17 Feb

Planlosigkeit und Abzocke

In Bochum und Wattenscheid gibt es diverse Straßen, bei denen es die Stadt nach eigenen Angaben auch nach über 100 Jahren immer noch nicht geschafft hat, diese fertig zu stellen. Mal fehlen die Gehweg, mal die geplante Kanalisation und mal die Straßenbeleuchtung. Hier zeigt sich die völlige Planlosigkeit der Bochumer Stadtplanung, die immer wieder für Diskussionen in der Stadt sorgt (LK vom 29.07.17, Stadt ohne Plan). Wenn eine Stadt es in über hundert Jahren nicht schafft Straßen wie zu Beginn des letzten Jahrhunderts vorgesehen fertigzustellen, dann ist das nicht nur peinlich, sondern erweckt bei den Bürgern den Eindruck die verantwortliche Amtsleitung müsse entweder unfähig oder unwillig sein.

Schadenfreie Fahrbahndecke soll nach 15 Jahren erneut vollständig neu asphaltiert werden

Wie die Beispiele „Auf der Prinz“ (LK vom 09.04.2016, Fragwürdige Praktiken der Stadt Bochum bei der Erhebung von Erschließungsbeiträgen)
und „Flottmannstraße“ zeigen, liegt bei der Verwaltung aber noch einiges mehr im Argen:

Flottmannstraße

Die Flottmannstraße im Bochumer Norden an der Stadtgrenze zu Herne wurde 1904 gebaut. Laut Stadtverwaltung sollte die Straße damals den Charakter einer Chaussee (gut ausgebaute Landstraße mit fester Fahrbahndecke ohne Gehwege) mit Gehwegen erhalten. Gebaut wurde eine Straße mit einer 8 m breiten Fahrbahn und überwiegend niveaugelichen, 1,75 m breiten Gehwegen, rechts und links davon. Bis 2003 dauerte es, dann versah die Stadt die Straße endlich mit einer ausreichend dimensionierten Kanalisation und erneuerte in diesem Zuge komplett den Straßenbelag der Fahrbahn. Diese Erschließungsmaßnahme musste, obwohl eigentlich mit 99 Jahren Verspätung vorgenommen, zum wesentlichen Teil von den Anwohnern bezahlt werden. Diese bezahlten ohne Murren.

Doch jetzt will die Stadt, kaum 15 Jahre später, die Fahrbahn ein weiteres Mal komplett erneuern. Zwar ist die Fahrbahn offensichtlich in keinem schlechten Zustand (Bild1, Bild2, Bild3), für Bochumer Verhältnisse könnte man sogar von Top-Zustand sprechen, trotzdem behauptet die Verwaltung in der Beschlussvorlage (Vorlage 20151980), mit der sie die Erneuerung vorschlägt, die Straße befände sich in sehr schlechtem Zustand und sei sanierungsbedürftig. Es entsteht der Eindruck mit dieser falschen Darstellung sollten die Mitglieder der Bezirksvertretung-Mitte bewegt werden, dem Beschlussvorschlag der Verwaltung zuzustimmen.

Es gibt in Bochum sicher einige Straßen, bei denen bereits seit Jahrzehnten eine Erneuerung der Fahrbahndecke dringend erforderlich ist (z.B. Uhlandstraße), bei denen sich die Verwaltung jedoch außer Stande sieht eine Sanierung endlich in Auftrag zu geben. Warum an anderer Stelle in der Stadt eine Fahrbahn nach nur 15 Jahren vollständig erneuert werden soll, die so gut wie keine Schäden aufweist, bestätigt leider den Eindurck der Planlosigkeit in der Stadtverwaltung. Straßen werden in Bochum und Wattenscheid offensichtlich nicht nach Dringlichkeit saniert, sondern planlos und willkürlich.

Die Neugestaltung der Straße wird als Restherstellung deklariert um bei den Anwohnern abkassieren zu können

Flottmannstraße

Nun will die Stadt aber nicht nur die Fahrbahn erneuern, sondern auch den Querschnitt der Straße grundlegend ändern. Die Fahrbahn soll von 8 auf 6,5 m verengt werden, die Gehwege von 1,75 auf mindestens 2,50 m verbreitert werden. Zusätzlich soll ein Parkstreifen und eine Mischfläche angelegt werden. Auch die Kosten für diese Maßnahmen sollen zu 90% die Anwohner tragen. Die Verwaltung argumentiert, schon 1904 seien diese Maßnahmen vorgesehen gewesen, die jetzt 114 Jahre später umgesetzt werden sollen. Diese Argumentation ist nicht nachvollziehbar. Warum baut man zunächst 1,75 m breite Gehwege, wenn doch angeblich bereits 1904 2,5 m breite Bürgersteige vorgesehen waren? Warum hat die Stadt noch 2003 die Fahrbahn erneut auf 8 m Breite neu asphalitiert und nicht bereits zu diesem Zeitpunkt die angeblich seit 1904 geplanten Gehwege eingerichtet? Geradezu absurd, dass die Stadt implizit behauptet bereits 1904 sei die Herstellung von Parkstreifen vorgesehen gewesen, die jetzt endlich hergestellt werden sollen. Dass 1904, nur 18 Jahre nach Patentierung des Automobils, die Einrichtung von Parkstreifen an einer Landstraße vorgesehen waren, glaubt wohl außerhalb der Verwaltung kaum jemand.

Flottmannstraße

Es entsteht der Verdacht, dass die grundlegende Änderung des bestehenden Straßenquerschnitts, eigentlich also eine Umgestaltungsmaßnahme der schon bestehenden Straße, den Anwohnern als Restherstellung der Straße verkauft werden soll, um diese mit Erschließungsbeiträgen für die erstmalige Herstellung der Straße zur Kasse bitten zu können. Denn handelt es sich um eine erstmalige Herstellung der Straße, kann die Stadt die Anwohner mit 90% der Kosten belasten, bei einer Umgestaltung sind es bei Anliegerstraße lediglich 60% (nur bei Parkstreifen 70%, Straßenbeitrag Satzung). Die beschriebene Vorgehensweise, bei der für die Anwohner pro Grundstück Kosten in Höhe von 5.000 – 12.000 Euro anfallen, wird von den Anwohnern zu Recht als Abzocke empfunden.

Der Verdacht der Abzocke erhärtet sich bei einem Blick in das
amtliche Informationssystem zum Immobilienmarkt in Nordrhein Westfalen. Hier weist die Stadt die Flottmannnstraße als erschließungsbeitragsfrei aus (Auszug BORISplus.NRW). Offensichtlich ist die Stadt bisher ebenfalls davon ausgegangen, dass die Straße in der Vergangenheit schon komplett hergestellt worden ist und von den Anwohnern bereits alle dafür anfallenden Erschließungsbeiträge bezahlt wurden. Der Eintrag bestätigt zudem den Eindruck der Planlosigkeit. In der Verwaltung weiß offenbar die Linke nicht was die Rechte tut.

Bürger dürfen für teuere Umgestaltung zahlen, an den Planungen beteiligt werden sie aber nicht

Die Bürger der Stadt empfinden ein derartiges Vorgehen der Verwaltung als Unverschämtheit. Auch hatten die Anwohner der Flottmannstraße bei den Planungen zur Umgestaltung ihrer Straße keinerlei Mitsprache. Eine Bürgerbeteiligung gab es nicht. Diese ist in Bochum unüblich. Tausende Euro bezahlen dürfen die Bürger gerne, mitreden wie ihre Straße umgestaltet werden soll, das wollen insbesondere SPD und Grüne nicht. Entsprechend, hat die rot-grüne Koalition den Antrag der Fraktion „FDP & Die STADTGESTALTER,“ der den Bürgern dieses Recht einräumen sollte (Antrag 20173103) in der Ratssitzung am 14.12.17 ohne Begründung abgelehnt.

Politik muss Planlosigkeit und Abzocke der Verwaltung beenden

Wie nicht nur das Beispiel Flottmannstraße zeigt, ist der Handlungsbedarf in Sachen Planung und Erstellung von städtischen Straßen groß. Eine Reihe von Veränderungen muss die Politik unverzüglich auf den Weg bringen:

1. Die Planlosigkeit in der Verwaltung bei der Planung und Herstellung von Straßen muss umgehend abgestellt werden. Die Politik muss die Stadt verpflichten, sämtliche Straßen, die noch nicht vollständig hergestellt sind, innerhalb der nächsten 5 Jahre vollständig herzustellen.

2. Es ist eine Liste aller Straßen zu erstellen, die bis heute noch nicht vollständig hergestellt wurden. Bürger, die an einer Straße wohnen, die noch nicht vollständig hergestellt wurde, sind darüber einmalig zu informieren. Für Straßen, die nicht in der Liste erfasst wurden, ist eine spätere Erhebung von Erschließungsbeiträgen auszuschließen.

3. Bei den sanierungsbedürftigen Straßen ist eine Dringlichkeitsliste zu erstellen. Die Straßen, bei denen der Fahrbahnbelag im schlechtesten Zustand ist, sind zukünftig mit Priorität zu sanieren.

4. Erschließungsbeiträge sind nur noch für solche Straßen einzuziehen, die nach dem 2. Weltkrieg erstmals geplant wurden. Wie und in welchem Ausbaugrad Straßen vor dem zweiten Weltkrieg geplant wurden, kann heute niemand mehr sicher feststellen. Die Bürgern auf der Grundlage von höchst zweifelhaften Annahmen zur Zahlung von tausenden Euro zu verpflichten, ist nicht zu rechtfertigen und unseriös.

5. Die Bürger sind an allen substanziellen Neu- und Umgestaltungsmaßnahmen von Straßen, wo sie wohnen, insbesondere dann, wenn sie einen Teil der Kosten tragen sollen, frühzeitig zu beteiligen.

Oberbürgermeister sollte sich bei den Anwohnern der Flottmannstraße entschuldigen

In Sachen Flottmannstraße sind die aktuellen Pläne zurück zu stellen. Unter Einbeziehung der Anwohnern ist zu klären, ob und in wie weit eine Neugestaltung erfolgen soll. Dabei ist eine Erneuerung der Fahrbahndecke zu vermeiden. Die Bescheide zur Erhebung von Erschließungsbeiträgen sind aufzuheben. An den Kosten der Neugestaltung der Straße sind die Anwohner allenfalls im Rahmen notwendiger und rechtlich zulässiger Straßenbaubeiträge zu beteiligen.

Auch wäre aufgrund des dargestellten Verhaltens der Verwaltung in dieser Angelegenheit eigentlich eine Entschuldigung des Oberbürgermeisters bei den Anwohnern der Flottmanstraße fällig. Es scheint so, als sei sich die Verwaltung häufig nicht bewusst wie ihr Verhalten bei den Bürgern ankommt. Sonst würde sie sich anders verhalten. Häufig fehlt es an dem Bewusstsein, dass die Verwaltung für die Bürger da ist. In dieser Hinsicht ist ein Mentalitätswechsel erforderlich.

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Nachtrag – Straßendatenbank Erschließungsbeiträge funktioniert nicht

Diejenigen Straßen in Bochum und Wattenscheid, die noch nicht vollständig hergestellt worden sind und für die noch Erschließungsbeiträge zu leisten sind, sollten eigentlich über folgende städtische Straßendatenbank aufrufbar sein: https://ww2.bochum.de/bauverwaltung/abfrage.htm
(Aufrufbar über die Seite Erschließungsbeiträge, ganz unten) Leider funktioniert diese Datenbank schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Die Verwaltung bekommt auch dieses Problem scheinbar nicht in den Griff.

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