Kunden zählen nicht – für Monate halten am Hauptbahnhof Bochum keine Fern- und Regionalzüge
Auch in diesem Jahr sperrt die Bahn für vier Monate den Bochumer Hauptbahnhof für den Regional- und Fernverkehr. Die Pendler haben das Nachsehen und empfinden die Sperrung als Frechheit. Die Politik schweigt. Was bei den Verkehrsunternehmen schief läuft und warum es in anderen Ländern besser funktioniert.
Vom 28.02. bis 25.04. sowie vom 05. 09. bis 31.10. sperrt die Deutsche Bahn den Bochumer Hauptbahnhof für den Regional- und Fernverkehr, nur die S-Bahn soll von Montag bis Freitag noch fahren. „Fahrplananpassungen” nennt die DB das zynisch (WAZ vom 08.01.25). Das Chaos ist vorprogrammiert, zumal die S1 nicht zuverlässig fährt. 8,5% der S-Bahn-Züge fielen 2024 aus und von den fahrenden Bahnen konnten über 15% ihr Ziel nicht pünktlich erreichen (SPNV- Qualitätsmonitor NRW).
Sperrungen werden zur Regel
Schon 2024 wurde der Hauptbahnhof Bochum für sieben Wochen (07.01. – 23.02.) nicht angefahren. Jetzt sollen im Bereich Bochum zusätzliche Signale aufgebaut und der Bochumer Hauptbahnhof umgebaut werden. Obwohl die Bahn selbst von “geringen Umbaumaßnahmen” im Bereich des Bochumer Hauptbahnhofs spricht, benötigt sie insgesamt vier Monate. Als Grund für die Sperrung wird angegeben, für die Einführung des RRX müssten Anpassungen an Weichen und Signaltechnik vorgenommen und der Bahnsteig für die Gleise 3 und 4 um rund 60 Meter in Richtung Dortmund verlängert werden (PFA 5b Bochum). Es fragt sich, warum diese Arbeiten so lange dauern und nicht zumindest teilweise hätten während der Sperrung 2024 durchgeführt werden können. Zumal das Eisenbahnbundesamt die Planungen bereits am 30.12.2019 bestätigt und damit die Baugenehmigung erteilt hat (PFA 5b Bochum).
Kunden werden immer noch als Beförderungswillige angesehen
Die erneute Sperrung zeigt, dass die Bahn wie öffentliche Verkehrsunternehmen leider viel zu oft, die Kunden weiterhin nur als Beförderungswillige sehen und sich an ihrer Einstellung zu den Fahrgästen seit der Bahnreform 1994 wenig verändert hat. Die Kunden werden als Verfügungsmasse und lästig angesehen.
Bei einer Baustelle stören Kunden, also wird der Bahnverkehr eingestellt und die Kunden sollen sehen, wo sie bleiben. Im Verständnis deutscher Verkehrsunternehmen dient der Kunde dem Firmengewinn – und nicht vorrangig das Unternehmen dem Kunden. Es geht darum, die Renditen zu maximieren sowie Investitionen und Kosten zu senken (Japan-Experte erklärt: Darum versagt die Deutsche Bahn so sehr).
Die Art, wie man mit Baumaßnahmen umgeht, zeigt diese Einstellung deutlich. Für die Bauingenieure der Bahn ist eine Baumaßnahme ohne Züge und Kunden am einfachsten, schnellsten und billigsten zu bewältigen. Die Bedürfnisse der Kunden, auch während Bauarbeiten weiterhin gut von A nach B zu kommen, spielen in der Gedankenwelt des Unternehmens keine Rolle, die haben sich anzupassen und den Vorstellungen der Bahn unterzuordnen. Die Zufriedenheit der Fahrgäste hat keinen Wert. Es zählt allein, dass es das Unternehmen und seine Beschäftigten möglichst einfach haben.
In Japan sieht man, es geht auch anders
In Ländern mit erfolgreichem Schienenverkehr wie der Schweiz und Japan ist das grundlegend anders. Beispiel Japan: Auch dort wollen die Unternehmen ihren Gewinn steigern. “Die Effizienz wird dabei jedoch vom Kunden her definiert. Die Aufgabe eines Unternehmens ist, die Zumutung für Kunden zu minimieren, auch wenn dafür – zum Beispiel durch mehr Personal – etwas Eigenkapitalrendite geopfert werden muss. Denn im japanischen Verständnis entspringt der Gewinn der Zufriedenheit der Kunden” (Darum ist die Bahn in Japan so pünktlich).
In Japan werden die größten Bahnhöfe der Welt mit mehreren Millionen Fahrgästen pro Tag (Shinjuku Station: 3,6 Mio./Tag, Bochum: 46.000 pro Tag) im laufenden Betrieb umgebaut, ohne dass es zu nennenswerten Sperrungen kommt. Die Verschiebung von Bahnsteigen wie etwa 2020 an der Shibuya Station (3 Mio. Fahrgäste/Tag) wurde im laufenden Verkehr erledigt. Für die Verbreiterung eines Bahnsteigs um etwa 5 Meter inklusive der dazu nötigen Verlegung der Gleise, sperrte man die betroffene Yanamote-Line 2023 für gerade mal zwei Tage (Part of Tokyo’s busy Yamanote loop line to be suspended for 2 days).
In Japan sieht man, solche Arbeiten im laufenden Betrieb bei maximal wenigen Tagen Sperrung durchzuführen, ist technisch möglich. Ob es so gemacht wird, wie es in Japan der Regelfall ist, liegt allein am Willen der bauplanenden Unternehmen und deren Wertschätzung von Kundenbedürfnissen. Würden japanische Bauingenieure öffentlich mehrwöchige Bahnhofssperrungen vorschlagen, wären sie ohne große Diskussion sofort ihren Job los, nachdem sie sich öffentlich mit tiefsten Verbeugungen für ihr Fehlverhalten vielmals entschuldigt hätten.
Die Missachtung von Kundenwünschen hat in Japan direkte Konsequenzen für die Verantwortlichen. In Deutschland passiert nichts. Selbst aberwitzige Verspätungsrekorde und offensichtliche Unfähigkeit Probleme in den Griff zu bekommen, haben für das Management keinerlei Konsequenzen.
Die Bochumer Politik interessieren die Belange der Bahnpendler nicht
Die Politik ignoriert bzw. toleriert solches Verhalten und heißt es damit indirekt gut. So auch in Bochum, die erneute Sperrung des Bahnhofs für vier Monate wird von der Lokalpolitik achselzuckend hingenommen. Auch hier interessiert man sich für die Bedürfnisse der Bahnkunden nicht. Gab es in Düsseldorf bei der Vorstellung ähnlicher Pläne 2024 zumindest klare Worte der Kommunalpolitiker und –politikerinnen (Politik kritisiert Bahn massiv für RRX-Planung), zeigt man sich in Bochum über alle Parteigrenzen an den Belangen der Bahnpendler desinteressiert. Deutliche Worte des Oberbürgermeisters blieben bisher aus. Genau darauf baut die Bahn und so kommt sie mit ihrer kundenfeindlichen Politik durch. Immerhin gibt die größte Bochumer Zeitung den Kunden eine Stimme (WAZ vom 08.01.2025). Die empfinden den Umgang der Bahn mit ihren Bedürfnissen als Frechheit.
Informationspolitik der Bahn ungenügend
Auch die Informationspolitik der Bahn ist ein Desaster. Viel zu spät rückt man mit dem wahren Ausmaß der Sperrungen raus. Auf der Internetseite der Bahn zu dem entsprechenden Bauprojekt findet man zu den damit verbundenen Sperrungen bis heute (11.01.25) kein Wort (PFA 5b Bochum). Von Entschuldigungen und dem Bitten um Verständnis ist in den Verlautbarungen nichts zu lesen. Die Mitteilungen der Bahn – wenn man sie denn findet – lesen sich im Bürokratiedeutsch der Bahn (“PFA 5b Bochum”) so, als gäbe es ein paar belanglose Fahrplanänderungen im Streckenbereich Bochum zu vermelden (Bauarbeiten zwischen Essen und Dortmund).
Lohnt sich der RRX-Umbau?
Schlussendlich stellt sich die Frage, lohnen sich all die beschriebenen Umbaumaßnahmen denn am Ende wenigstens für die Kunden? Seit 2011, voraussichtlich bis 2030 beabsichtigt die Bahn an dem Gesamtprojekt RRX zu planen und bauen. Über 1,3 Mrd. Euro sollen bis 2030 investiert werden. Das klingt viel, die Zahl relativiert sich allerdings angesichts des über Jahrzehnte aufgelaufenen Sanierungsstaus und der überaus langen Planungs- und Bauzeit von 19 Jahren (68 Mio./Jahr).
Auf der zentralen RRX-Achse von Köln nach Dortmund, an der rd. 4,1 Mio. Menschen wohnen, sollen ab 2030 die Züge im 15 Minuten Takt fahren. Das ist allerdings deutlich entfernt von dem, was in Metropolen und Metropolregionen weltweit auf ähnlichen Linien üblich ist. Auf vergleichbaren Strecken fahren die Züge mindestens aller 5 bis 10 Minuten, vielfach ist sogar ein Takt unter 5 Minuten die Regel. Ein metropolengerechter Nahverkehr wird also auch nach allen Umbauten nicht möglich sein.
Das RRX-Konzept basiert auf der Idee, dass sich weiterhin Fern-, Güter- und Regionalverkehr
dieselben Gleise (In Bochum 3-6) teilen. Das macht aber auch in Zukunft den Zugverkehr sehr komplex und ist wesentliche Ursache für die latente Unzuverlässigkeit im deutschen Schienenverkehr. Eine Streckenstörung wird auch in Zukunft massive Auswirkungen auf das ganze Netz haben. Die Erfahrungen weltweit zeigen, zuverlässiger Zugverkehr ist nur möglich, wenn Regional- und Fernverkehr auf eigenen Trassen fahren (Darum ist die Bahn in Japan so pünktlich).
Auch lässt die Nutzung der gleichen Gleise durch Regional- und Fernverkehr keine substanzielle Taktverdichtung zu. Bei einer Takterhöhung auf 5-10 Minuten könnten zwischen den RRX-Zügen keine Fernverkehrszüge mehr fahren. Für die in Metropolen üblichen Zugtaktungen bräuchte der RRX zwingend eigene vom Fernverkehr separierte Gleise. Die Lösung, die jetzt mit dem RRX geschaffen wird, ist also nicht zukunftsfähig.
Nach 2030 sind weitere umfassende Baumaßnahmen nötig
Ist man im Ruhrgebiet ernsthaft an einem metropolengerechten Nahverkehr interessiert, müssten ab 2030 die vorgenommenen Umbauten wieder über den Haufen geworfen werden, um neben den bestehenden Fernverkehrsgleisen eine eigene RRX-Trasse zu schaffen. Hinzu kommt, auch im Fernverkehr ist, sofern Deutschland es mit der Verkehrswende ernst meint, eine deutliche Taktverdichtung notwendig ist. Zum Vergleich, der Shinkansen fährt in Japan zwischen Tokyo und Osaka mit 280 km/h im 5-10 Minuten-Takt.
Im Endeffekt ist das RRX-Projekt somit sehr teuer, geht aber an den Bedarfen und Herausforderungen der Zukunft komplett vorbei. Schon jetzt ist absehbar, dass nach 2030, die gesamte Strecke von Köln bis Dortmund erneut umgebaut werden müsste, um den Herausforderungen von Nah- und Fernverkehr in Metropolen wirklich gerecht zu werden.
Im Ergebnis mutet die Bahn ihren Kunden also jetzt massive Einschränkungen für Umbaumaßnahmen zu, die nicht mal halbwegs geeignet sind, den Nah- und Fernverkehr auf den Stand zu bringen, der in modernen Metropolen weltweit üblich ist. Danke für nichts, wird es am Ende von den Kunden heißen.
Es ist fraglich, ob der VRR den RRX-Betrieb überhaupt stemmen kann
Denn fraglich ist zudem, ob der VRR es überhaupt schaffen wird, selbst den ohnehin unambitionierten 15-Minuten-Takt auf die Beine zu stellen. Denn eigentlich sollten heute bereits drei RRX-Linien (RE1, RE 6 und RE 11) die zentrale RRX-Achse von Köln nach Dortmund befahren. Der VRR ist aufgrund struktureller Unfähigkeit jedoch seit Ende 2023 nicht mehr in der Lage den RE 11 fahren zu lassen. Dieser fällt noch bis mindestens Mitte Juni 2025 von Düsseldorf bis Hamm aus (Fahrplan RE 11).
Wieder zeigt sich, dass die Verkehrsunternehmen es nicht als ihre Aufgabe ansehen, die Zumutungen für Kunden zu minimieren. Die Bedürfnisse der Kunden spielen bei den Unternehmensentscheidungen keine Rolle, wenn das Unternehmen keine Interesse hat, nach Lösungen für die Kunden zu suchen, fallen die Züge einfach aus. Das Problem wird vom Unternehmen auf den Kunden abgeschoben.
Keine Verbesserungen, solange sich Haltung zu Kunden nicht ändert
Auch für die Zukunft sind also trotz aller Umbaumaßnahmen keine wesentlichen Verbesserungen für die Kunden zu erwarten, so lange sich die Haltung gegenüber den Beförderungswilligen aka Kunden nicht grundsätzlich ändert und Verantwortliche, die nicht bereit sind, die Kundeninteressen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen, nicht konsequent von ihren Aufgaben entbunden werden.