18 Dez

Stadtplanung: Ausufernde Konzeptflut sorgt für Zeit- und Geldverschwendung

Die Stadtverwaltung beauftragt immer mehr Konzepte, Untersuchungen und Gutachten. Die sind teuer und nicht selten nutzlos. Manche werden nie umgesetzt, andere haben wenig Aussagekraft, wieder andere dienen lediglich als Alibi für unpopuläre Entscheidungen. Hinzu kommen jene, die nur erstellt werden, weil es dafür Fördermittel gibt und solche, die in Auftrag gegeben werden um Zeit zu gewinnen.

Um Projekte zu realisieren und strategische Ziele zu erreichen, ist es grundsätzlich sinnvoll Konzepte zu entwickeln, die anschließend konsequent und zielgerichtet umgesetzt werden. Auch mit der Erstellung solcher Konzepte externe Fachleute zu beauftragen ist in der Regel für die Verwaltung von Vorteil, weil die beauftragten Büros auf die nötigen Untersuchungen spezialisiert sind, themenbezogen über entsprechend viel Erfahrungen aus anderen Städten verfügen und sie die neusten Erkenntnisse und Lösungsansätze aus den entsprechenden Wissensbereichen in die Konzepte einbringen können.

Die Verwaltung besitzt nicht die personellen Ressourcen und speziellen Kenntnisse, Konzepte wie etwa zum Klimaschutz oder zur Schuldigitalisierung selbst zu entwickeln. Ihre Aufgabe ist es die Konzepte auf die städtischen Bedingungen anzupassen und dann Schritt für Schritt, Maßnahme für Maßnahme zu realisieren.

In Bochum konnte man in den letzten Jahren zwar eine wahre Konzeptflut beobachten, bei der Realisierung und Umsetzung hapert es allerdings. Aber auch in anderer Hinsicht macht der städtische Umgang mit der Erstellung und Umsetzung von Konzepten stutzig.

Fragwürdiger Umgang mit Konzepten

Konzepte werden beauftragt und nur ansatzweise bis gar nicht umgesetzt – Ein in Bochum leider nicht selten zu beobachtender Vorgang. Es werden Konzepte erstellt, die eine Vielzahl von Maßnahmen vorsehen, die umgesetzt werden sollen, um die in den Konzepten lang und breit ausformulierten Ziele zu erreichen. Danach werden dann aber nur wenige der Maßnahmen tatsächlich angegangen. Nach einer gewissen Zeit verschwinden die Konzepte sang und klanglos in der Schublade. Gegenüber er Politik zugesagte Berichte zum Stand der Umsetzung finden nicht statt. Typische Konzepte die dieses Schicksal ereilt haben, ist das Klimaschutzteilkonzept Verkehr oder das Radverkehrskonzept 1999 (Trauriges Jubiläum – 20 Jahre Radkonzept, kaum Zählbares passiert).

Auf der anderen Seite gibt es Konzepte, die werden beauftragt und anfertigt, die Ergebnisse passen der Verwaltung aber nicht, also haben sie keinerlei Auswirkungen. Man wartet ein paar Jahre ab und beauftragt dann ein neues Konzept zu gleichem Sachverhalt. So geschehen bei der Planung zum städtischen Bäderkonzept. Die Ergebnisse des Wasserflächenbedarfskonzept von 2015 passte den Verantwortlichen nicht, also wurde 2021 die Erstellung ein neuen beauftragt (WasserWelten Bochum legen Bäderkonzept vor). Jetzt passten die Ergebnisse zu den beabsichtigten Planungen, bis dahin lagen die Schwimmbadplanungen 6 Jahre auf Eis.

Wieder andere Konzepte werden insbesondere deshalb erstellt, weil die Erstellung mit Fördermitteln gefördert wird. Um die Stellen der Klimaschutzmanager finanziert zu bekommen, wurden 2014 insgesamt fünf Klimaschutz(teil-)konzepte sowie ein Klimaanpassungskonzept entwickelt, eine konsequente Umsetzung der mit den Konzepten beschlossenen Maßnahmen war nie beabsichtigt und fand entsprechend bis heute auch nicht statt (Klimaschutz, viel Papier, wenig Greifbares).

Andere Konzepte wie die Integrierten Stadtentwicklungskonzepte (ISEKs Bochum) sind Voraussetzungen um Finanzmittel aus den diversen Fördertöpfen von Land und Bund zu bekommen. Auch in diesen Konzepten wird eine Vielzahl von Maßnahmen vorgeschlagen, von denen dann nur ein Bruchteil umgesetzt wird. Die Stadt setzt nur die Maßnahmen um, die mit Fördermitteln gefördert werden, die Fördermittel fließen jedoch nur spärlich. Wesentliche Maßnahmen wurden daher bis heute nicht umgesetzt, allein mit großen Worten in schönen Konzepten kann der Stadtumbau jedoch nicht gelingen. Da können Konzepte noch so gut sein, ohne konsequente Umsetzung bleiben sie wirkungs- und in weiten Teilen sinnlos.

In der Vergangenheit ließ die Verwaltung auch Konzepte erstellen, bei denen klar war, dass sie nie umgesetzt würden, die aber dazu dienten für Bauvorhaben die erforderlichen Fördermittel zu erhalten. Prominentestes Beispiel ist hier das Musikforum: Das für den Betrieb erstellte Konzept sah den Bau eines Musikzentrums für alle mit täglichen Musikveranstaltungen vor. Entgegen des Konzeptes wurde ein Konzerthaus für die Bochumer Symphoniker mit Musikschulalibi erreichtet (Musikforum – an 4 von 7 Tagen ohne Veranstaltung).

Konzepte werden beauftragt, um Zeit zu gewinnen – Ist der Handlungsdruck in Teilbereichen hoch, wie zum Beispiel nach der Ausrufung des Klimanotstandes durch den Stadtrat 2019 oder beim Radverkehr, beauftragt die Verwaltung zunächst die Erstellung von übermäßig aufwendigen Handlungskonzepten. Für die Zeit der Konzepterarbeitung ermöglicht diese Vorgehensweise Untätigkeit damit zu entschuldigen, dass man noch auf die Fertigstellung der entsprechenden Konzepte warte. Obwohl die Erstellung der entsprechenden Konzepte eigentlich nur Monate in Anspruch nehmen sollte, da sie von den Planungsbüros mittels vorhandener Textbausteinkästen für viele Städte in Serie produziert werden, dauert der Erarbeitungsprozess in Bochum regelmäßig mehrere Jahre. Es entsteht der Eindruck, dass die Verwaltung den Prozess bewusst in die Länge zieht.

Ebenso kommt es vor, dass die Verwaltung die Umsetzung von beschlossenen Konzepten nur im Schneckentempo vorantreibt. Im Rahmen der Corona-Krise stellte sich heraus, dass mit der Umsetzung des bereits im Juli 2019 beschlossene Medienentwicklungsplan für die Schulen auch ein Jahr später noch gar nicht ernsthaft begonnen worden war. Ebenfalls wurde deutlich, dass das Konzept im Hinblick auf das Tempo der erforderlichen Schuldigitalisierung weit hinter dem zurückblieb, was eigentlich hätte Ziel sein sollen (Digitaloffensive: Tempo bei der Schul-Digitalisierung deutlich erhöhen). Schon bei Aufstellung des Konzeptes hatte man es mit der Digitalisierung nicht eilig. Ein Konzept war jedoch nötig um die entsprechenden Fördermittel abzugreifen. Also formulierte die Verwaltung die Ziele im Konzept bewusst unambitioniert und langfristig. So wollte man sich 2019 z.B. noch fünf Jahre Zeit nehmen um jede Schule in Bochum mit je 64 Tablets auszustatten.

Konzepte werden von der Stadt vor Veröffentlichung “korrigiert” – Auffällig, dass nachdem Konzepte der Verwaltung bereits über Monate vorliegen, diese immer noch nicht Politik und Öffentlichkeit vorgestellt werden. Gefallen der Verwaltung die von den Planungsbüros erarbeiteten Ergebnisse nicht, werden die Planungsbüro gedrängt ihre Konzepte im Sinne der Verwaltung “zu korrigieren”. Wie vorgegangen wird, beschreibt die Aussage des Geschäftsführers von Planersocietät, dessen Büro ein Verkehrsgutachten zum Stadtteil Hamme erstellt hat: „Ich war durchaus verwundert, dass die Stadtverwaltung uns diesen Vorschlag [Tempo 30 auf der Dorstener Straße] nicht direkt herausgestrichen hat.“ (WAZ vom 13.12.2022).

Dass die Konzepte die Einschätzungen und Vorschläge von unabhängigen Verkehrsexperten wieder gegeben, ist also eine Illusion. Die Konzepte durchlaufen ein Korrekturverfahren, bei dem nur das in den Konzepten stehen bleibt, was der Verwaltung genehm ist. Diese “Anpassungsverfahren” ziehen sich oft über Monate hin. Die Verwaltung moniert Konzeptpassagen, die Planungsbüros schreiben diese nach den Wünschen der Verwaltung um, bis die Darstellungen und Ergebnisse der Konzepte das wiedergeben, was die Verwaltung hören will. Das treibt auch die Kosten hoch, denn die Arbeiten im Rahmen dieses Prozesses lassen sich die Büros gesondert vergüten.

Im Extremfall beauftragt die Verwaltung auch Konzepte, die bereits im Entstehungsprozess so manipuliert werden, dass sie am Ende zu dem von der Verwaltung gewünschten Ergebnis kommen. Einen solchen Fall deckten die STADTGESTALTER bei dem Konzept zur Streckenführung des Radschnellwegs im Bereich der Bochumer Innenstadt auf (Akteneinsicht: Verwaltung “lenkt” große RS1-Trassensuchshow zum gewünschten Ergebnis).

Grundsätze zum Umgang mit Konzepten

Die Beauftragung, Erstellung und Umsetzung von Konzepten erfolgt in Bochum also oft nicht zielgerichtet. Es ist nicht zu erkennen, ob die Ergebnisse die tatsächlichen Einschätzungen der beauftragten Expert*innen wiedergeben oder von der Verwaltung in ihrem Sinne “angepasst” wurden. Es fehlt an Transparenz, wie die Ergebnisse zu Stande gekommen sind. Die Erstellung von Konzepten, die nicht oder nur ansatzweise realisiert werden, stellt Geld- und Zeitverschwendung dar.

Die Verwaltung muss zu einem anderen Umgang mit Konzepten verpflichtet werden. Dabei sollten folgende Grundsätze beachtet werden:

  • Es werden nur Konzepte beauftragt, bei denen sichergestellt ist, dass diese von der Verwaltung umgesetzt werden können.
  • Für die Erstellung von Konzepten wird ein verbindlicher Zeitrahmen vorgegeben, der einzuhalten ist.
  • Konzepte werden so veröffentlich, wie die Planungsbüros diese formulieren. Eine Einflussnahme auf die Einschätzungen oder eine Korrektur der Ergebnisse durch die Verwaltung findet nicht statt.
  • Die Veröffentlichung der Konzepte erfolgt, sobald die beauftragten Planungsbüros diese fertig gestellt haben.
  • Die Verwaltung kann eine eigene kritische Einschätzung sowie eigenständige Überarbeitung der Ergebnisse vorlegen. Diese ist als solche zu kennzeichnen.
  • Interessierten Bürgern und Bürgerinnen wird ermöglicht zu den Konzepten wie dazu verfassten Einschätzungen der Verwaltung über die Bürgerbeteiligungsplattform Consul (Die Bürgerbeteiligung in Bochum auf ein neues Niveau heben) Stellung zu nehmen.
  • Jede Umsetzung von Konzepten wird mit einem Terminplan versehen, dessen Einhaltung mit einem effizienten Controlling überwacht wird. Dies beinhaltet, dass der Politik über die Umsetzung mindestens einmal jährlich Bericht erstattet wird.

Die genannten Grundsätze ermöglichen der Politik eine bessere Entscheidungsfindung. Die Transparenz, auf welcher Grundlage die Politik über Konzepte entscheidet, wird für die Bürger und Bürgerinnen erhöht. Eine Bürgerbeteiligung findet automatisch statt. Die Umsetzung beschlossener Konzepte erfolgt konsequent und zielgerichtet. Der Beauftragung von Konzepten, die nicht oder nur in Ansätzen umgesetzt werden, wird vermieden.

06 Mrz

Akteneinsicht: Verwaltung „lenkt“ große RS1-Trassensuchshow zum gewünschten Ergebnis

Noch bevor in Bochum mit der großen Trassensuche des Radschnellwegs (RS1) durch die Innenstadt öffentlichkeitswirksam begonnen wurde, lag der Verwaltung die Streckenführung des RS1, die am 09.03.22 die Politik beschließen soll, ausgearbeitet vor. Die offizielle Trassensuche wurde zur Farce. Die Verwaltung lies das Gutachten so lange umschreiben, bis nur noch die von ihr zuvor entwickelte Streckenführung übrigblieb.

Viele machte es gleich stutzig als die Stadt Bochum das Gutachten zur Findung der besten Streckenführung für den Radschnellweg (RS1) durch die Bochumer Innenstadt vorlegte und eine Streckenführung vorschlug, die vom Gutachterbüro mit -3 Punkten bewertet wurde, während die besten 14 Streckenführungsvarianten, die mit +1 bis +7 Punkten bewertet wurden, allesamt ohne plausible Begründung von der Verwaltung als ungeeignet verworfen wurden.

Streichung der besten Varianten aus dem Gutachten zur Trassensuche

Akteneinsicht bestätigt Verdacht

Diese nicht nachvollziehbare Vorgehensweise ließ den Verdacht aufkommen, dass die Ergebnisse des Gutachtens so lange gebogen wurden, bis nach Streichung aller guten Varianten letztlich nur noch eine bestimmte Streckenvariante zur Realisierung verblieb und zwar ausgerechnet jene, die verwaltungsintern von Anfang an präferiert wurde. “Die PARTEI und STADTGESTALTER” vorgenommene Akteneinsicht beim Tiefbauamt bestätigte jetzt diesen Verdacht.

Zwei Trassenfindungsverfahren, ein offizielles, ein verwaltungsinternes

Es zeigte sich, in der Verwaltung gab es zwei Trassenfindungsverfahren, ein offizielles und ein verwaltungsinternes.

Direkt nachdem die erste Trassensuche für den Radschnellweg 2018 gescheitert war, bei der erst viel geplant wurde, dann aber die Bahn die Bereitstellung der für die zunächst geplante Streckenführung erforderlichen Flächen abgelehnt hatte, kündigte die Stadt an eine öffentliche Trassensuche mit einer groß aufgezogenen Bürgerbeteiligung zu veranstalten. 

Einwohner*innen, Interessengruppen, die Radverbände, die Geschäftsleute und Gastronomen, also alle die Ideen hatten, sollten in der ersten Phase des Trassensuchprozesses Vorschläge zu möglichen Streckenvarianten einreichen. Daraufhin sollte ein Gutachterbüro anhand eines von ihm entwickelten Schemas alle Varianten bewerten. In der zweiten Phase des Verfahren sollten die drei am besten bewerteten Varianten als so genannte Vorzugsvarianten vorausgewählt und näher untersucht werden. Auf Basis dieser Ergebnisse sollte schließlich die Politik entscheiden, welche Vorzugsvariante realisiert werden soll. Am 31.01.19 stimmte der Stadtrat diesem Plan zu (Beschlussvorlage:20183423).

Die geheime Trassensuche

Die Planungen für die RS1-Streckenführung, die die Politik jetzt am 09.03.2022 beschließen soll (Beschlussvorlage 20220116), gab es allerdings schon, ehe überhaupt mit der öffentlichen Trassensuche publikumswirksam begonnen wurde. Denn während noch die Vorbereitungen für die offizielle Trassensuche liefen, hatte die Verwaltung intern, im Verborgenen, ohne Politik und Bürger*innen zu informieren, diese Trassenführung untersuchen und ausarbeiten lassen. In enger Zusammenarbeit mit einer Entwicklungsgesellschaft wurde für diesen Zweck ein Ingenieurebüro beauftragt, das bereits am 05.05.2020 eine umfassende Untersuchung vorlegte, die die entsprechende Streckenführung detailliert untersuchte und beschrieb.

Übereinstimmung verwaltungsintern bereits 2020 präferierte Streckenführung und Ergebnis der offiziellen Trassensuche 2022

Vom beauftragten Ingenieurebüro wurde eine rote und eine blaue Variante untersucht. Im Ergebnis wurde die Führung des RS1 über die Frederikabahn und den P&R-Parkplatz am Klever-Weg vorgeschlagen, die anschließende Brückenquerung mit Überwurf über Universitätssstraße und Buddenbergplatz sowie die Führung über die Wittener Straße durch den Kortumpark zur Akademiestraße, weiter zum Lohring, bis schließlich über die steile Straße Am Lohberg zur Springorumtrasse. Bis auf wenige Meter im Kortumpark ist das genau die Streckenführung des RS1, die in der nächsten Woche, am 09.03.22 im Mobilitätsausschuss beschlossen werden soll (Beschlussvorlage 20220116). In der Beschlussvorlage wurde noch eine Alternativstreckenführung über Ehrenfeld- und Clemensstraße ergänzt, für den Fall die Strecken entlang der Bahnlinie stünden nicht zur Verfügung.

Für die Öffentlichkeit: Die große Trassensuchshow

Bezeichnender Weise floss die bereits ausgearbeitete Streckenführung allerdings nicht in die große Trassensuchshow ein. Zu dieser wurde publikumswirksam im Juni und Juli 2021 eine großangelegte Öffentlichkeitsbeteiligung organisiert. Online konnten die Menschen insbesondere ihre Ideen zu Trassenvorschlägen angeben und ihre Meinungen zu Streckenführungen äußern. Ende August folgte ein Workshop mit allen Interessengruppen. Die Zahl der Rückmeldung war erfreulich hoch. Insgesamt wurden auf der Webseite 4.350 Zugriffe verzeichnet, es wurden 336 Trassenvarianten in die Online-Karte eingetragen. Basierend auf dieser großen Menge Streckenvarianten entwickelte das von der Stadt beauftragte Gutachterbüro anschließend ein aufwendiges Bewertungssystem um nach einer Vorauswahl 42 realistische Varianten bewerten und vergleichen zu können.

Aufgrund des Vergleichs und der Bewertung der Varianten kam das Gutachterbüro zu eindeutigen Ergebnissen, die sie der Verwaltung Ende 2020 vorstellte, Das Büro kam zu dem Schluss, im weiteren Verlauf der Trassensuche sollten folgende drei Streckenführungen als Vorzugsvarianten näher untersucht werden (zu den Variantennummern, siehe Gutachten): die erste über den Boulevard (1c), die zweite über Süd- und Ostring, am Justizzentrum vorbei und dann durch den Tunnel nördlich der Springorumtrasse (5b und 7a) sowie eine dritte über das Gelände City-Tor-Ost. Südring, Wittener Straße und Altenbochumer Straße und schließlich von dort auf die Springorumtrasse (10). Die Varianten südlich der Bahnlinie sollten nach Ansicht des Gutachterbüros nicht weiterverfolgt werden. Diese seien zu schlecht bewertet, würden zu viele Hemmnisse aufweisen und ihre Herstellung sei zu (kosten-)aufwendig. Dies betraf auch die Varianten 3e und 6a, die sich in Kombination zu einem nicht unwesentlichen Teil mit der von der Verwaltung im Geheimen bereits entwickelten Streckenführung decken.

Die Ergebnisse der Trassensuche werden von der Verwaltung auf den Kopf gestellt

Die Ergebnisse sollten der Verwaltung nicht passen. Zunächst wurde versuchte die Bewertungskriterien beim Gutachterbüro zu erweitern und zu verändern, um bessere Bewertungen für die gewünschten Varianten zu erzielen. Doch das gelang nicht. Der Punkteabstand zu den besten Varianten war zu groß.

Also entschloss man sich die ganze Bewertung auf den Kopf zu stellen. Mit der Begründung, die Ergebnisse des Gutachterbüros seien unzureichend, rechtfertigte man eine sogenannte “pragmatische” Lösung: Kurzerhand sollte alle Varianten, über Straßen, auf denen vor kurzem Radwege eingerichtet wurden oder gerade geplant würden, nicht weiter betrachtet werden, also solche über Alleestraße. Westring, Südring, Ostring, Hattinger Straße und Oskar-Hoffmann-Straße, Ebenso sollte die Variante über den Boulevard nicht weiterverfolgt werden, weil zu dieser Straße die Politik bereits vor Jahren gegenteiliges beschlossen habe. Und auch Varianten mit großen Strecken über die Wittener Straße sollten eliminiert werden.

Im Handstreich führte diese im Kreis von vier Verwaltungsmitarbeiter*innen und ohne jede politische Beteiligung getroffene Entscheidung die gesamte Bewertung des Gutachterbüros ad absurdum. Hatte das Gutachterbüro gestützt auf seine aufwendige Bewertung ausschließlich Streckenführungen nördlich der Bahnlinie als sinnvoll angesehen, hatte die Verwaltung jetzt mit fadenscheinigen Begründungen fast alle Streckenführungen nördlich der Bahnlinie eliminiert und so dafür gesorgt, dass nur die schlecht bewerteten Streckenführungen südlich der Bahnlinie übrigblieben, insbesondere auch die Streckenführung, die die Verwaltung schon seit Mai 2020 in der Schublade geparkt hatte.

Die Begründung zur Eliminierung aller nördlichen Streckenvarianten ist eine Farce. Laut Bewertungsschema des Gutachterbüros ist auf allen zur näheren Untersuchung vorgeschlagenen Varianten der RS1-Standard umsetzbar, bei den Varianten 1c und 5b sogar zu 100%, also besser als bei der von der Verwaltung favorisierten Streckenführung. Auch der frühere Beschluss des Rates, eine RS1-Führung über den Boulevard nicht mehr zu verfolgen, stand einer weiter Betrachtung dieser Variante nicht im Weg. Wenn am Ende der Trassensuche die Variante entlang des Boulevards als beste Streckenführung heraus gekommen wäre, hätte die Politik überlegen können, ihren bisherigen Beschluss ggf. zu ändern. Für den West-, Süd- und Ostring waren zum Zeitpunkt der Entscheidung noch gar keine Umgestaltungs- und Planungsmaßnahmen vom Stadtrat beauftragt worden. Die wurden erst fünf Monate später im Rahmen des Verkehrskonzepts Innenstadt beschlossen, wohl auch um zumindest pro forma die Eliminierung der entsprechenden Streckenvarianten rechtfertigen zu können. In anderen Besprechungen wurde zu der bereits im Umbau befindlichen Hattinger Straße ausgeführt, auf dieser könne der RS1 mindestens noch so lange eingeplant werden, bis der erste Randstein gesetzt werde. Warum große RS1-Strecken an der Wittener Straße zum Ausschlusskriterium für diese Straße wurden, ist aus den Akten gar nicht ersichtlich.

Die wenig überzeugende Begründung zur Eliminierung aller Streckenvarianten nördlich der Bahntrasse erkannte die Verwaltung wohl bei Abfassung des Gutachtens selbst. Für das später veröffentlichte Gutachten verfiel man daher auf die ergänzende Formulierung, der RS1-Standard sei auf den Straßen nördlich der Bahnlinie nicht umsetzbar, obwohl dies im Gutachten selbst widerlegt wird, wo den allermeisten eliminierten Streckenvarianten ein RS1-Standard von weit über 90% bis 100% attestiert wird. Ein Wert, der in der Regel besser ist, als derjenige der Streckenführung, die von der Verwaltung favorisiert wird, denn diese weist eine 219 Meter lange, nicht RS1-Standard-konforme 7%-Steigung auf (Strecke des RS1 soll in Bochum über 7%-Anstieg gehen).

Im Endeffekt hatte die Verwaltung die Bewertung des Gutachtens soweit ausgehebelt, dass alle gut bis sehr gut bewerteten Streckenvarianten eliminiert wurden. Damit war der Weg frei mit Hilfe des Gutachtens statt einer Streckenführung mit einer Bewertung von +1 bis +7 Punkten eine Vorzugsvariante vorzuschlagen, die nur mit –3 Punkten bewertet wurde. Diese ist zusammengesetzt aus den Varianten (3e und 6a) und sie verläuft zufällig entlang der Trassenführung, die die Verwaltung bereits ab 2019 im stillen Kämmerlein abseits der Öffentlichkeit hatte entwickeln lassen.

Verwaltung verspielt Glaubwürdigkeit und torpediert Bürgerbeteiligung

In der beschriebenen Weise führt man die Glaubwürdigkeit von Gutachten und Gutachter*innen ad absurdum und hintertreibt die hohe Bereitschaft der Bürger*innen sich an solchen Prozessen zu beteiligen. Tatsächlich hatten die Trassenvorschläge der Bürger*innen, Initiativen und Interessengruppen aufgrund der Voreingenommenheit der Verwaltung nie eine Chance. Die Trassensuche war nichts weiter als eine große Show, mit der die Beteiligten hinters Licht geführt wurden. Offensichtlich war nie beabsichtigt einer der vom Gutachterbüro gut bewerten Streckenführungen zu wählen. Die Bewertung der Varianten gab es allein für die Galerie. Am Ende wurde das Gutachterbüro nur benutzt, um der Verwaltung gegenüber der Politik einen Freifahrtschein für seine von Anfang an präferierte Streckenführung auszustellen.

Zu hoffen ist, dass ein solcher Fall in Bochum bisher einmalig war und das für die Zukunft auch bleibt. Er untergräbt grundlegend die Glaubwürdigkeit in das Handeln der Verwaltung sowie zukünftig zu erstellende Gutachten. Immer steht ab diesem Vorfall der Verdacht im Raum auch andere Gutachten wurden von der Verwaltung in ähnlicher Weise verfälscht und für eigene Zwecke zurechtgebogen. Dass von der Stadt beauftragte Gutachten rein fachlich fokussierte Einschätzungen von unabhängigen Expert*innen wieder geben, wird mit Verweis auf diesen Fall in den nächsten Jahren immer wieder bezweifelt werden.

Die Verwaltung hätte intransparent, ohne Information von Politik und Öffentlichkeit neben der großen Trassensuche keine eigene Untersuchung von Streckenvarianten betreiben dürfen. Zumindest hätte die aus der internen Streckensuche resultierende Variante als von der Verwaltung bisher favorisierte Streckenführung transparent in die große Trassensuche eingehen müssen. Die Einmischung in die Trassenfindung hätte nie so weit gehen dürfen, dass die Verwaltung die Ergebnisse des Gutachterbüros mit fadenscheinigen Begründungen quasi auf den Kopf stellt. Es fehlte der Verwaltung an dem für die Begleitung eines solchen Bewertungs- und Auswahlverfahrens erforderlichen Mindestmaß an Unvoreingenommenheit. Wäre das Gutachten nach Meinung der Verwaltung nicht brauchbar gewesen, dann hätte die Politik darüber entscheiden müssen, ob das Trassensuchverfahren beendet wird und wie es weiter gehen soll. So zeigt sich, man hätte sich in diesem Fall die teure Beauftragung eines externen Gutachterbüros sparen können, wie es die Fraktion “FDP und STADGESTALTER” bereits 2019 beantragt hatte (Änderungsantrag 20183423).

Die von der Verwaltung präferierte Streckenführung ist ungeeignet

In der Sache ist auch den Dokumenten der Akteneinsicht zu entnehmen, die jetzt von der Verwaltung vorgeschlagene Streckenführung ist extrem teuer. Allein die Brückenanlage zwischen Klever Weg über Universitätsstraße, Hauptbahnhof, Buddenbergplatz und Wittener Straße zum Kortumpark soll laut Schätzungen der Stadt 18,5 bis 26,5 Mio. Euro zuzüglich üblicher Baukostensteigerungen verschlingen.

Die Variante ist darüber hinaus wenig attraktiv und langsam, zum einen wegen der 7%-Steigungsstrecke Am Lohberg und der weiteren nicht unerheblichen Steigungen im sonstigen Streckenverlauf, (Strecke des RS1 soll in Bochum über 7%-Anstieg gehen) zum anderen wegen der vielen engen 90°-Kurven.

Fahrtdauer A: Schnellste Route unter aktuellen Bedingungen B: RS1-Streckenführung Verwaltung (unter aktuellen Bedingungen) C: Variante 1 über Südring und Rottstraße

Aktuell benötigt man über die vorgeschlagene RS1-Strecke vom Maarbacher Tunnel bis zur Buseloh-Brücke 31 Minuten. Durch den Umbau zum RS1 ist kaum mit einer hohen Beschleunigung zu rechnen, denn die 90°-Abbiegungen bleiben. Auch in den Fahrradstraßen, die Teil der Strecke sind, ist bei Autos im Gegenverkehr das Tempo kaum zu erhöhen. Bestenfalls wird es möglich sein die Fahrtdauer auf 24-26 Minuten zu verkürzen. Allerdings schafft man über Südring oder Boulevard die gleiche Verbindung heute bereits in 20 Minuten. Mit den für die Zukunft auf dieser Strecke geplanten Radwegen werden es sogar 18 Minuten oder noch weniger sein.

Die geplante Streckenführung ist also für einen Radschnellweg ungeeignet. Das Grundprinzip des Radschnellwegs ist, schnell und direkt unterwegs zu sein. Dieses Prinzip scheint die Bochumer Verwaltung bei der Entwicklung der von ihr favorisierten Streckenführung jedoch nicht verfolgt zu haben.

Absehbar ist, wer mit dem Rad schnell durch die Bochumer Innenstadt kommen will, wird nicht den geplanten Streckenabschnitt des RS1 nehmen, sondern über Südring oder Boulevard fahren. Das wird insbesondere an der Kreuzung zur Kortumstraße für Chaos sorgen, wenn dort zu viele Radfahrende auf zu viele Fußgänger*innen treffen. Die Schaffung solcher Gefahrenpunkte sollte eigentlich durch eine gute geplante RS1-Führung vermieden werden.

Die Bewertung der jetzt von der Stadt vorgeschlagenen Streckenführung liegt also nicht umsonst bei –3 Punkten, während andere Streckenführungen mit +7 bewertet wurden. Sie ist für Alltagsradler unattraktiv, sie hat keinen wirtschaftlichen Effekt für die Innenstadt und wird daher nicht gut angenommen werden. Wird sie realisiert, wird sie als weitere millionenteure Fehlplanung in die Geschichte der Stadt eingehen.

Es ist zu hoffen, dass die Fraktionen des Stadtrats vor der Entscheidung am 09.03 nochmal in sich gehen und sich die Akten zu der Trassensuche ebenfalls sehr genau ansehen. Eine Entscheidung auf Grundlage dieses von der Verwaltung diskreditierten Trassensuchprozesses, sollte in einer Stadt, der Bürgerbeteiligung und Transparenz wichtig sind, nicht erfolgen. Die Auswahl der für die Streckenführung des RS1 durch die Bochumer Innenstadt in Frage kommenden Streckenvarianten muss auf Basis der vom Gutachterbüro gut bewerteten Varianten wiederholt werden. Danach erst kann eine seriöse Entscheidung der Politik fallen. Der Stadtbaurat sollte die Größe besitzen und die aktuelle Beschlussvorlage von sich aus zurück ziehen.