12 Nov.

Strategie gegen Populismus

Viele Stadtviertel veröden, Straßen und Schulen sind marode, jedes Jahr erreichen die städtischen Schulden einen neuen Höchststand, die städtischen Abgaben steigen, die Verwaltung zeigt sich bei der Organisation der Bürgerbüros und der Flüchtlingskrise überfordert. Überall in Deutschland sinken die Arbeitslosenzahlen nur im Ruhrgebiet nicht, da wandern Unternehmen und Bewohner ab. Die Medien in Deutschland verwenden für das Ruhrgebiet immer häufiger den Begriff „Armenhaus der Republik“.

Der politische Nährboden des Populismus

facebookDas macht die Bürger wütend. Der nunmehr vier Jahrzehnte andauernde Abstieg des Ruhrgebiets enttäuscht die Bürger. Der immer wieder versprochene erfolgreiche Strukturwandel bleibt aus. Die Millionen teuren schweren Fehlentscheidungen haben die Glaubwürdigkeit in die Politik schwer beschädigt. Viele Menschen fühlen sich vernachlässigt und abgehängt.

So ist im Ruhrgebiet ein idealer Nährboden für Populisten entstanden, die einfache Lösungen für komplexe Problem verkünden (Trump und das Ruhrgebiet, 10.11.16).

Seit Jahren verspricht die Politik eine Wende, die aber nicht eintritt, so trauen immer weniger Bürger der etablierten Politik Lösungen zu. Konkrete Vorschläge, Ideen und Konzepte entwickeln die Parteien im Ruhrgebiet traditionell eher nicht. Man ist damit beschäftigt die Schuld für die Misere bei anderen zu suchen oder die Lage schön zu reden und dabei Rosen zu verteilen.

Nach Meinung der Stadtpolitik ist an der Lage der Ruhrgebietsstädte allein Land und Bund schuld, das eigene Verschulden wird klein geredet. Doch die Landesregierung wegen ihrer schweren Versäumnisse ggü. den Ruhrgebietsstädten zur Rede zur stellen, traut sich niemand, keiner will die Parteifreunde verärgern, stattdessen werden Selbstverständlichkeiten, wie die Bereitstellung von völlig unzureichenden Mitteln für die Sanierung der Schulen abgefeiert als würden die Städte jetzt mit Geschenken überhäuft (WAZ vom 24.10.16). Die Menschen erkennen, es wird ihnen eine Wahrheit vorgespielt, die nichts mit den Realitäten zu tun hat, die sie jeden Tag erleben.

Tatsächlich lässt das Land die Region im Stich. Nicht nur die Finanzausstattung der Städte ist unzureichend, auch gibt es erkennbar keine ernsthaften Bemühungen, die Städte des Ruhrgebietes endlich in einer starken Metropolregion zusammen zu fassen. Wenn die verantwortlichen Regierungspolitiker die Städte besuchen, sprechen aber die Lokalpolitiker nicht diese Themen an oder fordern endlich Lösungen, stattdessen loben sie den angeblich unermüdlichen Einsatz der Landespolitik für die Stadt und machen Wahlkampf für sie. Solche Doppelzüngigkeit fällt den Bürgern auf und beschädigt die Glaubwürdigkeit der Politik.

Über Jahrzehnte wurden die Missstände von den städtischen Verantwortlichen damit entschuldigt, es fehle der Stadt das notwendige Geld. Diese Ausrede für die politischen Versäumnisse der Vergangenheit rächte sich bitter, als in der Flüchtlingskrise auf einmal Millionenbeträge mobilisiert werden konnten. Viele Bürger können nicht verstehen, wieso jetzt auf einmal Geld da ist.

Eine solche Gemengelage kam für die Populisten wie gerufen. Schnell schoben sie den Flüchtlingen die Schuld an der schlechten Lage der Ruhrgebietsstädte zu. Obwohl nicht die Flüchtlinge ursächlich für die Missstände sind, sondern die falsche Politik der Vergangenheit, gelang es nicht diesen Zusammenhang den Menschen klar zu machen. Denn um diese Fehleinschätzung zu entkräften, hätte die verantwortliche Politik die eigenen Versäumnisse einräumen müssen. Dazu war man dann doch nicht bereit. Also redete man die Lage stattdessen weiter schön und überließ die Deutungshoheit den Populisten.

Obwohl wir im Zeitalter der sozialen Medien leben, stehen nur ganz wenige Stadtpolitiker den Bürgern dort Rede und Antwort, hören sich Kritik und Anregungen an, erklären ihre Ideen und Vorschläge, versuchen die Menschen zu überzeugen oder versuchen die komplexen Zusammenhänge zu erklären. In der Folge kommt es auch in den sozialen Medien zu einem pauschalem Poltikerbashing, dem die Parteipolitiker nichts entgegen stellen. Sie verteidigen ihre Politik nicht. Bei vielen Bürgern setzt sich die Ansicht durch, Politiker machen was sie wollen, sie interessierten sich nicht für die Meinungen der Bürger und hielten sich für per se besser.

Mangelnde Gesprächsbereitschaft gegenüber der Bürgern und fehlende konkrete Ideen und Vorschläge sind die offene Flanke der etablierten Politik, die es den Populisten leicht machen, Menschen für ihre einfachen Lösungen zu gewinnen.

Projekte wie das Bochumer Musikforum, das den Bürgern mit verdrehten Wahrheiten über die Folgekosten verkauft wurde, untermauern die Politikverdrossenheit weiter. Es entsteht die irrige Haltung, dass alle Politiker die Menschen belügen und es am Ende völlig egal sei, ob man einem etablierten Politiker oder einem Populisten seine Stimme gibt, mehr als belügen könne der Populist die Wähler auch nicht. Außerdem entsteht so das dringende Bedürfnis der etablierten Politik mit seiner Stimme mal einen Denkzettel zu verpassen.

Schönreden statt kritischem Journalismus

Leider haben sich auch die Ruhrgebietsmedien nur selten die Ursachen der Probleme des Ruhrgebietes mit dem gebotenen journalistischen Eifer kritisch hinterfragt. Viele Versäumnisse wurden hier über die Jahrzehnte ebenfalls schön oder klein geredet. Verantwortliche für hunderte Millionen teuere Fehlentscheidungen werden traditionell nicht persönlich benannt. Eine eigene, gründliche Hintergrundanalyse und Darstellung der Probleme findet leider nur in Ausnahmefällen statt. In den allermeisten Fällen stellt man im Blatt die Positionen der politischen Gegner allenfalls unkommentiert gegenüber und verbreitet hunderte Bilder von fröhlich lachenden Politikern in schicken Anzügen, die sich mit Spatenstichen, Grundsteine mauern, Bänder durchschneiden und Ehrungen ins rechte Licht rücken. Bei den Bürgern entsteht der Eindruck, Politikern gehe es nur um den schönen Schein, um zu übertünchen, dass es an ernshaften Konzepten und Lösungen fehlt. Um die eigentlichen Probleme kümmere sich längst niemand mehr.

Die eigene Welt der Parteien

Parteimitglieder nutzen ihre Facebook-Seiten nicht dazu über Lösungen für die Stadt zu diskutieren, sie berichten stattdessen von interessanten Gespräche bei den Parteisommerfesten, posten Selfies mit bekannten Bundes- und Lokalpolitikern und geben an wertvolle Erkenntnissen bei den Seminaren der Kommunalakademie gewonnen zu haben. Wer das liest, gewinnt den Eindruck, hier geht es angeblichen Politikern nicht um die Stadt, sondern vielmehr darum in der Partei voran zu kommen.

Die Parteipolitik lebt in ihrer eigenen Welt mit einer ganz eigenen Wahrnehmung. Immer wieder bekräftigt man sich gegenseitig, man müsse nur die eigenen Themen und Konzepte besser kommunizieren, um so dem Populismus das Wasser abzugraben ohne sich einzugestehen, dass es z.B. in der Stadtpolitik schon an den konkreten Ideen und Vorschlägen fehlt. Schaut man auf die Webseiten der Parteien, dann findet man dort statt konkreten Ideen und Vorschläge wie die Probleme der Städte gelöst werden sollen, regelmäßig außer einem in weiten Teilen nichtssagenden, möglichst allgemein gehaltenen Wahlprogramm wenig Inhaltliches.

Notwendige Präsenz von Politik und Verwaltung in den sozialen Medien

Die Menschen leben im Zeitalter der sozialen Medien, hier tauschen sie sich aus, hier werden die politischen Diskussionen über die Zukunft der Stadt geführt, warum die Innenstadt in Wattenscheid immer weiter herunter kommt, warum die Stadt nichts gegen marode Schulen unternimmt und warum auf Hauptstraßen Radwege angelegt werden. Bei diesen Diskussionen glänzen fast alle städtischen Politiker durch Abwesenheit. Dabei muss die Politik gerade hier den Bürgern erklären, warum welche Entscheidungen getroffen wurden, wieso welche Probleme entstanden sind und wie sie gedenkt diese zu lösen. Nur im ständigen Gespräch mit den Bürgern schafft man Vertrauen und Glaubwürdigkeit für das, was die Politik tut. Da reichen vier Bürgersprechstunden und eine Bürgerkonferenz im Jahr nicht aus, auch wenn sich diese besser medial vermarkten lassen.

Alle Bürger, die in Bochum politische Ämter bekleiden, die Verwaltungsspitze sowie der Oberbürgermeister selbst sind aufgefordert sich an den politischen Diskussionen in den sozialen Medien zu beteiligen.

Wird in naher Zukunft die Bochum-Strategie vorgestellt, die Grundlage der Stadtentwicklung für das nächste Jahrzehnt, dann muss die Diskussion mit den Bürgern darüber auch auf breiter Ebene in den sozialen Medien erfolgen. In den Facebookgruppen erreicht die Politik tausende Bürger, bei einer Bürgerkonferenz oder politischen Diskussionsveranstaltungen im besten Fall wenige hundert.

Verlorenes Vertrauen und Glaubwürdigkeit wird die städtische Politik nicht auf einen Schlag zurück gewinnen, indem sie beginnt politische Ideen und Vorschläge zur Diskussionen zu stellen. Zunächst wird man bei einigen enttäuschten Bürgern auf massives Misstrauen und generelle Ablehnung stoßen, die alles für verlogen halten, was von der Politik vorgestellt und verbreitet wird. Vertrauen zurück zu gewinnen braucht Zeit.

Wichtig auch, dass die Politik untereinander sachlich, themenbezogen diskutiert und nicht fehlende Argumente durch Populismusvorwürfe oder persönliche Angriffe ersetzt werden.

Wenn es zur Selbstverständlichkeit wird, dass Politik und Verwaltung zu den Themen, die die Stadt bewegen, über die sozialen Medien Rede und Antwort stehen, dann gelingt es auch den Einwohnern komplexe Probleme verständlich zu machen, sie von Entscheidungen zu überzeugen und Ideen wie Vorschläge auf den Weg zu bringen, die einen breiten Rückhalt in der Stadt besitzen.

Wenige Politiker aus fast allen politischen Gruppierungen tun das bereits mit Erfolg und haben sich so einen gewissen Respekt bei den Bürgern erarbeitet. Das zeigt, dieser Weg funktioniert. Gleichermaßen wird von den Bürgern honoriert, wenn die städtischen Beauftragten für Baustellenmanagement und Fuß- und Radverkehr sich schon heute in die Diskussionen auf den sozialen Medien einschalten um Missverständnisse aufzuklären und für notwendige Maßnahmen um Verständnis werben. Das gilt es auszubauen. Statt Stunden mit Spatenstichen, Grundsteinlegungen und Eröffnungen zu verbringen ließe sich die Zeit besser nutzen, wenn die Politiker sich diese Zeit nähmen um den Bürgern Rede und Antwort zu stehen.

Das Verhältnis zwischen Bürgern und Politik würde so auf eine ganz andere Vertrauensbasis gestellt. Stadtpolitiker, die erreichbar sind, die bereit sind sich zu rechtfertigen und versuchen die Menschen von ihren Ideen und Vorschlägen zu überzeugen, erwerben sich wachsenden Respekt bei den Bürgern, selbst bei denjenigen, die sich nicht von allen Vorstellungen überzeugen lassen.

Eine politische Kultur, in der der politische Wettbewerb um Vorschläge und Ideen mit den Bürgern sachlich und themenbezogen geführt wird, bietet für Populisten keine Angriffspunkte. Vertrauen und Glaubwürdigkeit ist die Währung der Politik. Der direkte, ständige Austausch mit den Bürgern beugt Wut und Enttäuschung vor und lässt den Nährboden für Populismus erst gar nicht entstehen.

Die Vorstellung und Diskussion der Bochum-Strategie über die sozialen Medien könnte der Ausgangspunkt sein, verlorenes politisches Vertrauen und Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen.

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