20 Sep.

Bochum 2025 – Beschreibungs- und Zumutungsangst

Im Wahlkampf haben sich weder lokale Politik noch Presse getraut, die Herausforderungen zu beschreiben, vor denen Bochum und das Ruhrgebiet stehen, noch welche Zumutungen bei Lösung der Probleme auf die Menschen in den nächsten Jahren zukommen werden.

Der Kommunalwahlkampf 2025 ist fast vorbei, am 28.9. findet noch die OB-Stichwahl statt. Zeit Bilanz zu ziehen. Wie ist der Wahlkampf in Bochum gelaufen?

Wahlprogramme – Viele Schlagwort und Phrasen, kaum echte Inhalte und Lösungen

Wahlkampf sollte eigentlich ein Wettbewerb der Positionen, Zielen und Ideen sein. Das war er in Bochum leider nicht. Die politischen Gruppierungen verfolgten weitgehend die gleichen Ziele, überall stand in den Wahlprogrammen so oder ähnlich “Bochum soll sicherer werden”, “Die Stadtteile sollen sich wieder positiv entwickeln”, “Es soll mehr für Bildung und Schulen getan werden”, “Der ÖPNV soll besser werden”, „Bochum soll sauberer werden” usw.. Konkrete Ideen und Konzepte, wie diese Ziele erreicht werden sollten, fehlten dagegen weitgehend.

Sofern Maßnahmen vorgeschlagen wurden, waren die selten geeignet, die selbst gesetzten Ziele nur annähernd zu erreichen. Beispiel Bildungspolitik: So wird es einen kaum nennenswerten Effekt auf den Bildungsgrad haben, wenn man die Mittel für das Programm Bildung und Teilhabe erhöht, mehr Familienzentren an den Grundschulen einrichtet und die Schulhöfe netter gestaltet. Um dauerhaft das Bildungsniveau zu erhöhen, wären grundsätzlichere und tiefgreifendere Maßnahmen erforderlich, die insbesondere bei mehr pädagogischem Personal und mehr individueller Lern- und Sprachförderung ansetzen. Auch andere Lernkonzepte, wie klassenübergreifender Unterricht in den Grundschulen wären notwendig. Statt grundlegender Reformen bleibt es in den Wahlprogrammen leider überwiegend bei Aktionismus. Das Angehen von Problemen wird nur vorgetäuscht. Bei näherer Betrachtung, zeigt sich, die vorgeschlagenen Maßnahmen sind nicht geeignet ist, die Probleme zu lösen.

Beschreibungs- und Zumutungsangst

Auch wurden die gewaltigen Herausforderungen, vor denen die Stadt in den nächsten Jahren bis Jahrzehnten steht, im Wahlkampf nicht thematisiert (Die acht großen Herausforderungen, denen sich Bochum stellen muss). Die Politik war nicht bereit, den Menschen unmissverständlich zu sagen, welche gravierenden Probleme in der Stadt bestehen und dass sich die Menschen, um diese in den Griff zu bekommen auf grundlegende Veränderungen einstellen müssen. Die Politik hat sich im Wahlkampf nicht getraut, den Menschen zu erklären, dass die Politik ihnen in den nächsten Jahren einiges zumuten wird, damit die Stadt nicht in einen ähnlichen Abwärtsstrudel gerät, wie etwa Gelsenkirchen und Duisburg.

Überwiegend wurde der falsche Eindruck erweckt, dass sich eigentlich nichts grundlegend ändern müsse, da die Stadt auf einem gar nicht so schlechtem Weg sei.

Beschreibungsangst – Lokalpolitik und -presse trauen sich nicht, den Menschen klar zu sagen, wo die Stadt steht. Besonders, dass man nach 65 Jahren immer noch nicht den Strukturwandel bewältigt hat, dass Stadteile drohen sozial zu kippen (u.a. Niedergang Wattenscheid-Mitte), der Stadthaushalt vor dem Kollaps steht (180 Mio. Defizit – Haushaltsnotlage 2.0) und die Stadt auf eine drohende wirtschaftliche Rezession in Deutschland nicht vorbereitet ist. Diese würden Bochum wie das Ruhrgebiet mit einer Härte treffen, die alles in den Schatten stellt, was Bochum seit dem zweiten Weltkrieg erlebt hat.

Die akuten Probleme und die sich damit stellenden Herausforderungen wurden im Wahlkampf nicht schonungslos beschrieben, sondern durchweg verharmlost und schöngeredet.

Die Beschreibungsangst besteht dabei nicht nur bei der Politik, sondern auch bei den lokalen Medien. WAZ-Bochum und Radio Bochum waren während des Wahlkampfs nicht in der Lage die großen Herausforderungen und Probleme der Stadt klar zu benennen und zu analysieren. Entsprechend wurde auch nie die Frage gestellt, wie diese angegangen werden sollen.

Zumutungsangst – Glaubt man den Darstellungen von lokaler Politik und lokaler Presse, kann die nächsten Jahre und Jahrzehnte eigentlich alles so weiterlaufen wie bisher. Die Politik, will den Menschen keine Veränderungen zumuten. Es wird der Eindruck erweckt, den Wandel, der sich weltweit vollzieht, die Verschiebung des globalen Wirtschaftsgewichts hin nach Asien könne man ignorieren und aussitzen. Man müsse sich nicht am Wettbewerb, in dem sich die Metropolen der Welt befinden, beteiligen, der relative Wohlstand des Ruhrgebiets wäre ein Selbstläufer, auf den auf ewige Zeiten ein Anspruch bestünde. Ein fataler Trugschluss.

Ohne entsprechende Wirtschaftskraft wird das Ruhrgebiet weiter verarmen und immer mehr am Tropf von Subventionen und Almosen hängen. Um im Wettbewerb der Städte und Metropolen mithalten zu können, bedarf es tiefgreifender Veränderungen insbesondere bei zeitgemäßer Stadtentwicklung, metropolengerechter Infrastruktur und der Bündelung der Wirtschaftskraft als Metropole Ruhrstadt.

Bisher fehlt der lokalen Politik der Mut und die Bereitschaft, die nötigen Veränderungen den Menschen zuzumuten. Immer noch hängt man der sterbenden Industrie nach, vermittelt den Menschen, mit dem Angebot von ein paar neuen Gewerbeflächen wie Mark 51°7 würden sich die Probleme von selbst erledigen. Dass man sich, um wirtschaftlich mithalten zu können, an den Entwicklungen in den global führenden Metropolen orientieren und ebenfalls als Metropole Ruhrstadt aufstellen muss, will man nicht wahrhaben, auch aus Angst, die Menschen dann von der Notwenigkeit vermeintlich unbequemer Veränderungen überzeugen zu müssen.

Ein solche falsche Vorstellung wird auch bei den Stadtfinanzen vermittelt. Das Thema wurde im Wahlkampf ignoriert. Es wurde so getan, als wäre bei den Stadtfinanzen alles im grünen Bereich. 

Dabei hat die Stadt ohne eine radikale Verwaltungsreform mit dem Ergebnis einer massiven Senkung der Personalkosten keine Zukunft. Liegen die städtischen Ausgaben dauerhaft über den Einnahmen der Stadt und können die erdrückenden Schulden nicht wesentlich abgebaut werden, wird die Stadt handlungsunfähig, sie kann nicht mehr investieren, damit wird jede positive Stadtentwicklung unmöglich.

An einer schmerzhaften Sanierung des Stadthaushalts (Konzept zur Sanierung des Bochumer Stadthaushalts) führt kein Weg vorbei, auch wenn das Geradeziehen der Stadtfinanzen den Menschen einiges abverlangen und zumuten wird. Die Stadt hat nichts zu verschenken. Wirkungslose und überflüssige Subventionen haben keine Existenzberechtigung, auch wenn sich die Menschen daran gewöhnt haben, wie etwa an billiges bis kostenfreies Anwohnerparken.

Im Wahlkampf wurde den Bürgerinnen und Bürgern dagegen der falsche Eindruck vermittelt, es wäre möglich, dass alles so bleibt wie es ist, die Politik könne den Wohlstand erhalten, ohne dass sich für die Menschen wesentlich was ändert. Dieses Versprechen wird die Politik jedoch nicht erfüllen können. Erfolgreiche Großstädte und Metropolen sehen anders aus, sie sind völlig anders organisiert als Bochum oder die Ruhrstadt (Ruhrstadt – Die Metropole, die keine sein will, aber trotzdem eine ist). Will man im Wettbewerb mithalten, muss man sich an den Wettbewerbern orientieren, daran, was die Konkurrenz macht und weshalb sie erfolgreich ist.

Beschreibungs- und Zumutungsangst stärkt Populisten

Sind lokale Politik und Medien nicht bereit, den Menschen unbeschönigt zu erklären, wo Bochum und das Ruhrgebiet stehen, welche Probleme und Risken bei der weiteren Entwicklung bestehen und ihnen nicht erklärt, was an Veränderungen nötig ist, um den Wohlstand zu erhalten, werden sie weiterhin ihre (Wahl-)Versprechungen nicht erfüllen können und treiben damit immer mehr Wähler und Wählerinnen den Populisten in die Arme.

Erforderlich ist, den Menschen unumwunden zu vermitteln, dass Bochum und das Ruhrgebiet vor immensen Herausforderungen stehen, die nur zu bewältigen sind, wenn es zu einschneidenden Veränderungen kommt, die auch mit erheblichen Zumutungen für jeden Einzelnen verbunden sind. Die Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt müssen überzeugt werden, dass die für den unvermeidlichen Wandel erforderlichen Maßnahmen unbedingt notwendig sind, um den bestehenden Wohlstand zu sichern, und dass es sich lohnt, sich darauf einzulassen, weil es die eigene Zukunft wie die der Kinder und Enkel im Ruhrgebiet sichert.

Die nächsten Kommunalwahlen finden 2030 statt. Es sind also nur 5 Jahre, in denen Lokalpolitik und -presse ihre Beschreibungs- und Zumutungsangst überwinden können.

17 Aug.

Wahlkampfberichterstattung in Bochum – Brauchen wir noch Redakteure oder kann das auch ChatGPT?

Nur noch vier Wochen sind es bis zur Kommunalwahl. Seit einer Woche kann man im Rathaus seine Stimme abgeben. Gut über die Wahl informiert sind die Menschen in Bochum nicht. Die Lokalpresse wird ihrer Aufgabe nicht gerecht.

Wie sollte eine qualitativ hochwertige Berichterstattung im Vorfeld einer Kommunalwahl aussehen? Ziel der Lokalpresse sollte sein, den Lesern und Leserinnen bzw. den Hörern und Hörerinnen eine gute und umfassende Informationsgrundlage zu geben, auf der sie eine fundierte Wahlentscheidung treffen können.

Alle Stimmberechtigten sollten frühest- und bestmöglich darüber informiert werden, welche Parteien und Wählergemeinschaften zur Wahl stehen. Es sollte berichtet werden, was die politischen Gruppierungen für die Stadt tun möchten. Welche Positionen vertreten sie in wichtigen Stadtthemen und welche Konzepte und Pläne haben sie für die Stadt entwickelt? Wo sind die Unterschiede? Sind die Ideen der Parteien und Wählergemeinschaften real umsetzbar, in anderen Städten erfolgreich und geeignet die Probleme in Bochum anzugehen? Basieren die Positionen auf Fakten oder sind sie populistischerer Natur?

Analysen zur letzten Wahlperiode, wo steht die Stadt heute?

Logischer Ausgangspunkt für eine solche Berichterstattung wäre eine Analyse darüber, was in der vergangenen Wahlperiode geleistet wurde. Was ist gut gelaufen, was schlecht. Wer ist für welche politische Entscheidung verantwortlich gewesen? Wie stand die Stadt im Vergleich zu anderen Großstädten 2020 dar, wie ist es heute, fünf Jahre später. Ebenfalls wäre zu analysieren, wo die Menschen in der Stadt Probleme sehen, welche Wünsche sie an die Politik haben und wie die Stadt von außen gesehen wird.

Guten Journalismus zeichnet eine Einordnung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lage der Stadt aus. Wo steht die Stadt bei Stadtentwicklung und Strukturwandel? Wo gibt es Defizite, Nachholbedarf, wo hinkt man den Entwicklungen in Deutschland und Europa hinterher, wo ist die Stadt Vorreiter.

Journalistische Aufarbeitung und Einordnung der Positionen und Pläne

Dazu kommt kritisches Nachfragen zu Zielen und Positionen, die die politischen Gruppierungen im Wahlkampf verkünden. Konkret: Wird zum Beispiel Klimaneutralität bis 2035 versprochen, wäre zu fragen, ob das überhaupt noch realistisch erreicht werden kann. Und warum die entsprechende Partei nicht in den letzten 5 Jahre die Weichen dafür gestellt hat, dass das Ziel erreicht werden kann.

Auch sind Kontroversen wichtig. Kandidaten verschiedener politischer Farben, die zur Wahl antreten, sollten in Diskussionen gegeneinander antreten, damit Lesern und Leserinnen deutlich wird, was die vertretenen Positionen und Konzepte unterscheidet und wie schlüssig diese sind. Nur durch eine journalistische Aufarbeitung ist eine Bewertung der politischen Positionen Vorschläge und Konzepte der unterschiedlichen politischen Gruppierungen möglich.

Berichterstattung zur Wahl 2025 in Bochum

Schaut man sich an, wie in Bochum über die Wahl berichtet wird, findet weder eine Wahlberichterstattung statt, die journalistischen Ansprüche genügt, noch sind die stark lückenhaften und selektiven Informationen, die die Bürger und Bürgerinnen über die Lokalmedien erhalten, geeignet, ihnen eine fundierte Wahlentscheidung zu ermöglichen.

Radio Bochum berichtet so gut wie gar nicht, die WAZ beschränkt sich darauf, bei ausgewählten politischen Parteien zu bestimmten Themen deren Position nachzufragen und veröffentlicht diese dann kommentarlos. Immerhin wurden Leser und Leserinnen zunächst in einem Stadtcheck zur Kommunalwahl befragt, in welchen Bereichen sie welchen Handlungsbedarf sehen. Auch die Stadt durfte ausführen, was sie dazu plant.

Wie die Stadt aktuell im Vergleich zu anderen Großstädten dasteht, wie die letzte Wahlperiode zu bewerten ist und wie die Stadt von außen gesehen wird, alles das war und ist dagegen nicht Gegenstand der lokalen Berichterstattung.

Nur bestimmte Parteien dürfen ihre Positionen und Pläne darstellen

Auch gibt die WAZ nur bestimmten politischen Gruppierungen, nämlich jenen mit Fraktionsstatus im alten Stadtrat, die Chance ihre Position zu den Themen, die sich aus dem Stadtcheck ergeben (Wie läuft die Integration in Bochum? Das sagen Politiker, „Kein Bereich zu dunkel“: Das sagt die Politik zur Beleuchtung Stadtbeleuchtung„Innenstadt sollte grüner sein“: Was die Politik fordert), darzustellen. Das führt zu der skurrilen Situation, dass zur Wahl auch zwei Gruppierungen um eine Stellungnahme gebeten werden, die weder 2020 zur Wahl angetreten sind, noch 2025 zur Wahl antreten (Bündnis Deutschland und FASG)*, dagegen andere im Rat vertretene Gruppierungen (Linke, STADTGESTALTER und Die PARTEI), die 2020 bereits zur Wahl standen und auch 2025 erneut antreten, ihre Konzepte, Ideen und Positionen nicht darstellen dürfen, selbst dann nicht, wenn sie – wie die STADTGESTALTER – zu allen Themen ausführliche Konzepte entwickelt und veröffentlicht haben (Beleuchtung der Bochumer Gehwege sollte systematisch verbessert werdenAlarmierende Zahlen – Höchste Zeit sich ernsthaft um Integration zu bemühenGrünkonzept Innenstadt – Einige Ideen der STADTGESTALTER übernommen).

Parteien, die zum ersten Mal zur Kommunalwahl antreten, wie Volt oder BSW wird ebenfalls keine Möglichkeit geben, ihre Ansichten zu den entsprechenden Themen darzustellen.

Auf die politischen Gruppierungen, die von der WAZ-Bochum ausgeschlossen werden, wird am Wahltag voraussichtlich rund ein Drittel der Stimmen entfallen. Auch die Überschriften der entsprechenden WAZ-Beiträge, die jeweils die Floskel “die Politik sagt” oder “ die Politik fordert”, enthalten, sind somit irreführend. In den Berichten wird nicht wiedergegeben, was “die Politik” sagt. Es kommen nur zwei Drittel der Bochumer Politik zu Wort.

Warum die WAZ ihren Lesern und Leserinnen zur Kommunalwahl die Positionen einiger politischer Gruppierungen bewusst vorenthält, aber solchen die Gelegenheit gibt sich zu positionieren, die gar nicht zur Wahl antreten, konnte bzw. wollte die WAZ-Redaktion auch auf wiederholte Nachfrage nicht erklären. Zumindest online fehlt auch kein Platz, die Positionen aller politischer Gruppierungen darzustellen, die zur Wahl stadtweit antreten. Im Print wäre eine gekürzte Darstellung mit Link zu den kompletten Ausführungen auf der Internetseite möglich.

Naheliegend ist, man wollte der AfD in der Zeitung zur Wahl kein Forum bieten und hat daher eine verfehlte Regel konstruiert, die die AfD ausschließt, aber u.a. auch Linke und STADTGESTALTER. Diese wurden bei diesem Vorgehen zum Kollateralschaden. Die Redaktion wollte offenbar auf eine Regel verweisen, um keine Diskussionen führen zu müssen, warum sie die AfD von der Berichterstattung ausschließt. Es fehlte der Mut zu einer solchen Entscheidung zu stehen und diese zu rechtfertigen.

Dieses Ansinnen rechtfertigt jedoch nicht, eine sachfremde, unausgewogene und unfaire Regel einzuführen, die auch politischen Gruppierungen die Darstellung ihrer Positionen verweigert, die aktiv die Politik mindestens der letzten elf Jahre mitgeprägt haben und sich nachweisbar mit allen Themen intensiv und konstruktiv beschäftigt haben.

Selektive Berichterstattung vermittelt Lesern und Leserinnen ein falsches Bild von der Wahl

So kommt es zu einer bewussten falschen Darstellung, wer “die Politik“ ist und wer zur Wahl antritt. Zudem wird der Eindruck erweckt, politische Gruppierungen, die nicht in den Beiträgen Stellung nehmen, hätten keine Position zu den Themen bzw. wollten sich zu diesen nicht äußern. Daran ändert sich nichts, dass die WAZ angekündigt hat, kurz vor der Wahl, wenn schon ein Drittel bis die Hälfte der Menschen, die zur Wahl gehen, ihre Stimmen per Brief oder im BVZ abgegeben haben, in einem Beitrag auch über die Positionen und Konzepte der Gruppierungen berichten zu wollen, die sie bis dahin ignoriert hat.

Die beschriebene selektive Berichterstattung ist unausgewogen und verzerrt den politischen Wettbewerb, sie entspricht nicht den publizistischen Grundsätzen (Pressecodex), denen sich deutsche Journalisten verpflichtet haben. Diese sehen eine ausgewogene Wahlberichterstattung vor, die allen politischen Gruppierungen gleichermaßen publizistisches Gehör verschafft und die eine Voraussetzung für eine vielfältige Meinungsbildung ist (siehe auch: Wahlkampf im Lokaljournalismus, Dr. Claudia Riesmeyer, Universität Göttingen). Entsprechend haben die STADTGESTALTER eine Beschwerde an den Presserat gerichtet.

Berichte über Randthemen statt Darstellung politischer Inhalte

Weiterhin beschränkt sich die WAZ bei der Wahlberichterstattung ganz auf die bloße Wiedergabe der Positionen, die die Gruppierungen bei der WAZ eingereicht haben. Eine journalistische Aufarbeitung, kritische Würdigung, Diskussion oder Einordnung findet nicht statt. Die Beiträge hätte statt einer Redakteurin oder eines Redakteurs auch ChatGPT schreiben können, dabei haben Redakteure wie Andreas Rorowski und Carolin Muhlberg vor dem Wahlkampf in der Vergangenheit in etlichen Beiträgen immer wieder gezeigt, dass es an journalistischer Kompetenz bei der WAZ-Bochum nicht fehlt.

Während eine umfassende, vollständige journalistische Darstellung der politischen Inhalte bei der Kommunalwahl-Berichterstattung der WAZ offenbar nicht das Ziel ist, wird ausführlich darüber berichtet, dass diejenigen, die bei der Wahl helfen, 20 Euro Erfrischungsgeld weniger bekommen als bei der Kommunalwahl 2020 (Wahlhelfer in Bochum bekommen weniger Geld – warum?).

Auch über das Anzünden von Wahlplakaten wird umfassend berichtet („Komisches Gefühl“: Plakate von SPD-Kandidatin abgefackelt). Obwohl fünf Plakate angezündet wurden, zwei von der SPD und zwei von den Linken sowie ein weiteres, bei dem nicht erkennbar war, zu welcher Partei es gehörte, erhält nur die SPD im WAZ-Beitrag die Gelegenheit sich als Opfer eines gezielten “Brandanschlags” zu inszenieren, obwohl die Polizei gar keine Anhaltspunkte besitzt, dass das Anzünden der Plakate durch Hass auf bestimmte Parteien oder Kandidaten begründet war.

In einem weiteren Beitrag erhält die SPD als einzige Partei die Gelegenheit ihre Kandidaten für die Bezirksfraktion Wattenscheid samt Bild darzustellen und davon zu berichten, wie gut man doch für die Wahl aufgestellt sei („Sehr schmerzhaft“: Bochumer SPD-Frau von Wahl ausgeschlossen). Anlass ist der Ausschluss einer Kandidatin auf Platz 4 der SPD-Liste für die Bezirksvertretung Wattenscheid, weil diese keinen Hauptwohnsitz in Bochum hat. Ein Ereignis, das an sich eigentlich keinen Nachrichtenwert besitzt und das zum Zeitpunkt des Beitrags auch schon vier Wochen her war. Dafür kann die SPD den WAZ-Bericht bei Weglassen von zwei Absätzen und der Umformulierung von zwei Sätzen problemlos für einen Wahlkampfflyer benutzen.

Während man also bei der WAZ an inhaltlicher und einer allen politischen Kräften gerecht werdenden Berichterstattung spart und auf eine journalistische Aufarbeitung ganz verzichtet, hat man Zeit und Platz für ausführliche Berichte zu Randthemen, die Parteien als Werbeplattform benutzen. Für eine möglichst fundierte Wahlentscheidung der WAZ-Leser und Leserinnen haben diese jedoch keinen Wert.

WAZ-Redaktion gefährdet ihre eigenen Jobs

Eine journalistisch hochwertige Wahlberichterstattung ist aufgrund der knappen personellen Ressourcen in den Lokalredaktionen sicher schwierig. Es sollte aber zumindest möglich sein über alle zur Wahl antretenden Gruppierungen gleichermaßen zu berichten und Berichtsformate zu wählen, die den Lesern und Leserinnen eine Diskussion und differenzierte Würdigung der politischen Positionen ermöglichen. Zum Beispiel sind bei Interviews kritische Nachfragen und Einordnungen durch die Redakteure möglich. Auch Diskussionsformate mit Kandidaten unterschiedlicher Gruppierungen ermöglichen eine Bewertung von Positionen und legen offen, wie valide diese sind.

Für eine bloße Wiedergabe von Statements der politischen Gruppierungen in ansprechend formulierten Beiträgen werden eigentlich keine Redakteure benötigt, das kann mittlerweile auch ChatGPT. Mit dieser Art unjournalistischer Berichterstattung gefährdet die Redaktion ihre eigenen Jobs. Gut möglich, dass in der Essener Zentrale der Funke Mediengruppe schon über eine KI-Software nachgedacht wird, in der bei der Kommunalwahl 2030 alle Parteien und Wählergemeinschaften zu unterschiedlichen Themen ihre Positionen eingeben und die dann auf Knopfdruck zu jedem Thema einen fertigen Beitrag ausspuckt. Die Vorteile, die Software ist billig, schnell und neutral. Auch können problemlos alle politischen Gruppierungen, die zur Wahl antreten, teilnehmen und nicht nur solche, die nach nicht nachvollziehbaren Kriterien ausgewählt wurden. Mit Journalismus hat das Ganze allerdings dann ebenfalls nichts zu tun.

Die Redaktion der WAZ-Bochum sollte sich überlegen, nehmen wir journalistische Berichterstattung ernst, dann sähe ein Konzept zur Wahlberichterstattung völlig anders aus oder bleiben wir bei der bloßen Abfragerei von Positionen, die man dann wiederkäut. Im zweiten Fall wird schon bald ChatGPT diese Arbeit übernehmen.

Unzureichende und unjournalistische Berichterstattung befördert Populismus und Extremismus

Beim WAZ-Stadtcheck bekam die Politik nur die Note 3,9. Schlechter war die Bewertung der Bürger und Bürgerinnen in keiner Kategorie. Das liegt auch daran, dass die lokale Berichterstattung über die kommunale Politik – wie dargestellt – ungenügend und selektiv ist. Hintergründe und Zusammenhänge werden nicht erklärt, die Menschen werden nur unzureichend darüber informiert, welche Ideen und Konzepte die politischen Gruppierungen entwickelt haben. Viele politische Entscheidungen werden kritiklos hingenommen, die Presse gibt regelmäßig ohne jede Einordnung und Nachfrage nur das wieder, was Politik und Verwaltung verlautbaren.

Würden z.B. Probleme wie 200 Mio. Ausgabendefizit im Stadthaushalt 2025/26 adäquat und in angemessener Breite kritisch in der Lokalpresse thematisiert, sähe sich die Politik gegebenenfalls gezwungen die Ursachen mit der notwendigen Dringlichkeit anzugehen. So geht sie davon aus, das Problem würde ohnehin niemanden interessieren, man könne es daher aussitzen. Die Qualität der Politik wird wesentlich durch die mediale Kontrolle bestimmt und durch die Transparenz, die die Presse durch ihre journalistische Arbeit bei politischen Vorgängen schafft. Dieser Aufgabe wird die Lokalpresse in Bochum leider nicht gerecht.

Letztlich ist zu bedenken, dass in Zeiten von Rechtspopulismus und Lügenpresse journalistische Berichterstattung ein wichtiger intervenierender Faktor in der Meinungsbildung ist (Kritischer Journalismus als Korrektiv im gesellschaftlichen Diskurs?). Fällt dieser Faktor wie in Bochum aus und diskreditieren Redaktionen dazu noch ihre Glaubwürdigkeit durch eine selektive Berichterstattung, die eine vielfältige Meinungsbildung verhindert, spielt das den extremen und populistischen politischen Kräften in die Hände und stärkt sie

* Die Fraktion von Bündnis Deutschland ist durch Übertritt aller fünf AfD-Ratsmitglieder zu Bündnis Deutschland entstanden. Die Fraktion FASG („Frieden, Arbeit, soziale Gerechtigkeit“) wurde von drei Ratsmitgliedern der Linken gegründet, die bei den Linken ausgetreten sind.

29 Mai

Amtsblatt für Bochum – Immer die neuesten Stadtinfos frisch auf den Tisch

In Bochum wissen die Menschen oft viel zu wenig darüber, was in der Stadt und der Stadtpolitik passiert. Nur noch die WAZ berichtet umfänglich und täglich. Andere Städte informieren die Bürger*innen mit ihrem Amtsblatt über das Stadtgeschehen aller zwei Wochen. Diesem Beispiel könnte die Stadt Bochum folgen.

Anders als dem Dänen Marcellus schwant den Bochumern nichts Übles. Dabei ist auch in ihrer Stadt „etwas faul“. Erfreulicherweise ist die kommunale Bühne für verschwörende Theoretiker, die theoretische Verschwörer sehen, zu volkstümlich, in Bochum zu klein. Am Ende bietet die ordentlich gelegte Frisur von Thomas Eiskirch im Vergleich zu Trumps Tolle und Putins Pläte zu wenig Projektionsfläche. Glück gehabt.

Aber trotz dieser fehlenden Nebelkerzen, die jede sachliche bundespolitische Diskussion freudlos ersticken, führt die Bochumer Stadtgesellschaft kaum klare Debatten über die Entscheidungen, die ihre Repräsentanten im Rat zu treffen haben. Einige Fraktionsvorsitzende sind den Bochumer Bürgern wahrscheinlich so bekannt wie Dubravka Šuica. Wer das ist? Die europäische Kommissarin für „neuen Schwung für die Europäische Demokratie“. Ich musste auch googeln.

Unserem Bochum, ein Dorf, das an der Hand der klobigen industriellen Konzerne zur Stadt gewachsen ist, fehlt eine fein geölte Bürgergesellschaft, der seit hunderten Jahren gewiss ist, dass sie ihre Geschicke selbst steuern muss. Diese Bürgergesellschaft kann sich nur vor dem Hintergrund einer dauerhaften informationellen Kulisse empor entwickeln. Da die einzig verbliebene Tageszeitung, die von der Mehrheit der Bochumer gar nicht abonniert ist und gelesen wird, dafür nicht ausreicht, ist die Politik gefordert.

In Zeiten der Mosaike aus Blogs, Tweets und Insta-Posts lohnt auch mal ein Blick aufs Analoge: Gerade das staubige Amtsblatt, das in Bochum bislang nur der kaum gehörten Verkündung von Satzungen und Ausschreibungen dient, könnte dem Bürgergedanken neues Leben einhauchen. Entblättern sich monatlich frei Haus redaktionell und interessant aufbereitet die Vorhaben der Verwaltung, die Debatten des Rates und Informationen der Fraktionen über ihre politische Arbeit, wird eine Grundlage für Beteiligung und Teilhabe geschaffen. In anderen Städte, z.B. Freiburg gibt es ein solches Amtsblatt schon seit Jahrzehnten (Amtsblatt Freiburg https://www.freiburg.de/pb/281247.html). In den meisten Haushalten freuen sich die Menschen seit über 30 Jahren und 816 Ausgaben, aller zwei Wochen kostenfrei mit den neuesten Stadtnachrichten und -veranstaltungen auf 10 Zeitungsseiten versorgt zu werden. Der Druck finanziert sich über einen kleinen Teil Werbung auf der letzten Seite des Blattes.

Praktischerweise hegen bestehende Gesetze und Rechtsprechung ein redaktionelles Amtsblatt in Neutralität und Inhalt ein, ohne dass die Lokalpolitik hier kompliziert eigenes Recht schaffen muss. So darf das Amtsblatt nur über Veranstaltungen, Vorhaben und Debatten aus den Sphären des Rates und der Verwaltung informieren. Allgemeine journalistische Berichterstattung über Neuigkeiten in der Stadt, z.B. über die Spieltage des VfL Bochums oder den Handtaschendiebstahl am Bahnhof, obliegen den journalistischen Medien – Also de facto der WAZ, da Radio Bochum sich in den „Hits der 80er und 90er“ erschöpft. Ebenso bleiben die spitzen Kommentare den Bochumer Redakteuren vorbehalten. Auch die Recherche und Unterfütterung politischer Debatten mit z.B. Zitaten von Seiten der IHK bleiben Metier der Tageszeitung. WAZ, Social Media und Amtsblatt würden sich mit ihrer unterschiedlichen Ausrichtungen ergänzen.

Natürlich müsste das Amtsblatt aus 100% recycelten Altpapier bestehen und zertifiziert klimaneutral hergestellt werden. Ebenso sollte eine barrierefreie digitale Version verfügbar sein. Wer möchte sollte zudem die Papierversion abbestellen und dafür die digitale Version abonnieren können. Und ja, es werden sich dagegen Bedenken, Widerstände und Zaudern formieren… Dornige Chancen nannte dies mal jemand.

22 Nov.

Gesucht: Podcast & Blog zur Bochumer Stadtpolitik

Der Bochumer Stadtrat hat beschlossen, dass Ratssitzungen zukünftig ins Internet übertragen werden sollen. Rats-TV kann aber nur der erste Schritt sein, die Bochumer besser über die Stadtpolitik zu informieren, ein weiterer könnte die Schaffung eines unabhängigen Stadtkanals sein, der sich journalistisch mit den wichtigen Themen der Stadt beschäftigt.

Über 8 Jahre hat es gedauert, bis die Politik jetzt einhellig für eine Übertragung der Ratssitzungen gestimmt hat.

Rats-TV, eine langjährige Forderung von FDP, STADTGESTALTERn und Linken, wird endlich umgesetzt

In der letzten Wahlperiode noch hatten sich SPD, CDU, sowie große Teile der Grüne gegen eine Online-Übertragung von Ratssitzungen ausgesprochen. Die entsprechenden Anträge von, FDP, STADTGESTALTERn, Linken und Piratenpartei waren immer wieder gescheitert. Am Ende der Wahlperiode hatte bereits die CDU ihren Widerstand aufgegeben. So scheiterte der letzte Antrag in der alten Ratsperiode nur knapp an SPD, Teilen der Grünen sowie der UWG.

Gleich in der ersten Ratssitzung der neuen Wahlperiode stimmte der Rat einstimmig dafür, dass die Verwaltung bereits für die Dezembersitzung ein Konzept vorlegt, wie die Übertragung in der Geschäftsordnung des Rates verankert werden kann und die Übertragung technisch umgesetzt werden soll. Linke, Die PARTEI und die STADTGESTALTER hatten in der Ratssitzung mit einem eigenen Antrag erneut Druck gemacht. Letztlich wurde das Rats-TV mit einem gemeinsamen Antrag  fast aller Fraktionen und Gruppen des Rates auf den Weg gebracht.

Informationen über die Stadtpolitik sind auch mit Rats-TV noch schwer zu bekommen

Doch reicht Rat-TV, um den Einwohner der Stadt die Politik des Rates näher zu bringen? Das ist leider nicht der Fall. Die Berichterstattung in den Bochumer Medien ist weiterhin zu dünn. Eigentlich berichtet nur die WAZ-Bochum kontinuierlich über die Ratspolitik. Doch auch die ist personell regelmäßig nicht in der Lage die Ratssitzungen in voller Länge zu verfolgen, zu Ausschusssitzungen kommen nur sporadisch Pressevertreter, entsprechend werden viele Themen gar nicht oder nur oberflächlich behandelt. Investigative Beiträge bleiben die Ausnahme. Die Berichterstattung von Radio Bochum über die Lokalpolitik beschränkt sich auf eine überblicksartige Darstellung der wichtigsten Themen. Eine Berichterstattung, die aufzeigt, welche politische Gruppierung bei welchem Thema warum, welche Position vertritt, findet regelmäßig nicht statt. Unabhängige Blogs oder Podcasts, die regelmäßig aus den Ratssitzungen berichten, gibt es bisher leider nicht. Lediglich der Pottblog von Jens Matheuszik, gleichzeitig Vorsitzender der SPD Bochum-Ehrenfeld, berichtet regelmäßig live via Twitter und in seinem Blog über die Ratssitzungen.

Sich schnell und einfach über das zu informieren, was in der Politik läuft und wie in der Politik diskutiert wird, ist den Einwohnern von Bochum und Wattenscheid also trotz Rats-TV weiterhin kaum möglich. Auch fehlt weiter eine regelmäßigen Berichterstattung aus den Bezirksvertretungen und den Ausschüssen des Rates. Eine intensive Beschäftigung mit der Bochumer Lokalpolitik bleibt Menschen vorbehalten, die viel Zeit dafür investieren können und bereits über ein umfassendes Wissen verfügen, wo sie welche Informationen finden können. Im Ergebnis erklärt sich so, warum viele Menschen über die Lokalpolitik relativ wenig informiert sind und zum Beispiel erst mitbekommen, dass ein neues Baugebiet in ihrer Nachbarschaft entsteht, bei dem umfangreiche Fällungen von Bäumen geplant sind, wenn die Bagger anrollen.

In Bochum fehlt ein unabhängiges Medium, das umfassend über die Stadtpolitik berichtet

Es fehlen in Bochum also unabhängige Medien, die mit journalistischem Sachverstand kontinuierlich über die stadtpolitischen Themen und Diskussionen berichten. Dem steht entgegen, dass Menschen mit den notwendigen journalistischen Qualifikationen um solche Medien zu bespielen, das nicht ehrenamtlich tun können, sondern ordentlich bezahlt werden müssen, auf der anderen Seite aber viele Menschen nicht bereit sind für gute Berichterstattung Geld zu bezahlen.

Eine Finanzierung durch Nutzer und Werbung wird also ein solches unabhängiges politisches Stadtmedium nicht tragen können. Alternativ denkbar wäre eine Finanzierung über eine Stiftung, die sich eine unabhängige Berichterstattung mit journalistischem Anspruch zum Ziel setzt. Für diese Stiftung müssten wiederum potente Geldgeber aus der Stadtgesellschaft gewonnen werden, die bereit sind, das genannte Ziel finanziell zu unterstützen, ohne selbst Einfluss auf die Berichterstattung nehmen zu wollen. Auch die Stadt selbst sollte ein Interesse haben eine solche Stiftung finanziell zu unterstützen.

Im Idealfall kann auf diese Weise ein Onlinekanal zur Stadtpolitik geschaffen werden, über den mittels Blogberichten und Podcasts direkt von Ratssitzungen berichtet wird und Reportagen zu wichtigen stadtpolitischen Ereignissen und Themen aufgerufen werden können. Ebenso kann solch ein Kanal eine Plattform für Interviews mit an staatspolitischen Entscheidungen beteiligten oder davon betroffenen Akteuren sein. Auch für Kommentare zu kontroversen Themen, die die Menschen in der Stadt bewegen, sollte der Kanal Raum geben. Dazu sind auch unterhaltende Formate, wie satirische Beiträge oder eine “Late-Night-Show”, die sich mit Stadt und Stadtgesellschaft beschäftigt, denkbar.

Für einen stadtpolitischen Kanal ist Unterstützung aus der Stadtgesellschaft nötig 

Letztlich ist für die Umsetzung eines solchen Projekts die Stadtgesellschaft gefragt. Wie gut sollen die Einwohner Stadt über die Themen der Stadtpolitik informiert sein? Was ist der Stadtgesellschaft eine unabhängige und umfassende Berichterstattung über die Stadtpolitik wert? Gibt es in der Stadtgesellschaft Akteure, die sich vorstellen können ein solches Projekt finanziell zu tragen? Woran es voraussichtlich nicht mangelt, sind engagierte Bochumer mit journalistischem Background, die bereit wären die Inhalte für den Kanal zu produzieren.

28 Sep.

Wie funktioniert die Bochumer Stadtpolitik?

Am 13.09.2020 wurde in Bochum ein neuer Stadtrat gewählt, der Oberbürgermeister und die Bezirksvertretungen. Was macht wer, wie läuft Stadtpolitik ab und wie können sich die Bürger beteiligen?

Der Oberbürgermeister – ist und bleibt Thomas Eiskirch (SPD). Er ist Chef der Verwaltung und leitet die Ratssitzungen. Somit ist er ebenfalls Mitglied des Stadtrates. Er führt die laufenden Geschäfte der Verwaltung. Er bzw. die Verwaltung können in Angelegenheiten von bis zu 60.000 Euro* selbst entscheiden.

Die Verwaltung – Sie setzt die Beschlüsse des Stadtrates um und führt die Vorgaben des Oberbürgermeisters wie des Verwaltungsvorstandes aus. Dazu legt die Verwaltung dem Stadtrat und den Bezirksvertretungen Beschlussvorschläge vor, über die dann Rat und Bezirksvertretungen entscheiden.

Der Verwaltungsvorstand – Die Verwaltung teilt sich in sechs Dezernate auf. Fünf Dezernaten steht ein Beigeordneter/Dezernent vor, dem ersten Dezernat der Oberbürgermeister (Derzenatsverteilungsplan):
I – Gesamtstädtische Steuerung, Wirtschaftsentwicklung und Diversity: Thomas Eiskirch
II – Finanzen, Beteiligungen und Bürgerservice: Dr. Eva Maria Hubbert (Stadtkämmerin)
III – Personal, Recht und Ordnung: Sebastian Kopietz (Stadtdirektor)
IV – Bildung, Kultur und Sport: Dietmar Dieckmann
V – Jugend, Soziales und Gesundheit: Britta Anger 
VI – Bauen, Umwelt und Mobilität: Dr. Markus Bradtke (Stadtbaurat)

Die Dezernent*innen, der Oberbürgermeister und der Geschäftsführer der Bochumer Wirschaftsentwicklung, Ralf Meyer bilden den Verwaltungsvorstand. Im Verwaltungsvorstand entscheidet bei Meinungsverschiedenheiten der Oberbürgermeister. Die Dezernent*innen werden vom Stadtrat für 8 Jahre gewählt.

Der Stadtdirektor ist der Vertreter des Oberbürgermeisters in der Verwaltung.

Stadtrat – Der Rat der Stadt hat in der neuen Wahlperiode 86 Mitglieder plus Oberbürgermeister und entscheidet über die wichtigen Angelegenheit der Stadt, insbesondere über den städtischen Haushalt (Finanzvolumen: rd. 1,5 Mrd. Euro).

Zudem kontrolliert der Rat die Verwaltung sowie die städtischen Unternehmen und Einrichtungen. Zu diesem Zweck besitzen die Ratsmitglieder umfassende Akteneinsichtsrechte.

Die Verteilung der Sitze im Rat nach politischen Gruppierungen sieht in der neuen Wahlperiode 2020 bis 2025 wie folgt aus:

Sitzverteilung Bochumer Stadtrat, Wahlperiode 2020-2025

SPD und Grüne besetzen mehr als 50% der Sitze (49 von 87) und können daher in allen Angelegenheiten ohne die Stimmen der anderen politischen Gruppierungen entscheiden. In der Regel bilden sie dazu eine Koalition.

Alle politischen Gruppierungen, die nicht Teil der Koalition sind, befinden sich in der Opposition.

Ratssitzungen – Der Stadtrat entscheidet in den Ratssitzungen über die Angelegenheiten, die ihm die Verwaltung bzw. der Oberbürgermeister zur Entscheidung vorlegen. Dazu stellen Mitglieder des Rats, Gruppierungen oder Fraktionen Anträge mit eigenen Vorschlägen und Ideen zur Abstimmung.

Die Mitglieder des Rates können zudem der Verwaltung wie den städtischen Einrichtungen und Unternehmen Fragen stellen, die diese innerhalb von maximal 2 Monaten beantworten müssen.

Der Rat tagt zumeist acht bis zehn Mal im Jahr.  Ratssitzungen dauern in der Regel drei bis vier Stunden, teilweise aber auch bis zu sechs Stunden.

Ausschüsse des Rates – Der Rat bildet Ausschüsse und Beiräte, denen die Entscheidung in kleineren Angelegenheiten übertragen werden und die in größeren Angelegenheiten diese für die abschließende Entscheidung im Rat vor beraten.

In der Wahlperiode 2014 bis 2020 gab es folgende Ausschüsse und Beiräte (Gremien des Rates):

  • Arbeit, Gesundheit und Soziales
  • Beteiligungen und Controlling
  • Infrastruktur und Mobilität
  • Kinder, Jugend und Familie
  • Kultur
  • Planung und Grundstücke
  • Schule und Bildung
  • Sport und Freizeit
  • Strukturentwicklung
  • Umwelt, Sicherheit und Ordnung
  • Betriebsausschuss für die Eigenbetriebe
  • Haupt- und Finanzausschuss
  • Frauenbeirat
  • Integrationsrat
  • Seniorenbeirat

Die Ausschüsse werden entsprechend der Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat besetzt. Die politischen Gruppierungen schlagen dafür Ratsmitglieder und Sachkundige Bürger vor. Jede Fraktion des Stadtrates ist in jedem Ausschuss mit mindestens einem Sitz vertreten.

Bezirksvertretungen – Die Bezirksvertretungen der sechs Bochumer Stadtbezirke (Mitte, Wattenscheid, Nord, Ost, Südwest und Süd) haben 19 Sitze, sie entscheiden über die bezirklichen Angelegenheiten oder beraten Angelegenheiten, die den jeweiligen Stadtbezirk betreffen, in denen aber der Stadtrat abschließend entscheidet, vor.

Die Bezirksvertretungen verfügen entsprechend ihrer Einwohnerzahl über ein geringes eigenes Budget von bis zu 1 Mio. Euro über deren Ausgabe sie selbst entscheiden können.

Öffentlichkeit und Berichterstattung – Die Sitzungen des Rates, der Ausschüsse und der Bezirksvertretungen sind öffentlich. Nur wenige Angelegenheiten werden, wenn es das Gesetz nicht anders zulässt, nicht-öffentlich behandelt.

Eine begrenzte Anzahl von Zuschauern kann die Sitzungen vor Ort verfolgen. Ratssitzungen des Bochumer Stadtrates werden bisher nicht im Internet übertragen.

Die Berichterstattung über die Stadtpolitik wie die Presselandschaft in Bochum ist übersichtlich. Im Wesentlichen und detaillierter berichtet die WAZ-Bochum. Manche Themen werden überblicksartig bei Radio Bochum behandelt. Über wenige wichtige Themen berichtet die Lokalzeit Ruhr (WDR). Eine umfassende, tiefgehende Information über die Arbeit der stadtpolitischen Gremien durch die Pressemedien ist damit nicht möglich. So verfolgt auch die WAZ-Bochum die Ratssitzungen regelmäßig nur bis zur ersten Pause.

Ratsmitglieder und Bezirksvertreter*innen – Die in den stadtpolitischen Gremien tätigen Einwohner Bochums und Wattenscheid üben ihre Tätigkeit mit Ausnahme des Oberbürgermeisters ehrenamtlich aus.

Die Aufwandsentschädigung eines Ratsmitgliedes beträgt rd. 400 Euro pro Monat. Dazu kommen etwas über 20 Euro Entschädigung pro Sitzung (Entschädigungsverordnung

Kontrolle der städtischen Unternehmen und Einrichtungen – Die Stadt Bochum ist (Mit-)Eigentümer an diversen Unternehmen und Einrichtungen (Beteiligungsbericht 2017), die wichtige Aufgaben der städtischen Daseinsvorsorge übernehmen. Dazu zählen insbesondere Stadtwerke, Sparkasse, VBW Bauen und Wohnen, Bogestra, USB, Wirtschaftsförderung und AÖR Schauspielhaus.

Wichtige Entscheidungen dieser Institutionen sind von den Aufsichtsgremien zu billigen. Zu diesem Zweck werden Mitglieder des Stadtrates vom Rat in die Aufsichtsräte der Unternehmen und Einrichtungen gewählt.

Besonders wichtige Entscheidungen müssen zudem von einer Mehrheit des Rates gebilligt werden, darunter die Jahresabschlüsse und Wirtschaftspläne.

Wie können sich die Bürger an der Stadtpolitik beteiligen?

Bürgeranregung – Jeder Bürger kann beim Stadtrat oder den Bezirksvertretungen eine Anregungen einreichen. Dazu muss die Anregung oder Beschwerde aufgeschrieben und an Rat oder Bezirksvertretung gesendet werden. Dann verfasst die Verwaltung dazu eine Stellungnahme und der Rat, der zuständige Ausschuss des Stadtrates oder die zuständige Bezirksvertretung entscheiden darüber, ob die Anregungen beschlossen wird. § 24 GO-NRW 

Bürgerbegehren – Um eine Frage statt durch den Stadtrat durch die Bürger direkt entscheiden zu lassen, müssen zuvor rd. 12.000 Bochumer Bürger*innen dafür unterschreiben, dass diese Frage den Bürgern zur Abstimmung vorgelegt wird.

Auf diese Weise können auch Entscheidung des Rates aufgehoben und durch einen Bürgerentscheid ersetzt werden. § 26 GO-NRW  

An Mitglieder des Stadtrats oder der Bezirksvertretungen wenden – Besteht ein Anliegen, können sich die Betroffenen auch direkt an die Mitglieder des Stadtrates oder der Bezirksvertretungen wenden. Die helfen in der Regel gerne selbst weiter oder vermitteln einen Kontakt zu den zuständigen Mitarbeitern der Verwaltung.

Informationsanfrage nach IFG NRW – Jeder Bochumer und Wattenscheider kann bei öffentlichen Stellen vorhandene Informationen erfragen. Die angefragten Informationen müssen ihm nach den Regeln des Informationsfreiheitsgesetzes NRW innerhalb eines Monats zugänglich gemacht werden.

Bürgerinitiative – Um in einer bestimmten Angelegenheit der Sichtweise der betroffenen Einwohner Gehör zu verschaffen, bietet sich die Gründung einer Bürgerinitiative an.

Mitglied einer politischen Gruppierung werden – Will man selbst die Politik in der Stadt mitgestalten, kann man dazu Mitglied einer Partei und Wählergemeinschaft werden und seine Meinungen, Ideen und Vorschläge dort direkt einbringen.

Die vorangegangene Darstellung gibt einen groben Überblick über die Stadtpolitik. Auf die Darstellung von tiefergehenden Einzelheiten und Ausnahmen wurde zu Gunsten einer besseren Verständlichkeit bewusst verzichtet.

Die STADTGESTALTER

* 30.000 Euro bei bezirklichen Angelegenheiten