14 Jan

Der letzte, der für die Stadtautobahn (NS 7) seine Wohnung verliert

Die letzten vier Wohnhäuser des Heusnerviertels, das für die Stadtautobahn (heute A448) weichen musste, sollen endlich abgerissen werden. Dem letzten Bewohner wurde von der Stadt jetzt die Zwangsräumung angekündigt. Der Endpunkt einer unrühmlichen Geschichte, von der Vernichtung von Wohnraum zugunsten einer innerstädtischen Autobahn.

Schon vor dem zweiten Weltkrieg gab es in Bochum die Idee einer Umgehungsstraße. Kaum waren die Trümmer aufgeräumt und die Schäden des zweiten Weltkriegs notdürftig beseitigt, verfolgte die Stadt den Plan weiter und beschloss schließlich den Bau einer Stadtautobahn, der heutigen A448 nebst Sheffield-Ring, damals noch NS 7 genannt (Bochumer Ring).

Die Geschichte von Stadtautobahn und Heusnerviertel

Die Idee der neuen Straße war, den Süden der Stadt besser für den Autoverkehr zu erschließen und die anliegenden Industriebetriebe für LKW besser erreichbar zu machen. Entsprechend wurde die Strecke so durch das Stadtgebiet geführt, dass für den Bau nicht etwa Gewerbegebiete weichen sollten, sondern Wohngebiete. Ursprünglich sollte die NS 7 sowohl durch Bärendorf wie das Heusnerviertel führen. Nach Protesten der Anwohner*innen konnte durch den Bau des Tunnels Rombacher Hütte zumindest der Bau der Trasse durch Bärendorf verhindert werden.

Heusnerviertel – bis 1986 vs. heute

Eine Führung der Stadtautobahn unterhalb des Heusnerviertels auf der “Westtangente” vom Tunnel Rombacher Hütte bis zur A40 kamen aufgrund der Topografie und der zusätzlichen Kosten jedoch nicht in Frage. Das Heusnerviertel konnte nicht gerettet werden. 150 Wohnungen in 40 Gebäuden wurden nach erbittertem Widerstand und einer der größten Hausbesetzungen, die Deutschland je erlebt hatte, abgerissen  (Das Heusnerviertel – Okkupation, Räumung und Abrisse im März 1986).

Um die Häuser abreißen zu können, verfolgte die Stadt, die immer gleiche Strategie, die Immobilien aufkaufen, verkommen lassen, hoffen, dass die Mieter*innen von sich aus ausziehen und dann die entmieteten Gebäude dem Erdboden gleich machen.

Als die Wohnungsnot besonders unter Studierenden neue Höhepunkte erreichte, entschloss sich die Stadt Studierende bis zum Abriss in bereits leer gezogenen Wohnungen im Heusnerviertel unterzubringen. Die Studierenden renovierten die Wohnungen und wollten nicht mehr weg, die noch übrig gebliebenen alten Bewohner*innen solidarisierten sich (Tanz auf dem Vulkan (1987)) und zum ersten Mal wurde in Bochum die Frage gestellt, was wichtiger sei, Wohnraum zu erhalten bzw. zu schaffen oder der Bau einer Stadtautobahn.

Die Stadt hielt unbeirrt sowohl an Stadtautobahn wie Trassenführung fest, Vorschläge die Führung der Straßentrasse zu ändern und das Heusnerviertel zu umgehen wurden abgelehnt, das Heusnerviertel wurde im November 1986 geräumt, abgerissen und die Stadtautobahn gebaut. Nur die Thealozzi-Schule als Kulturzentrum und vier Häuser an der Kohlenstraße blieben zunächst erhalten.

Kohlenstraße 135-145 – Die bewusste Schaffung von Schrottimmobilien

An der Kohlenstraße 135-145 verfolgte die Stadt ihr Vorgehen weiter, man ließ die Gebäude weiter verkommen und hoffte, dass auch hier die letzten Mieter*innen ausziehen. Doch die Stadt hatte die Rechnung ohne Klaus Schmitt gemacht, der Zeit seines Lebens in den Häusern wohnt und alle Hebel in Bewegung setzt, nicht ausziehen zu müssen (WAZ vom 01.12.23). Die Stadt will das Problem jetzt mit staatlicher Gewalt lösen und schickte Schmitt den Räumungsbefehl. Die Gebäude, mittlerweile als Schrottimmobilien zu bezeichnen, sollen einem “Gewerbegebet” weichen.

Kohlenstraße 135 -145 – Lage (Foto: Google Maps)

Die Westtangente – eine Fehlplanung

Im Ergebnis stellte sich mindestens die Trassenführung der Westtangente als Fehlplanung heraus. Aufgrund des fehlenden Anschlusses der Stadtautobahn an die Essener Straße erhöhte sich der Verkehr auf der Kohlenstraße erheblich, die Industriebetriebe legten ihren Gleisanschluss still und verlagerten die Anlieferung und Abholung auf die Straße. Wohngebiete an der Stadtautobahn verzeichneten deutliche Wertminderungen. 150 Wohnungen wurden dem Wohnungsmarkt entzogen. Um den fehlenden Anschluss an die Essener Straße zu schaffen und die Kohlenstraße im Süden von Goldhamme in Stahlhausen zu entlasten, soll nun auch noch die angrenzende Kleingartenanlage einer Autobahnzufahrt weichen. Der Kreisverkehr, an dem Kohlen-, Heusner- sowie Erzstraße und Obere Stahlindustrie zusammen kommen, ist ein Unfallschwerpunkt.

Dazu zeigt dieses Beispiel Wohnraum in öffentlicher Hand ist keine Alternative zu der in privater Hand. Denn die Stadt und kein privater Investor war es, die den Wohnraum abriss, die Gebäude verkommen ließ, Schrottimmobilien schuf und die Gebäude entmietete. Die Stadt baute eine Stadtautobahn und damit eine Schneise durch die Stadt, an der Menschen aufgrund Lärm- und Feinstaubbelastung im Abstand von 300 Metern besser nicht wohnen sollten.

Wohngebäude an der Kohlenstraße haben keine Zukunft

Die durch die Stadtautobahn geschaffene Situation wird jetzt auch den verbliebenen Häusern an der Kohlenstraße zum Verhängnis. So nah an der Autobahn, wie die Häuser stehen, sollte niemand wohnen. In einer Zone 40 Meter links und recht von Autobahnen (Anbauverbotszone) ist der Neubau von Wohnhäusern verboten. Bestehende Wohnhäuser in dieser Zone dürfen weder an- noch substanziell umgebaut werden. In einem Abstand bis zu 100 Metern zu einer Autobahn bedarf jede bauliche Veränderung der Zustimmung durch die Straßenbaubehörden. Das Gebäude Kohlenstraße 135 liegt in der direkten Anbauverbotszone, weniger als 40 Meter vom Rand der A448 entfernt, die Gebäude 137 bis 145 nur wenige Meter außerhalb, aber noch in der 100-Meter-Zone.

Die nötige Kernsanierung und Modernisierung der Gebäude ohne substanziellen Um- und Anbau dürfte nur sehr schwer möglich sein. Mit dem Bau der Stadtautobahn hat die Stadt das Wohnen und Wohnhäuser an dieser Stelle in der Stadt eigentlich unmöglich gemacht. Der Wunsch hier Wohnraum zu erhalten bzw. neu zu schaffen ist verständlich, die Rahmenbedingungen aber denkbar schlecht.

Zwangsräumung einstellen

Klaus Schmitt wird voraussichtlich der letzte sein, der durch die unrühmliche Politik von Stadt und der SPD, die den Bau der Westtangente und die damit verbundene Entmietung gegen alle Widerstände unbeirrt vorangetrieben haben, seine Wohnung verliert, in der er seit über 73 Jahren wohnt. Die Stadt mag aus rein juristischer Sicht das Recht haben, Klaus Schmitt zwangs zu räumen, moralisch höchst fragwürdig bleibt das Vorgehen, mit dem die Stadt versucht hat, ihn zum Auszug zu bewegen.

Die Häuser an der Kohlenstraße, werden als Wohngebäude so nah an der Autobahn realistisch leider langfristige keine Zukunft haben. Eine Notwendigkeit den Abriss der vier Häuser an der Kohlenstraße zu forcieren, besteht allerdings auch nicht. Stadt und SPD sollten zu ihren Fehlern stehen, die selbst geschaffene Situation hinnehmen und die Bemühungen zur Zwangsräumung einstellen.

09 Apr

Geplanter Ausbau A40: Teuer und schädlich für Stadt und Bewohner*innen

Ab Westkreuz soll die A40 über 8,5 km Richtung Dortmund auf 6 Fahrspuren ausgebaut werden. Aktuell werden die Kosten auf 360 Mio. Euro geschätzt. Ein Nutzen für die Stadt ist nicht erkennbar, die zusätzlichen Belastungen für Anwohner*innen und Stadt dagegen wären hoch. Fast 20% des Stadtgebietes sind zum Wohnen aufgrund der Autobahnen ungeeignet.

Von Duisburg aus ist die A40 bereits bis zum Westkreuz auf 6 Fahrspuren ausgebaut. Jetzt will der Bundesverkehrsminister die A40 bis zum Kreuz Bochum um weitere 8,5 km ausbauen. Ist das sinnvoll? Was bedeutet der Ausbau für die Stadt, besonders für die Menschen, die in der Nähe der A40 wohnen?

Ausbau hat keinen Nutzen

Sobald die A448 vom Westkreuz bis zu A43 fertig gestellt ist, kann man vom Westkreuz südlich um das Zentrum zur A43 und weiter zur A45 fahren wie auch nördlich über die A40. Der Verkehr wird sich also  auf A40 und A448 aufteilen. Insgesamt stehen dann ab Westkreuz acht Spuren zur Verfügung. Welchen Nutzen zwei weitere Fahrspuren haben sollen, ist nicht erkennbar.

Allerdings führt jeder Ausbau einer Autobahn zu mehr Autoverkehr und damit mehr Verkehrsbelastungen. Verkehr funktioniert nachfrageinduziert (Das Prinzip induzierter Nachfrage). Ein Ausbau von Straßen führt dazu, dass mehr Menschen längere Strecken zur Arbeit pendeln, vermehrt weiter entfernt einkaufen und Unternehmen Dinge in größerer Zahl von weiter entfernten Orten beziehen. Der Verkehr nimmt zu, so lange bis die Straßen wieder überlastet sind, und der Verkehr durch zunehmend auftretende Staus erneut zum Erliegen kommt. Das Anfügen weiterer Fahrspuren lässt Staus nur für eine kurze Zeit verschwinden, nur so lange bis auf mehr Fahrspuren der Verkehr soweit zugenommen hat, dass die Kapazitätsgrenze der Straße wiederum überschritten wird und der Verkehr wieder im Stau stecken bleibt. Selbst ein Ausbau auf 40 Fahrspuren wie sie etwa in Houston, Texas vorzufinden sind, lösen das Stauproblem nicht. In keiner Stadt wurden jemals Stauprobleme durch den Zubau von Fahrspuren gelöst. Immer nur nahm der Verkehr zu und damit die Verkehrsbelastungen.

Große Belastungen durch Autobahnen

In Bochum und dem Ruhrgebiet führen die Autobahnen direkt durch dicht besiedelte Stadtgebiete. In unmittelbarer Nähe zu den Autobahnen wohnen tausende Menschen, deren Lebensqualität auf vielfältige Weise massiv durch den Autobahnverkehr beeinträchtigt wird.

Lärm – An Autobahnen liegt der Lärmpegel ohne Lärmschutzmaßnahmen regelmäßig bei über 80 dB(A). In Wohngebieten liegen die Lärmgrenzwerte in Deutschland tagsüber bei 59 db(A) und nachts bei 49 dB(A). Die WHO empfiehlt Grenzwerte von 53 db(A) tags und 45 dB(A) nachts, da oberhalb dieser Grenzen, der Lärm für die Menschen gesundheitsschädlich sei (Fast die Hälfte der Menschen in Bochum ist gesundheitsschädlichem Lärm ausgesetzt).

Selbst um die in Deutschland zu hoch angesetzten Lärmgrenzwerte einzuhalten bedarf es an Autobahnen hoher Lärmschutzwände, Lärmschutzfenster usw.. Zig Meter hohe Lärmschutzwände und die Unmöglichkeit die Fenster öffnen zu können, wirken sich jedoch negativ auf die Lebensqualität der betroffenen Hausbewohner*innen aus.

Anbauverbot – In 40 Meter breiten, so genannten Anbauverbotszonen auf beiden Seiten von Autobahnen, soll grundsätzlich niemand wohnen. Dort ist der Neubau von Wohnhäusern verboten. Bestehende Wohnhäuser in dieser Zone dürfen weder an- noch substanziell umgebaut werden. In einem Abstand bis zu 100 Metern zu einer Autobahn bedarf jede bauliche Veränderung der Zustimmung durch die Straßenbaubehörden. Der Wert von Immobilien in diesem Abstand zu Autobahnen wird daher deutlich gemindert. Wird eine Autobahn um 2 Fahrspuren erweitert, dehnt sich die Anbauverbotszone auf jeder Seite um weitere 3 bis 5 Meter aus. Immobilien die neu in die Zone fallen, werden auf einen Schlag entschädigungslos entwertet. Für die Betroffenen ist das wirtschaftlich ein schwerer Schlag.

Andere Anwohner*innen an Autobahnen werden im Zuge des Ausbaus enteignet, müssen Teile ihrer Grundstücke abgeben oder sich mit einer zig Meter hohen, das Grundstück verunstaltenden, das Haus verschattenden und die Sicht behindernden Lärmschutzwänden in ihrem Garten arrangieren.

Wertminderung – Erhebliche Wertminderungen treffen nicht nur diejenigen, die direkt in der Anbauverbotszone Immobilien besitzen, sondern alle die von Autobahnlärm, Verschattung und Sichtbehinderungen von Lärmschutzwänden und anderen Umweltbeeinträchtigungen betroffen sind.

Luftverschmutzung – Autobahnen beeinträchtigen insbesondere die Luftqualität in der direkten Nähe. insbesondere durch NOx- und Feinstaub-Emissionen. Nach Angaben des Asthma-Fonds sollten zwischen einer Schule und einer Autobahn mindestens 300 Meter liegen. Der gleiche Abstand gilt für Wohngebiete. Menschen, die weniger als 300 Meter von einer Autobahn entfernt wohnen, sind sonst ungeschützt gegen Feinstaub in Autobahnnähe (Lungenärzte im Netz). Für Bochum bedeutet das, Schulen wie an der Feldsieper Straße oder die Heinrich-Böll-Gesamtschule liegen schon heute viel zu nah an der A40.

Barrierewirkung – Autobahnen stellen sich auch mit nur 4 Spuren als an nur wenigen Stellen zu querende Barrieren im Stadtgebiet dar. Wohnquartiere an Autobahnen sind in der Regel von Quartieren auf der anderen Autobahnseite abgeschnitten. Viertel wie Kornharpen liegen isoliert im Stadtgebiet, sie sind aufgrund der umgebenden Autobahnen nur über wenige Straßen zu erreichen. Der soziale Austausch zwischen Nachbarschaften und Vierteln kommt zum Erliegen. Menschen, die das Rad nehmen oder zu Fuß gehen, müssen teilweise große Umwege in Kauf nehmen, weil der direkte Weg durch eine Autobahn versperrt ist. Umso breiter eine Autobahn wird, desto mehr verstärkt sich die Barrierewirkung.

Trading-Down – Aufgrund der schlechten Wohn- und Lebensqualität entwickeln sich Stadtviertel in direkter Nähe zu Autobahnen regelmäßig negativ. Besonders in Wattenscheid und Hamme sind die Trading-Down-Effekte in Autobahnnähe bereits heute unübersehbar.

Mikroklima – Werden A40 und A43 sechsspurig ausgebaut und verbleiben A448 und das Reststück der NS7 (“Sheffieldring”) vierspurig, bedeutet das ohne Berücksichtigung von Auf- und Abfahrten die Asphaltierung einer Fläche von 1,5 Quadratkilometern. Jede asphaltierte Fläche heizt sich im Sommer auf und wird zur Hitzeinsel, die das Mikroklima in der Stadt negativ beeinflusst. Autobahnen stellen nicht nur eine physische, sondern auch eine thermische Zerschneidung dar. Sie erhöhen die auftretenden Maximaltemperaturen sowie die Wasserverdunstung und bedingen zusätzlichen Hitze- und Trocknisstress für die im Stadtraum wachsenden Bäume (Thermische Wirkungen von Autobahnen unter den Bedingungen des Klimawandels).

Flächenverbrauch Autobahnen

Gesamtbetrachtung

Betrachtet man die Belastungen, die von Autobahnen auf das Stadtgebiet und die Stadtbewohner*innen ausgehen, im Gesamten, sollte 300 Meter rechts und links jeder Autobahn niemand wohnen, zur Schule gehen, kleinen Kleingarten haben oder dauerhaft im Freien Sport treiben. Die in Bochum betroffene Fläche ist entsprechend groß: Die Stadt wird von rund 45 Kilometern Autobahn durchquert (inkl. NS7). Das bedeutet aufgrund der Autobahnen sind über 28 Quadratkilometer der Stadtfläche nicht für Wohnzwecke nutzbar, das entspricht fast 20% des gesamten Stadtgebietes. Die Belastungen der Stadt und der Lebensqualität der Einwohner*innen durch die Autobahnen ist also riesig.

Gebiete an Autobahnen, die zum Wohnen ungeeignet sind

Ein weiterer Ausbau der A40, der keinen nennenswerten Nutzen bietet, wird aufgrund der damit verbundenen erheblichen zusätzlichen Belastungen für die Bochumer Stadtbewohner*innen von den STADTGESTALTERn abgelehnt.

Geld besser in den Nahverkehr investieren

Hinzu kommen die enormen Kosten, von aktuell geschätzten 360 Mio. Euro für nur 8,5 km Ausbau. Kommt es zur Realisierung der Ausbaupläne, ist vermutlich mit Kosten von über 500 Mio. zu rechnen. Dieses Geld fehlt insbesondere beim Ausbau des ÖPNV im Ruhrgebiet. In diesem Bereich wäre es viel besser angelegt. Ein massiver Ausbau des ÖPNV im Ruhrgebiet würde dazu führen, dass mehr Menschen Bus und Bahn benutzen statt dem Auto. Dadurch würden die Autobahnen entlastet. Mit einer entsprechenden Investition in den öffentlichen Nahverkehr könnte die Zahl der  Staus auf der A40 wirksam vermindert werden, mit einem durchgehenden Ausbau auf 6 Spuren jedoch nicht.