18 Dez

Warum ist die Verkehrsorganisation im Ruhrgebiet so schlecht?

ÖPNV, Fuß- und Radverkehr sind in kaum einer Metropolregion hoch entwickelter Länder schlechter organisiert als im Ruhrgebiet. Was sind die Ursachen, und wie ginge es besser? Ein Vergleich mit Japan.

Menschen, die aus Ländern mit hohem Lebensstandard kommen, um das Ruhrgebiet zu besuchen, sind überrascht, wie schlecht der Verkehr in einer der größten Metropolregionen in Europa organisiert ist. Ein metropolengerechtes, flächendeckendes Nahverkehrsnetz gibt es nicht. Das ÖPNV-Netz hat große Lücken, die Takte sind weit entfernt von dem, was in Metropolen heutzutage üblich ist. Ein Radverkehrsnetz gibt es nur in Ansätzen. Das Ruhrgebiet erstickt in Staus. Verkehrslärm und Luftverschmutzung sind nach wie vor hoch, Hauptverkehrsstraßen, an denen wegen des überbordenden Verkehrs niemand wohnen will, sind oft heruntergekommen. Gehwege, Kreuzungen und Radwege werden durchweg rücksichtlos zugeparkt. Bürgersteige sind in schlechtem Zustand und für älter und behinderte Menschen nicht selten kaum nutzbar. Zebrastreifen scheinen kaum bekannt. Alles ordnet sich dem Autoverkehr unter. Nur mit dem Auto kommt man gut und sicher überall hin.

Stadtentwicklung im Verkehr ist im Ruhrgebiet in den 80ern stecken geblieben

In Sachen Verkehr scheint die Stadtentwicklung im Ruhrgebiet in den 80er-Jahren stehen geblieben zu sein. Die Rückständigkeit ist überall sichtbar und augenfällig. Die Entwicklung,, die andere Metropolregionen in den letzten vier Jahrzehnten erlebt haben, hat das Ruhrgebiet fast vollständig verschlafen.

Dern Goldstandard in Sachen Verkehrsorganisation kann man in japanischen Metropolen wie Tokio oder Osaka erleben. In den 80er-Jahren erkannte man im Land der aufgehenden Sonne, dass zunehmender motorisierter Verkehr für die Städte kaum verträglich sein würde und Flächen für eine weitere Expansion des Autoverkehrs nicht vorhanden waren, also tat man ab da alles, um diesen Verkehr auf ein stadtverträgliches Maß zu begrenzen.

Sicher sind nicht alle Maßnahmen, die in japanischen Metropolen erfolgreich waren, 1:1 auf das Ruhrgebiet übertragbar, doch lohnt sich ein Blick nach Fernost, um zu erkennen, wie der Verkehr auf einem ganz anderen Niveau organisiert werden kann.

Öffentlicher Nahverkehr

ÖPNV-Netz –  Das Rückgrat des Öffentlichen Nahverkehrs in japanischen Metropolen bildet ein dichtes Schienennetz. Flächendeckend überspannt ein Schnell- und U-Bahnnetz die Metropolregionen. Busverkehr ist unüblich, Busse werden nur für absolute Nebenlinien eingesetzt. Die Takte der wichtigen Linien liegen unter 5 Minuten. Von einem Schienenring (Tokio: Yanamote Line, Osaka: Loop Line) ausgehend (Eine Ring- und Achtlinie für das Ruhrgebiet), fahren die verschiedenen Linien sternförmig in die Außenbezirke. Eingesetzt werden auf diesen Linien Rapid, Semi-Rapid und Local Züge. Local-Bahnen halten überall, Rapid nur an den wichtigsten Stationen, Semi-Rapid auf einem Teil der Strecke an allen Stationen, sonst nur an den wichtigsten.

Fern- und Nahverkehrsnetz sind strikt getrennt. Der Shinkansen hält in Tokio nur an zwei Stationen. Seit den 80er-Jahren hat man das Streckennetz so ausgebaut, dass die Linien ganz überwiegend auf eigener Gleistrasse unterwegs sind. Das garantiert extrem hohe Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit.

Nahverkehrsunternehmen und Leitbild – Die japanischen Bahnen sind privatisiert und fahren auf der japanischen Hauptinsel Honshū mit Gewinn. Eine Sperrung des Bahnverkehrs wie sie im Ruhrgebiet im Januar für sieben Wochen vorgesehen ist, wäre in Japan undenkbar. Die Zufriedenheit der Kunden, hat einen ganz anderen Stellenwert. “In Deutschland wird Effizienz von der Seite des Kapitals her definiert. Es geht darum, Renditen zu maximieren sowie Investitionen und Kosten zu senken. … [In Japan wird] Effizienz … vom Kunden her definiert. Die Aufgabe eines Unternehmens ist, die Zumutung für Kunden zu minimieren, auch wenn dafür – zum Beispiel durch mehr Personal – etwas Eigenkapitalrendite geopfert werden muss. Denn im japanischen Verständnis entspringt der Gewinn der Zufriedenheit der Kunden.” (Handelsblatt vom 12.07.22)

Verspätungen und Zug- wie Busausfälle, wie sie die im Ruhgebiet im Nahverkehr tätigen Unternehmen den Kunden regelmäßig zumuten, würden in Japan als Missachtung und Ignoranz gegenüber den Kunden angesehen. Der Rücktritt der Verantwortlichen nach einer öffentlichen Entschuldigung mit tiefst möglicher Verbeugung ggü. den betroffenen Kunden, wäre der einzige mögliche Ausweg.

Fahrscheinsystem – Die Bezahlung des Nahverkehrs erfolgt, wie in fast allen Metropolen der Welt mittlerweile üblich über so genannte IC-Karten, die auch digital aufs Handy geladen werden können (VRR – Höchste Zeit für den E-Fahrschein). Bei Antritt der Fahrt hält man Handy oder Karte im Vorbeigehen kurz auf einen Kartenleser, das gleiche an der Zielstation. Niemand muss Zeit für einen Ticketkauf aufwenden oder für die Bedienung einer absonderlich umständlich bedienbaren Eezy-App.

Eine in einer Stadt erworbene IC-Karte kann selbstverständlich in allen japanischen Großstädten verwendet werden. Ebenso dient sie zum Entsperren von Fahrrädern an Fahrradverleih-Stationen und man kann mit den Karten in vielen Geschäften, Restaurants und an Automaten bezahlen.

Fuß- und Radverkehr

Fußverkehr – Fußwege befinden sich durchweg in einem sehr guten Zustand, Fußgängerüberwege und Zebrastreifen in kurzer Folge sind selbstverständlich. An großen Kreuzungen gibt es Anzeigen an denen ablesbar ist, wie lange Grün oder Rot ist. Grünphasen sind regelmäßig lang bemessen und auch für ältere und behinderte Menschen gut zu schaffen. Parken auf Gehwegen ist undenkbar.

Teilweise wird eine ganze Kreuzung für die zu Fuß Gehenden auf Grün geschaltet, Fahrzeuge aus allen Richtungen haben rot und die Menschen können auch diagonal die Kreuzung queren. So funktioniert das auch bei der berühmtesten und meistfrequentierten Fußgängerkreuzung der Welt der so genannten Scramble Crossing in Tokioter Stadtteil Shibuya.

Mit Bordstein erhöhte Bürgersteige gibt es nur an Hauptverkehrsstraßen. In Wohngebieten sind Straßen in der Regel so schmal, dass man rechts und links mit einer weißen Linie Bereiche für Fußgänger*innen abtrennt, wo diese laufen können. Aufgrund des geringen Autoverkehrs in Wohnvierteln und des ausnahmslosen Verbots von Straßenparken, sind in Wohnstraßen weder Bürgersteige wie wir sie kennen noch Radwege erforderlich.

Radverkehr – Zwar wird in japanischen Metropolen regelmäßig mehr Rad als Auto gefahren, doch Radwege gibt es kaum und wenn nur an Hauptverkehrsstraßen. In Osaka werden 25% der Wege mit dem Rad zurück gelegt, in Tokio 14% (Bike share deployment and strategies in Japan).

Radfahrende dürfen die Gehwege benutzen, wenn ihnen das Fahren auf Hauptstraßen zu gefährlich ist. Diese Regel wird durchweg genutzt. Das Miteinander auf den Gehwegen funktioniert erstaunlich gut. Japanische Radfahrende sitzen deutlich tiefer im Sattel, die Laufräder sind im Durchmesser häufig kleiner. Das macht Fahrräder wendiger und die Radfahrenden haben schnell beide Beine am Boden. Die zu Fuß Gehenden sind die gemischte Nutzung der Gehwege gewohnt und zeigen Verständnis für die Radfahrenden, obwohl aufgrund des dichten Fußverkehrs auf Gehwegen deutlich dichter überholt wird als das bei uns der Fall ist. Halten sich Radfahrende aufgrund unzureichender Infrastruktur nicht an Verkehrsregeln, wird das auch von der Polizei toleriert. Es besteht zwar in der japanischen Straßenverkehrsordnung die unbedingte Empfehlung, das Radfahrende einen Helm tragen sollen, doch Radfahrende mit Helm sieht man nur selten.

Sofern es möglich ist, und das ist es oft, meiden Radfahrende Hauptstraßen und nutzen die wenig mit verkehrsbelasteten Wohnstraßen.

Japanische Metropolen verfügen über dichte Netze von Radverleihsystemen. Bis zu drei Unternehmen betreiben in einer Stadt parallel derartige Netze. Verliehen werden durchweg E-Bikes, teilweise zusammen mit E- Scootern, die aber eher wenig verbreitet sind. Verleihstationen sind manchmal schwer zu finden, da sie in der Regel nicht auf öffentlichem, sondern auf privatem Raum zu finden sind.

Gerne werden in Japan auch schmale, wendige Lastenräder verwendet, bevorzugt, um Kinder oder Einkäufe zu transportieren. Jede Bahnstation verfügt über für unsere Verhältnisse riesige meist unterirdische Radparkhäuser. Das Abstellen von Fahrrädern ist fast immer nur an Abstellanlagen möglich, da sonst verboten.

Autoverkehr

Parken – Ein Auto kann man in japanischen Metropolen nur dann zulassen, wenn man einen privaten Stellplatz dafür nachweist. Parken m öffentlichen Raum und an Straßen ist in Japan unbekannt. Parken ist nur auf privatem Grund möglich und teuer. 24 Euro pro Stunde werden in Zentraltokio fällig in den großen Stadtteilen sind immer noch 9 Euro/Stunde die Regel Es gilt der Grundsatz, Platz ist in der Stadt rar und soll bevorzugt für wichtigere Dinge als Parken verwendet werden.

PKW und LKW – Autofahrende haben die Kosten zu tragen, die sie mit dem Auto verursachen, Entsprechend machen neben dem Parken, verschiedene Fahrzeugsteuern und Mautgebühren das Autofahren teuer. Weder PKW- noch LKW-Verkehr werden subventioniert.*

°Diese Gegebenheiten führen dazu, dass 54,4 % der in Japan zugelassenen Autos Kleinstfahrzeuge, so genannte Kei-Cars., sind. Die dürfen nicht breiter sein als 1,48 m, länger als 3,4 m und mehr als 64 PS haben (Kei Car). Auch große 40t-LKW sieht man in Städten nicht. Fast der gesamte LKW-Verkehr wird mit Kleinst-LKW abgewickelt, auch 3,5- bis 7,5t-LKW sieht man häufiger, größere LKW sind nicht gut stadtverträglich und daher unüblich.

Auf den Straßen japanischer Metropolen fahren überwiegend Taxen, gewerbliche PKW und LKW, kaum Busse und vergleichsweise wenige Privat-PKW. Staus kommen nur selten vor. Trotzdem lohnt sich das Autofahren nicht. Es ist zu teuer und dauert zu lange. Fast alle Kreuzungen sind beampelt, Grüne Wellen eher die Ausnahme. Von Tokio nach Osaka braucht man mit dem Auto 6,5 Std, mit der Bahn 2,5 Std. Das Auto wird nur dann genutzt, wenn es keine bessere Alternative dazu gibt.

Japanische Metropolregionen vs. Metropolregion Ruhrgebiet

Stellt der Verkehr im Ruhrgebiet eine permanente Belästigung und Belastung dar, nervt die Menschen und ist man, wenn es um Zeit geht, häufig auf das Auto angewiesen, läuft das Leben in japanischen Metropolen entspannt. Der ÖPNV läuft reibungslos, alles ist perfekt organisiert, alle Verkehrsarten sind bestens aufeinander abgestimmt. Man kommt immer, auch ohne Auto, schnell, sicher und pünktlich zum Ziel. Die Verkehrsorganisation hat ein anders zivilisatorisches Level erreicht. Einzig beim Radverkehrsnetz an Hauptverkehrsstraßen haben auch japanische Metropolen noch Nachholbedarf.

Sonst haben Metropolen wie Osaka und Tokio in fast allen Bereichen der Verkehrsorganisation weltweit neue Maßstäbe gesetzt. während die Verkehrsorganisation im Ruhrgebiet eigentlich nur als Negativbeispiel wie man Verkehr auch schlecht organisieren kann, wertvoll sein kann.

Warum ist das Ruhgebiet in Sachen Verkehrsorganisation so rückständig?

Das führt zu der Frage, wie in japanischen Metropolen eine derart hochentwickelte Verkehrsorganisation  entstehen konnte, im Ruhrgebiet aber in dieser Richtung in den letzten vier Jahrzehnten fast nichts passiert ist.

Dafür gibt es sicher viele Gründe, drei besonders wichtige seien hier explizit genannt:

– Gibt es in Japan ein Problem, werden Pläne zur Lösung entwickelt und diese konsequent umgesetzt. Man handelt so lange bis die gesetzten Ziele erreicht und das Problem gelöst ist. Im Ruhrgebiet wird das Problem erkannt, viel erzählt und diskutiert, festgestellt, das andere Schuld sind, wenn es hoch kommt halbherzig Konzepte zur Lösung beauftragt, umgesetzt wird am Ende wenig bis nichts. Sollte etwas realisiert werden, dann im Schneckentempo, siehe Radschnellweg oder RRX. Politik und Verwaltung sind häufig keine Macher nur Schaumschläger*innen., die kaum mehr als heiße Luft verbreiten.

– Die Planung und Organisation des Verkehrs Ruhrgebiets erfolgt nicht aus einer Hand. Jede Stadt plant für sich selbst. Niemand ist bereit die entsprechenden Kompetenzen an eine höhere Instanz abzugeben, Obwohl alle Verantwortlichen in Städten und Politik wissen, eine gute Verkehrsorganisation der Metropole Ruhr ist nur mit einer zentralen Planung möglich, hält man borniert daran fest, dass jeder für seine Stadt rumwurschtelt. Der Erhalt der eignen Kompetenzen und Strukturen zählt mehr als die Realisierung einer guten Verkehrsorganisation.

– In Japan stehen immer die Kundeninteressen im Mittelpunkt der Unternehmensziele, im Ruhrgebiet sind diese irrelevant und werden ignoriert. Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Benutzerfreundlichkeit, dichte Netze und Takte im ÖPNV, sind alles Ziele, die im Ruhrgebiet nur auf dem Papier vorkommen, aber nicht ernsthaft verfolgt werden. Entsprechend sind in allen Punkten in den letzten Jahrzehnten keine signifikanten Verbesserungen zu beobachten.

Zu guter Letzt sei angemerkt, dass es nicht zielführend sein kann, die Verhältnisse japanischer Metropolen unreflektiert auf das Ruhrgebiet zu übertragen. Aber Japan zeigt, was möglich ist, wenn man es denn will und konsequent daraufhin arbeitet. Das Ruhrgebiet muss an manche Stellen sicher andere Lösungen und Lösungswege finden. Der erste Schritt aber wäre, dass man nicht nur von Verkehrswende und besseren Verkehrsorganisation redet, sondern auch ernsthaft Schritte unternimmt, die genannten Ziele zu erreichen. Dabei kann Japan für das Ruhrgebiet in vielerlei Hinsicht Vorbild sein.

* Aktuell (2023) wird wegen der Inflation das Benzin subventioniert. Trotzdem erreichte der Benzinpreis im August ein Rekordhoch.

06 Dez

Baustellen besser organisieren, Vorbild Japan

Die Menschen in Bochum sind von Baustellen zunehmend genervt. Oft sind sie nicht gut organisiert und die Stadt achtet zu wenig darauf, dass die Stadtbewohner*innen möglichst wenig behindert werden. Das geht viel besser. In Japan kann man erleben, was möglich ist.

Viele Baustellen in einer Stadt sind eigentlich ein gutes Zeichen. Sie zeigen, dass Städte sich verändern und modernisiert werden, also Unternehmen wie Menschen, in die Stadt investieren. Städte, die sich bereit machen für die Zukunft, erkennt man an vielen Baustellen (Mehr Baustellen für Bochum).

Schlecht organisierte Baustellen sind ein Ärgernis

Gefühlt gibt es in Bochum endlos viele Baustellen, die ewig dauern, für Sperrungen von Straßen sorgen oder über Monate bis Jahre den Verkehr behindern. Auffällig lang dauern solche Einschränkungen besonders auf Geh- und Radwegen. Dabei gibt es m Vergleich zu anderen Städten es in Bochum gar nicht mehr Baustellen, aufgrund von Dauer und Grad der Verkehrsbehinderung, fallen sie allerdings besonders auf.

Schaut man nach Japan, wo Platz aufgrund der erheblich höheren Bevölkerungsdichte viel knapper ist, als etwa im Ruhrgebiet, wundert es, dass Baustellen dort kaum aufallen. Das liegt besonders daran, dass japanische Baustellen fast immer am Gehweg enden, sie behindern den Fußverkehr nicht, und es undenkbar ist, dass Baustellenfahrzeuge im Umkreis der Baustelle am Straßenrand abgestellt werden.

Besonderheiten japanischer Baustellen

Eine japanische Baustelle beschränkt sich auf den Raum, den der Bauplatz bietet.

Baustellen in Japan

In Bochum erlaubt die Stadt den Bauunternehmen sogar wie beispielsweise an der Baustelle Wielandstraße, die Baucontainer in die angrenzende öffentliche
Grünanlage, die Schmechtingwiese, zu stellen und dort Baumaterial zu lagern. Auch die Baustelle des Husemann Karrees erstreckte sich selbstverständlich auch auf die Viktoriastraße. Selbst für den Bau eines Wohnhauses durfte der Baustellenbetreibende an der Agnesstraße über Jahre den Gehweg sperren, während die Schulkinder der Gesamtschule auf die Straße verwiesen wurden.

In Japan endet jede private Baustelle an der Gehwegekante. Die Aus- und Einfahrt auf die Baustelle wird von speziellen Aufsichtskräften gemanagt. Die Anlieferung der Baustellen erfolgt just–in-time. Material wird erst angefahren, wenn es benötigt wird. Kommt der LKW, werden vom Baustellenpersonal die Tore der Einfahrt zur Baustelle geöffnet, kurz der Fußverkehr auf dem Gehweg gestoppt. Das Fahrzeug fährt hinter die hohen hellgrauen Wände, die jede Baustelle umschließen, auf die Baustelle und wird dort entladen. Die Belästigung für Menschen auf Geh- Radweg und Straße beträgt nur Sekunden. Die gesamte Abladung findet auf dem Bauplatz statt. Dort wird immer nur so viel Gerät und Material gelagert wie gebraucht wird. Beim Ausfahren des LKW das gleiche Spiel: die Bauplatztore werden geöffnet, Fuß- und Straßenverkehr werden für einen kurzen Moment angehalten, damit der LKW bequem ausfahren kann.

Baustellenpersonal Japan

An lärmintensiven Baustellen wird in Japan der Lärm gemessen. Die Lärmmessgeräte hängen für alle sichtbar neben der Baustelleneinfahrt. So sehen alle Passanten, ob die Lärmgrenzwerte eingehalten werden.

Auch die Sanierung von Leitungen, Straßen und Plätzen organisiert man in Japan anders. Es wird nicht wie an Hattinger-, Alleestraße oder Husemannplatz die gesamte öffentliche Fläche in eine Bauwüste verwandelt, sondern in Sektionen nur immer so viel Fläche als Baustelle ausgewiesen, wie Tag für Tag bearbeitet werden kann.

Wird auf dem Gehweg oder einer Fußgängerzone z.B. eine Wasserleitung neu verlegt, wird zu Tagesbeginn ein 20-30 Meter langer Graben ausgehoben, Die dabei anfallende Erde wird auf Klein-LKW geladen, die sie zunächst abtransportieren, anschließend wird die Leitung neu gelegt. Die LKW mit dem Aushub kommen zurück, der Graben wird wieder verfüllt und die Fläche danach asphaltiert. Am Abend ist von der Baustelle nichts mehr zu sehen. So werden jeden Tag 20-30 Meter Leitung getauscht.

Nachdem die Leitungsverlegungsarbeiten abgeschlossen sind, wird der Asphalt wieder aufgenommen und durch neues Pflaster ersetzt. Auch hier wird jeden Tag nur so viel Asphaltfläche aufgenommen wie neu gepflastert werden kann. Am Ende des Arbeitstages ist keine Baustelle mehr zu sehen. So lange die Baustelle läuft, leitet das Baustellenpersonal den Verkehr an der Baustelle vorbei. Das geschieht mit japanischer Höflichkeit, man bedankt sich für die Geduld, weil man für den anfahrenden LKW warten musste, man entschuldigt sich pflichtschuldigst für die Unannehmlichkeiten, die eine Baustelle verursacht.

Japanisches Baustellenorganisation

In Japan ist man sich mehr als bei uns bewusst, dass jede Baustelle für die Stadtbewohner*innen ein Ärgernis darstellt, also ist das oberste Ziel des japanischen Baustellenmanagements, die verursachten Störungen möglichst gering zu halten. Die Baustelle hat sich nach den Bedürfnissen der Menschen zu richten, die sie belästigen, nicht die Menschen nach der Baustelle, weil dort keine Bereitschaft besteht, diese platzsparend und möglichst wenig belästigend zu organisieren.

Aus dieser Zielvorstellung ergeben sich verschiedenste Maßnahmen, die für die Baustellenorganisation in Japan typisch sind:

  • Jede Baustelle wird nach dem Just-in-time-Prinzip organisiert. Auf der Baustelle ist nur das Material, die Fahrzeuge und Werkzeuge vorhanden, die gerade benötigt werden. Alles kommt, wenn es gebraucht wird, und verlässt die Baustelle sofort wieder, wenn das nicht mehr der Fall ist. Gelagert wird auf Baustellen nur das unbedingt Nötige.
  • Läuft die Baustelle, steht vor der Baustelle freundliches zuvorkommendes und entsprechend ausgebildetes Aufsichts- und Sicherheitspersonal, das den Ein- und Ausfahrtsverkehr organisiert, mit den Passanten kommuniziert, und Baustellenseiten überwacht, die dem öffentlichen Raum zugewandt sind.
  • Baufahrzeuge, Material oder Baucontainer dürfen nicht im öffentlichen Raum auf der Straße oder auf Gehwegen abgestellt werden. Dafür gibt es nur in absoluten Sonderfällen Ausnahmegenehmigungen. Es gilt das Grundprinzip, wer baut, organisiert seine Baustelle auf dem vorhandenen Bauplatz.
  • Baustellen auf nicht öffentlich zugänglichen Grundstücken werden zum öffentlichen Rauzaun mit meterhohen geschlossenen Bauzäunen abgesperrt, um zu verhindern, dass Baumaterial auf die öffentlichen Wege gelangt. Im Extremfall wird sogar das ganze Gebäude eingehaust.
  • Zu jedem Arbeitsbeginn wird ein aktualisierter Tagesplan mit den an der Baustellenorganisation beteiligten Personen besprochen, der darlegt, welche Arbeiten, Ein.- und Ausfahrten, wann am Tag geplant sind, worauf besonders zu achten ist und wer für was zuständig sein wird.
  • Straßenbaustellen wandern. Jeden Tag wird nur so viel Fläche als Baustelle eingezäunt, wie auch bis zum Abend fertiggestellt werden kann. Es wird nicht, wie in Bochum immer wieder zu beobachten, eine Straße aufgerissen und erst Wochen später kommt das Unternehmen, das die Leitungen verlegt und wieder Wochen später das Unternehmen, das die Straße wiederherstellt.
  • Baustellen auf öffentlichen Straßen, Geh- und Radwegen werden, sofern irgend möglch, morgens begonnen und abends wieder geschlossen. Durchgehend wird das Ziel verfolgt, Sperrungen von Straßen, Wegen und Plätzen unbedingt zu vermieden.
  • Um Behinderungen für den Fuß-, Rad- und Autoverkehr auf wichtigen Straßen möglichst gering zu halten und Straßensperrungen zu verhindern, werden Baustellen häufig über Nacht eingerichtet und notwendige Bauarbeiten nachts durchgeführt.
  • Baufahrzeuge werden, sofern sie Erde, Schutt oder anderen Bauschmutz von der Baustelle in den öffentlichen Raum transportieren könnten, noch auf der Baustelle abgespritzt. Die Bauaufsicht sorgt dafür, dass Wege und Straßen vor dem Bauplatz sich jederzeit in einem Zustand befinden, als gäbe es die Baustelle gar nicht. Eine Beschädigung der Straße durch Baufahrzeuge, wie sie etwa an der Wielandstraße durch die Stadt Bochum hingenommen wird, wäre in Japan nicht vorstellbar.
  • Baustellen werden eng aufeinander abgestimmt und zeitlich miteinander vertaktet. Dass wie in der Bochumer Innenstadt mit den Arbeiten am Husemannplatz erst begonnen wird, wenn die Gebäude des Husemannkarrees dahinter fast fertig sind, würde in Japan den zuständigen städtischen Planungsverantwortllichen voraussichtlich den Job kosten.

Umdenken bei Bauunternehmen und Stadt nötig

Um eine Baustelle nach japanischem Vorbild zu organisieren, erfordert ein hohes Maß an Organisationsaufwand und Planungskompetenz sowie den unbedingten Willen, mit seiner Baustelle andere so wenig wie möglich zu belästigen. Natürlich ist es organisatorisch einfacher ganze Straßen zu sperren, vollflächig aufzureißen, alles auf der Baustelle oder in deren Umgebung zu lagern und dann immer dort weiter zu bauen, wo gerade die entsprechende Fachfirma verfügbar ist, doch smart ist eine solche weitgehend ungeplante Vorgehensweise nicht. Dazu missachtet sie die Bedürfnisse der Stadtbewohner*innen, die so wenig wie möglich von Baustellen belästigt werden möchten.

Für eine entsprechende Umstellung der Baustellenorganisation ist gleichermaßen ein Umdenken der Bauunternehmen wie der Stadt erforderlich. Die Unternehmen müssten ihre Bauorganisation neu ausrichten, die Stadt muss eine entsprechende Organisation von den Unternehmen einfordern und die Zielsetzung verfolgen, dass für private Baustellen nur in absoluten Ausnahmefällen öffentlicher Raum dauerhaft genutzt werden kann. Zudem wäre streng darauf zu achten, dass die Belastungen, die von Baustellen ausgehen, minimiert werden.

Bei Ausschreibungen für städtische Baustellen sollte berücksichtigt werden, dass ein wesentliches Vergabekriterium ist, dass Baustellen im öffentlichen Raum möglichst sparsam mit städtischen Flächen umgehen und den Menschen Straßensperrungen wie Baustellenwüsten, auf denen über Wochen nichts passiert, erspart bleiben.

Smarte Baustellen bedeuten mehr Lebensqualität

Das japanische Modell wird sich nicht von jetzt auf gleich umsetzen lassen. Zu einer lebenswerten Stadt gehört aber auch, dass man die Störungen und Belastungen von Baustellen minimiert. Es sollte sich also lohnen, in dieser Richtung tätig zu werden und sich am Vorbild japanischer Baustellen zu orientieren. Das gilt besonders vor dem Hintergrund, dass um Bochum zukunftsfähig zu gestalten in der Stadt noch viel zu modernisieren, sanieren und neu zu bauen ist.

03 Dez

Städtepartnerschaft der Wissensstädte

Der 25.11.2019 war ein historischer Tag für Bochum. Erstmals schloss Bochum eine Städtepartnerschaft mit einer reinen Universitätsstadt, der japanischen Stadt Tsukuba. Damit markiert dieser Tag in der Entwicklung des Selbstverständnisses der Stadt den Wendepunkt von der Industrie- zur Wissensstadt.

Das Ziel sind konkrete Kooperationsprojekte zwischen beiden Städten

Zur Unterzeichnung der Partnerschaftsvereinbarung und um erste Kooperationsprojekte für die Zukunft zu erörtern, entsandte Bochum in der letzten Novemberwoche eine hochrangige Delegation aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung nach Japan. Bei den angestrebten Kooperationen beider Städte soll es insbesondere um eine Zusammenarbeit bei der Digitalisierung der städtischen Einrichtungen, den Ausbau der bereits engen Beziehungen zwischen den Hochschulen, um Kooperationen im Bereich der Förderung von Startups beider Städte und die Kooperation bei der Stadtentwicklung der beiden Wissensstädte sowie die Zusammenarbeit von Unternehmen, die mit der Erforschung und Anwendungen von Hochtechnologie beschäftigt sind, gehen.

Bochum sieht sich als Wissensstadt

Der 25.11.2019 verdeutlicht, wie sich die Stadt Bochum mittlerweile selbst sieht. Das Selbstverständnis der Stadt hat sich grundlegend verändert, Bochum ist Wissens- und Universitätsstadt, eine Stadt, die folgerichtig Verbindungen zu Partnerstädten sucht, die ebenfalls Universitätsstädte sind.

Tsukuba ist dafür ein Paradebeispiel, gegründet als “Stadt der Wissenschaft” in den 60ern, 250.000 Einwohner, davon 8.000 promovierte Wissenschaftler, Forschungsstandort für wichtige Schlüsseltechnologien, u.a. Robotronik, Künstliche Intelligenz, Gesundheitstechnologie und Raumfahrt. Weiterlesen

26 Mai

Städtepartnerschaft Bochum – Tsukuba

Tsukuba und Bochum wollen noch dieses Jahr eine Städtepartnerschaft vereinbaren. Im Mittelpunkt dieser Partnerschaft wird der Austausch auf den Gebieten Wissenschaft, Forschung und hochschulnahe Wirtschaft stehen. Sind die Zeiten der traditionellen Städtepartnerschaften, die auf dem kulturellen Austausch mit dem Ziel der Völkerverständigung basieren, vorbei?

Traditionelle Städtepartnerschaften

Bisher hat die Stadt Bochum vier Partnerstädte Sheffield (England), Oviedo (Spanien), Donezk (Ukraine), und Nordhausen (Thüringen). Am besten läuft die Partnerschaft mit der thüringischen Stadt Nordhausen, hier ist der Austausch besonders rege. Ein Austausch mit Donezk, das im von prorussischen Separatisten besetzten Gebiet der Ukraine liegt, ist zum Erliegen gekommen, der Partnerschaftsverein muss sich auf die Organisation von Hilfslieferunge beschränken. Das tut er mit großem Engagement. Die Partnerschaften mit Sheffield und Oviedo laufen auf Sparflamme, gegenseitige Besuche von Musik- und Theatergruppen, Schülern und anderen gibt es, zwischen den Stadtspitzen besteht allerdings kaum Kontakt.

Wissensstadt Tsukuba

Jetzt soll eine neue Städtepartnerschaft mit der japanischen Stadt Tsukuba hinzukommen. Seit 2016 verbindet beide Städte bereits eine rege Partnerschaft zwischen der Universität Tsukuba und der Ruhr-Universität. Daraus entwickelt sich ein wachsender Austausch zu Themen wie Innovation, Forschung, Standortentwicklung und Förderung der Wissensarbeit. Der durch die Städtepartnerschaft vertieft und weiter ausgebaut werden soll. Weiterlesen