Grüne und CDU maßen sich an zu bestimmen, wer in den Ausschüssen des Stadtrats abstimmen darf
Die Fraktionen von Grünen und CDU im Bochumer Stadtrat haben die Wahl der Ratsausschüsse so beeinflusst, dass nur die kleinen Fraktionen einen stimmberechtigten Sitz in den Ausschüssen des Rates bekommen konnten, die ihnen genehm sind. Warum dieses Vorgehen voraussichtlich rechtswidrig ist und in NRW bisher ohne Beispiel:
Mit Leihstimmen von Grünen und CDU konnten die kleinsten Fraktionen des Rates von FDP und UWG: Freien Bürgern” einen stimmberechtigten Sitz in den Ausschüssen des Rates erlangen. Gleichzeit wurde so verhindert, dass die um einen Sitz größere Fraktion “Die PARTEI und STADTGESTALTER” in den Ausschüssen mit einem stimmberechtigten Sitz vertreten ist. Die Fraktion aus PARTEI und STADTGESTALTER n wird daher beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen beantragen, dass das Gericht feststellt, dass die Wahlen vom 17.12.20 zur Besetzung der Ausschüsse ungültig waren.
Stadtrat und Ausschüsse des Rates müssen spiegelbildlich besetzt sein
Das Grundgesetz sieht vor, dass die Ausschüsse des Stadtrates spiegelbildlich zum Rat zu besetzen sind. Da der Stadtrat Entscheidungen des Rates an die Ausschüsse delegiert, muss auch dort nach denselben Mehrheitsverhältnissen abgestimmt werden wie im Rat. Die von den Wählern bei der Kommunalwahl bestimmten Mehrheiten müssen sich auch in den Ausschüssen des Rates widerspiegeln.
Die Rechtsprechung von Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgericht ist diesbezüglich eindeutig: “Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 80, 188) muss grundsätzlich jeder Ausschuss … ein verkleinertes Bild des Plenums sein und in seiner Zusammensetzung die Zusammensetzung des Plenums widerspiegeln. …. die [Ausschüsse] dürfen nicht unabhängig von dem Stärkeverhältnis der Fraktionen besetzt werden … [Die Ausschüsse anders als nach dem Spiegelbild der Mehrheitsverhältnisse im Rat zu besetzen] „widerspricht dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes (BVerwG 8 C 18.03).”
Diese sich aus dem Grundgesetz ergebende Vorgabe wird in einigen Bundesländern dadurch sichergestellt, dass die Ausschussmitglieder, anders als in NRW, entsprechend ihrer Stärkeverhältnisses von den Fraktionen benannt und nicht durch den Rat gewählt werden.
Besetzung der Ausschüsse nach Gutdünken von Grünen, CDU und SPD
Dass die Ausschüsse in NRW nicht von den Fraktionen besetzt, sondern durch den Rat gewählt werden, haben die großen Ratsfraktionen des Bochumer Rats (Grüne, CDU und SPD) bei den Wahlen am 17.12 zu Nutze gemacht, um nach ihren Interessen zu bestimmen, welche kleinen Fraktionen in den Ausschüssen Stimmrecht besitzen sollen und welche nicht.
Zu diesem Zweck stellten die Fraktionen in der entsprechen Ratssitzung einen gemeinsamen Antrag, der dann durch ein entsprechendes fraktionsübergreifendes Abstimmungsverhalten durchgesetzt wurde (Antrag 20203123). Ziel dieses Vorgehen war, den Fraktionen von FDP und “UWG: Freien Bürgern” zu einen stimmberechtigten Sitz in den Ausschüssen zu verhelfen und einen entsprechenden Sitz für die Fraktion “Die PARTEI und STADTGESTALTER” zu verhindern und damit die Spiegelbildlichkeit der Besetzung von Rat und Ausschüssen außer Kraft zu setzen.
Gemäß dem Prinzip der Spiegelbildlichkeit von Rat und Ausschüssen, stünde ein stimmberechtigter Sitz in den Ausschüssen allerdings zunächst der Fraktion “Die PARTEI und STADTGESTALTER” zu, da diese im Rat der Stadt über einen Sitz mehr verfügt (4 Sitze) als die beiden Fraktionen von FDP und “UWG: Freien Bürgern” (jeweils 3 Sitze) (Variante 0, Möglichkeiten der Reststimmenverwertung)
Um FDP und “UWG: Freien Bürgern” einen stimmberechtigten Sitz zu verschaffen, liehen die Grünen der FDP zwei Stimmen und die CDU der Fraktion „UWG: Freie Bürger“ ebenfalls zwei Stimmen. Gemäß Absprache stimmten die beiden Grünen Ratsmitgliedern Olaf Krause und Wolfgang Cordes somit nicht für die Wahlliste der eigenen Fraktion, sondern für die Liste der FDP und das selbst dann nicht, wenn sie selbst über die Liste der Grünen in einen der Ausschüsse gewählt werden sollten. In gleicher Weise verhielten sich die beiden CDU-Ratsmitglieder Julian Meischein und Hans Henneke. Sie stimmten in allen Wahlen für die Liste der Fraktion „UWG: Freie Bürger“. Ebenfalls stimmten sie dann nicht für die CDU-Liste, wenn sie selbst über die entsprechende CDU-Liste in einen der Ausschüsse gewählt werden sollten.
So erhöhte sich bei den Ausschusswahlen die Zahl der Stimmen, die auf die Fraktionen von FDP und “UWG: Freien Bürgern” entfielen, jeweils von 3 auf 5 (+66%). Entsprechend erlangten beide Fraktionen je einen ordentlichen Sitz in den Ausschüssen, die Fraktion „Die PARTEI und STADTGESTALTER“, die im Rat eigentlich über einen Sitz mehr verfügt als die Fraktionen von FDP und “UWG: Freien Bürgern”, konnte dagegen keinen stimmberechtigten Sitz erlangen.
Das rechtswidrige Verfahren der Reststimmenverwertung
Mit der Bildung von Zählgemeinschaften, wie im vorliegenden Fall geschehen, kann ein fraktionsübergreifender Zusammenschluss mehrerer großer Fraktionen hinsichtlich der Besetzung der Ausschüsse fast jedes gewünschte Ergebnis durchsetzen und nach eigener Interessenlage bestimmen, welche der kleinen Fraktionen in den Ausschüssen des Rates mit Stimmrecht vertreten sind und welche nicht.
Dazu werden, wie im vorliegenden Fall, die für die Erreichung der eigenen Sitze im Ausschuss nicht erforderlichen Stimmen (Reststimmen), an andere Fraktionen abgegeben, damit diese zum Nachteil anderer Fraktion zusätzliche Sitze gewinnen können. Dieses Vorgehen wird als “Reststimmenverwertung bezeichnet und ist gemäß Rechtsprechung des Bundeverwaltungsgerichts rechtswidrig: “Ein erst nach der Kommunalwahl vereinbartes „ad hoc-Bündnis zum Zweck der besseren Reststimmenverwertung“, das sich nur zur Gewinnung eines mathematischen Vorteils bei dem anschließenden Verteilungsverfahren gebildet hat, [darf] nicht Grundlage der Sitzverteilung in den Ausschüssen sein. (BVerwG 8 C 18.03 https://www.wahlrecht.de/wahlpruefung/20031210.htm).”
Im vorliegenden Fall verfügt die SPD-Fraktion je nach Stimmenkonstellation über 2-3 überschüssige Reststimmen, die Grünen über 3-4, die CDU wiederum über 2-3. Mit diesen insgesamt mindestens 7 überschüssigen Stimmen können die genannten Fraktionen fast nach Belieben kontrollieren und entscheiden, welche Fraktion in den Ausschüssen mit einem stimmberechtigten Sitz vertreten sind und welche nicht. Mit entsprechenden Stimmverteilungen haben die drei großen Fraktionen die Möglichkeit nach gut Dünken eine bis zwei der drei kleinsten Fraktionen aus den Ausschüssen des Rates raus zu halten (Tabelle, Varianten möglicher Reststimmenverwertungen).
So hätten die drei größten Fraktionen ihre überschüssigen Stimmen auch so verteilen können, dass die beiden Fraktionen von FDP und “UWG: Freie Bürgern” ohne ordentlichen Sitz geblieben wären (Variante D) oder die Fraktionen FDP und „Die PARTEI und STADTGESTALTER” (Variante C) oder die beiden Fraktionen „UWG: Freie Bürger“ und „Die PARTEI und STADTGESTALTER“ (Variante B) oder eben so, dass nur eine der drei genannten Fraktionen ohne ordentlichen Sitz geblieben wäre (Varianten A, E und F).
Reststimmenverwertung mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtlich nicht zulässig
Es ist schwer vorstellbar, dass Verwaltungsgerichte, entgegen der bisherigen, überaus umfangreichen Rechtsprechung bis hin zum Bundesverfassungsgericht es nunmehr zulassen, dass große Fraktionen durch die beschriebene Reststimmenverwertung nach Belieben bestimmen können, welche kleinen Fraktionen in den Ausschüssen vertreten sind und welche nicht. Die Erfolgsaussichten der Klage von “Die PARTEI und STADTGESTALTER dürfte daher nicht schlecht sein.
Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Gerichte auch die beschriebene, in NRW erstmalig angewandte Methode der Reststimmenverwertung als rechtswidrig ansehen werden und ausdrücklich verbieten, dass große Fraktionen anderen Fraktionen stimmen leihen, um damit die Spiegelbildlichkeit von Rat und Ausschüssen zu unterlaufen.
Eine Abstimmung von Ratsmitgliedern für Wahllisten anderer Parteien und Gruppierungen dürften damit nur rechtlich zulässig sein, wenn die eigene Partei oder Gruppierung keine eigene Wahlliste für die Ausschussbesetzung aufgestellt hat.
Das Demokratieprinzip hat für Grüne und CDU offenbar wenig Bedeutung
Abschließend sei angemerkt, dass das beschriebene Vorgehen ein zwiespältiges Verhältnis, insbesondere der Ratsmitglieder von Grünen und CDU, zum Demokratieprinzip und den damit verbundenen Minderheitsrechten offenbart. Den in beiden Fraktionen erstmals im Rat vertretenen Ratsmitgliedern mag man zu Gute halten, dass sie mit den entsprechenden Grundprinzipien noch nicht vertraut sind, zumindest diejenigen, die schon länger dabei sind, haben sich bei der Wahl der Ausschüsse allerdings bewusst für Machtspielchen und gegen die Achtung des Demokratieprinzips und die Wahrung der Minderheitenrechte entschieden.