzustellen, noch ist man bereit, die Bürokratiekosten zu senken, indem man Ämter und Abläufe konsequent zusammen mit denen anderen Stadtgemeinden der Ruhrstadt in zentralen Einrichtungen bündelt (Bochumer Stadtverwaltung zu oft zu langsam und ineffizient). Das maßlose Ausufern der Bürokratie ist also zu großen Teilen auch ein hausgemachtes Problem.

Entwicklung Personalaufwand

Das maßlose Aufblähen der Verwaltung hätte vorausschauend verhindert werden müssen. Die jetzt geschaffenen Strukturen zurückzunehmen, wird ungleich schwieriger.

In den nächsten Jahren muss alles unternommen werden, den Personalaufwand um mindestens 80-100 Mio. Euro pro Jahr zu senken.

Sanierungsfall BOGESTRA – Der Verlust des Bochumer Nahverkehrsunternehmens ist für den Stadthaushalt untragbar geworden. Fast 90 Mio. statt bisher 60 Mio. Euro Verlust pro Jahr kann die Stadt nicht stemmen. Das Unternehmen ist ein Sanierungsfall (BOGESTRA wird zum Sanierungsfall), es kann die notwendigen Investitionen nicht mehr stemmen und ist überschuldet.

Doch Rot-Grün weigert sich, die nötigen Schritte zu unternehmen, um das Unternehmen zu sanieren und ein attraktives ÖPNV-Angebot zu schaffen. Der seit Jahren andauernde Widerstand von SPD und Grünen gegen einen metropolengerechten Ausbau des ÖPNV-Netzes und ein attraktives Tarif- und Ticketsystem kostet die BOGESTRA jedes Jahr weitere Millionen. Zu befürchten ist, dass die Kundenzahlen in den nächsten Jahren weiter zurück gehen, das Defizit weiter steigt und der Stadthaushalt immer stärker belastet wird.

Die umgehende Sanierung der BOGESTRA ist unumgänglich. Nur so kann verhindert werden, dass das Unternehmen den Stadthaushalt ganz zum Einsturz bringt.

Das Defizit muss auf unter 70 Mio. gedrückt werden, um den Haushalt um mindestens 20-30 Mio. zu entlasten.

Einwohnerverlust – Anders als in deutschen Großstädten sonst, sank die Einwohnerzahl der Stadt Bochum von 2011 bis 2022 um 8.000 Menschen (Zensus 2022). Seit 1960 sank sie sogar um 86.000 Menschen (Einwohnerverlust seit 1960 kostet Bochum 237 Mio. Euro im Jahr). Das bedeutet massive Verluste an Steuern und Zuweisungen. Konkret verliert die Stadt durch die Bevölkerungsabnahme von 8.000 Menschen 22 Mio. Euro.

Der Einwohnerverlust ist die Folge mangelnder Attraktivität der Stadt. Menschen ziehen lieber in andere Großstädte als nach Bochum. Die Politik hat über Jahrzehnte kaum Wert auf Stadtbild, Stadtgestaltung, Lebensqualität und eine gute Verkehrsorganisation der Stadt gelegt. So wird die Ausrichtung der Stadt in Sachen Modernität und Zukunft auch im neuen Prognos-Städteranking als “eher schwach” bewertet (Städteranking 2024). Der Abstand von Bochum in Sachen Stadtentwicklung zu modernen Großstädten wird immer größer.

Das kann sich die Stadt nicht leisten. Es muss dringend das Ziel verfolgt werden, die Stadt modern und zukunftsgerichtet aufzustellen, um die Attraktivität deutlich zu steigern und die Bevölkerungszahl wieder zu erhöhen.

22 Mio. Euro könnte die Stadt pro Jahr mehr einnehmen, wenn sie die verlorenen 8.000 Menschen wieder zurückgewinnt.

Zinsaufwand – Auch die bis 2017 durch Rot-Grün aufgehäuften rd. 1,7 Mrd. Schulden kommen die Stadt in den nächsten Jahren wieder teuer zu stehen. Betrug der Zinsaufwand für die städtischen Kredite 2021 noch 18 Mio. sind es heute aufgrund der steigenden Zinsen schon 35 Mio., sollen es 2026 laut Prognose der Kämmerin 54 Mio. werden und 2028 sogar 71 Mio. Euro. 2026 entspricht der zu leistende Zinsaufwand also der Hälfte des zu erwartenden Haushaltsdefizits.

Entwicklung Zinsaufwand – Grafik: Stadt Bochum

Die Zinslast wird für den Stadthaushalt zur Zeitbombe. Auch dieses Problem ist lange bekannt, wurde aber ebenfalls von der Politik ignoriert (2021: Bochum die Zombiestadt? Die tickende Zeitbombe im Rathauskeller). In den letzten Jahren unternahm Rot-Grün nichts die Bombe zu entschärfen und die Altschulden zu senken. Man hoffte auf eine Altschuldenregelung, Land und Bund sollten die Schulden übernehmen, vergeblich. Die Politik hat sich verspekuliert.

100 Mio. weniger Schulden würden bei einem Zinssatz von aktuell 3,5 % 3,5 Mio. weniger Zinsaufwand bedeuten.

Übermäßige Subventionierung des Autoverkehrs – In Bochum kostet das Anwohnerparken 22 Euro im Jahr, dafür sind die KiTa-Beiträge hoch. In modernen Städten ist das Anwohnerparken teuer, die KiTas sind dagegen kostenfrei. Über Jahrzehnte hat Rot-Grün den Autoverkehr mit Millionenaufwand billig gemacht. Heute zahlt die Stadt dafür einen hohen Preis. Mit rd. 180 Mio. Euro im Jahr wird der Autoverkehr subventioniert (Uni Kassel: Der Autoverkehr kostet die Kommunen das Dreifache des ÖPNV). Wer ein Auto nutzt, zahlt nur 40-60 % der Kosten, die er oder sie verursacht.

Insbesondere fehlen der Stadt Bochum also entsprechende Einnahmen, es werden keine kostendeckenden Parkgebühren verlangt und keine Straßenbenutzungsabgaben. Ein Straßenstellplatz kostet die Stadt nach eigener Kalkulation 250 Euro im Jahr. Etwa 40% der PKW parken in Bochum auf der Straße. Der Stadt fehlen also rund 21 Mio. Euro im Jahr. Auch das Innenstadtparken wird mit mindestens 5 Mio. Euro pro Jahr subventioniert.

Für die Instandhaltung der Straßen fehlt das Geld ebenfalls. Die Stadt gibt zu wenig für die Erhaltung und Instandsetzung der Straßen aus. 2016 ging die Stadt davon aus, dass in Bochum rund 12 Mio. Euro pro Jahr nötig wären, um die Substanz einwandfreier Straßen zu erhalten. Abgeschrieben für Abnutzung werden rund 25 Mio. Euro im Jahr. Demzufolge sinkt die Vermögenssubstanz kontinuierlich. Es wurden aber nur 3,5 Mio. Euro/Jahr für den Um- und Ausbau von Straßen und weitere 5,7 Mio. EUR p.a. für die betriebliche Unterhaltung bereitgestellt (RPA-Bericht zur Straßenunterhaltungs- und Straßeninstandsetzungsarbeiten vom 10.02.2016).

Um die Straßen vernünftig Instand zu halten und die nötigen Ausgaben zu decken, wären also 2024 Mehreinahmen von mind. 25 bis 30 Mio. pro Jahr erforderlich. Entsprechende Einnahmen könnten über eine Straßenbenutzungsabgabe oder eine Zulassungssteuer generiert werden.

Rot-Grün versäumt es seit Jahren, ,die im Autoverkehr anfallenden Kosten den Verursachenden in Rechnung zu stellen. So fehlen der Stadt mindestens 51-66 Mio. Euro im Jahr.

Was bedeuten die Versäumnisse für den Stadthaushalt?

Addiert man die versäumten Einsparungen und Einnahmensteigerungen aus allen fünf Bereichen, kommt man auf 173 bis 218 Mio./Jahr, die der Stadt heute fehlen, weil die Politik es mindestens in den letzten 10 Jahren versäumt hat, die entsprechenden Potentiale auszuschöpfen. Hätte man eine vorausschauende Haushaltspolitik verfolgt, würde die Stadt auch in den Jahren 2025 und 2026 deutliche Haushaltsüberschüsse satt Defizite in Höhe von 80 bzw. 106 Mio. erwirtschaften.

Zudem hätten bereits in den Jahren 2018 bis 2024 erhebliche Finanzüberschüsse zur Altschuldentilgung erzielt werden können, was heute den Zinsaufwand deutlich reduzieren würde. Wäre in dieser Zeit ein Betrag von 500 Mio. an Schulden zurückgeführt worden, würde sich der Zinsaufwand bei Annahme des aktuellen Zinssatzes mittelfristig um 17,5 Mio. reduzieren. Der Haushalt würde weiter entlastet. Auch in den nächsten Jahren stünden Haushaltsüberschüsse bereit, um die Altschulden weiter zu tilgen.

Die Stadtpolitik trägt die Verantwortung

Die Finanznotlage ist also im Wesentlichen hausgemacht. Sie ist das Ergebnis einer Politik, die nicht vorausschauend auf die Zukunft gerichtet ist, sondern die die absehbaren Probleme konsequent ignoriert, bis sie eintreten und dann die Schuld bei anderen sucht.

Die von SPD und Grünen zu verantwortende desaströse Finanzpolitik wird die Menschen teuer zu stehen kommen. Die Stadt wird um einschneidende Einsparungen nicht herumkommen. Die Schulden machen die Stadt in den nächsten Jahren handlungsunfähig. Investitionen sind kaum und wenn nur auf Kredit möglich. Der Abstand zu modernen und zukunftsorientierten Städten wird sich weiter vergrößern. Die Stadt befindet sich in einer ernsten Haushaltsnotlage. Rot-Grün hat die Stadtfinanzen ruiniert, zum zweiten Mal in 20 Jahren.

Foto, Beitragsbild: Stadt Bochum

18 Aug

Mit welchem Verkehrsmittel kommt man in Bochum am schnellsten ans Ziel?

Anhand von 100 Strecken zwischen 0,5 und 30 km haben die STADTGESTALTER untersucht mit welchem Verkehrsmittel, Auto, Rad, E-Bike oder ÖPNV man am schnellsten durch Bochum kommt. Das Ergebnis für den ÖPNV ist erschreckend, die Nutzung von Bus und Bahn ist auf den meisten Strecken unzumutbar.

Wie gut kommt man mit Auto, Rad, E-Bike oder ÖPNV in Bochum von A nach B oder von Bochum in eine der Nachbarstädte? Um diese Frage zu beantworten haben die STADTGESTALTER Bochumer und Bochumer*innengefragt, welche Wege sie oft zurücklegen.

Untersuchung von 100 Wegstrecken

So kamen 100 Wege zusammen. Entsprechend des Modal Splits in der Stadt (Mobilitätssteckbrief Bochum), teilen sich diese Wege wie folgt auf: 22 Strecken bis 1 km Länge, 27 Wege von über 1 bis 3 km, 24 Strecken von über 3 bis 5 km, 18 Wege von über 5 bis 10 km und 19 Wege mit einer Länge von über 10 km. Mit Hilfe des Routenplaners von Google Maps wurde anschließend ermittelt, wie lang man für die entsprechenden Wege mit Auto, Rad und ÖPNV benötigt.

Dabei sind für die Verkehrsmittel folgende Besonderheiten zu beachten:

Auto – Der Routenplaner gibt die Zeit für die Autofahrt vom Start zum Zielpunkt wieder, In der angegebenen Fahrtdauer nicht enthalten ist die Zeit des Weges bis zum Parkplatz, um loszufahren, beispielsweise von der Haustür zur Garage und nicht die Zeit vom Parkplatz am Ziel zum eigentlichen Zielort, zum Beispiel vom Parkplatz in der Innenstadt zum Geschäft, das man aufsuchen möchte. Ebenfalls nicht berücksichtigt ist die Zeit, die für eine eventuelle Parkplatzsuche benötigt wird oder Zeit für mögliche Staus und Verkehrsbehinderungen. Betrachtet man den Weg von Tür zu Tür, würden sich die ermittelten Zeiten somit um 2-10 Minuten erhöhen.

Rad – Hier wurde ebenfalls keine Zeiten außerhalb der reinen Fahrtzeit berücksichtigt, die zum Beispiel erforderlich sein könnten, um das Rad aus dem Keller oder einer Garage zu holen.

E-Bike – Zur Ermittlung der Fahrtzeiten mit einem Fahrrad mit elektrischem Hilfsmotor wurde zugrunde gelegt, dass man mit dem E-Bike nach Untersuchungen des Umweltbundesamtes im Schnitt etwa 83% der Fahrtzeit benötigt, die mit einem Rad ohne elektrische Unterstützung erforderlich ist (Pedelec und E-Bike fahren ).

ÖPNV – Die ermittelten ÖPNV-Zeiten beziehen sich immer auf den Fahrplan im Zeitraum von 8 bis 18 Uhr an den Wochentagen Montag bis Freitag. Als Fahrzeit wurde jeweils die kürzeste angegebene Fahrdauer übernommen. Es ist also möglich, dass sich zu anderen Zeiten teilweise deutlich längere Fahrzeiten ergeben. Mögliche Verkehrsstörungen und Verspätungen blieben auch beim ÖNV unberücksichtigt. In den Fällen, wo für Strecken vom Routenplaner keine ÖPNV-Verbindung angegeben werden konnte, wurde die Dauer des Fußwegs zugrunde gelegt.

Die Auswertung

Für jede der 100 Wegstrecken ergaben sich so vier Fahrzeiten für Auto, Rad, E-Bike und ÖPNV. Die Auswertung der Fahrtdauern erfolgt nach Wegelängen:

Auswertung Fahrtdauern

Bis 1 km – Bei diesen sehr kurzen Strecken ist erwartungsgemäß das E-Bike das schnellste Verkehrsmitte, gefolgt vom Auto. Aber auch das normale Rad schneidet gut ab. Der ÖPNV erweist sich für sehr kurze Strecken allerdings zumeist als ungeeignet. In der Hälfte der Fälle ist keine ÖPNV-Verbindung verfügbar, der Routenplaner verweist auf den Fußweg. In allen anderen Fällen benötigt man mit dem ÖPNV 5 bis 15 Minuten länger als mit Auto oder Rad, das ist gerade bei so kurzen Strecken kaum zumutbar.

Wege bis 1 km, Modal Split, siehe rechts

Über 1 km bis 3 km – Auch bei diesen Wegelängen ist in der Regel das E-Bike das schnellste Verkehrsmittel, dicht gefolgt vom Auto. Das normale Rad ist nur 1 bis 3 Minuten langsamer. Was kaum ins Gewicht fällt, da mit dem Rad regelmäßig die Fußwege zum und vom Parkplatz entfallen, die beim Auto in den Fahrtzeiten nicht enthalten sind. Die Fahrzeiten beim ÖPNV sind durchweg 5 bis 31 Minuten länger als bei Auto oder E-Bike. In 16 von 24 Fällen beläuft sich die zusätzlich nötige Fahrtzeit auf über 10 Minuten, während die maximal Fahrtzeit bei Auto bzw. E-Bike ohnehin bei nur 5 Minuten liegt. Wieder ist der ÖPNV in keiner Weise konkurrenzfähig.

Wege über 1 bis 3 km, Modal Split, siehe rechts

Über 3 bis 5 km – Bei diesen Streckenlängen ist regelmäßig das Auto das schnellste Verkehrsmittel. Würde man zusätzlich die Wegedauern vom Startort zum Parkplatz und vom Parkplatz zum Zielort berücksichtigen, könnte man in den meisten Fällen das E-Bike mithalten, die reinen Fahrtzeiten sind im Schnitt nur 4 Minuten langsamer, mit normalem Rad sind es 7 Minuten, mit dem ÖPNV allerdings inakzeptable 22 Minuten. Auch in diesem Streckenbereich stellt der ÖPNV keine nutzenswerte Alternative dar.

Wege über 3 bis 5 km, Modal Split, siehe rechts

Über 5 bis 10 km – In diesem Wegebereich ist das Auto nur in einem Fall nicht das schnellste Verkehrsmittel. Das E-Bike ist im Schnitt 7 Minuten langsamer, das Rad ohne E-Unterstützung 12 Minuten. Während man mit dem Auto 10 bis 21 Minuten für die Strecken benötigt, ist mit dem ÖPNV im Schnitt eine Fahrtzeit von über einer halben Stunde (31 Min.) mehr einzukalkulieren. Nimmt man Bus und Bahn ist man im schlechtesten Fall 55 Minuten länger unterwegs als mit dem Auto. Auf den Streckenlängen, wo der ÖPNV eigentlich eine Alternative zum Auto darstellen müsste, ist er somit ebenfalls keine.

Wege über 5 bis 10 km, Modal Split, siehe rechts

Über 10 km – Geht es über die Stadtgrenze hinaus, liegt das Auto weit vorne. Rad und E-Bike sind für Strecken über 10 km keine Alternative, das sollte eigentlich der ÖPNV sein, Doch der ist im Schnitt 35 Minuten langsamer als das Auto und damit sogar noch 9 Minuten langsamer als das E-Bike. Die Fahrtzeit mit dem ÖPNV ist im Schnitt mehr als doppelt so lang wie mit dem Auto (27 zu 62 Minuten). Nur in einem Fall ist der ÖPNV konkurrenzfähig, in allen anderen Fällen sind die Fahrtzeiten unzumutbar bis inakzeptabel.

Wege über 10 km, Modal Split, siehe rechts

Die Ergebnisse

Betrachtet man alle Streckenlängen zusammen, ist im Ergebnis die Leistung des ÖPNV in 54 % der Fälle unzumutbar bis inakzeptabel, das bedeutet die Fahrtzeiten liegen mehr als 15 Minuten über der des schnellsten Verkehrsmittels. E-Bike und Rad haben Vorteile bei den kurzen Strecken. Das E-Bike kann mit dem Auto bis 5 km gut mithalten, ist oft sogar schneller. Also ist das E-Bike auf immerhin 63% der Wege, die in Bochum gefahren werden, eine gute Alternative. Ab 5 km liegt das Auto vorn, nur bis 10 km kommt das E-Bike nur noch bedingt mit.

Auswertung Fahrtdauern

Die Ursachen

Es stellt sich somit die Frage nach den Ursachen für diese Ergebnisse, insbesondere den Gründen für das desaströse Abschneiden des ÖPNV . Diese sind vielfältig:

Auto– Anders als in Großstädten sonst, gibt es in Bochum nach wie vor Schleichwege durch Wohngebiete. Durchgangsverkehr wird in Wohngebieten in Bochum immer noch geduldet. Schnell fließender Autoverkehr hat Priorität gegenüber hoher Wohn- und Lebensqualität,

Zudem wurde das ganze Stadtgebiet mit Autobahnen und Hauptverkehrsstraßen überzogen, die auch heute noch zu Lasten der Lebensqualität der Bewohner*innen mit Milliardenaufwand weiter ausgebaut werden (u.a. Westkreuz, Opelspange, 6-spuriger Ausbau A43 und A40.).

Im Ergebnis steht für das Auto ein erstklassiges Straßennetz zur Verfügung, das eine sehr schnelle Fortbewegung mit dem Auto ermöglicht.

Rad- und E-Bike – Insbesondere bei den Fahrtdauern auf den Strecken zwischen 3 und 10 km wird sichtbar, dass die Stadt nicht über ein durchgängiges Radverkehrsnetz verfügt. Schnelle durchgängige Radverkehrsverbindungen fehlen ebenso wie eigene Ampelschaltungen für Radfahrende und Grünpfeile. Menschen mit dem Rad auf Gehwege oder schlechte Radwege zu verweisen, wie es in Bochum üblich ist, verhindert hohe Fahrgeschwindigkeiten mit dem Rad.

Um das Rad auch für Wege über 10 km attraktiv zu machen wären geeignete Radschnellwege nötig. Diese sind nicht zu erwarten. Die Fertigstellung des RS1 ist aufgrund der Inkompetenz der Verantwortlichen in den nächsten 10-20 Jahren nicht zu erwarten. Die geplante indirekte Streckenführung steht zudem schnellen Fahrtzeiten entgegen, neue Radschnellwege werden gar nicht erst geplant.

ÖPNV – Ursache für das desaströse Abschneiden von Bus- und Bahn ist das schlechte Nahverkehrsnetz in Bochum sowie der Ruhrstadt. Im wesentlich basiert der Nahverkehr auf langsamen, eher selten verkehrenden Buslinien, die jede Gießkanne abfahren. Das Straßen- und Stadtbahnnetz deckt das Stadtgebiet nur rudimentär ab. Wirklich schnell sind auch die Straßenbahnlinien nicht.

Ein substanzieller Netzausbau wird seit Jahrzehnten von der Politik, in Bochum den Mehrheitsfraktionen von SPD und Grünen, blockiert. Alle Initiativen in diese Richtung werden systematisch abgelehnt (Zehn neue Linien für das Bochumer Nahverkehrsnetz).

Die Ruhrstadt-Metropole verfügt über kein metropolengerechtes Nahverkehrsnetz. Es ist bei der Politik keine Bereitschaft zu erkennen, diese zu schaffen.

Auch die BOGESTRA, die Busse und Bahnen in Bochum betreibt, ist offensichtlich nicht an einem Ausbau des Nahverkehrsnetzes und einer Beschleunigung der Linien interessiert. Forderungen in dieser Hinsicht werden an die Politik nicht gestellt. Die offensichtlichen Mängel und Defizite werden nicht benannt. Es werden keine Lösungsvorschläge gemacht.

Der ÖPNV ist in Bochum nicht im Ansatz konkurrenzfähig zu Auto, Rad oder E-Bike. Wer ihn benutzt, wohnt regelmäßig entweder direkt an einer Bahnhaltestelle oder tut dies nicht freiwillig, sondern ist gezwungen Bus und Bahn zu nehmen, in der Regel weil die Nutzung eines Autos oder Rads nicht möglich ist. Für die Menschen in Bochum gibt es sonst eigentlich keinen Grund sich den unzumutbar langsamen ÖPNV anzutun.

Aufgrund der geschilderten Situation ist zu erwarten, dass die Zahl der ÖPNV-Nutzenden zukünftig weiter abnehmen wird. Das desaströse ÖPNV-Angebot stellt einen hohen Anreiz dar, auf Auto oder E-Bike umzusteigen.

Die Untersuchung zeigt, die Verkehrspolitik in Bochum und der Ruhrstadt steht vor einem Scherbenhaufen. Seit Jahrzehnten wird zwar viel von Verkehrswende geredet, tatsächlich sind die Ergebnisse der Verkehrspolitik jedoch ernüchternd. Die mangelnde Bereitschaft die Dinge umzusetzen, die man besonders in Wahlkämpfen immer wieder lautstark ankündigt, rächt sich.

23 Jun

EM 2024: Bochum vergibt Riesenchance – BOGESTRA blamiert Ruhrstadt

An 11 Spieltagen mit 570.000 Zuschauenden rollt der Ball in der Ruhrstadt. Es kommen Menschen aus ganz Europa. Doch Bochum und der RVR vergeben die Chance für sich zu werben. Stattdessen sorgt die BOGESTRA für schlechte Presse, weil sie die Abreise der Fans von der Schalke-Arena nicht organisiert bekommt.

Fußballeuropameisterschaft 2024 – Was eine riesige Chance für den Tourismus in Bochum und der Ruhrstadt. Nach Gelsenkirchen kommen in diesen Wochen 200.000 Fans, nach Dortmund sogar 370.000 Fans um die Spiele der EM 2024 zu sehen.

Es wäre eine Riesenchance gewesen

Zwei von neun Spielorten der EM liegen also in der Ruhrstadt, Bochum liegt genau zwischen beiden. Die anreisenden Fans kommen oft für mehrere Tage, um neben den Spielen noch Zeit im Land zu verbringen. Ganz wichtig wäre also gewesen, dass sich Bochum und die Ruhrstadt vor tausenden Menschen erstklassig präsentiert. Für das Ruhrgebiet bestand die einmalige Chance sich als spannende, pulsierende und gastfreundliche Reiseregion zu zeigen und so „auch in den nächsten Jahren mehr Touristen für sich gewinnen, die nach der EM wiederkommen und …. vielleicht einen längeren Urlaub hier verbringen wollen.” (EM 2024: Die Fußball-EM wird für den Tourismus ganz bedeutsam sein).

Doch es gibt keine vorzeigbare Fanmeile im Zentrum von Bochum. Die Stadt sieht sich zwar selbst als “Hotspot der Live-Kultur“ (Bochum-Strategie), Man hat es aber versäumt, dieser selbst gewählten Rolle in den vier EM-Wochen gerecht zu werden.

Was wäre für eine grandiose Partv möglich gewesen, wäre die Viktoriastraße von Rathaus bis Schauspielhaus gesperrt und zur längsten Liveevent- und Fanmeile Deutschlands unter Einbeziehung von Bochum Total 2024 geworden. Bochum hätte sich als der Anlaufpunkt für 570.000 Fans profilieren können, die in der Stadt unvergessliche Momente erlebt hätten. Die Partymeile des Reviers. Bochum, der Ort in Deutschland, in dem die Menschen wissen, wie man die Nacht zum Tage macht. Was für einen Image Boost hätte das für die Stadt bedeuten können?

Mal wieder blieb es bei dem hochtrabenden Ziel in der Bochum Strategie, es fehlte jedoch der Mut und das Engagement, es richtig krachen zu lassen. Dabei ist die ARD mit dem Kneipenquiz am Kuhhirten (Kneipenquiz live im „Kuhhirten“: ARD ist „total zufrieden“ ) schon in der Stadt. Kostenlose Werbung in Form von Fernsehberichten über tausende Fans, die die Spieltage in der Stadt abfeiern, wären leicht zu haben gewesen.

Die Chance war einmalig, ein weiteres Großereignis ähnlicher Art wird es in der Region in den nächsten 20 Jahren voraussichtlich nicht geben.

Totalausfall Ruhrtourismus

So wird das mit Tourismus im Ruhrgebiet nichts. Auf der Tourismus-Seite des RVR (Ruhr Tourismus) findet die Europameisterschaft gar nicht statt auf der RVR-Seite findet man unter der Rubrik „Heimspiel“ vier dürre EM-Beiträge,  auf der Bochumer Tourismusseite findet man zur EM, sehr versteckt, einen Beitrag (Bochum im EM-Fieberl), in Gelsenkirchen ist der Auftritt eher kläglich, nur Dortmund versteht es, sich als EM-Host City zu feiern,

Die mangelhaften Bemühungen des RVR über den Ruhr Tourismus die EM zu vermarkten und für das Ruhrgebiet nutzbar zu machen, muss man schon als Arbeitsverweigerung eingeordnet werden. Die Ruhrtourismus GmbH zeigt sich nicht zum ersten Mal überfordert (Ruhrgebiet: Mieser Nahverkehr schreckt Touristen ab). Der RVR sollte ernsthaft überlegen, seine Bemühungen in Sachen Tourismus einzustellen. Verfolgt man das Ziel den Tourismus zu fördern nicht ernsthaft und fehlt es auch sichtbar an der nötigen Professionalität, sollte man es lieber lassen.

Gelsenkirchen und BOGESTRA sorgen für kapitalen Imageschaden

Dass Bochum und die Ruhrstadt es leichtfertig verpasst haben, sich als attraktive Tourismusziele zu präsentieren, wäre vielleicht noch zu verschmerzen gewesen, dass aber Gelsenkirchen, BOGESTRA und der VRR mit dem An- und Abreisechaos an der Schalke-Arena die ganze Ruhrstadt öffentlich blamiert haben (Ridiculous: Englischer Fanverband entsetzt von Gelsenkirchen), bedeutet einen nicht wiedergutzumachenden Imageschaden, der die Ruhrstadt noch teuer zu stehen kommen wird.

Europaweite Schlagzeilen, die das Ruhrgebiet als trostlos, öd und in Sachen öffentlichem Nahverkehr als unfähig darstellen, sind für eine Profilierung als Touristenziel tödlich. Jetzt rächt sich, dass die Städte des Ruhrgebiets nie großen Wert auf eine gute Stadtgestaltung, ein ansprechendes Stadtbild und einen funktionierenden Stadtverkehr gelegt haben. Die Ansprüche in dieser Hinsicht sind und waren denkbar gering. Bemühungen, die Dinge zu verbessern, wurden mit dem Spruch “Woanders ist auch scheiße”, abgebügelt. Rankings zu Lebensqualität und Attraktivität, bei denen die Ruhrstadtstädte sich regelmäßig unter den Letzten platzierten, bewirken nichts, außer dass sich beschwert wird, die Situation im Ruhrgebiet werde falsch bewertet.

Wie Menschen von außen die Städte im Ruhrgebiet sehen, interessierte bisher wenig bis gar nicht. Von erfolgreichen Städten lernen und sich an diesen orientieren, wird oft immer noch abgelehnt. Also kommt es jetzt knüppeldick. Die Besucher*innen sehen Gelsenkirchen als trostloses, armes und rückständiges “Drecksloch” in dem nichts funktioniert, nicht mal der Nahverkehr (England-Fan ätzt gegen deutsche EM-Stadt und löst Debatte aus – Sky-Reporter legt nach). Und wie Gelsenkirchen aussieht, so sehen leider auch viele andere Teile des Ruhrgebiets aus. Ein Urteil über Wattenscheid-Mitte und den August-Bebel-Platz würde kaum anders ausfallen.

Verantwortlichen zeigen sich von Realität überrascht

Auf einmal sind die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung mit der Realität konfrontiert. EM-Fans haben keine Hemmungen ihre wahre Meinung über das auszusprechen, was sie sehen und erleben. Sie sind keine höflichen Gäste, die das erzählen, was die Gastgeber hören wollen. Sie äußern sich schonungslos und offen.

Tourismus setzt einen funktionierenden Nahverkehr voraus. Vor der EM hieße es, „die Mobilität ist ein wichtiger Faktor,“ um erfolgreich zu sein (EM 2024: Die Fußball-EM wird für den Tourismus ganz bedeutsam sein). Was die Menschen in der Ruhrstadt als ÖPNV geboten bekommen, entspricht jedoch nicht im Ansatz dem Standard, den Menschen aus ganz Europa in Großstädten und Metropolen gewohnt sind (England-Fans kritisieren Bahn-Chaos in Gelsenkirchen). Das meinen zwar viele in Verantwortliche im Ruhrgebiet, ist aber eine fatale Fehleinschätzung.

Rückständigkeit im Nahverkehr schadet Tourismus

Ein Stadion wie die Schalke-Arena (Kapazität: 62.500 Zuschauer) mit nur einer Straßenbahnlinie über eine nicht barrierefreie Haltestelle, die mit Straßenbahnen in Zweifachtraktion angefahren wird, anzubinden, legt offen, wie unterentwickelt das Ruhrgebiet und ganz besonders der Nahverkehr ist (Ridiculous: Englischer Fanverband entsetzt von Gelsenkirchen).  Fährt man in Montpellier und Straßburg  mittlerweile auf eigenem Gleiskörper mit bis zu sieben, in Dublin sogar mit neun Bahnteilen (Alstom Citadis), schafft die BOGESTRA es immer noch nicht mit mehr als zwei Traktionen zu fahren. Steinzeit trifft Zukunft, könnte man sagen.

Für die EM hätte man dringend Abhilfe schaffen müssen, doch man blieb untätig. BOGESTA, VRR und Stadt Gelsenkirchen ist das Anfahrt-Problem zur Arena seit jeher bekannt, doch man schwieg. Hier zeigt sich, Kundeninteressen haben weder bei BOGESTRA, VRR noch den Kommunen der Ruhrstadt eine halbwegs angemessene Relevanz schon gar keine Priorität.

Schönreden statt Handeln

Mehr als zwei Stunden mussten manche Fans auf eine Abreise mit dem ÖPNV vom Stadion im Straßenbahnchaos warten (Fans left sidelined and with nowhere to go thanks to Uefa’s bumbling genius Fans left sidelined and with nowhere to go thanks to Uefa’s bumbling genius | Euro 2024 | The Guardian). Die Stadt Gelsenkirchen blamiert sich mit der Aussage, das Chaos sei ganz normal (England-Fans kritisieren Bahn-Chaos in Gelsenkirchen). Ja, für Menschen im Ruhrgebiet ist Chaos im Nahverkehr leider oft die Normalität, man ist es nicht anders gewohnt, für Menschen aus anderen Großstädten und Metropolen ist es das allerdings nicht.

Auch mag nach den Maßstäben der BOGESTRA die abgelieferte Leistung “adäquat” gewesen sein (Aus unserer Sicht ist alles perfekt gelaufen), nach dem in europäischen Städten üblichen Standard war sie peinlich und untragbar. Die Einschätzung der BOGESTRA zeugt von Realitätsverlust. Der ist auch beim VRR festzustellen, wenn der Sprecher erklärt: “Der Transport habe sehr, sehr gut funktioniert, man habe “Enormes geleistet“ (Gelsenkirchen: VRR und Bogestra verteidigen Abreiseverkehr). Bei dieser Aussage tritt sogar noch arrogante Selbstzufriedenheit hinzu.

Alle Äußerungen klingen aus Sicht der Betroffenen wie Hohn. Eine öffentliche Entschuldigung für die inakzeptable Leistung wäre die einzig richtige Reaktion gewesen. Offensichtliche Unzulänglichkeiten schön zu reden, war keine Option. Das Ruhrgebiet ist allerdings der Ort, wo vieles nicht funktioniert und schlecht läuft, aber nie jemand dafür verantwortlich ist oder zugibt, dass man Fehler gemacht hat. Diese Haltung ist wiederum ein wesentlicher Grund dafür, warum offensichtliche Mängel nicht abgestellt werden.

Die Folgen der EM für Bochum und die Ruhrstadt

Was wird nach vier Wochen EM in der Ruhrstadt, bei den Menschen, die das Ereignis europaweit live oder im TV verfolgt haben, hängen bleiben? Deutschland und die Deutschen sind toll, aber Ruhrgebiet und Ruhrstadt sollte man besser meiden. Der Imageschaden, der insbesondere durch die anmaßende Uneinsichtigkeit der Verantwortlichen angerichtet wurde, wird sich in den nächsten Jahren nur sehr schwer wieder gut machen lassen.

Die Blamage könnte ein Weckruf für die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung sein, mal zu schauen, wie Menschen von außen die Ruhrstadt sehen. um zu erkennen, was man ändern und von anderen Städten lernen bzw. sich abschauen sollte. Nur so wird man den Ansprüchen, die Menschen heute an Stadtgestaltung, Stadtbild und das Funktionieren von Großstädten und Metropolen stellen, gerecht werden können. Doch zu befürchten ist, dass man sich die Lage weiter schön redet und stattdessen den Kritikern aus dem Ausland vorwirft, die Dinge völlig falsch zu sehen.

Foto: UEFA, Logo,, Google Maps

19 Mai

BOGESTRA wird zum Sanierungsfall

308 Mio. Euro Schulden. 36,6 Mio. Fahrgäste weniger als 2019. 88,8 Mio. Euro Verlust 2023, 19,3 Mio. mehr als geplant. Stopp aller Investitionen. Die wirtschaftliche Lage ist kritisch, die BOGESTRA wird zum Sanierungsfall.

Wie der Jahresabschluss 2023 und die Entwicklung der Fahrgastzahlen zeigen (Vorgang 20241057), befindet sich die BOGESTRA, das Nahverkehrsunternehmen der Städte Bochum und Gelsenkirchen, in einer ernsthaften wirtschaftlichen Notlage. Das Unternehmen musste 2023 die Notbremse ziehen, es kam zum Investitionsstopp. Die Anschaffung von neuen Bussen und die Modernisierung der Gleisanlagen wurde ausgesetzt. Statt geplanten 67,8 wurden 2023 nur 2,1 Mio. Euro investiert.

Investitionsstopp – BOGESTRA 2023 (Vorlage 20241057)

Dramatische Zahlen

Die bedrohliche wirtschaftliche Lage der BOGESTRA ließ keine Investitionen mehr zu. Gemeinhin gelten in der Wirtschaftswelt Unternehmen mit einer Eigenkapitalquote von unter 20% als Sanierungsfall, Der Anteil Eigenkapital am Gesamtkapital liegt bei der BOGESTRA bei nur noch 11,6%, 308 Mio. Euro Schulden belasten das Unternehmen.

88,8 Mio. Euro Verlust erwirtschaftete das Unternehmen im Jahr 2023., 21,7% mehr als geplant. Das ausufernde Defizit ist Folge des dramatischen Einbruchs der Fahrgastzahlen seit 2019. Im Jahr 2019 vermeldet die BOGESTRA noch stolz 143,3 Mio. Fahrgäste. Zudem erklärte das Unternehmen im Wirtschaftsplan 2020, dass mit der Einführung des „Netz 2020“ eine weitreichende Verbesserung des ÖPNV-Angebotes verbunden und deshalb für die Zukunft eine weitere Zunahme der Fahrgastzahlen zu erwarten sei. Die Zahlen zum Jahresabschluss 2023 zeigen jedoch eine ganz andere Entwicklung. Die Zahl der Fahrgäste ist gegenüber 2019 auf 106,7 Mio. Fahrgäste (Zählsystem BOGESTRA) und damit um über ein Viertel (25,5%) gesunken.

Während der Material-, Energie- und Personalaufwand gegenüber 2022 nur leicht, um 1,6% gestiegen ist, ist der Einbruch bei den Fahrgastzahlen und Erträgen einschneidend. Statt geplanten 184 Mio. nahm die BOGESTRA 2023 nur 158 Mio. Euro ein (-14,4%). Die Fahrgastzahlen stiegen zwar im Vergleich zum Vorjahr leicht, blieben aber weit hinter den Erwartungen von 2019 zurück. Die leichte Erhöhung dürfte allein auf den Corona-Erholungseffekt zurückzuführen sein.

Der Nahverkehrsplan, das so genannte “Netz 2020”, ist gescheitert. Anders als von Stadt und BOGESTRA immer wieder versprochen, hatte das Konzept keinen positiven Effekt auf die Fahrgastzahlen. Auch das Deutschlandticket hatte keinen nachweisbaren Effekt. Es hat allein dazu geführt, dass die Kunden ihr Abo gegen das günstigere Deutschland-Ticket getauscht haben. Die Vorgabe des Bochumer Oberbürgermeisters, die Fahrgastzahlen bis 2030 zu verdoppeln, ist zu einem irrealen Wunschtraum geworden (Positionspapier „Städte, Landkreise und Verkehrsverbünde begrüßen das Ziel der Verdoppelung der Fahrgäste des ÖPNV bis 2030!“),

Gründe für die Entwicklung

Doch warum bleiben die Fahrgastzahlen so weit unter dem Niveau von 2019? Die Entwicklung ist besonders auf vier Gründe zurückzuführen:

1. Kirchturmdenken – Eigentlich ist der Nahverkehr eine Ruhrstadtaufgabe. Doch das Kirchturmdenken in allen Gemeinden der Ruhrstadt, sowohl in der Politik wie der Verwaltung, verhindert ruhrstadtweites Denken und Handeln, stattdessen werden lieber die eigenen Pfründe gesichert und verteidigt.

2, Blockade bei Netzausbau – In der Ruhrstadt verhindert eine generelle politische Blockade einen metropolengerechten Ausbau des ÖPNV-Netzes. In Bochum etwa lehnt Rot-Grün alle Initiativen dazu seit Jahren konsequent ab.

3. Mangelnde Kundenorientierung – Die Nahverkehrsunternehmen der Ruhrstadt sind an steigenden Fahrgastzahlen und gutem Kundenservice desinteressiert. Das zeigt sich insbesondere an dem kundenfeindlichen Fahrpreis- und Ticketsystem, mit dem die Unternehmen die Nutzung von Bus- und Bahn durch Ab-und-zu-Kunden bewusst unattraktiv machen  (VRR: Fahrgäste gefangen im Tarifdschungel).

4. Multimodaldefizit – Die Umsetzung von Maßnahmen zur multimodalen Nutzung des Verkehrs werden verschleppt bzw. abgelehnt. So hat es die Stadt Bochum bis heute nicht geschafft, ein Netz von Mobilitätsstationen aufzubauen, um es Menschen zu ermöglichen, bequem und ohne Zeitverlust mit einer Kombination verschiedener Verkehrsmitteln zum Ziel zu kommen, obwohl die Schaffung der Stationen bereits 2013 beschlossen wurde. (Bochum fehlen Car-Sharing-Stellplätze und Mobilitätsstationen).

Im Ergebnis führen alle vier Punkte zu einem schlechten ÖPNV-Angebot, das viele Menschen in Bochum und dem Ruhrgebiet nicht oder nur selten nutzen, weil es für sie unattraktiv ist. Dass das Deutschland-Ticket nicht zu dem erwarteten Anstieg der Fahrgastzahlen geführt hat, zeigt auch, dass die ÖPNV-Infrastruktur so miserabel ist, dass selbst, wenn die Fahrpreise konkurrenzlos günstig sind, dies für mögliche Kunden in der Ruhrstadt kein Anreiz ist, Bus- und Bahn zu nehmen. Fahrtzeiten, die jene mit dem Auto um regelmäßig bis zum Doppelten überschreiten, werden Menschen selbst dann nicht in Kauf nehmen, wenn der ÖPNV gänzlich kostenfrei wäre.

Eine Erhöhung der Fahrgastzahlen ist aufgrund des sich absehbar nicht verbessernden OPNV-Angebots auch für die Zukunft nicht zu erwarten, Die BOGESTRA wird voraussichtlich große Schwierigkeiten haben, die Fahrgastzahlen auf dem jetzigen Niveau zu stabilisieren.

Die Folgen: Investitionsstopp, Kostensenkung und Personalabbau

Daraus ergibt sich folgende Frage: Was bedeutet die wirtschaftliche Notlage der BOGESTRA für die Zukunft des Unternehmens?

Der Investitionsstopp zeigt, die Lage ist ernst. Die BOGESTRA selbst ist nicht mehr in der Lage nennenswerte Investitionen in den Nahverkehr zu schultern. Hätte man die für 2023 geplanten Investitionen durchgeführt, wäre das Defizit der BOGESTRA um weitere rd. 7,8 Mio. Euro gestiegen. Der Abschreibungsaufwand hätte sich erhöht, ebenso wie der Zinsaufwand. Zu den 308 Mio. Euro Schulden wären weitere 30,5 Mio. aufgrund des zu finanzierenden Eigenanteils hinzugekommen. Verzinst zu 3,8% würde das pro Jahr 1,2 Mio. Euro zusätzlichen Zinsaufwand ausmachen. Busse werden über 6 Jahre abgeschrieben. Gleisanlagen und Stellwerk deutlich länger. Bei im Schnitt 10 Jahren Abschreibung ergäben sich weitere 6,6 Mio. Abschreibungsaufwand pro Jahr. Zinsen und Abschreibungen würden sich damit auf insgesamt 7,8 Mio. Euro Mehraufwand pro Jahr summieren und das über 10 Jahre. Das kann die BOGESTRA nicht mehr stemmen. Folgerichtig kam es zum Investitionsstopp.

Anders als es im Jahresabschluss suggeriert wird, ist nicht vorgesehen die 2023 in Höhe von 66 Mio. Euro ausgefallenen Investitionen nachzuholen. Für 2024 werden im Wirtschaftsplan nur 30 Mio. Euro für Investitionen vorgesehen. Dieser Betrag ist der in den letzten Jahren übliche. Bei Verschiebung der Investitionen aus 2023 ins Folgejahr hätten für 2024 über 90 Mio. eingeplant werden müssen. Die Investitionssumme wurde somit in voller Höhe gestrichen.

Doch wie kann ein weiteres Kollabieren der BOGESTRA verhindert werden? Dazu hat es laut Oberbürgermeister Thomas Eiskirch, der gleichzeitig auch im Aufsichtsrat der BOGESTRA sitzt, bereits erste Überlegungen und Berechnungen gegeben. “Er habe für seine Stadt einmal mehrere Einsparvarianten durchrechnen lassen. Wenn man dort nur fünf Millionen Euro einsparen wolle, müssten in erheblichem Umfang Verkehre reduziert werden,” (Rheinische Post vom 08.05.2024). Die von Eiskirch angesprochenen Einsparungen bedeuten, Buslinien aufgegeben, um Personal abzubauen und so die Personalkosten zu reduzieren. Denn hier zeigt sich ein weiteres Problem des Nahverkehrsunternehmens, zwar endet jede Verwaltungsvorlage zu den Wirtschaftsplänen mit dem Satz “Mittelfristig wird eine leichte Reduzierung der Gesamtzahl an Mitarbeiter*innen angestrebt.” Tatsächlich ist die Zahl aber von 2023 auf 2024 um 63 Beschäftigte gestiegen (+2,6 %).

Den zu befürchtenden Personalabbau haben diejenigen in der Politik zu verantworten, die immer wieder eine Verbesserung des ÖPNV-Angebotes verhindert haben, besonders den grundlegenden Ausbau des Schnellverkehrsnetzes. Die Versäumnisse der Vergangenheit rächen sich. Die BOGESTRA steht mit dem Rücken zur Wand.

Was ist zu tun?

Als Präsident des Städtetages hat der Bochumer OB den ersten Hilferuf schon abgesendet: Er fordert mehr ÖPNV-Mittel von Bund und Land (Rheinische Post vom 08.05.2024). Bisher gleichen die Stadtwerke in Bochum das Defizit der BOGESTA aus. Die Mittel dazu sind allerdings begrenzt, denn die Stadtwerke brauchen ihr Geld für die Strom- und Wärmewende. Ein Defizit in der aktuellen Größenordnung können sie dauerhaft nicht decken.

Statt bei anderen um Geld zu betteln, sollte die Politik der Ruhrstadt und Bochums allerdings zunächst selbst sehen, dass sie das tut, was nötig ist, um BOGESTRA und den ÖPNV in der Ruhrstadt wieder auf sichere wirtschaftliche Füße zu stellen. Da steht an allererster Stelle eine ruhstadtweit einheitliche Nahverkehrsplanung und ein Zusammenschluss aller Nahverkehrsunternehmen der Ruhrstadt zu einem einzigen.

In Bochum selbst wäre es nötig, die politische Blockade gegen den substanziellen Ausbau des Schnellverkehrsnetzes aufzugeben. Darüber hinaus muss die BOGESTRA wirtschaftlich saniert werden. Das ist nur möglich mit Hilfe einer externen Unternehmensberatung. Diese muss Vorschläge machen, mit welchen Maßnahmen die Einnahmen gesteigert und die Ausgaben gesenkt werden können. Genau das werden die STADTGESTALTER jetzt im Stadtrat beantragen.

04 Feb

BOGESTRA mit Instandhaltung von Aufzügen und Rolltreppen überfordert

Dass Rolltreppen oder Aufzüge für Wochen, Monate oder sogar Jahre ausfallen, ist bei der Bochumer BOGESTRA kein Einzelfall. Ursache ist jedoch – anders als das Unternehmen es darstellt – nicht, dass Ersatzteile aus Asien nicht geliefert werden, sondern dass die Instandhaltung des Unternehmens schlecht organisiert ist. Die vielfältigen Probleme beleuchtet dieser Beitrag.

De Ausgangslage ist beschämend, jede sechste Rolltreppe der BOGESTRA funktioniert nicht und das immer wieder über Wochen, Monate oder sogar Jahre (WAZ vom 30.01.2024). Von 53 Aufzügen sind aktuell sechs “bis auf Weiteres außer Betrieb” (Aktuelle Aufzugsstörungen BOGESTRA), das sind über 11%. Fahrgäste, die auf Aufzüge angewiesen sind, werden in 5 von 6 Fällen aufgefordert, zu anderen Stationen zu fahren, umzusteigen und von da zur eigentlichen Zielstation mit der gleichen oder einer anderen Linie zu fahren. Und das für einen unbestimmten Zeitraum. Eine solche Behandlung der Kunden ist unzumutbar, blamabel und inakzeptabel.

Kundeninteressen stehen nicht im Fokus der BOGESTRA

Die Zustände sagen viel darüber aus, welchen Stellenwert Fahrgäste und Kunden bei der BOGESTRA besitzen. Interessen und Belange der Kunden stehen weder im Fokus des Unternehmens noch der Politik, beide sind vorrangig daran interessiert, dass es den Beschäftigten der BOGESTRA gut geht, Kunden und deren Bedürfnisse spielen allenfalls nachrangig eine Rolle. Statt die BOGESTRA aufzufordern, die Missstände endlich abzustellen, sehen sich die Ratsmitglieder von SPD und Grünen – wie zuletzt in der Ratssitzung am 01.02.2024 – allenfalls verpflichtet, zu erklären, dass alles nicht so schlimm wäre und die Beschäftigten eine gute Arbeit machen würden. An Lösungen im Sinne der Kunden, ist man nicht interessiert.

Beispiel Rolltreppe Pieperstraße

Ein typischer Fall für die Misere stellt die Rolltreppe Pieperstraße der Station Schauspielhaus dar. 23 Jahre nach Fertigstellung der Station wurden die Rolltreppen an dieser Haltestelle Ende des Jahrs 2000 aufgrund des hohen Kostenaufwands beim Betrieb der alten Fahrtreppen getauscht. In den ersten drei Jahren nach der Inbetriebnahme kam es an den vier neuen Treppen nach Aussage der BOGESTRA zu ca. 590 Störungen bzw. Außerbetriebnahmen (Mitteilung 20032686). Die Rolltreppen standen mehr als sie liefen.

Schon vor Jahren, der genaue Zeitpunkt ist nicht mehr bekannt, fällt die Rolltreppe Pieperstraße dann endgültig aus. Die BOGESTRA schaffte es bis heute nicht, diese wieder lauffähig zu bekommen. Sie streitet stattdessen mit dem Hersteller, wer die Schuld an den dauernden Ausfällen trägt. Es werden immer wieder neue Termine genannt, wann die Treppe wieder laufen soll, zuletzt sollte bis Ende September 2023 eine Generalreparatur erfolgen, Stand jetzt soll die Wiederinbetriebnahme irgendwann 2024 erfolgen. Öffentlich einen genauen Termin zu nennen, wagt die BOGESTRA nicht mehr.

Der Fall zeigt, die BOGESTRA ist mit der Instandhaltung völlig überfordert und trägt den Streit mit dem Hersteller über die Gewährleistung auf Kosten der Kunden aus. Die Treppe hätte lange komplett getauscht werden müssen. Die Kunden haben Anspruch auf eine laufende Rolltreppe. dieser wird aber von der BOGESTRA ignoriert.

Was läuft bei der Instandhaltung falsch?

Es stellt sich die Frage, warum ist die BOGESTRA nicht in der Lage die Rolltreppen und Aufzüge ordnungsgemäß Instand zu halten und zeitnah zu reparieren. Warum bekommt die BOGESTRA nicht hin, was in Einkaufszentren, und Großstädten weltweit üblich und selbstverständlich ist.

Die Ursachen sind vielschichtig: Die BOGESTRA hat bei Rolltreppen und Aufzügen immer wieder andere Modelle unterschiedlicher Hersteller eingebaut. Für eine Vielzahl verschiedenster Baureihen und Herstellervarianten Ersatzteile vorzuhalten ist aufwendig und teuer. Das Unternehmen bevorratet, um Kosten zu sparen, zu wenige Ersatzteile.

Darüber hinaus kann die BOGESTRA grundlegende Reparaturen nicht selbst durchführen, sondern beauftragt Fremdfirmen, mit denen aber keine Vereinbarungen bestehen, dass diese umgehend tätig werden und die Reparaturen innerhalb festgelegten Fristen durchführen müssen.

Auch sind Instandhaltung und Wartung von Rolltreppen wie Aufzügen bisher nicht mit anderen Nahverkehrsunternehmen abgestimmt. Eine gemeinsame Instandhaltungs- und Wartungsabteilung der Nahverkehrsunternehmen des VRR gibt es nicht. Man hat es über Jahrzehnte versäumt VRR-weit gemeinsam gleiche Baureihen von Rolltreppen und Aufzügen zu kaufen, um deren Instandhaltung- und Wartung sowie die Bevorratung der Ersatzteile dann gemeinsam zu organisieren. Immerhin koordiniert die BOGESTRA mittlerweile zumindest den Einkauf von neuen Rolltreppen mit Kooperationspartnern der Metropole Ruhr.

Das eigentliche Problem besteht darin, dass viele Anlagen überaltert und entsprechend verschlissen sind, aber immer noch betrieben werden, die eigentlich längst hätten ausgewechselt werden sollen. Rolltreppen haben im Schnitt eine Lebensdauer von 20-30 Jahren, ehe eine Kompletterneuerung oder ein Austausch erforderlich ist. Die Anlagen der BOGESTRA sind teilweise 35 Jahre und älter. 170 Rolltreppen betreibt die BOGESTRA. 4-6 werden pro Jahr getauscht (Mitteilung 20190255). Im Schnitt sind die Treppen also fast 34 Jahre alt, ehe sie erneuert werden.

Das Märchen von der schwierigen Ersatzteilbeschaffung aus Asien.

Je mehr Jahre die Treppen über die eigentlichen Lebenszeiten laufen, um so fehleranfälliger werden sie und um so schwieriger wird es für bereits lange Zeit nicht mehr gebaute Modelle noch Ersatzteile zu bekommen.

Anders als die BOGESTRA behauptet, ist die Überalterung der Treppen der Hauptgrund für die Schwierigkeiten Ersatzteile zu bekommen, nicht, dass sie – wie mittlerweile fast alle technischen Anlagen – in Asien gefertigt werden (Bochumer motzen wegen Rolltreppen-Irrsinn – BOGESTRA reagiert). Zumal sämtliche großen Rolltreppenhersteller bis auf Mitsubishi Electric nicht in Asien ansässig sind (Otis, ThyssenKrupp, Schindler und Kone) und die BOGESTRA keine Rolltreppen von Mitsubishi unterhält. Alle Hersteller betreiben seit etlichen Jahren Produktionsstandorte in Asien. Aber wie Automobilhersteller oder andere Anlagenbauer auch, sind die erforderlichen Ersatzteile für aktuelle Modelle auch in Europa und Deutschland vorrätig, nur für Oldtimer und Spezialanfertigungen ist die Besorgung nachvollziehbar schwierig.

Das Argument, die Rolltreppen und Aufzugshersteller seien wegen der Fertigung in Asien an der Misere schuld, ist also eine Ausrede. Das Problem liegt im Wesentlichen bei der BOGESTRA selbst.

Reorganisation der Instandhaltung und Wartung von Rolltreppen und Aufzügen

Die Instandhaltung und Wartung von Rolltreppen und Aufzügen muss bei der BOGESTRA grundlegend neu organisiert werden. Das Wichtigste ist, dass das Unternehmen in Zukunft die entsprechenden Tätigkeiten zusammen mit den anderen Nahverkehrsunternehmen des VRR aus einer Hand organisiert und die Ersatzteile zentral für alle bevorratet werden. Gemeinsam müssen die Unternehmen gleichartige Modelle, gleicher Hersteller einkaufen, um die Zahl der benötigten und zu bevorratenden Ersatzteile erheblich zu reduzieren.

Bereits beim Bau von Stationen sollte darauf geachtet werden, dass soweit irgend möglich nur Standardtreppen.- und -aufzüge zum Einsatz kommen und auch davon möglichst wenige. Hier wurden in der Vergangenheit Fehler gemacht, die jetzt hohen Folgekosten nach sich ziehen. Eine Rolltreppe plus Aufzug auf eine Zwischenebene und jeweils eine weitere Anlage auf den Bahnsteig, verdoppelt die Ausfall- und Reparaturwahrscheinlichkeit und lässt die Kosten immens steigen. Ein Aufzug und eine Rolltreppe direkt auf den Bahnsteig sind auf Dauer günstiger. Spezialanfertigungen wie überlange Rolltreppen und Schrägaufzüge, sind in der Instandhaltung wie der Ersatzbeschaffung ebenfalls extra teuer und aufwendig. Bei der Planung zukünftiger Stationen muss also bereits der daraus folgende Instandhaltungsaufwand berücksichtigt werden.

Ebenfalls von entscheidender Bedeutung, Aufzüge und Rolltreppen müssen rechtzeitig getauscht werden, wenn das Ende des Lebenszyklus erreicht ist und bevor die Reparaturanfälligkeit steigt und die Ersatzteilversorgung der Baureihen nicht mehr sichergestellt ist.

Defizite bei der BOGESTRA vielfältig

Die Misere bei Instandhaltung von Wartung von Rolltreppen und Aufzügen wirft ein Schlaglicht auf die Leistungsfähigkeit der BOGESTRA. Diese ist nicht nur in diesem Bereich bedenklich gering, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sowie das kundenfeindliche wie ineffiziente Ticket- und Fahrscheinsystem (VRR: Fahrgäste gefangen im Tarifdschungel) sind in dieser Hinsicht weitere Baustellen.

Auch zeigt dieser Fall, warum die Kosten bei dem Unternehmen aus dem Ruder laufen. Man ist bisher nicht bereit, die Kosten durch konsequente Zusammenarbeit mit den anderen Nahverkehrsunternehmen des VRR nachhaltig zu senken. Den Willen zur Kooperation mit anderen Unternehmen gibt es zwar auf dem Papier, Zusammenarbeit, da wo sie naheliegend, sinnvoll und im Sinne der Fahrgäste und Städte zwingend erforderlich ist, gibt es jedoch oft nicht.

Erschreckend ist zudem, was die BOGESTRA meint, den Kunden und Fahrgästen zumuten zu können. Wäre Kundenzufriedenheit das oberste Unternehmensziel und stünden die Fahrgäste im Mittelpunkt des Unternehmensinteresses, dürfte es zu dem beschriebenen Verhalten gegenüber den Kunden niemals kommen.

BOGESTRA befindet sich in einer ernsthaften Krise

Betrachtet man neben den schweren Defiziten bei Instandhaltung und Wartung, die schwindenden Fahrgastzahlen (Fahrgastschwund – Alarmierende Entwicklung bei der BOGESTRA), die Explosion des Unternehmensverlusts, die zu einem Anstieg des städtischen Zuschusses von 60 auf 90 Mio. geführt hat, sowie das jetzt schon absehbare eklatante Verfehlen der Unternehmensziele, wie der angestrebten Verdoppelung der Kundenzahlen bis 2030, so ist zu erkennen, dass die BOGEESTRA sich in einer ernsthaften Unternehmenskrise befindet, die dringend eine grundlegende Restrukturierung des Unternehmens erforderlich macht.

18 Dez

Warum ist die Verkehrsorganisation im Ruhrgebiet so schlecht?

ÖPNV, Fuß- und Radverkehr sind in kaum einer Metropolregion hoch entwickelter Länder schlechter organisiert als im Ruhrgebiet. Was sind die Ursachen, und wie ginge es besser? Ein Vergleich mit Japan.

Menschen, die aus Ländern mit hohem Lebensstandard kommen, um das Ruhrgebiet zu besuchen, sind überrascht, wie schlecht der Verkehr in einer der größten Metropolregionen in Europa organisiert ist. Ein metropolengerechtes, flächendeckendes Nahverkehrsnetz gibt es nicht. Das ÖPNV-Netz hat große Lücken, die Takte sind weit entfernt von dem, was in Metropolen heutzutage üblich ist. Ein Radverkehrsnetz gibt es nur in Ansätzen. Das Ruhrgebiet erstickt in Staus. Verkehrslärm und Luftverschmutzung sind nach wie vor hoch, Hauptverkehrsstraßen, an denen wegen des überbordenden Verkehrs niemand wohnen will, sind oft heruntergekommen. Gehwege, Kreuzungen und Radwege werden durchweg rücksichtlos zugeparkt. Bürgersteige sind in schlechtem Zustand und für älter und behinderte Menschen nicht selten kaum nutzbar. Zebrastreifen scheinen kaum bekannt. Alles ordnet sich dem Autoverkehr unter. Nur mit dem Auto kommt man gut und sicher überall hin.

Stadtentwicklung im Verkehr ist im Ruhrgebiet in den 80ern stecken geblieben

In Sachen Verkehr scheint die Stadtentwicklung im Ruhrgebiet in den 80er-Jahren stehen geblieben zu sein. Die Rückständigkeit ist überall sichtbar und augenfällig. Die Entwicklung,, die andere Metropolregionen in den letzten vier Jahrzehnten erlebt haben, hat das Ruhrgebiet fast vollständig verschlafen.

Dern Goldstandard in Sachen Verkehrsorganisation kann man in japanischen Metropolen wie Tokio oder Osaka erleben. In den 80er-Jahren erkannte man im Land der aufgehenden Sonne, dass zunehmender motorisierter Verkehr für die Städte kaum verträglich sein würde und Flächen für eine weitere Expansion des Autoverkehrs nicht vorhanden waren, also tat man ab da alles, um diesen Verkehr auf ein stadtverträgliches Maß zu begrenzen.

Sicher sind nicht alle Maßnahmen, die in japanischen Metropolen erfolgreich waren, 1:1 auf das Ruhrgebiet übertragbar, doch lohnt sich ein Blick nach Fernost, um zu erkennen, wie der Verkehr auf einem ganz anderen Niveau organisiert werden kann.

Öffentlicher Nahverkehr

ÖPNV-Netz –  Das Rückgrat des Öffentlichen Nahverkehrs in japanischen Metropolen bildet ein dichtes Schienennetz. Flächendeckend überspannt ein Schnell- und U-Bahnnetz die Metropolregionen. Busverkehr ist unüblich, Busse werden nur für absolute Nebenlinien eingesetzt. Die Takte der wichtigen Linien liegen unter 5 Minuten. Von einem Schienenring (Tokio: Yanamote Line, Osaka: Loop Line) ausgehend (Eine Ring- und Achtlinie für das Ruhrgebiet), fahren die verschiedenen Linien sternförmig in die Außenbezirke. Eingesetzt werden auf diesen Linien Rapid, Semi-Rapid und Local Züge. Local-Bahnen halten überall, Rapid nur an den wichtigsten Stationen, Semi-Rapid auf einem Teil der Strecke an allen Stationen, sonst nur an den wichtigsten.

Fern- und Nahverkehrsnetz sind strikt getrennt. Der Shinkansen hält in Tokio nur an zwei Stationen. Seit den 80er-Jahren hat man das Streckennetz so ausgebaut, dass die Linien ganz überwiegend auf eigener Gleistrasse unterwegs sind. Das garantiert extrem hohe Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit.

Nahverkehrsunternehmen und Leitbild – Die japanischen Bahnen sind privatisiert und fahren auf der japanischen Hauptinsel Honshū mit Gewinn. Eine Sperrung des Bahnverkehrs wie sie im Ruhrgebiet im Januar für sieben Wochen vorgesehen ist, wäre in Japan undenkbar. Die Zufriedenheit der Kunden, hat einen ganz anderen Stellenwert. „In Deutschland wird Effizienz von der Seite des Kapitals her definiert. Es geht darum, Renditen zu maximieren sowie Investitionen und Kosten zu senken. … [In Japan wird] Effizienz … vom Kunden her definiert. Die Aufgabe eines Unternehmens ist, die Zumutung für Kunden zu minimieren, auch wenn dafür – zum Beispiel durch mehr Personal – etwas Eigenkapitalrendite geopfert werden muss. Denn im japanischen Verständnis entspringt der Gewinn der Zufriedenheit der Kunden.“ (Handelsblatt vom 12.07.22)

Verspätungen und Zug- wie Busausfälle, wie sie die im Ruhgebiet im Nahverkehr tätigen Unternehmen den Kunden regelmäßig zumuten, würden in Japan als Missachtung und Ignoranz gegenüber den Kunden angesehen. Der Rücktritt der Verantwortlichen nach einer öffentlichen Entschuldigung mit tiefst möglicher Verbeugung ggü. den betroffenen Kunden, wäre der einzige mögliche Ausweg.

Fahrscheinsystem – Die Bezahlung des Nahverkehrs erfolgt, wie in fast allen Metropolen der Welt mittlerweile üblich über so genannte IC-Karten, die auch digital aufs Handy geladen werden können (VRR – Höchste Zeit für den E-Fahrschein). Bei Antritt der Fahrt hält man Handy oder Karte im Vorbeigehen kurz auf einen Kartenleser, das gleiche an der Zielstation. Niemand muss Zeit für einen Ticketkauf aufwenden oder für die Bedienung einer absonderlich umständlich bedienbaren Eezy-App.

Eine in einer Stadt erworbene IC-Karte kann selbstverständlich in allen japanischen Großstädten verwendet werden. Ebenso dient sie zum Entsperren von Fahrrädern an Fahrradverleih-Stationen und man kann mit den Karten in vielen Geschäften, Restaurants und an Automaten bezahlen.

Fuß- und Radverkehr

Fußverkehr – Fußwege befinden sich durchweg in einem sehr guten Zustand, Fußgängerüberwege und Zebrastreifen in kurzer Folge sind selbstverständlich. An großen Kreuzungen gibt es Anzeigen an denen ablesbar ist, wie lange Grün oder Rot ist. Grünphasen sind regelmäßig lang bemessen und auch für ältere und behinderte Menschen gut zu schaffen. Parken auf Gehwegen ist undenkbar.

Teilweise wird eine ganze Kreuzung für die zu Fuß Gehenden auf Grün geschaltet, Fahrzeuge aus allen Richtungen haben rot und die Menschen können auch diagonal die Kreuzung queren. So funktioniert das auch bei der berühmtesten und meistfrequentierten Fußgängerkreuzung der Welt der so genannten Scramble Crossing in Tokioter Stadtteil Shibuya.

Mit Bordstein erhöhte Bürgersteige gibt es nur an Hauptverkehrsstraßen. In Wohngebieten sind Straßen in der Regel so schmal, dass man rechts und links mit einer weißen Linie Bereiche für Fußgänger*innen abtrennt, wo diese laufen können. Aufgrund des geringen Autoverkehrs in Wohnvierteln und des ausnahmslosen Verbots von Straßenparken, sind in Wohnstraßen weder Bürgersteige wie wir sie kennen noch Radwege erforderlich.

Radverkehr – Zwar wird in japanischen Metropolen regelmäßig mehr Rad als Auto gefahren, doch Radwege gibt es kaum und wenn nur an Hauptverkehrsstraßen. In Osaka werden 25% der Wege mit dem Rad zurück gelegt, in Tokio 14% (Bike share deployment and strategies in Japan).

Radfahrende dürfen die Gehwege benutzen, wenn ihnen das Fahren auf Hauptstraßen zu gefährlich ist. Diese Regel wird durchweg genutzt. Das Miteinander auf den Gehwegen funktioniert erstaunlich gut. Japanische Radfahrende sitzen deutlich tiefer im Sattel, die Laufräder sind im Durchmesser häufig kleiner. Das macht Fahrräder wendiger und die Radfahrenden haben schnell beide Beine am Boden. Die zu Fuß Gehenden sind die gemischte Nutzung der Gehwege gewohnt und zeigen Verständnis für die Radfahrenden, obwohl aufgrund des dichten Fußverkehrs auf Gehwegen deutlich dichter überholt wird als das bei uns der Fall ist. Halten sich Radfahrende aufgrund unzureichender Infrastruktur nicht an Verkehrsregeln, wird das auch von der Polizei toleriert. Es besteht zwar in der japanischen Straßenverkehrsordnung die unbedingte Empfehlung, das Radfahrende einen Helm tragen sollen, doch Radfahrende mit Helm sieht man nur selten.

Sofern es möglich ist, und das ist es oft, meiden Radfahrende Hauptstraßen und nutzen die wenig mit verkehrsbelasteten Wohnstraßen.

Japanische Metropolen verfügen über dichte Netze von Radverleihsystemen. Bis zu drei Unternehmen betreiben in einer Stadt parallel derartige Netze. Verliehen werden durchweg E-Bikes, teilweise zusammen mit E- Scootern, die aber eher wenig verbreitet sind. Verleihstationen sind manchmal schwer zu finden, da sie in der Regel nicht auf öffentlichem, sondern auf privatem Raum zu finden sind.

Gerne werden in Japan auch schmale, wendige Lastenräder verwendet, bevorzugt, um Kinder oder Einkäufe zu transportieren. Jede Bahnstation verfügt über für unsere Verhältnisse riesige meist unterirdische Radparkhäuser. Das Abstellen von Fahrrädern ist fast immer nur an Abstellanlagen möglich, da sonst verboten.

Autoverkehr

Parken – Ein Auto kann man in japanischen Metropolen nur dann zulassen, wenn man einen privaten Stellplatz dafür nachweist. Parken m öffentlichen Raum und an Straßen ist in Japan unbekannt. Parken ist nur auf privatem Grund möglich und teuer. 24 Euro pro Stunde werden in Zentraltokio fällig in den großen Stadtteilen sind immer noch 9 Euro/Stunde die Regel Es gilt der Grundsatz, Platz ist in der Stadt rar und soll bevorzugt für wichtigere Dinge als Parken verwendet werden.

PKW und LKW – Autofahrende haben die Kosten zu tragen, die sie mit dem Auto verursachen, Entsprechend machen neben dem Parken, verschiedene Fahrzeugsteuern und Mautgebühren das Autofahren teuer. Weder PKW- noch LKW-Verkehr werden subventioniert.*

°Diese Gegebenheiten führen dazu, dass 54,4 % der in Japan zugelassenen Autos Kleinstfahrzeuge, so genannte Kei-Cars., sind. Die dürfen nicht breiter sein als 1,48 m, länger als 3,4 m und mehr als 64 PS haben (Kei Car). Auch große 40t-LKW sieht man in Städten nicht. Fast der gesamte LKW-Verkehr wird mit Kleinst-LKW abgewickelt, auch 3,5- bis 7,5t-LKW sieht man häufiger, größere LKW sind nicht gut stadtverträglich und daher unüblich.

Auf den Straßen japanischer Metropolen fahren überwiegend Taxen, gewerbliche PKW und LKW, kaum Busse und vergleichsweise wenige Privat-PKW. Staus kommen nur selten vor. Trotzdem lohnt sich das Autofahren nicht. Es ist zu teuer und dauert zu lange. Fast alle Kreuzungen sind beampelt, Grüne Wellen eher die Ausnahme. Von Tokio nach Osaka braucht man mit dem Auto 6,5 Std, mit der Bahn 2,5 Std. Das Auto wird nur dann genutzt, wenn es keine bessere Alternative dazu gibt.

Japanische Metropolregionen vs. Metropolregion Ruhrgebiet

Stellt der Verkehr im Ruhrgebiet eine permanente Belästigung und Belastung dar, nervt die Menschen und ist man, wenn es um Zeit geht, häufig auf das Auto angewiesen, läuft das Leben in japanischen Metropolen entspannt. Der ÖPNV läuft reibungslos, alles ist perfekt organisiert, alle Verkehrsarten sind bestens aufeinander abgestimmt. Man kommt immer, auch ohne Auto, schnell, sicher und pünktlich zum Ziel. Die Verkehrsorganisation hat ein anders zivilisatorisches Level erreicht. Einzig beim Radverkehrsnetz an Hauptverkehrsstraßen haben auch japanische Metropolen noch Nachholbedarf.

Sonst haben Metropolen wie Osaka und Tokio in fast allen Bereichen der Verkehrsorganisation weltweit neue Maßstäbe gesetzt. während die Verkehrsorganisation im Ruhrgebiet eigentlich nur als Negativbeispiel wie man Verkehr auch schlecht organisieren kann, wertvoll sein kann.

Warum ist das Ruhgebiet in Sachen Verkehrsorganisation so rückständig?

Das führt zu der Frage, wie in japanischen Metropolen eine derart hochentwickelte Verkehrsorganisation  entstehen konnte, im Ruhrgebiet aber in dieser Richtung in den letzten vier Jahrzehnten fast nichts passiert ist.

Dafür gibt es sicher viele Gründe, drei besonders wichtige seien hier explizit genannt:

– Gibt es in Japan ein Problem, werden Pläne zur Lösung entwickelt und diese konsequent umgesetzt. Man handelt so lange bis die gesetzten Ziele erreicht und das Problem gelöst ist. Im Ruhrgebiet wird das Problem erkannt, viel erzählt und diskutiert, festgestellt, das andere Schuld sind, wenn es hoch kommt halbherzig Konzepte zur Lösung beauftragt, umgesetzt wird am Ende wenig bis nichts. Sollte etwas realisiert werden, dann im Schneckentempo, siehe Radschnellweg oder RRX. Politik und Verwaltung sind häufig keine Macher nur Schaumschläger*innen., die kaum mehr als heiße Luft verbreiten.

– Die Planung und Organisation des Verkehrs Ruhrgebiets erfolgt nicht aus einer Hand. Jede Stadt plant für sich selbst. Niemand ist bereit die entsprechenden Kompetenzen an eine höhere Instanz abzugeben, Obwohl alle Verantwortlichen in Städten und Politik wissen, eine gute Verkehrsorganisation der Metropole Ruhr ist nur mit einer zentralen Planung möglich, hält man borniert daran fest, dass jeder für seine Stadt rumwurschtelt. Der Erhalt der eignen Kompetenzen und Strukturen zählt mehr als die Realisierung einer guten Verkehrsorganisation.

– In Japan stehen immer die Kundeninteressen im Mittelpunkt der Unternehmensziele, im Ruhrgebiet sind diese irrelevant und werden ignoriert. Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Benutzerfreundlichkeit, dichte Netze und Takte im ÖPNV, sind alles Ziele, die im Ruhrgebiet nur auf dem Papier vorkommen, aber nicht ernsthaft verfolgt werden. Entsprechend sind in allen Punkten in den letzten Jahrzehnten keine signifikanten Verbesserungen zu beobachten.

Zu guter Letzt sei angemerkt, dass es nicht zielführend sein kann, die Verhältnisse japanischer Metropolen unreflektiert auf das Ruhrgebiet zu übertragen. Aber Japan zeigt, was möglich ist, wenn man es denn will und konsequent daraufhin arbeitet. Das Ruhrgebiet muss an manche Stellen sicher andere Lösungen und Lösungswege finden. Der erste Schritt aber wäre, dass man nicht nur von Verkehrswende und besseren Verkehrsorganisation redet, sondern auch ernsthaft Schritte unternimmt, die genannten Ziele zu erreichen. Dabei kann Japan für das Ruhrgebiet in vielerlei Hinsicht Vorbild sein.

* Aktuell (2023) wird wegen der Inflation das Benzin subventioniert. Trotzdem erreichte der Benzinpreis im August ein Rekordhoch.

08 Okt

Ridesharing statt Bummelbusse – ÖPNV auf neuem Niveau

Die Fahrgastzahlen der BOGESTRA gehen zurück, das Angebot ist unattraktiv. Eine Idee zur Verbesserung ist Ridesharing: Der Kunde wird zu Hause zur gewünschten Zeit abgeholt und zur nächsten Haltestelle des Schnellverkehrsnetzes gefahren. Die Bummelbusse durch die Stadtteile entfallen.

Die Verkehrsbetriebe des Ruhrgebiets befinden sich in einer dramatischen Lage, die Kundenzahlen sinken, die Verluste explodieren (Fahrgastschwund – Alarmierende Entwicklung bei der BOGESTRA). Nach Corona liegen die Fahrgastzahlen im ÖPNV in Deutschland mittlerweile wieder bei knapp 90% der Fahrgastzahlen von 2019. Die BOGESTRA konnte 2022 dagegen nur 76% des Vor-Corona-Niveaus erreichen.

Unattraktives Angebot: Fahrgäste schwinden, Verluste steigen

Betrug der Verlust der BOGESTRA im Jahr 2019 noch knapp 60 Mio. Euro stieg er bis 2022 auf fast 90 Mio. (WAZ vom 05.06.23). Die Oberbürgermeister der Ruhrgebietsstädte befürchten ein weiteres Ansteigen, so dass der ÖPNV für die Städte unfinanzierbar wird. Zusammen mit dem Essener Oberbürgermeister Kufen warnte der Bochumer Oberbürgermeister Thomas Eiskirch: „Wir müssen alles dafür tun, dass aus der Mobilitätswende kein Mobilitätsende wird“ (WAZ vom 11.09.23).

Das Nahverkehrsnetz im Ruhrgebiet kann nicht im Ansatz als metropolengerecht bezeichnet werden. Nur in wenigen Ballungsräumen der Welt trifft man auf schlechtere Nahverkehrsnetze. Dass der Nahverkehr in Los Angeles und Beirut noch ungenügender organisiert ist als im Ruhrgebiet, ist wenig schmeichelhaft. Dass der ÖPNV so schlecht ist, sagt leider ebenfalls viel aus über die Kompetenz, das Engagement der Politik und der Verantwortlichen in den Stadtverwaltungen sowie den Verkehrsbetrieben des Ruhrgebiets im ÖPNV.

Das Netz 2020 ist ein großer Flop

Das Netz 2020,, von SPD und Grünen als bedeutender Schritt nach vorne im Bochumer Nahverkehr angepriesen, erweist sich als großer Flop. Die Kundenzahlen steigen nicht, sie sinken. Zwar wurde das Netz auf den Hauptverkehrslinien durch die dort erreichte Taktverdichtung attraktiver, in der Fläche aber noch unattraktiver. Ein großer Teil des Stadtgebietes ist nicht durch Hauptverkehrslinien abgedeckt (siehe Grafik). Mit Bummelbussen, die teilweise nur jede Stunde fahren, zu den Haltestellen des Schnellverkehrsnetzes zu gelangen, ist durch die Ausdünnung dieser Busse noch schwieriger geworden und lohnt sich für viele Fahrgäste nicht mehr. Sie sind während Corona auf andere Verkehrsmittel umgestiegen und kommen nicht mehr zurück.

Ein typischer Bummelbus fährt auf der Linie 357, die in Linden und Dahlhausen jede Gießkanne abfährt und Fahrgäste zur Straßenbahn bzw. S-Bahn in Dahlhausen bringt. Der Bus fährt werktags (Mo. – Sa.) nur aller 30 Minuten (5:20 bis 21;30 Uhr), danach nur eine Teilstrecke als Anrufsammeltaxi. Am Sonntag fährt er bei eingeschränkten Betriebszeiten nur jede Stunde. Das führt besonders bei Rückfahrten beim Umstieg auf den Bus zu langen Umstiegs- und Wartezeiten an den Straßen- und S-Bahn-Haltestellen. Bis man überhaupt die Umstiegshaltestellen erreicht, muss erst zu einer Bushaltestelle gelaufen werden und dann eine oft langwierige und umständliche Fahrt durch halb Linden und Dahlhausen in Kauf genommen werden. Alle Faktoren zusammen machen den Bus umständlich und unattraktiv. In der Folge benutzen ihn nur wenige Fahrgäste.

Das Konzept des Netz 2020, die Abdeckung weiter Teile des Stadtgebiets mit Bummelbussen in Verbindung mit einem gut getakteten Schnellverkehrsnetz anzubieten, ist somit gescheitert.

Netzabdeckung Schnellverkehrsnetz BOGESTRA

Schnellverkehrsnetz ist zu langsam und hat zu viele Lücken

Ein weiteres Problem stellt die mangelnde Dichte und Schnelligkeit der Straßenbahnlinien im Nahverkehrsnetz dar. Für eine entsprechende Erweiterung des Netztes hatten die STADTGESTALTER 2021 einen Vorschlag gemacht (Zehn neue Linien für das Bochumer Nahverkehrsnetz). Jedoch verweigert die Rot-Grüne-Mehrheit im Stadtrat jede substanzielle Erweiterung des Schnellverkehrsnetzes. Selbst die Prüfung der Machbarkeit von Linien wird durchgehend abgelehnt. Zuletzt am 28.09.23 der Vorschlag der STADTGESTALTER die Machbarkeit einer Regiotram-Linie von Bochum nach Essen über Westpark, Günnigfeld, Südfeldmark, Leithe und Kray zu prüfen (Antrag 20232480). Rückgrat eines attraktiven ÖPNV-Netzes ist und bleibt jedoch ein flächendeckendes, schnelles, dicht getaktetes Straßen, Stadt- und S-Bahn-Netz. So lange aber Rot-Grün ihre Blockade-Haltung hinsichtlich eines substanziellen Netzausbaus aufrechterhält, wird sich an dem lückenhaften Netz nichts ändern.

Lösung Ridesharing

Bleibt also nur die Möglichkeit den Zubringerverkehr zu den Schnellverkehrslinien deutlich zu verbessern. Auch dazu haben die STADTGESTALTER bereits 2018 einen Vorschlag gemacht (Drei Vorschläge für Werne). Der Vorschlag der STADTGESTALTER sieht vor, für den Stadtteil Werne und einem kleinen Teil von Langendreer den Nahverkehr mit Shuttle-Bussen mittels Ridesharing zu organisieren.

Shuttle-Bus – Ridesharing (Foto: Kenneth Palmestål)

Das Prinzip des sogenannten Ridesharing oder Ridepooling funktioniert wie folgt: Via App oder Telefon kann ein Shuttle-Bus nach Bedarf (on demand) vor die Haustür bestellt werden können. Im gewünschten Zeitfenster bringen die Busse die Fahrgäste dann zu einer Hub-Haltestellen (In Werne: Werne zentral, Ruhr Park, Langendreer West, Langendreer S und Lütgendortmund), von denen ein direkter Anschluss zu den Hauptlinien des Nahverkehrsnetz sichergestellt ist.

Shuttle-Zone – Ridesharing Werne

Dadurch werden die Nahverkehrswege und die Umsteigezeiten deutlich kürzer und komfortabler. Der Fußweg zur Haltestelle entfällt. Der Shuttle-Bus holt die Fahrgäste direkt vor ihrem Startort ab. Das intelligente Verkehrsleitsystem gewährleistet, dass die Fahrgäste so an der Hub-Haltestelle ankommen, dass sie ohne große Wartezeit auf die gewünschte Hauptverkehrslinie des ÖPNV umsteigen können. Auf diese Weise werden die Fahrten mit dem Nahverkehr deutlich bequemer, schneller und damit attraktiver.

Für Linden und Dahlhausen kämen als Hubhaltestellen die S-Bahnhöfe in Dahlhausen, Höntrop wie Hattingen in Betracht, sowie die Haltestellen der Straßenbahnlinien 308 und 318. Busse, die den Stadtteil aktuell erschließen, würden überflüssig.

Ridesharing in Hannover und Hamburg

Erfolgreiche Ridesharing-Systeme werden in Hamburg und Hannover betrieben. Dort befördert das Unternehmen Moia pro Fahrzeug maximal sechs Fahrgäste in luxuriösen E-Shuttle-Bussen vom gewünschten Start- zum Zielort. Moia betreibt ebenfalls ein App-gesteuertes Ridepooling. Fahrgäste teilen sich ein Fahrzeug, deren Start- und Zielposition in ähnlicher Richtung liegen. “Zunächst sendet der Kunde über eine App eine Fahrtanfrage. Ein Algorithmus ordnet sie einer neuen oder einer bereits bestehenden Fahrt zu. Der Fahrer wird über eine App informiert und zum Kunden navigiert, um ihn an einem festgelegten Haltepunkt abzuholen. Fahrgäste, die sich bereits im Fahrzeug befinden, werden über ein Display informiert, dass ein weiterer Fahrgast zusteigt. Die Wagen steuern virtuelle Haltepunkte auf einer dynamischen Route an. Nur an diesen Haltepunkten können die Fahrgäste ein- und aussteigen” (Moia – Betrieb).

Moia wird im Gegensatz zu dem von den STADTGESTALTERn vorgeschlagenen System eigenwirtschaftlich neben dem ÖPNV betrieben und ist nur begrenzt in das Tarifsystem des ÖPNV eingebunden (Sammeltaxi-Anbieter Moia baut Angebot in Hamburg aus). Auch dient das Moia-System nicht dem Ersatz der Stadtteilbusse. Das von den STADTGESTALTERn vorgeschlagene Ridesharing soll von oder im Auftrag der BOGESTRA betrieben und mit dem ÖPNV-Fahrpreis entgolten werden. Auch sollten in den Fahrzeugen mehr als sechs Fahrgäste befördert werden können, angestrebt werden sollte eine mindestens doppelt so hohe Fahrgastzahl.

Für die Nacht bieten die Verkehrsbetriebe in Duisburg ebenfalls bereits ein Ridesharing-System (myBus) mit eigenem Tarifsystem an, das zu Nachtzeiten den ÖPNV ersetzen soll.

Kosten und Finanzierung des Ridesharings

Durch das Ridesharing entfallen die Kosten für die Beschaffung, den Betrieb und die Instandhaltung der teuren Bummelbusse. Ein Bus, der elektrisch betrieben wird und im öffentlichen Nahverkehr eingesetzt werden soll, kann rund 600.000 Euro kosten (E-Bus: Die Zukunft im öffentlichen Nahverkehr?). Während Anschaffung, Betrieb und Instandhaltung der Shuttle-Busse also deutlich günstiger ausfallen, müssen zur Netzabdeckung mehr Shuttle-Busse und Fahrer bzw. Fahrerinnen eingesetzt werden als bisher mit den herkömmlichen Bussen, was auf der anderen Seite, die Kosten deutlich erhöht. Dafür wird die Auslastung der Shuttle besser sein als die der Busse, die in Nebenverkehrszeiten auf Teilstrecken nicht selten fast leer verkehren. Der Einsatz der Shuttle-Busse lässt sich zudem erheblich besser an den Bedarf anpassen. Darüber hinaus entfallen die Kosten für den Bau und die Erhaltung von Haltestellen an den bisherigen Buslinien. Diese können aufgegeben werden. Durch das deutlich bessere Angebot aufgrund Ridesharings ist zudem zu erwarten, dass die Zahl der ÖPNV-Kunden deutlich steigt, was zu Mehreinnahmen bei der BOGESTRA führt und die externen Kosten des städtischen Verkehrs deutlich sinken lässt.

Unter Einbeziehung der gesellschaftlichen Kosten, die die Stadt beim vermehrten Umstieg vom Auto auf den ÖPNV spart, sollte sich das angedachte System volkswirtschaftlich rechnen. Betriebswirtschaftlich ist jedoch ein höherer städtischer Zuschussbedarf bei der BOGESTRA einzukalkulieren. Für diesen muss eine Gegenfinanzierung geschaffen werden. Eine Möglichkeit wäre, den Finanzbedarf mittels einer entsprechenden Verminderung der Subventionen des Autoverkehrs zu decken. So könnte die Stadt z.B. eine kommunale Straßensteuer für in Bochum zugelassene Fahrzeuge erheben und die in anderen Orten zugelassenen Fahrzeugen über einen Zuschlag bei den Parkgebühren zur Kasse bitten.

Im Sinne der von der Stadt verfolgten Mobilitätswende ergäbe sich eine Win-win-Situation. Durch das Ridesharing gewinnt der Nahverkehr gegenüber dem Auto an Attraktivität, während die Straßensteuer das Autofahren angemessen teurer macht. Insgesamt entsteht also ein doppelter Anreiz vom Auto auf den ÖPNV umzusteigen.

18 Jun

Fahrgastschwund – Alarmierende Entwicklung bei der BOGESTRA

Die Fahrgastzahlen im ÖPNV liegen in Deutschland nach Corona mittlerweile wieder bei knapp 90% der Fahrgastzahlen von 2019. Die BOGESTRA konnte 2022 dagegen nur 76% des Vor-Corona-Niveaus erreichen. Bereits seit 2010 kann die BOGESTRA nicht mehr mit der Entwicklung der deutschen OPNV-Unternehmen mithalten.

Schaut man sich die Entwicklung der Fahrgastzahlen deutscher Nahverkehrsunternehmen über die letzten 13 Jahre genauer an, dann stieg die Zahl der Fahrgäste in Deutschland ab 2010 stetig, bis sie 2019 einen Höhepunkt erreichte. Danach brach die Zahl Corona bedingt massiv ein, stieg dann bis 2022 wieder auf fast 90% der Fahrgastzahl der Vor-Corona-Zeit an (VdV Jahresberichte). Bei der BOGESTRA war die Entwicklung eine andere: Von 2010 bis 2015 lag die Fahrgastzahl bei um die 144 Mio., sank dann bis 2019 leicht, um in der Corona-Zeit um 27% auf knapp über 104 Mio. zu fallen und konnte sich im letzten Jahr dann nur leicht auf etwas mehr als 108 Mio. Fahrgäste erholen. Damit liegt die Zahl weiterhin 24% unter Vor-Corona-Niveau, und das trotz 9-Euro-Ticket-Boom 2022.

Fahrgastzahlen BOGESTRA Soll-Ist

BOGESTRA kann bei Fahrgastzahlen mit anderen Verkehrsunternehmen nicht mithalten

Hätte sich die Fahrgastzahl der BOGESTRA seit 2010 so entwickelt, wie das im Durchschnitt der deutschen Nahverkehrsunternehmen der Fall war, müsste die Zahl der Fahrgäste heute bei über 151,3 Mio. Fahrgästen liegen. Tatsächlich sind es nur 108,7 Mio.. Damit liegt die tatsächliche Zahl fast 40% unter der, die sich im normalen deutschen Trend ergeben hätte (siehe Grafik oben).

Hinsichtlich der Fahrgastzahlen bleibt die BOGESTRA also schon seit Jahren deutlich hinter der Entwicklung bei den Verkehrsunternehmen der meisten deutschen Städte zurück. Wie bei bei fast allen Nahverkehrsunternehmen ist der jährliche Unternehmensverlust jedoch förmlich explodiert, bei der BOGESTRA von knapp 60 Mio. Euro pro Jahr bis 2019 auf knapp 90 Mio. Euro 2022  (WAZ vom 05.06.23.). Vergleicht man das Defizit der BOGESTRA mit dem anderer Städte, liegt das Nahverkehrsunternehmen für Bochum, Gelsenkirchen und Witten mit etwas über 95 Euro pro Einwohner*in im Mittelfeld der deutschen Unternehmen. Sieht man allerdings auf die Zahl der Fahrgäste bzw. Fahrten pro bedienten Einwohner*innen, schneidet die BOGESTRA sehr schlecht ab (siehe Grafik unten), von hier betrachteten zehn Verkehrsbetrieben deutlich am schlechtesten. Während die BOGESTRA nur auf 120 Fahrten pro Einwohner*in kommt, sind es in Stuttgart schon 127, in Düsseldorf, Nürnberg, der Rhein-Neckar–Region (Mannheim, Heidelberg, Ludwigshafen) und Karlsruhe zwischen 150 und 200 Fahrten, in allen anderen Städten (Bonn, Dresden, Hannover) mehr als 200, in Freiburg sogar fast 300 Fahrten pro Einwohner*in.

Vergleich Städte, Fahrten und Verluste pro Einwohner*in
Vergleich Städte, Fahrten und Verluste pro Einwohner*in

Warum steht die BOGESTRA so schlecht da?

Die Zahlen machen deutlich, die BOGESTRA wird vergleichsweise wenig genutzt. Sie hat im Verhältnis zu der Zahl der Menschen, die in dem Gebiet wohnen, das das Unternehmen versorgt, wenig Kunden. Woran liegt das?

In vier Punkten unterscheidet sich die BOGESTRA von anderen städtischen Nahverkehrsunternehmen:
1. Das ÖPNV-Netz wurde seit Jahrzehnten nicht nennenswert ausgebaut
2. Das Netz basiert auf wenigen Straßenbahnlinien und vielen langsamen Buslinien
3. Das Tarif- und Ticketsystem ist für Menschen, die nur ab und zu fahren, undurchschaubar
4. Es fehlen Mobilitätsstationen zur bequemen multimodalen Nutzung mehrerer Verkehrsmittel

Alle vier Defizite sind seit Jahren bekannt. Die Politik hält eine Verbesserung aber nicht für erforderlich bzw. blockiert sie. Im Rahmen der Bochum-Strategie gibt es zwar eine Kernaktivität „Vorfahrt ÖPNV – Leitprojekte öffentlicher Nahverkehr“ echte Leitprojekte sind darunter jedoch nicht zu finden. Die Kernaktivität stellt nicht mehr als eine Marketingaktivität dar. Ebenfalls hat der Bochumer Oberbürgermeister erst unlängst pressewirksam ein Positionspapier mit der Forderung unterschrieben den ÖPNV-Anteil zu verdoppeln (Positionspapier „Städte, Landkreise und Verkehrsverbünde begrüßen das Ziel der Verdoppelung der Fahrgäste des ÖPNV bis 2030!“), aktuell liegt dieser in Bochum nur bei 15,3%, doch konkret unternehmen, um das geforderte Ziel zu erreichen, tut der Oberbürgermeister nichts. Ernsthafte Aktivitäten gibt es im Bereich ÖPNV und Mobilitätswende nicht, die Bereitschaft etwas zu tun wird allenfalls vorgetäuscht.

Dias Ziel der Verkehrswende wurde von SPD und Grünen, die in der Stadt seit über 20 Jahren die Verkehrspolitik bestimmen, nie verfolgt. Entsprechend gab es In zwei Jahrzehnten keine Projekte das Bochumer Nahverkehrsnetz  substanziell auszubauen. Im Gegenteil verhindert die Bochumer Politik sogar den Bau wichtiger ÖPNV-Linien, indem sie mögliche Trassen unnötig mit Wohngebieten zubaut (Planungsfehler bei Wohnquartier Günnigfeld macht wichtige ÖPNV-Verbindung unmöglich) .

Zu 1.: Netzdefizit – Mehr Kunden gewinnt ein Nahverkehrsunternehmen insbesondere mit einem attraktiven Liniennetz. Im Bochumer Nahverkehrsnetz fehlen wichtige Verbindungen: Unter anderem eine schnelle Anbindung des Ruhr Parks an die City, eine Nord-Süd-Verbindung in Wattenscheid, eine Anbindung des Nordens von Wattescheid zum Bochumer und Essener Zentrum (Regiotram) und eine alternative Verbindung von der Innenstadt zur Ruhr-Universität und Hochschule über Altenbochum und Mark 51°7. Obwohl für alle diese Projekte bereits seit Jahren Vorschläge auf dem Tisch liegen, wird deren Planung und Umsetzung von der rot-grünen Rathauskoalition konsequent verhindert (Zehn neue Linien für das Bochumer Nahverkehrsnetz).. So bleibt das Bochumer Nahverkehrsnetz lückenhaft, was wiederum Kunden abschreckt in Bochum Bus- und Bahn zu benutzen..

Zu 2.: Langsamkeitsdefizit – Viele Bereiche der Stadt sind nur mit langsamen Buslinien angebunden, die jede Gießkanne anfahren und bis zum Ziel endlos lange benötigen. Es fehlen kurze schnelle Shuttles zu den Schnellverkehrslinien, so dass die Kunden bei minimalen Umsteigezeiten ohne große Umwege zu Bahnlinien kommen, mit denen sie schnell zum Ziel kommen. Das bedeutet auch, dass die Straßenbahnlinien beschleunigt werden sollten, insbesondere durch eigene Gleiskörper.

Zu 3. Tarif- und Ticketdefizit – bisher betreiben VRR und BOGESTRA bewusst ein kundenunfreundliches Tarif- und Ticketsystem um Menschen, die nur ab und zu Bus oder Bahn nehmen wollen, von der Benutzung des ÖPNV abzuhalten. Es fehlt eine mit Geld aufladbare Smartcard von der die Fahrpreise über Touchterminals bei jeder Fahrt abgebucht werden können (Höchste Zeit für den E-Fahrschein. Das Eazy-Ticket, das ein kilometerbasiertes Bezahlen von Fahrtstrecken mittels Mobiltelefons ermöglich, ist zu umständlich und ggü. den sonstigen Fahrpreisoptionen regelmäßig zu teuer. Hier ist ein Umdenken nötig, denn auch Menschen ohne Monatsfahrkarte sind als Kunden wichtig, ein Verzicht auf diese Kunden kann sich die BOGESTRA nicht leisten.

Zu 4.Multimodaldefizit – Trotzdem bereits 2013 beschlossen wurde, in der Stadt ein Netz von Mobilitätsstationen aufzubauen, um es Menschen möglich, bequem und ohne Zeitverlust mit mehreren Verkehrsmitteln zum Ziel zu kommen, hat die Stadt es bis heute nicht geschafft, die mittlerweile ein Jahrzehnt alten Beschlüsse umzusetzen. (Bochum fehlen Car-Sharing-Stellplätze und Mobilitätsstationen).  Mit dem ÖPNV kommend an einem Bahnhalt komfortabel auf (Leih-)Rad oder Car-Sharing-Auto zu wechseln, ist wegen fehlender Mobilitätsstationen in Bochum regelmäßig nicht möglich. Der Bau der Stationen scheitert an der gepflegten Langsamkeit, mit der die Stadt ihre Aufgaben verschleppt

Keine rosige Zukunft

Die Zukunft der BOGESTRA sieht also alles andere als rosig aus. Dass das Unternehmen die Fahrgastzahlen von vor Corona je wieder erreichen wird, erscheint trotz gerade eingeführtem 49-Euro-Ticket mehr als fraglich. Angesichts fehlender fast 35 Mio. Fahrten bis zum Niveau von 2019, erscheint die Zahl von 20.000 neuen Kunden, die die BOGESTRA über das günstige Deutschlandticket gewinnen konnte, sehr gering (WAZ 08.05.2023).

Aufgrund der Blockadehaltung der Bochumer Politik in Sachen grundlegendem ÖPNV-Ausbau ist zu befürchten, dass die BOGESTRA zukünftig eher weiter Kunden verlieren als hinzugewinnen wird. Auf der anderen Seite wird das Defizit der BOGESTRA eher zu- als abnehmen. Damit wird auch der zukünftige Investitionsspielraum immer kleiner. Diese Entwicklung abzuwenden, dürfte es bereits zu spät sein, denn es dauert mindestens 5-10 Jahre bis Nahverkehrsprojekte geplant und umgesetzt worden sind. Selbst wenn jetzt relevante Projekte angeschoben werden, würde sich ein Effekt auf die Fahrgastzahlen erst im nächsten Jahrzehnt zeigen, bis dahin kann die Stadt die negative Entwicklung nur hilflos beobachten.

Bleibt die Zahl der Fahrgäste dauerhaft deutlich unter den Zahlen von vor 2020 oder sinkt sogar weiter, wird es unumgänglich zu der Forderung kommen, das Angebot der BOGESTRA deutlich zu reduzieren sowie Personal und Kosten einzusparen. Dann wird die kurzsichtige und nicht vorausschauende Verkehrspolitik der Stadt bei der BOGESTRA Menschen den Job kosten.

Beitragsbild Foto: PRobin

08 Apr

Betrieb Seilbahn vom Ruhr Park zur Bochumer City mit Gewinn möglich

Eine aktuelle Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass sich eine Seilbahnlinie zwischen  Ruhr Park und Innenstadt bereits nach 5 bis 12 Jahren refinanziert und mit Gewinn betreiben lässt. Die STADTGESTALTER haben anhand der Nutzen-Kosten-Analyse zu der in Bonn geplanten Seilbahn Fahrgastnachfrage, Fahrpreiserlöse und Kosten auf die Bochumer Strecke hochgerechnet.

Eine Seilbahnverbindung vom Ruhr Park zur Innenstadt wäre ein Gewinn für beide Einkaufszentren (Seilbahnlinie City – Ruhr Park: Die Rettung der Innenstadt ist der Ruhr Park). Neue Attraktionen wie die Seilbahn brächten neue Kunden in die City. Der Besuch von Ruhr Park und City, verbunden mit einer Seilbahnfahrt über die Dächer der Stadt, würde viele Menschen nach Bochum locken.

Jedoch stellt sich die Frage, wie viel kostet eine solche Seilbahnlinie, wie kann diese finanziert werden und kann sie dauerhaft mit wirtschaftlichem Erfolg betrieben werden? Genau diese Frage haben die STADTGESTALTER jetzt näher untersucht und dabei wichtige Daten der Nutzen-Kosten-Analyse für die in Bonn geplante Seilbahn (Seilbahn Bonn – Bericht zur Standardisierten Bewertung) zugrunde gelegt. Die Analyse für die Seilbahnlinie auf den Venusberg wurde im Januar 2022 veröffentlicht.

Welches Seilbahnsystem sollte in Bochum eingesetzt werden?

Grundsätzlich stehen aus technischer Sicht drei verschiedene Seilbahnsystem zur Verfügung, mit denen auch die Strecke Ruhr Park – Innenstadt/Hbf realisiert werden könnte. Die Systeme unterscheiden sich in der Zahl der eingesetzten Seile: Bei Einseilsystemen (1S) hängen die Kabinen an einem einzigen Trag- und Zugseil, das auch die Kabinen von Station zu Station zieht. Bei Zweiseilsystemen (2S) dient ein Tragseil quasi als Gleis auf dem die Kabinen rollen, das zweite Seil ist das Antriebs- und Zugseil. Dreiseilsysteme (3S) bestehen aus zwei Tragseilen, hinzu kommt wiederum das Zugseil.

Dreiseilumlaufbahnen sind schneller, energetisch effizienter und die Kabinen größer. Allerdings sind die Baukosten sind aufgrund der technischen Komplexität höher als bei den anderen Systemen. Einseilumlaufbahnen sind wiederum teurer im Betrieb, dafür bei den Investitionskosten deutlich günstigster, können jedoch nicht so viele Personen befördern wie die beiden anderen Systeme. Mit Einseilsystemen werden in der Regel 10 Personen pro Kabine befördert, mit Dreiseilsystem 35 Personen. Zweiseilumlaufbahnen liegen bei allen Kriterien zwischen den beiden anderen Systemen.

Vergleich Seilbahnsysteme Ruhr Park – Innenstadt/Hbf

Streckenführung vom Ruhr Park über Altenbochum in die Innenstadt

Für die Seilbahnlinie zwischen Innenstadt/Hbf und Ruhr Park schlagen die STADTGESTALTER eine Streckenführung vom Beginn des Bongard-Boulevards am Hauptbahnhof über einen Halt in Altenbochum am Haupteingang des Hauptfriedhofs bis zum Ruhr Park vor. Diese Linienführung hat den großen Vorteil, dass keine Wohngebiete überfahren werden müssen. Bei entsprechender Streckenführung werden lediglich zwei Wohnhäuser überquert.

Systemdaten Ruhr Park – Innenstadt/Hbf

Nach Vorstellung der STADTGESTALTER sollte die Linie ebenso wie die in Bonn geplante aus zwei technischen Anlagen mit zwei eigenen Antriebsaggregaten bestehen, so dass beide Teile auch getrennt betrieben werden können. Die erste Seilbahnsektion Innenstadt/Hbf bis Altenbochum wäre dann knapp zwei Kilometer lang, die zweite Sektion zum Ruhr Park rund drei Kilometer. Somit würde die Gesamtlänge würde fünf Kilometer betragen. Mit einer Dreiseilumlaufbahn könnten die Fahrgäste die Strecke vom Ruhr-Park in 9 bis 12 Minuten zurücklegen, mit einer Einseilumlaufbahn würde die Fahrt um die 15 Minuten dauern, mit einer Zweiseilumlaufbahn um die 13 Minuten.

Seilbahnfahrt Ruh Park – Innenstadt

Zwischenhalt Altenbochum

Als Zwischenhalt für die Seilbahnlinie bietet sich Altenbochum an. Im Bereich vor dem Haupteingang des Hauptfriedhofs entlang der Immanuel-Kant-Straße gibt es einige Möglichkeiten und ausreichend Fläche die Seilbahnstation so zu platzieren, dass das Bild des Bauensembles am Hauptfriedhofs nicht beeinträchtigt wird.

Der Stadtteil Altenbochum (18.536 Einwohner*innen) verfügt mit 3.865 Menschen pro Quadratkilometer über eine für Bochum vergleichsweise hohe Bevölkerungsdichte. Im Einzugsbereich des Seilbahnhalts würden entsprechend viele Menschen wohnen. Der Halt läge am Hauptfriedhof (64.000 Grabstellen), in direkter Nähe zur Evangelischen Hochschule (rd. 3000 Studierende und Beschäftigte), der Unternehmenszentral der städtischen Wohnungsbaugesellschaft VBW sowie zum neuen Wohnviertel Ostpark, dem bisher eine leistungsfähiger Nahverkehrsanbindung fehlt, obwohl hier in den nächsten Jahren 1.000 neue Wohnungen entstehen sollen ()

Seilbahnhalt Altenbochum

Auch für eine spätere Fortführung der Seilbahn Richtung Mark 51°7 und Ruhr-Universität wäre die Seilbahnstation in Altenbochum optimal gelegen (Seilbahn – Rückgrat der Bochumer Universitäts- und Hochschullandschaft).

Kalkulation der Fahrgastnachfrage

Die Teilung der Linie in zwei technisch eigenständige Seilbahnanlagen macht es möglich, beide Sektionen unabhängig voneinander laufen zu lassen. Da der Ruhr-Park Montag bis Samstag von 10 Uhr bis 20 Uhr geöffnet ist, lohnt es sich nicht, das Einkaufszentrum vor 9 Uhr anzufahren. Für den morgendlichen Pendelverkehr wäre es allerdings sinnvoll zwischen 6 und 9 Uhr die Sektion Innenstadt/Hbf – Altenbochum im Nebenverkehrstakt zu betreiben. In den Nebenverkehrszeiten werktags von 21 bis 0 Uhr und sonntags von 9 bis 24 Uhr sollte dagegen die ganze Seilbahn über beide Sektionen betrieben werden. Zu den Nebenverkehrszeiten wäre in den Stationen die Einfahrt einer Kabine aller 2 Minuten sinnvoll, in den Hauptverkehrszeiten ein Takt von 20 bis 24 Sekunden.

Fahrgastnachfrage und Betriebszeiten

Auf Basis dieser Betriebszeiten ergibt sich für die Seilbahnlinie ein Fahrgastpotential von 16.400 Menschen pro Tag. Dabei kann von folgender Beförderungsnachfrage ausgegangen werden: Konservativ kalkuliert kann angenommen werden, dass 15% der jährlich 12 Millionen Ruhr-Park-Besucher*innen und 20% der rund 2.800 dort Beschäftigten zukünftig die Seilbahn zur Anreise nutzen. Weiterhin ist mit 500.000 Menschen im Jahr zu rechnen, die nach Bochum kommen, um in ihrer Freizeit eine Seilbahnfahrt zu erleben. Schließlich können 1.500 Menschen pro Tag einkalkuliert werden, die die Seilbahn als Teil einer Fahrt mit dem ÖPNV durch das VRR-Gebiet nutzen sowie mit täglich 3.000 Menschen, die von oder ab Altenbochum die Seilbahn nutzen.

Die STADTGESTALTER schlagen vor, dem Ruhr Park ein Fahrkartenkontingent von im Jahr 250.000 bis 375.000 Hin- und Rückfahrtickets zu überlassen. Diese Fahrkarten können die Geschäfte des Ruhr-Parks dann kostenfrei an ihre Kunden weitergeben, unter anderem als Werbegeschenke oder Treuebonus für Einkäufe. Im Gegenzug beteiligt sich der Ruhr Park mit einem pauschalen jährlichen Zuschuss am Betrieb der Seilbahn. Dieser Vorschlag ist mit zwei Vorteilen verbunden, er beteiligt zum einen den Ruhr Park an den Betriebskosten der Seilbahn und trägt zur Kostendeckung bei. Zum anderen regt er die Kunden des Ruhr Parks an, mit der Seilbahn in die Innenstadt zu fahren und diese zu beleben.

Kosten und Fahrpreiserlöse

Legt man die Kostenkalkulation zu den Baukosten der Seilbahn in Bonn zugrunde, lassen sich für die Seilbahnlinie Ruhr Park – Innenstadt/Hbf bei Verwendung einer Einseilumlaufbahn Baukosten von rund 60 Mio. Euro berechnen (Preisbasis 2019). Für die Strecke auf den Venusberg in Bonn werden 66 Mio. Euro veranschlagt (Seilbahn Bonn – Bericht zur Standardisierten Bewertung). Da die in Bonn geplante Seilbahn rund 700 Meter kürzer ist als die in Bochum, sie dafür aber zwei kostenintensive Zwischenstationen mehr aufweist, ergibt sich für die Seilbahn in Bochum ein um 6 Mio. verminderter Kostenansatz.

Für den Bau einer Zwei- bzw. Dreiseilumlaufbahn wäre aufgrund der höheren technischen Komplexität mit Baukosten von rund 80 Mio. bzw.100 Mio. Euro zu rechnen. Auf Basis der aktuell geltenden Förderrichtlinien ist davon auszugehen, dass wie in Bonn auch in Bochum 95% der Infrastrukturkosten für den Fahrweg und 10% der Planungskosten von Bund und Land übernommen werden. Für die Stadt oder ein privates Verkehrsunternehmen, das die Linie baut, ergäbe sich damit ein selbst zu finanzierender Eigenanteil an den Baukosten von 9,75 bis 16,25 Mio., je nachdem welches Seilbahnsystem eingesetzt wird.

Finanzierungsmodell Seilbahn Ruhr Park – Innenstadt/Hbf

Für Kapitaldienst (Abschreibung und Zinsen), Unterhaltung (Wartung, Reparaturen, Prüfungen, Unterhaltung Fahrweg) sowie den Seilbahnbetrieb (Personal und Energie) ist pro Jahr abhängig vom eingesetzten Seilbahnsystem mit 4,2 bis 5 Mio. Euro Kosten zu rechnen. Diesen Kosten stehen Erlöse aus Fahrkartenverkäufen, dem Zuschuss des Ruhr Parks, sowie Einnahmen aus Werbung und Sonderfahrten von 6 bis 6,4 Mio. Euro gegenüber, so dass mit der Seilbahn ein Einnahmenüberschuss von 1,9 bis 1,4 Mio. Euro im Jahr erwirtschaftet werden kann. Rechnet man diesen Überschuss den für den Seilbahnbau zu investierenden Eigenanteil entgegen, lässt sich der Eigenanteil in 5 bis 12 Jahren refinanzieren.

Anzumerken ist, dass bei der Kalkulation der Fahrtkostenerlöse ein erhöhter Kostensatz von 1,25 Euro pro Fahrt zugrunde gelegt wurde, da anzunehmen ist, dass auf der Seilbahnstrecke überdurchschnittlich häufig Tickets für Gelegenheitsfahrer*innen benutzt werden und erheblich seltener Abo-Tickets, Semester- oder Schokotickets als im VRR-Gebiet sonst. Entsprechend höher werden die durchschnittlichen Erlöse pro Fahrt für das Unternehmen, sein, das die Seilbahn betreibt.

Bei den Betriebskosten ist eine weitere Senkung möglich, sofern ein Großteil des zum Betrieb der Seilbahnanlagen benötigten Stroms mit einer Solaranlage gewonnen wird. Eine direkte Erzeugung des für die Seilbahn benötigten Stroms wäre über ein Solarfeld auf der ehemaligen Müllhalde Kornharpen möglich, die von der Seilbahn überfahren wird und die nur 1.500 Meter von der Zwischenstation Altenbochum entfernt liegt, die voraussichtlich die Antriebsaggregate für beide Seilbahnsektionen aufnehmen würde.

Betriebskosten Seilbahn Ruhr Park – Innenstadt/Hbf

10 gute Gründe für die Seilbahn zwischen Ruhr Park und Innenstadt

Die Untersuchung der STADTGESTALTER zeigt, die Seilbahn bedeutet nicht nur einen Gewinn für die Innenstadt, den Ruhr Park, den städtischen Nahverkehr und das Image der Stadt und würde einen Beitrag zu weniger Verkehr auf den Straßen sowie für mehr Umwelt- und Klimaschutz leisten, sie könnte darüber hinaus auch mit Gewinn betreiben werden. Nach den vorliegenden Berechnungen ist davon auszugehen, dass sie in jedem Jahr 1,4 bis 1,9 Mio. Euro in die Kassen des Verkehrsunternehmens spült, das die Seilbahn betreibt.

Zu dem dargestellten ökonomischen Erfolg der Seilbahnlinie kommen weitere betriebs- und volkswirtschaftliche Nutzeneffekte, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht berechnet wurden. Dazu zählen insbesondere:

  • Positive Kosteneffekte im ÖPNV-Netz durch Einsparung von redundanten (Bus-)Linien
  • Positive Erlöseffekte bezogen auf das gesamte ÖPNV-Netz
  • Positive Umwelteffekte aufgrund eingesparter Autokilometer
  • Eingesparte Unfallfolgekosten aufgrund eingesparter Autokilometer
  • Positive ökonomische Effekte durch die Verminderung von Reisezeiten

Im Grunde spricht somit alles dafür, das Bochum sich für den Bau einer Seilbahn zwischen Ruhr Park und Innenstadt entscheiden sollte. Eigentlich müsste die BOGESTRA ebenso wie die Stadt, an der Ausweitung des städtischen Nahverkehrsnetzes, zusätzlichen Kunden und Erlösen sowie an einer zusätzlichen Attraktion für die Innenstadt interessiert sein. Sofern das nicht der Fall ist, besteht die Option, dass sich Kaufleute und Gastronomen der Innenstadt, der Ruhr Park und ein Seilbahnhersteller mit dem Ziel zusammentun, ein privates Verkehrsunternehmen zu gründen, das die Seilbahn baut und betreibt. Dann allerdings würde der Gewinn aus dem Seilbahnbetrieb nicht dem städtischen Nahverkehr zu Gute kommen, sondern in die Kassen von privatem Unternehmen fließen. Für BOGESTRA und Stadt wäre das nur die zweitbeste Lösung.

12 Dez

Wird der 5-Minuten-Takt zwischen Duisburg und Dortmund je Wirklichkeit?

Bus- und Bahnverkehr im Ruhrgebiet erfüllen nicht im Ansatz die Anforderungen, die eine Metropole an den Nahverkehr stellt. Das Netz ist lückenhaft, die Infrastruktur häufig marode, auf die Pünktlichkeit von Bussen und Bahnen kann man sich nicht verlassen. Bochum ist leider keine Ausnahme. Was muss sich ändern?

Das Nahverkehrsangebot in Bochum wird auch in der neusten Studie der Agora Verkehrswende als ungenügend bewertet (ÖV-Atlas Deutschland). Auch in der Stadt im Herzen des Reviers sind die Lücken im Nahverkehrsnetz groß, halbwegs dichte Taktungen gibt es nur auf den wenigen Hauptverkehrslinien.

Ohne dicht getaktete Hautschlagader kein metropolengerechter Nahverkehr

Doch was würde ein flächendeckendes, dicht getaktetes städtisches Nahverkehrsnetz in Bochum bringen, wenn es schon an einer dicht getakteten Hauptverkehrslinie Duisburg – Mülheim – Essen – Bochum – Dortmund fehlt und sie auch für die Zukunft weder geplant schon nicht in Sicht ist. Bisher gibt es nicht mehr als eine „Vision“. Die besteht bisher darin, irgendwann, vielleicht bis 2030, mit dem RRX einen 15 Minuten-Taxt zwischen Köln und Dortmund zu realisieren. Denn selbst das gibt es heute nicht. ÖPNV-Kunden auf der Ruhrlinie zwischen Duisburg und Dortmund sind schon froh, wenn sie mal nicht 30 Minuten auf die nächste Bahn warten müssen.

Die Vision „15-Minuten-Takt“ ist unambitioniert, unzeitgemäß und zementiert die Rückständigkeit des Ruhrgebiets in Sachen Nahverkehr. Dabei will das Ruhrgebiet doch eigentlich so gerne Metropole sein, ist aber weder willens noch in der Lage die grundsätzlichen Anforderungen für ein metroplengerechtes Nahverkehrsnetz zu erfüllen. Erfolgreiche Millionen-Metropole, in denen die Hauptschlagadern des ÖPNV nicht mindestens im 5-Minuten-Takt fahren, gibt es sonst in Europa und der Welt nicht. Wie sollen die Nahverkehrsnetze der Städte an der Hauptlinie funktionieren und mit Kunden versorgt werden, wenn man zwischen den Zentren der Metropole mehr schlecht als Recht hin und her kommt?

Verlässlich- und Pünktlichkeit sind im Ruhrgebiet ungenügend

Zu allem Überfluss ist nicht nur die ÖPNV-Taktung zwischen den Städten des Ruhrgebietes schlecht, es fehlt zudem an Verlässlichkeit und Pünktlichkeit. Ständige Störungen führen ständig zu Verspätungen, Zugausfällen und entnervten Kunden. Die Verantwortlichen haben die Kontrolle über den Bahnverkehr verloren. Das Ruhrgebiet ist nicht mehr in der Lage einen verlässlichen Schienenpersonennahverkehr anzubieten.

Die Netzinfrastruktur ist marode und überaltert, die Strecken sind überbelegt und die Zuständigen mit dem Betrieb überfordert. Ständig wiederkehrende Stellwerkschäden, eine verschlafene Digitalisierung bei der Steuerungstechnik, sowie übermäßig verknüpfte Fahrpläne ohne Reserven, bei denen selbst kleinste Störungen bereits das ganze Netz im Nah- und Fernverkehr in wesentlichen Teilen zum Absturz bringen, belegen immer wieder die gravierenden Unzulänglichkeiten des Bahnsystems im Ruhrgebiet.

Bei den meisten Linien wird im Schienennahverkehr des Ruhrgebiets mit Mühe und Not nur ein Pünktlichkeitsquote von 70 bis 80% erreicht. Gute Nahverkehrsnetze streben Quoten von 95% und mehr bei deutlich dichterer Taktung an. Die Verantwortlichen bekommen die Probleme seit Jahren nicht in den Griff. in letzter Zeit wird es eher schlechter. Der aktuelle Zustand ist unerträglich, auch ist keine nennenswerte Besserung in Sicht. Das aktuelle Betriebskonzept ist weder erfolgreich noch funktioniert es, die Zuständigen sind den Aufgaben nicht gewachsen.

Eine grundlegende Neuorientierung ist erforderlich

Diese Erkenntnis ist bitter, aber es wird Zeit, dass sich die Verantwortlichen, insbesondere jene aus der Politik eingestehen, dass das Konzept, wie Nah- bzw. Bahnverkehr heute im Ruhrgebiet betrieben wird, krachend gescheitert ist. Ein grundlegender Neuanfang ist erforderlich, die bisherige Strategie ist offensichtlich ungeeignet, die bestehenden Problem in den Griff zu bekommen.

Für einen Neuanfang gilt es ein Grundproblem aufzulösen. Ein Verkehr- von Fern und Nahverkehrszügen auf den gleichen Streckenabschnitten ist im dicht besiedelten Ruhrgebiet zu störanfällig, die Komplexität der Verknüpfungen und gegenseitigen Abhängigkeiten nicht beherrschbar. Fern- und Nahverkehr müssen getrennt werden, beide benötigen von Köln bis Dortmund eigene voneinander getrennte Gleiskörper. Diese zu schaffen, bedeutet Milliardeninvestitionen. Doch es gibt keine Alternative, die Lösung, beide Verkehre über gemeinsame Gleise zu leiten, ist.

Separate eigene Gleiskörper für Nah- und Fernverkehr bedeutet aber auch, dass über die Ruhrschiene zwischen Duisburg und Dortmund so gut wie kein Fernverkehr mehr fließen sollte. Der Fernverkehr aus Frankfurt, Brüssel oder Amsterdam sollte in Duisburg oder Düsseldorf enden, der aus Hamburg oder Berlin in Dortmund. Fernverkehrszüge sollten das Ruhrgebiet zukünftig umfahren oder ohne Halt zwischen Duisburg und Dortmund durchfahren. Dafür aber müssen Nahverkehrszüge auf der Ruhrlinie Duisburg – Mülheim – Essen – Bochum – Dortmund pünktlich im 3 bis 5 Minuten-Takt verkehren.

Mögliches Rückgrat des Ruhrgebietsnahverkehrs eine Ring- und Achtlinie

Einen Vorschlag wie das angedachte Konzept funktionieren könnte, haben die STADTGESTALTER bereits Anfang 2020 gemacht (Eine Ring- und Achtlinie für das Ruhrgebiet). Die Idee, das Rückgrat des ÖPNV des Ruhrgebiets bildet eine Nahverkehrstrasse in Form einer Acht. Im Norden über Oberhausen Gelsenkirchen und Herne, im Süden über Hagen, Wuppertal und Düsseldorf, und in der Mitte über die Ruhrlinie. Mit diesem Konzept würden die Fernzüge zwar nicht mehr direkt in Mülheim, Essen und Bochum halten, dafür aber sind die Bahn- und Nahverkehrskunden aufgrund der dichten Taktung erheblich schneller in Duisburg oder Dortmund. Für die allermeisten Fahrgäste würden sich die Fahrzeiten verkürzen im Nahverkehr würde eine ganz neue Qualität erreicht.

Dicht getaktete Ruckgratlinien sind die Voraussetzung für erheblich mehr Kunden im Nahverkehr

Über eine sehr dicht getaktete Linie, die alle Großstädte des Ruhrgebiets miteinander verbindet, würden Massen von Fahrgästen in die lokalen Nahverkehrsnetze der Städte gepumpt. Diese Kunden würden es wiederum für die Städte attraktiv machen die Kapazität ihrer Nahverkehrslinien zu erhöhen, die Takte zu verdichten und zusätzliche Linien im Netz anzubieten. Letztlich ist der 3 bis 5-Minuten-Takt auf der Ruhrlinie der Schlüssel dafür, die Kundenzahlen im ÖPNV des Ruhrgebiets zu verdoppeln. Diese Maßnahme ist unabdingbar, sie ist die Voraussetzung für einen erfolgreichen Nahverkehr im Ruhrgebiet. So lange Politik und Städte des Ruhrgebiets das nicht erkennen und diese Maßnahme nicht auf Platz eins der Liste der dringend umsetzbaren ÖPNV-Projekte stellen, bleiben alle Absichtserklärungen, den Bus- und Bahnverkehr im Revier endlich nach vorne bringen zu wollen, nur inhaltslose Phrasen.

Für eine Wende im ÖPNV des Ruhgebiets ist also erforderlich, dass sich die Politik das Scheitern der bisherigen Verkehrspolitik im Bahnverkehr des Ruhrgebiets eingesteht und den Weg für einen Kurswechsel frei macht. Zukünftig sollte also die strikte Trennung der Gleiswege von Fern- und Nahverkehr das Ziel sein sowie ein 3 bis 5 Minuten-Takt auf den Schienentrassen, die die Großstädte des Ruhrgebiets verbinden. Ohne diesen radikalen Kurswechsel, wird der ÖPNV im Ruhrgebiet nie die Anforderungen eines metroplengerechten Nahverkehrs erfüllen können,