Über 65 Jahre Rückbau und Stillstand beim Nahverkehrsnetz
Leider ist von dem einst dichten Nahverkehrsnetz, das es in Bochum noch bis in die 50er-Jahre gab, nicht mehr viel übrig (Straßenbahnnetz 1949). Nachdem insbesondere in den 60er Jahren das Straßenbahnnetz massiv zurückgebaut wurde, um mehr Platz für den Autoverkehr auf den Straßen zu schaffen, wurde in über 6 Jahrzehnten mit Ausnahme der Anbindung der Ruhr-Universität keine Erweiterung der Linien mehr vorgenommen. Vergleicht man das Netz für Straßenbahnen von 1935 mit dem für 2020 geplanten, erkennt man den gewaltigen Rückschritt der Stadt im Öffentlichen Nahverkehr (Straßenbahnnetz 1935 zu 2020).
Nahverkehrsnetz ist für das einer Metropolregion unzureichend
So wird nicht nur das Nahverkerhrsnetz von Bochum und Wattenscheid, sondern das des gesamten Ruhrgebiets den Ansprüchen einer Metropolregion nicht annähernd gerecht. Verkehren sonst die Züge zwischen Zentren von Metropolregionen im 3-5 Minuten-Takt, schafft man im Ruhrgebiet selbst in Stoßzeiten bisher kaum 15 Minuten. Entsprechend werden im Ruhrgebiet weiterhin 50-60 % der Wege mit dem Auto zurückgelegt, statt wie in Metropolen sonst üblich maximal 40 %, nicht selten sogar unter 30 %.
Einige Stadtteilzentren von Bochum und Wattenscheid werden mit der leistungsfähigen und komfortablen Straßenbahn gar nicht erreicht (u.a. Werne, Eppendorf, Stiepel. Von dem einst engmaschigen Netz sind nur Linien verblieben, die zentral auf den Hauptbahnhof zuführen. Straßenbahnverbindungen in die Nachbarstädte gibt es nur im Bogestra-Gebiet nach Norden und Süden, nach Dortmund und Essen fehlen sie. Zählt man die Nahverkehrsverbindungen zwischen den drei großen Ruhrstädten, könnte man meinen sie liegen hunderte Kilometer auseinander und nicht direkt nebeneinander.
Keine Investitionen in den Ausbau des Nahverkehrsnetzes
Seit dem Anschluss der Ruhr-Universität an das Straßenbahnnetz 1971 gab es bis 2017 keine nennenswerten Erweiterungen des Schienennetzes in Bochum mehr. Um die Straßen für den Autoverkehr frei zu bekommen, wurden die Straßenbahnlinien im Bereich der Innenstadt stattdessen unter die Erde verbannt. Die Straßenbahnlinie 305 wurde zwischen Herne und Hauptbahnhof als U35 gänzlich unter die Erde gelegt, ab Herne bis Recklinghausen durch einen Bus ersetzt.
Nachdem zunächst die Straßenbahn durch Langendreer zurückgebaut wurde, ist dieser Fehler in den letzten Jahren korrigiert worden. Seit kurzem fährt die Straßenbahn wieder mitten durch den Stadtteil.
Positiv, Millionen wurden in moderne Busse und Bahnen investiert. Dazu werden mit Mitteln des Landes derzeit sukzessive alle Haltestellen barrierefrei umgebaut. Auch der Neubau des Busbahnhofs war ein wichtiger Schritt bei der Modernisierung des Nahverkehrs.
Weitere Millionen wurden in schicke Betriebshöfe und Verwaltungen investiert. Für die Erweiterungen des Schienennetzes war dagegen kein Geld mehr vorhanden. Wichtiger als alles andere ist für die Attraktivität des Nahverkehrs einer Stadt aber am Ende die Dichte des Nahverkehrsnetzes.
Fehlinvestitionen ohne Ende
Auffallend jedoch auch die vielen Fehlinvestitionen der Stadt im Nahverkehr:
Die eigentlich als U-Bahn geplante U35 ist nicht mehr als eine unterirdische Straßenbahn mit eigener, im sonstigen Netz nicht vorhandener Spurweite, weil aufgrund einer wenig vorausschauenden Planungen die Bahnen mit nicht mehr als zwei Traktionen verkehren können.
Damit die Besucher und Beschäftigten des Gesundheitscampus 2 Minuten Weg zur Haltestelle sparen wurde eine 17 Mio. Euro teure Haltestelle errichtet, die beim ersten Baubeschluss noch 3,5 Mio. kosten sollte. Auch bei diesem Projekt standen Kosten und Nutzen in keinem vernünftigen Verhältnis (LK vom 19.04.15).
Statt einer Tunnelröhre vom Rathaus zum Hauptbahnhof baute die Stadt drei. So entstanden am Rathaus drei Haltestellen auf drei Ebenen, von denen man durch unterschiedliche Tunnel nach Süden immer nur zum Hauptbahnhof kommt.
Der unterirdische Teil des Liniennetz ist gekennzeichnet durch überdimensionierte, teure Bahnhöfe. Besonders auffällig wird die damit verbundene Geldverschwendung beim riesigen Bahnhof unter dem Rathausplatz, in dem an endlos lang scheinenden Bahnsteigen nur der kleine Zug der Straßenbahn 302/310 hält.
Auf der anderen Seite entfielen durch die Verlegung der Straßenbahnen wichtige und frequenzstarke Haltestellen wie die vor dem Baltz-Haus oder am ehemaligen Nordbahnhof. In der Folge ist das neue Justizzentrum am Ostring mit rund 1.000 Mitarbeitern und hoher Besucherfrequenz nicht mit einer Straßenbahnlinie erreichbar.
Eine ganze Generation Straßenbahnen musste wegen massiven Herstellerfehlern vorzeitig ausgemustert werden. Da die Bogestra die üblichen Garantieleisungen nicht vereinbart hatte, blieb sie auf den Kosten für die vorzeitige Ersatzanschaffung von 42 Straßenbahnwagen für 3 bis 3,5 Mio pro Stück sitzen (Der Westen vom 12.03.2015)
Verhindert werden konnte die nutzlose, aber über 100 Mio. teure Verlängerung der U35 bis zur Unterstraße. Der kapitale Kalkulationsfehler im entsprechenden Verkehrsgutachten fiel aber nicht etwa der Bogestra oder den städtischen Verkehrsplanern auf, sondern den STADTGESTALTERN (LK vom 13.05.2017).
Insgesamt stehen bezogen auf das Nahverkehsnetz vielen negativen Investitionsentscheidungen, wenig positive Projekte gegenüber.
Ein teures aber zu unattraktives Nahverkehrsnetz
Das unzureichende Netz, die überdimensionierte Tunnelinfrastruktur und die genannten Fehlinvestitionen machen den Nahverkehr in Bochum und dem Ruhrgebiet übermäßig teuer. Entsprechend muss man für weniger Leistung deutlich mehr zahlen, als in den Nahverkehrsnetzen anderer Metropolregionen. Die Fahrpreise sind vergleichsweise hoch.
Das macht den Nahverkehr unattraktiv. Folgerichtig entwickelt sich der Nahverkehr in Bochum und Wattenscheid im Vergleich zum Nahverkehr in Deutschland insgesamt unterdurchschnittlich. Betrug der Fahrgastzuwachs in deutschen Großstädten von 2015 auf 2016 im Durchschnit 3% (VDV-Statistik 2016), betrug er bei der Bogestra nur knapp 1,2% (von 144,9 auf 146,6 Mio. Beförderungen).
Keine substanziellen Änderungen mit der Fortschreibung des Nahverkehrsplan
Zwar wird es mit der aktuellen Fortschreibung des Nahverkehrsplan Verbesserungen bei den Takten auf den Straßenbahnstrecken geben, wie bei der S-Bahn sollen auch die Straßenbahnen mindestens im 15/30-Minuten-Takt verkehren, ansonsten ist der Plan allerdings unambitioniert. Wichtige neue Strecken (z.B. zum Ruhrpark) sind weiterhin nicht geplant.
Stattdessen soll die Straßenbahnstrecke der jetzigen Linie 310 von Unterstraße bis Kaltehardt still gelegt werden. Die Fraktion „FDP & Die STADTGESTALTER“ hat hierzu beantragt, dass geprüft wird den Betrieb aufrecht zu erhalten (Antrag 20173100). Dieser Prüfantrag wurde von allen Fraktionen unterstützt.
Bogestra ist für den notwendigen Ausbau des Nahverkehrsnetzes nicht bereit
Im Ausschuss für Infrastruktur und Mobilität wurden von fast allen Fraktionen weitere sinnvolle Erweiterungsvorschläge zum Nahverkehrsplan gemacht. Diese quittierten die Vertreter der Bogestra während der Sitzung mit offener Ablehnung.
Dieses Verhalten zeigt, die von der Politik gewünschte deutliche Erweiterung des Nahverkehrsnetzes wird wohl nur mit einem Wechsel in der Führungsspitze bei der Bogestra möglich sein. Die aktuelle Unternehmensspitze sieht ihre Aufgabe allein darin das bestehende Netz zu verwalten und den Beschäftigten ein möglichst attraktives Arbeitsumfeld zu bieten. Die Bedarfe der Nutzer spielen daneben keine relevante Rolle. Pläne das Nahverkehrsangebot den Bedarfen der potenziellen Nutzer anzupassen, gibt es so gut wie nicht. Obwohl das Netz unzureichend und nicht zukunftsfähig ist, fehlt es an Bemühungen es auf eine Dichte zu erweitern, wie sie in Metropolregionen Standard ist. Das Unternehmen lässt in dieser Hinsicht jeden Gestaltungswillen vermissen.
Neuausrichtung der Bogestra ist Voraussetzung für den Ausbau des Nahverkehrsnetzes
Die Politik hat in einem gemeinsamen Antrag der Fraktionen von SPD, CDU, GRÜNEN, FDP & DIE STADTGESTALTER am 28.09. im Rat unter anderem einen deutlichen Ausbau des ÖPNV beschlossen (Antrag 20172456). Um dieses Ziel realisieren zu können, müssen jetzt die erforderlichen Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, Voraussetzung dafür ist eine Bogestra, die Willens ist ihr Netz im Sinne derjenigen, die den Nahverkehr nutzen wollen, auszubauen. Das wird nur gelingen, wenn die Bogestra grundlegend neu aufgestellt wird.
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