14 Mai

Gestaltungssatzung absurd: Wenn die Markise nicht mit der Gestaltung der Tanke harmoniert

Nach Jahrzehnten Desinteresse an der optischen Gestaltung der Innenstadt wollte Bochum mit einer Gestaltungssatzung die bauliche Verunstaltung beenden und auf lange Sicht wirksame einheitliche Gestaltungsstandards einführen. Doch das Projekt scheiterte vor Gericht an übertriebener bürokratischer Regelungswut, genauer an der Markise einer Shisha- und Cocktailbar, die nicht mit der Tanke, dem grauen Schotter auf dem Parkplatz und dem trostlosen Innenstadtring harmonierte.

Über Jahrzehnte zeigten sich Stadt und Politik an einer ansprechenden Gestaltung der Bochumer Innenstadt bewusst desinteressiert. Jedes Bauprojekt wurde durchgewunken, egal in welcher Weise es die Innenstadt verschandelte. Anders lässt sich die Verunstaltungen des Stadtbildes mit Bausünden wie Deutsche Bank, Witteler Passage, Dr.-Ruer-Platz, Einkaufszentrum Gerberviertel einschließlich Bebauung Große Beckstraße, Stadtbadgalerie (jetzt Bochumer Fenster) und „Boulevard”, von Jochen Malmsheimer spöttisch als “längs halbierte Schuttrutsche” bezeichnet, nicht erklären. Lange war allen Beteiligten völlig egal, wie es in der Innenstadt aussah. Mit “Woanders ist auch scheiße” wurde jede Kritik an optischen Missständen in der City vom Tisch gewischt.

Gestaltungssatzung, eigentlich eine gute Initiative

Initiiert von einigen maßgeblichen Geschäftsleuten der Innenstadt, sollte diese Gleichgültigkeit gegenüber einer ansprechenden Gestaltung der Innenstadt durch die Einführung einer Gestaltungssatzung beendet werden. Eine gute und lange überfällige Initiative, die bei Stadt, insbesondere dem Stadtbaurat auf fruchtbaren Boden fiel.

Doch die Stadt schüttete das Kind mit dem Bade aus. Statt sich in der Gestaltungssatzung auf die Festlegung wesentlicher Standards für die zukünftige Gestaltung der Stadt zu beschränken, wollte man jede erdenkliche Kleinigkeit regeln. Die Stadt beauftragte für ein sechsstelliges Honorar zunächst ein Dortmunder Architekturbüro ein Handbuch zu verfassen, dass auf 260 Seiten verbindlich festlegte, wie Fassaden, Schaufenster, Außengastronomie und Werbeträger zukünftig auszusehen hätten (Stadtplanung: Ausufernde Konzeptflut sorgt für Zeit- und Geldverschwendung)..Darauf aufbauend erstellte die Verwaltung die eigentliche Gestaltungssatzung, die besonders durch eine übertriebene bürokratische Regelungswut auffällt.

So wird etwa für die “Fassadenfarbigkeit” festgelegt: “
1. Für Putzfassaden sind helle Farben mit einem Weißanteil von mind. 80 %, einem Schwarzanteil von max. 10 % und einem Buntanteil von max.10 % nach dem Natural

Color System (NCS) zu verwenden. Gliedernde oder plastische Fassadenteile können farblich durch Beimischung von Schwarz- oder Weißanteilen abgesetzt werden.

2. Abweichungen von dem unter Nr. 1 festgesetzten NCS-Farbspektrum sind bei Fassaden aus Naturstein, Betonwerkstein oder Ziegel zulässig, wenn rotoranger, rotbrauner, dunkelroter, hellgelber, hellbeiger oder sandfarbener Ziegel bzw. hellgelber, hellbeiger oder sandfarbener Naturstein/Betonwerkstein verwendet wird.

3. Bei Gebäuden der Nachkriegsmoderne sind bauzeitlich vorhandene farbliche Akzentuierungen durch keramische Bekleidungen (z. B. Brüstungsfelder aus Kleinmosaik) ausnahmsweise zulässig.

Der Bochumer Stadtrat stimmte dem Regelungswerk im Vertrauen darauf zu, dass die Verwaltung deren Rechtmäßigkeit hinreichend geprüft hätte. Zwar bereitete die Detailverliebt der Regelungen insbesondere der Fraktion von STADTGESTALTERn und FDP erhebliche Bauchschmerzen, doch war man froh, dass überhaupt endlich was in Sachen Verbesserung der Gestaltung der Innenstadt auf den Weg gebracht werden sollte. Zudem sicherte der Oberbürgermeister zu, die Verwaltung werde die Regelungen großzügig auslegen.

Satzung ist wegen mehreren inhaltlichen Mängeln unwirksam

Beides bewahrheitete sich jedoch nicht. Das Verwaltungsgericht kam zu der Einschätzung, die Gestaltungssatzung sei aufgrund gleich mehrerer inhaltlicher Mängel unwirksam. Insbesondere bemängelt das Gericht:
1. Die Satzung müsse jedem Adressaten klar zu erkennen geben, was von ihm gefordert werde. Dass sei bei der Bochumer Gestaltungssatzung nicht der Fall.

2. Die Satzung lege für den gesamten Innenstadtbereich (Bebauung entlang des Rings und innerhalb des Rings: Geltungsbereich Gestaltungssatzung) wahllos die gleichen Gestaltungsregeln fest und missachte damit die örtlichen Besonderheiten und die teilweise massive Heterogenität der unterschiedlichen Stadtbereiche (ehemalige Altstadt, Kortländer Kiez,, Einkaufszonen usw.), aus denen sich die Innenstadt zusammen setze.

3. Eine angemessene Abwägung zwischen den privaten Interessen der von der Gestaltungsatzung Betroffenen und dem öffentlichen Interesse, das die Gestaltungssatzungsatzung verfolgt, sei nicht erfolgt.

4. Den Gestaltungsregeln der Gestaltungsatzung fehle ein Anknüpfungspunkt an örtliche Gegebenheiten. Eine Rechtfertigung, warum bestimmte bauliche Anlagen kategorisch an allen Orten im Bereich der Gestaltungssatzung kategorisch unzulässig sein sollen, sei nicht erkennbar..

Eine sorgfältige Prüfung der Gestaltungssatzung im Hinblick auf die geltende Rechtsprechung insbesondere der deutschen Oberverwaltungsgerichte, dürfte nicht erfolgt sein (Woran muss der Satzungsgeber am Anfang denken?), anders lässt sich nicht erklären, warum die Satzung gleich in mehrfacher Hinsicht den von den Verwaltungsgerichten aufgestellten Grundsätzen zur Aufstellung von Gestaltungssatzungen nicht entspricht.

Eine Markise, die nicht mit der Tanke harmoniert

Auch zu der vom Oberbürgermeister avisierten großzügigen Umsetzung der Satzung kam es nicht, wie der geradezu groteske Fall zeigt, an dem letztlich die Gestaltungssatzung vor Gericht scheiterte (WAZ vom 13.04.23).

Gestaltungssatzung verbietet Ersatz durch Markise

Ausgerechnet da, wo die Bochumer Innenstadt am schönsten ist, dort wo die Schillerstraße vom Bergbaumuseum kommend nach Unterquerung der Bahnlinie auf den Nordring stößt, setzte die Verwaltung alles daran einer Shisha- und Cocktailbar den Bau einer Markisenanlage zu versagen. Die städtischen Bürokraten ließen nichts unversucht dieses Kleinod Bochumer Stadtplanung, das sich bereits in der famosen Kurvenführung, des mit zartem Begleitgrün wohltariert ausgestalteten vierspurigen Rings zeigt, vor der Verunstaltung durch die Überdachung einer 12 Meter von der Straße entfernten Außenterrasse mit einer Pergola-Markise zu retten. Die geplante 100 qm große Überdachung der Außenterrasse hätte so überhaupt nicht zu dem von zahllosen stadtbaulichen Highlights gesäumten Nordring gepasst, wie etwa dem fein gegliederten Autoabstellplatz eines Autohändlers, der liebevoll geschotterten Brachfläche, die als Parkplatz dient und dem 80er-Jahre-Charme einer besonders beliebigen Tankstellenanlage. Das in seiner Erscheinung einzigartige Ensemble aus grauem Asphalt, grauem Parkplatzschotter, fensterloser Häuserfassade mit greller Großflächenwerbung und  solidem Tankenflair wäre durch den Ersatz der abgesifften Terrassenschirme durch eine neue, schnöde, einfältige Markise nachhaltig negativ beeinträchtigt worden. Der typische trostlos, öde, leicht gammelige Charme der Bochumer Innenstadt hätte massiv gelitten, so dass eine optische Aufwertung dieser Ecke unbedingt zu verhindern war. Erst vor wenigen Jahren hatte die Stadt noch zugelassen, dass ein bekanntes Werbeunternehmen das unvergleichlich symbiotische Ensemble mit dem Aufbau einer überdimensionierten digitalen Werbetafel vervollständigt hatte.

Gestaltungssatzung verbietet Ersatz durch Markise

Vermutlich ohne es selbst zu bemerken, hat die Verwaltung die Gestaltungssatzung genutzt, um Verbesserungen der optischen Gestaltung der Innenstadt zu unterbinden und alles dafür getan, um die selbst maßgeblich vorangetriebene Verunstaltung zu erhalten. Die Gestaltungssatzung wurde damit ad absurdum geführt. Unverständlich, dass Stadtbaurat und Oberbürgermeiste die Bürokraten gewähren ließen und nicht die Reißleine zogen, spätestens als ein Verfahren vor Gericht drohte. So fuhr man die Gestaltungssatzung mit Vollkaracho gegen die Wand. Im Juni 2022 wurde die Anwendung der Satzung vom Rat wegen der eklatanten rechtlichen Mängel aufgehoben.

Die Stadt selbst hat wesentliche Teile der Innenstadt verschandelt

Letztlich zeigt auch das geschilderte Beispiel auf, dass die Verunstaltung der Innenstadt in vielen Fällen nicht von privaten Geschäftsleuten, Gastronomen oder Immobilienbesitzern der Innenstadt betrieben wurde, sondern regelmäßig durch die Stadt selbst. Auch Imbuschplatz, Neumarkt, Schwanenmarkt, Markt- und Propsteiplatz hat die Stadt höchstselbst verschandelt bzw. in trostlose Straßenkreuzungen transformiert.

Eine Gestaltungssatzung hilft sicher das Stadtbild zu verbessern, noch weit wichtiger wäre aber, dass die Stadt selbst sehr viel mehr Wert auf hochwertige Stadtgestaltung legt. Davon zeugen aktuell laufende Bauprojekte wie City-Tower (Vom architektonischen Highlight zum trostlosen Klotz) und Sparkassenneubau am Dr.-Ruer-Platz (Chance verpasst: Gähn-Moment statt Wow-Effekt) allerdings nicht.

Stadtpolitik müsste Leitlinien vorgeben

Hinsichtlich der nun erforderlichen Überarbeitung der rechtswidrigen Gestaltungssatzung wäre die Stadtpolitik aufgefordert gewesen nunmehr der Stadt Leitlinien vorzugeben, die bei der Neufassung von der Verwaltung zu berücksichtigen wären. Diese Chance ließ die Politik ungenutzt. Ein entsprechender Antrag der STADTGESTALTER wurde abgelehnt (Antrag 20231071), man zeigte sich desinteressiert, selbst aktiv auf die Neufassung der Satzung einzuwirken. So sollte man sich nicht wundern, wenn auch der zweite Anlauf schief geht, für die Bochumer Innenstadt eine rechtlich haltbare und im gewünschten Maß wirksame Gestaltungssatzung aufzustellen.

07 Mai

Gericht: Die Behandlung von Bürgeranregungen im Rat einzuschränken ist rechtswidrig

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen stellt fest, der Versuch von OB und Verwaltung sowie Teilen der Politik die Befassung des Rats und seiner Ausschüsse mit Anregungen und -Beschwerden von Einwohnern und Einwohner*innen einzudämmen, ist rechtswidrig.

Wieder zeigt sich, dass Oberbürgermeister Thomas Eiskirch, Teilen des Rates wie der Verwaltung offenbar ein gesundes Rechtsempfinden fehlt einzuschätzen, wie sie mit den Rechten von Einwohnern und Einwohnerinnen umgehen können, ohne gegen Gemeindeordnung und grundlegende demokratische Rechte bürgerlicher Partizipation zu verstoßen. Wieder musste ein Gericht einschreiten, um die Rechte der Einwohner*innen zu wahren.

Bochumer Politik schätzt Rechtslage immer wieder falsch ein

Schon bei den rechtlichen Einschätzungen zu der beabsichtigten Sperrklausel bei Kommunalwahlen (Die Ret­tung des Wahl­rechts) wie bei der Absicht Fraktionen des Bochumer Stadtrates stimmberechtigte Sitze in Ausschüssen des Rates vorzuenthalten (WAZ vom 27.01.21) standen die Ansichten der Bochumer Fraktionen von SPD, Grünen und CDU nicht mit den demokratischen Grundsätzen des Landes in Einklang. Verfassungs- und Verwaltungsgericht kippten die entsprechenden Vorhaben, mit Verweis auf deren Unvereinbarkeit mit Gemeindeordnung und Grundgesetz.

Der Plan: Bürgerbeteiligungsrechte einschränken

Zu Beginn der laufenden Wahlperiode fassten Oberbürgermeister und seine Verwaltung, offenbar im Einvernehmen mit SPD, Grünen und CDU, den Plan, die Rechte der Bochumer Einwohner und Einwohnerinnen, Anregungen und Beschwerden gemäß §24 GO-NRW im Rat und seinen Ausschüssen vorbringen zu dürfen, deutlich einzuschränken. Für die Ratssitzung vom 25.03.21 legte der OB dem Stadtrat eine Beschlussvorlage zur Änderung der Hauptsatzung (Vorlage 20210976) mit dem Passus vor, dass Anregungen nicht zu behandeln seien, wenn “für die Behandlung des Sachverhaltes besondere Verfahren vorgeschrieben sind und/oder gesetzliche und/oder freiwillige Beteiligungsverfahren vorgegeben sind oder durchgeführt wurden“ (§9 (4) Satz 2 h) Hauptsatzung). Der vorgeschlagenen Änderung der Hauptsatzung stimmten alle Fraktionen des Bochumer Rates zu, nur STADTGESTALTER & PARTEI, sowie Die Linke stimmten dagegen (Niederschrift Ratssitzung vom 21.03,21).

Obwohl § 24 (2) GO-NRW den Städten und Gemeinden des Landes hinsichtlich des Anregungs- und Beschwerderechts der Einwohner*innen ausdrücklich nur das Recht gibt “Einzelheiten” in der Hauptsatzung zu regeln, meinten OB, Verwaltung und Teile der Politik, man könne mit der Hauptsatzung auch Sachverhalte festlegen, zu denen Anregungen und Beschwerden der Einwohner *innen gar nicht erst zulässig seien.

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen: Einschränkung ist nicht zulässig

Ein Rechtsverständnis, das das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in seinem Beschluss vom 27.04.23 deutlich zurückwies. Zuvor hatte in der Ratssitzung am 30.03.2023 bereits der Vorsitzende der Fraktion “PARTEI und STADTGESTALTER” in einer persönlichen Erklärung ausgeführt, dass seine Fraktion und er die Entscheidung des Oberbürgermeisters für rechtswidrig halten (Stream der Ratssitzung vom 30.03.2023.

OB und Verwaltung hatten zuvor die Behandlung einer Anregung des Netzwerks für Bürgernahe Stadtentwicklung und sieben weitere Bürgerinitiativen im Stadtrat mit Verweis auf den in die Hauptsatzung 2021 eingefügten Unterpunkts abgelehnt (24iger Eingabe abgelehnt) Daraufhin entschieden sich die Initiativen gegen diese Entscheidung gerichtlich vorzugehen. Beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen wurde, beantragte im Rahmen einer Einstweiligen Verfügung den Oberbürgermeiste zu verpflichten, die Anregung im Rat der Stadt behandeln zu lassen und damit seine Verweigerungshaltung aufzugeben.

Auszug Beschluss VG Gelsenkirchen, 15 L 549/23 vom 27.04.2023

Das Verwaltungsgericht folgte dem Antrag und verpflichtete den OB die Anregung des Bürgernetzwerkes in der nächsten Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses auf die Tagesordnung zu setzen (Beschluss vom 27.04.2023). Im entsprechenden Beschluss wird das Gericht hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des in die Hauptsatzung eingefügten Unterpunkts sehr deutlich: “§ 9 Abs. 4 Satz 2 lit. h der Hauptsatzung ist bereits als solcher nicht geeignet, das Recht der Antragstellerin auf sachliche Befassung mit ihrer Eingabe einzuschränken oder gar auszuschließen. Die Vorschrift erlaubt angesichts ihres ungenauen und beinahe uferlos-umfassenden Anwendungsbereichs keine klare Bestimmung der konkreten Verfahren, die einer sachlichen Befassung einer Eingabe durch das angegangene Gremium entgegenstehen sollen. … In dieser Pauschalität ist die in § 9 Abs. 4 Satz 2 lit. h der Hauptsatzung getroffene Regelung, auch angesichts der Bedeutung des an Art. 17 GG angelehnten kommunalen Petitionsrechts, weder mit § 24 GO NRW vereinbar noch wahrt sie den Grundsatz der Normenklarheit und -bestimmtheit.

§ 9 (4) Satz 2 h) der Hauptsatzung der Stadt Bochum ist somit nicht nur mit § 24 GO-NRW nicht vereinbar, sondern auch nicht mit Art. 17 Grundgesetzes. Die Einfügung des Unterpunkts in die Hauptsatzung war unzulässig, weil er das Anregungs- und Beschwerderecht der Bochumer Einwohner*innen unangemessen einschränkt.

Politik sollte Einstellung zu Bürgerbeteiligung überdenken

Der Rat der Stadt muss somit die Hauptsatzung der Stadt umgehend ändern, um diesen eklatanten Rechtsmangel zu beheben. Der Unterpunkt sollte nach Meinung der STADTGESTALTER ersatzlos gestrichen werden. Alle Fraktionen, die für seine Einführung gestimmt haben, einschließlich dem Oberbürgermeister, sollten zudem ihre Einstellung zu Bürgerbeteiligung überdenken, und zwar nicht nur in rechtlicher Hinsicht, sondern auch ganz allgemein, welche Wertschätzung sie Menschen entgegenbringen, die sich für die Stadt außerhalb politischer Organisationen engagieren.

Denn es fragt sich, warum OB und die entsprechenden Fraktionen, es überhaupt für nötig erachtet haben die Anregungs- und Beschwerderechte der Einwohner*innen rechtswidrig einzuschränken. Die Behandlung einer Anregung oder Beschwerde jede zweite bis dritte Ratssitzung sollte die Mitglieder und Mitglieder*innen nicht überfordern. Dagegen könnte es vielmehr so sein, als wollten Oberbürgermeister Eiskirch und manche Fraktionen mit unliebsamen Anregungen und Beschwerden, die ihren politischen Ansichten entgegen stehen, nicht konfrontiert werden. Es fehlt offenbar an Kritikfähigkeit. Es scheint so, als hinge so manche/r noch in einem Politikverständnis aus den 50er-Jahren fest, wo die von der Verwaltung ausgearbeiteten Beschlussvorlagen ohne echte Diskussion im Rat von der immer wieder gleichen Mehrheitsfraktion durchgewunken wurden.

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Stadtgesellschaft und die politische Landschaft in Bochum jedoch erheblich verändert Die Politik ist pluralistischer geworden, mittlerweile sitzen statt nur drei Fraktionen acht im Stadtrat, immer mehr Menschen und Initiativen wollen direkt an Entscheidungen über das Leben in ihrer Stadt beteiligt werden und darauf Einfluss nehmen. Diesen Ansprüchen wird man nicht gerecht, in dem man versucht die Beteiligungsrechte der Einwohner*innen in unzulässiger Weise einzuschränken oder man meint, statt echter Bürgerbeteiligung würde eine alibimäßige Beteiligung der Menschen ausreichen, wie das z.B. bei der Trassenfindung zum Radschnellweg geschehen ist (RS1-Trassensuchshow).

Die rechtswidrige Einschränkung von Bürgerbeteiligung war also kein handwerklicher Fehler von Oberbürgermeister und Verwaltung, sie ist Folge einer in der Bochumer Politik leider immer noch weit verbreiten Geisteshaltung, die echte Bürgerbeteiligung als lästig und überflüssig ansieht.

31 Jan

Wie geht es mit der Besetzung der Ausschüsse weiter?

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat angeordnet, die am 17.12 gewählten Ausschüsse des Rates sind aufzulösen und neu zu bilden. Doch kommt es dazu schon in der Ratssitzung am 04.02. oder wird eine Sondersitzung des Stadtrates Ende Februar erforderlich?

Aufgrund der bisherigen, sehr umfangreichen wie eindeutigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen wenig überraschend, hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen dem Antrag der Fraktion “Die PARTEI und STADTGESTALTER” Recht gegeben und festgestellt, dass die Bildung der Ausschüsse in der Dezemberratssitzung dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes widersprach, da die Ausschüsse nicht spiegelbildlich zum Rat gebildet wurden. Entsprechend verfügte das Gericht, dass die Ausschüsse aufzulösen und neu zu bilden seien.

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen: Die Ausschüsse des Rates sind aufzulösen und neu zu bilden

Auszug aus dem Beschluss des VG Gelsenkirchen

In der Ratssitzung am 17.12. hatten Grüne und CDU den Fraktionen von FDP bzw. “UWG: Freie Bürger” je zwei Stimmen geliehen, so dass diese einen stimmberechtigten Ausschusssitz auf Kosten der Fraktion “Die PARTEI und STADTGESTALTER” erlangen konnten (Grüne und CDU maßen sich an zu bestimmen, wer in den Ausschüssen des Stadtrats abstimmen darf, Beitrag vom 27.12.20). Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes sieht hingegen vor, dass die durch die Wähler bei der Kommunalwahl bestimmten Kräfteverhältnisse der Fraktionen im Rat sich auch in allen Ausschüssen wieder spiegeln müssen. Folgerichtig kam das Verwaltungsgericht zu dem Schluss, dass der größeren Fraktion von PARTEI und STADTGESTALTERn ein stimmberechtigter Sitz eher zusteht als den kleineren Fraktionen von FDP und “UWG: Freie Bürgern”.

Wie geht es mit der Neubesetzung der Ausschüsse weiter?

Gemäß der vorliegenden Anordnung des Verwaltungsgerichts müssten die Ausschüsse des Rates also in der Ratssitzung am 04.02. neu gewählt werden. Dabei würde die Fraktion von PARTEI und STADTGESTALTERn einen stimmberechtigten Sitz erlangen, die Fraktionen von FDP und “UWG: Freien Bürgern” würden den verbleibenden Sitz bei einer Ausschussgröße von 15 Sitzen jeweils unter sich auslosen.

Diese Vorgehensweise widerspräche allerdings den bisherigen Absprachen der großen Fraktionen mit FDP und “UWG: Freien Bürgern”, bei denen SPD, Grüne und CDU den kleinen Fraktionen einen Sitz in den Ausschüssen zugesichert haben, wenn diese sie im Gegenzug bei der Besetzung der Aufsichtsgremien der städtischen Unternehmen und Einrichtungen unterstützen. Um beiden Fraktionen bei einer Ausschussgröße von 15 Mitgliedern je einen stimmberechtigten Sitz zu verschaffen, müsste eine der Fraktionen von SPD, Grünen und CDU auf einen Sitz zu Gunsten der beiden kleinsten Ratsfraktionen verzichten. Das ist nicht unbedingt zu erwarten.

Daher hatte die Fraktion “Die PARTEI und STADTGESTALTER” bereits im Klageverfahren angeregt, dass der Rat der Stadt die Zahl der Ausschusssitze auf 17 erhöht, damit einer der beiden zusätzlichen Sitze FDP und “UWG: Freien Bürgern” zufallen und damit auf das Losverfahren verzichtet werden könnte. Diesen Vorschlag hat die Fraktion von PARTEI und STADTGESTALTERn nun erneut den anderen Fraktionen unterbreitet.

Bei der Erhöhung der Sitzzahl der Ausschüsse um zwei Sitze müssten sich allerdings die Fraktionen von SPD, Grünen und CDU einig werden, wer von ihnen den zweiten zusätzlichen Sitz in den verschiedenen Ausschüssen erhalten soll.

Denkbar ist, dass die großen Fraktionen in dieser Frage nicht einig werden oder sie nicht mehr gewillt sind, die Zahl der Ausschusssitze zu erhöhen um FDP und “UWG: Freien Bürgern” je einen stimmberechtigten Sitz in den Ausschüssen zuzusichern.

Eher unwahrscheinlich ist, dass die großen Fraktionen sich darüber einig werden, doch noch gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts beim Oberverwaltungsgericht vorzugehen. Aufgrund der bisherigen, sehr umfangreichen wie eindeutigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wie des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) sind die Erfolgsaussichten einer Beschwerde gegen den Beschluss als gering einzuschätzen. Darüber hinaus bestätigt das OVG NRW in deutlich über 90% der Fälle die Beschlüsse der Verwaltungsgerichte.

Wann erfolgt die Neubesetzung?

Würden die großen Fraktionen in der Ratssitzung am 04.02, dennoch entscheiden den Rechtsstreit weiter zu führen, würden die Ausschüsse zunächst nicht am 04.02. aufgelöst und neu gebildet. Bis voraussichtlich Mitte Februar würde dann das OVG NRW eine Entscheidung fällen, die mit großer Wahrscheinlichkeit die Anordnung der Auflösung und Neubildung der Ausschüsse des Verwaltungsgerichts bestätigen würde. In diesem Fall müsste der Rat dann, bevor die Ausschüsse im März wieder tagen noch im Februar zu einer Sondersitzung zusammenkommen um der gerichtlichen Anordnung Folge zu leisten und die Ausschüsse neu zu wählen. Auch angesichts der Pandemiesituation fragt sich, ob ein solches Vorgehen sinnvoll ist, statt die Neubesetzung gleich in der regulären Ratssitzung am 04.02. vorzunehmen.

Insgesamt ist also sehr wahrscheinlich, dass der Rat schon am 04.02. die Ausschüsse auflösen und neu bilden wird.

Ausschuss für “Kinder, Jugend und Familie”

Auch wird die Fraktion “Die PARTEI und STADTGESTALTER” bei der Ratssitzung am 04.02. einen beratenden Sitz im Ausschuss für “Kinder, Jugend und Familie” erhalten. Wurde noch in der Ratssitzung im Dezember vom Oberbürgermeister die Ansicht vertreten, dies sei rechtlich nicht möglich, wird auch hier nunmehr die rechtliche Einschätzung der Fraktion “Die PARTEI und STADTGESTALTER” von der Verwaltung anerkannt.

Besetzung der Beiräte des Rates

In der gleichen Ratssitzung wird darüber hinaus noch die Besetzung zweier weiterer beratender Ausschüsse des Stadtrates vorgenommen, über die in der neuen Wahlperiode bisher noch nicht abgestimmt wurde. Auch in den Beiräten für „Frauen, Geschlechtergerechtigkeit und Emanzipation“ sowie für “Leben im Alter”, die mit jeweils 13 sachkundigen Bürgern besetzt werden sollen, steht der Fraktion PARTEI und STADTGESTALTERn aufgrund der Spiegelbildlichkeit wie in allen vom Rat abgeleiteten Gremien je ein Sitz zu. Nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts zur Besetzung von Ausschüssen ist nicht zu erwarten, dass sich hier eine rechtswidrige Besetzung wiederholen wird.

Insgesamt ist also zu hoffen, dass mit der Ratssitzung am 04.02. die Besetzung der Gremien des Stadtrats abgeschlossen werden kann und der Rat damit in den nächsten Monaten wieder Zeit findet sich vermehrt den wichtigen inhaltlichen Fragen und Aufgaben der Stadtpolitik zuzuwenden.