Digitaloffensive: Tempo bei der Schul-Digitalisierung deutlich erhöhen
Diese Woche schrieben die Eltern der Bochumer Gesamt- und Sekundarschulen einen Brandbrief an den Oberbürgermeister, die IT-Infrastruktur an den Schulen sei marode bis nicht vorhanden, nicht ein Tablet sei bisher an den Schulen angekommen, für die Digitalisierung der Schulen bereitstehende Fördermittel seien bis heute nicht beantragt worden. Eine Akteneinsicht der Fraktion „Die PARTEI und STADTGESTALTER“bestätigt dieses traurige Bild. Bochum muss bei der Digitalisierung der Schulen dringend das Tempo beschleunigen.
In Bochum wird seit Jahrzehnten nicht genug für Schulen und Bildung getan, das zeigt sich bereits am baulichen Zustand vieler Schulen und deren Ausstattung. Jetzt wirft die Corona-Krise ein helles Schlaglicht auf die schwerwiegenden Versäumnisse und Mängel im Bereich Digitalisierung und schulischer IT-Infrastruktur:
Fehlende Anschlüsse der Schulen an das Glasfasernetz – Die meisten der rund 100 Schulstandorte sind bis heute nicht an das Glasfasernetz angeschlossen. Zumindest sind jetzt die weiterführenden Schulen bis auf eine provisorisch an das Gigabit-Netz von Vodafone (ehemals Unitymedia) angeschlossen. Der sogenannte Gigabit-Anschluss bietet allerdings nur 50 MBit/s Upload was für Schulen mit über 1.000 Schülern und 200 Lehrern erkennbar viel zu wenig ist. Erst 2025 sollen alle Schulen an das Glasfasernetz angeschlossen sein, ein anspruchsloses Ziel.
Keine leistungsfähigen WLAN-Netze an den Schulen – Fast keine Schule in Bochum verfügt über ein schnelles, flächendeckendes WLAN-Netz. In der Regel wurden die bestehenden WLAN-Netze zum wesentlichen Teil von den Fördervereinen bezahlt und von engagierten Lehrern aufgebaut. Es fehlt eine leistungsfähige WLAN-Infrastruktur, die an jeder Schule in gleicher Weise aufgebaut ist und damit leicht zu warten ist.
Fehlende Endgeräte – Schüler*innen und Lehrer sind immer noch nicht mit den erforderlichen Tablets und Notebooks ausgestattet. Gerade mal 3.600 Tablets wurden bisher für die Schüler*innen bestellt. Mit der Auslieferung wurde erst im Februar begonnen. Weitere 9.000 Geräte, die vom Schuldezernenten seit Monaten angekündigt werden, wurden, wie die Akteneinsicht der Fraktion „Die PARTEI und STADTGESTALTER“ ergab, bis heute nicht bestellt. Und selbst wenn diese bis zum Ende des Jahres an die Schulen ausgeliefert werden, wird die Stadt nur ein Tablet auf 4,75 Schüler*innen angeschafft haben. Zumindest bei den weiterführenden Schulen sollte das Ziel sein, dass für jeden ein Tablet zur Verfügung steht. Doch dazu gibt es bisher nicht mal einen politischen Beschluss.
Kein städtisches IT-Kompetenzzentrum – Bisher konnte das Schulverwaltungsamt weder eine Support- noch eine Wartungsstruktur für die bestehende IT-Infrastruktur aufbauen. Auch systematische Schulungen der Schüler*innen und Lehrern auf den neuen Geräten sind nicht möglich. Rot, Grün stimmten im Stadtrat immer wieder zusammen mit der CDU gegen den Aufbau eines entsprechenden zentralen IT-Kompetenzzentrums (Ein städtisches IT-Kompetenzzentrum für die Schulen, 05.10.19). Über gerade mal 6,5 Stellen verfügt das IT-Sachgebiet im Schulverwaltungsamt. Immerhin soll es bis Jahresende acht Stellen geben, perspektivisch ggf. zehn. Das sind angesichts der vielfältigen Aufgaben, die zu bewältigen sind und der rund 100 Bochumer Schulstandorte, die zu betreuen sind, viel zu wenig Beschäftigte.
Keine eigene städtische Serverstruktur – Die Stadt sollte allen Schulen, wenn möglich auf eigenen städtischen Servern, die erforderlichen Videokonferenz- und weiteren digitalen Unterrichtssysteme zur Verfügung stellen. Auf diese Weise lässt sich maximale Datensicherheit herstellen. Bisher verfügen nur einzelne Schulen über eigene Server und Netzwerke, die sie zumeist selbst mit Hilfe der Fördervereine aufgebaut und eingerichtet haben. Für eine zentrale Wartung, leichteren Support und die Garantie einheitlicher Sicherheitsstandards sollten auch hier die IT-Strukturen über alle Schulen zentralisiert, vereinheitlicht und vernetzt werden.
Bereits im Mai 2020 hatten die STADTGESTALTER angesichts der Corona-Lage einen Notfallplan vorgeschlagen, um die geschilderten Aufgaben schnellst möglich angehen zu können (Notfallplan für digitalen Schulunterricht, 10.05.20). Auch hier scheiterte die Umsetzung an SPD, Grünen und CDU, die ein schnelles Vorgehen nicht für nötig hielten.
Wechselunterricht wird in Bochum nicht möglich sein
Aufgrund der unzureichenden IT-Infrastruktur wird der für die Zeit nach dem Schul-Lockdown geplante Wechselunterricht an Bochumer Schulen nicht durchführbar sein. Mangels Glasfaseranbindung der Schulen, fehlendem WLAN und der erforderlichen IT-Ausstattung, wird nicht die eine Hälfte der Schüler*innen in den Klassenräumen unterrichtet und für die andere Hälfte der Unterricht nach Hause gestreamt werden können. Während die eine Hälfte in den Schulen Unterricht erhält, wird die andere Hälfte weiter zu Hause sitzen und Aufgaben lösen müssen. Eine digitale Teilnahme am Unterricht wird für die Schüler*innen zu Hause ein Wunschtraum bleiben.
Es wird höchste Zeit, dass die Stadt endlich Geld in die Hand nimmt, um das Personal im Schulverwaltungsamt im Bereich Schul-IT deutlich aufzustocken und ein städtisches IT-Kompetenzzentrum zu schaffen. Dazu muss die Beschaffung der Endgeräte beschleunigt und auf alle Schüler*innen ausgeweitet werden. “Jedem Kind ein Tablet” sollte zukünftig das Ziel lauten. Ebenso darf der Anschluss aller Schulstandorte an das Glasfasernetz nicht bis 2025 dauern und muss kurzfristig mit der systematischen Ausstattung aller Schulen mit einem leistungsfähigem WLAN-Netz begonnen werden. Parallel sollte die Stadt den Aufbau einer eigenen städtischen Schulserverstruktur in Angriff nehmen.
Kooperationen mit anderen Städten nötig
Um diese Aufgaben alle gleichzeitig anzugehen wird ein beispielloser Kraftakt erforderlich sein. Daher sollte überlegt werden diese Kraftanstrengung gemeinsam mit Nachbarstädten zu unternehmen. In Essen haben Stadt und Schulen mit dem Alfried Krupp-Schulmedienzentrum bereits einen starken Partner. Auch werden in Essen mit Hilfe des Jobcenters IT-Experten, die sich aktuell Corona bedingt in Kurzarbeit befinden, für den Aufbau schulischer IT-Infrastruktur genutzt. Auch diesem Beispiel könnte Bochum folgen. Andere Städte sind weiter als Bochum, damit die Stadt die Defizite aufholt, erscheint es sinnvoller sich entsprechenden Projekten benachbarter Städte anzuschließen als selbst das Rad neu zu erfinden.
Politik muss aktiv die Digitalisierung der Schulen vorantreiben
Damit Bochum möglichst schnell die Voraussetzungen für modernen und digitalen Unterricht schaffen kann, muss Rot-Grün ihre von der CDU bisher weitgehend unterstützte passive Schul- und Bildungspolitik aufgeben. Bisher wurde die Stadt nur tätig, wenn Land- oder Bund mit Fördermitteln winkten. Aktiv aus eigenem Antrieb geschah kaum Nennenswertes. Die Stadt benötigt eine städtische Digitaloffensive mit einem Programm, das klare Ziele und einen ambitionierten Maßnahmenkatalog samt Zeitplan enthält, um die genannten Defizite kurz- bis mittelfristig zu beseitigen. Dafür muss die Stadt eigenes Geld in die Hand nehmen, damit sie selbst das Personal einstellen und die IT-Struktur anschaffen kann, die die Schulen dringend benötigen. Immer nur dann an den Schulen aktiv zu werden, wenn Land bzw. Bund Fördermittel bereitstellen, kann keine Option mehr sein.
Als Universitätsstadt sollte Bochum zudem das Ziel verfolgen, bei der IT-Ausstattung der Schulen zu den Vorreitern in ganz Deutschland zu gehören. Zudem sind die Zeiten, in denen Menschen auch ohne Schulabschluss oder große schulische wie berufliche Qualifikationen in der Stadt eine gute Arbeit gefunden haben schon lange vorbei. Entsprechend sollten auch mit Blick auf den Arbeitsmarkt Schulen und Bildung in der Bochumer Politik eigentlich schon heute höchste Priorität besitzen.