Stadtteilranking – Wo ist Hilfe nötig?
Wer mit offenen Augen durch Bochum und Wattenscheid geht, findet auch immer wieder Ecken mit herunter gekommenen Straßenzügen, verwahrlosten Häusern, Leerständen und anderen Hinweisen, dass die Stadt sich hier negativ entwickelt. Die soziale Schieflage ist an solchen Orten sichtbar.
Menschen, die es sich leisten können, ziehen weg, es bleiben, die, denen Wohnungen zugewiesen werden oder die sich nur geringste Mieten leisten können. Eine Abwärtsspirale kommt in Gang, Stadtteile bekommen den Makel, sie seien abgewirtschaftet, sozial gekippt und unsicher. In der Folge will niemand in den Neubau und die Modernisierung des Viertels wie des Wohnraums investieren. Die Bausubstanz verkommt weiter, der Abwärtstrend setzt sich fort.
Wenn solche Viertel nicht mehr von sich aus der Abwärtsspirale herausfinden, muss die Stadt eingreifen, insbesondere das Stadtumfeld sanieren und die Hauseigentümer unterstützen ihre Immobilien zu sanieren und zu modernisieren.
Die Stadt ist ahnungslos
Eigentlich sollte eine Stadt wissen, welche Ortsteile sich in solchen Abwärtsspiralen befinden und wo Stadtumbaumaßnahmen notwendig sind. Daher hatte die Fraktion „FDP & Die STADTGESTALTER“ die Verwaltung bereits im Mai 2016 gefragt, für die Entwicklung welcher Stadtviertel, Stadtteile bzw. Stadtteilzentrum die Stadtplanungsverwaltung ein Stadtentwicklungsprogramm für hilfreich bzw. erforderlich hält (Mitteilung 20170752).
Leider war die Verwaltung weder willens noch in der Lage die Frage zu beantworten. Nach mehrfachem Nachhaken legte die Städtebauplanung zur Ausschusssitzung am 26.04.17 lediglich eine Liste der laufenden bzw. in Planung befindlichen Integrierten Stadtentwicklungsprogramme vor. Die eigentliche Frage konnte man aber auch in der Sitzung nicht beantworten. Entsprechende Analysen der Stadtviertel lägen nicht vor, war die erschreckende Antwort.
Ein Offenbarungseid. Die Stadt weiß nicht, welche Ortsteile sich in einer Abwärtsspirale befinden, bei welchen Vierteln die Gefahr besteht, dass sie sich zu Problemvierteln entwicklen, wie z.B. in Duisburg.
Gesamtanalyse der Ortsteile
Es gibt keinen städtischen Masterplan, nach dem entscheiden wird, welchen Stadtvierteln mit einem Stadtumbauprogramm geholfen wird. Es wird den Stadttteilen geholfen, deren Politiker sich am meisten für die Stadt einsetzen (Hamme), wo Wohngsbaugesellschaften auf ein solches Programm drängen (Innere Hustadt) oder die Stadt ein besonderes Imageinteresse verfolgt (Innenstadt, Laer – ehem. Opelfächen). Fehlt es an einer Lobby, ist die Wahrscheinlichkeit, dass was passiert, sehr gering.
Dabei liegen genug Daten vor, die es möglich machen zu ermitteln, welche Ortsteile eine Besorgnis erregende soziale Schieflage aufweisen. Fasst man die vorliegenden Sozial-, Wohnungs- und Einzelhandelsdaten zusammen, ergibt sich ein deutliches Bild, in welchen Ortsteilen dringender, erheblicher oder nur verminderter Handlungsbedarf besteht.
Eine entsprechende Aggregation der Daten haben die STADTGESTALTER nunmehr vorgenommen. Anhand von 17 Datenreihen zu den Bereichen Arbeitslosigkeit, Bildung, Einkommen und Soziales, Bevölkerung, Wohnen, Ortsteilbewertung und Nahversorgung wurden die 30 Ortsteile in verschiedene Rangfolgen gebracht. Die Daten wurden dem jeweils aktuellen Sozialbericht, dem Wohnungsmarktbarometer, dem Wohnungsmarktbericht und dem Masterplan Einzelhandel entnommen. Die Rangfolgen wurden dann zunächst hinsichtlich der genannten Bereiche aggregiert. Aus den Bereichsrangfolgen wurde schließlich eine Gesamtreihenfolge ermittelt. Dabei wurden alle Datenreihen jeweils gleich gewichtet.
Die Auswertung der von den STADTGESTALTERN aggregierten Daten zeigt vermutetes wie überraschendes (Gesamtauswertung).
Ortsteile ohne Handlungsbedarf
Wenig überraschend besteht bei fünf Stadtteilen, alle im Süden bis Südwesten der Stadt (Stiepel, Eppendorf, Weitmar-Mark, Linden und Wiemelhausen/Brenschede), kein Handlungsbedarf. Im Durchschnitt erreichen diese Ortsteile bei den Rangfolgen aller Datenreihen den 8. bis 9. Platz.
Ortsteile mit dringendem Handlungsbedarf
Dringender Handlungsbedarf ist dagegen bei den Ortsteilen Kruppwerke, Westenfeld, Hamme, Werne, Leithe und Kornharpen/Voede-Abzweig geboten (Durchschnittlich Rang 19 bis 24). Stadtteilumbauprogramme gibt es jedoch bisher nur im Ortsteil Kruppwerke (Westend, Goldhamme), in Hamme (in Planung) und in Werne (in Vorbereitung). In den Ortsteilen Westenfeld, Leithe und Kornharpen/Voede-Abzweig soll dagegen auch in den nächsten Jahren nichts passieren. Dabei haben es diese Stadtteile bitter nötig.
Westenfeld – Die soziale Schieflage ist eklatant und auch vor Ort an vielen Stellen sichtbar. Ein Fünftel der Bewohner bezieht Transferleistungen. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen liegt bei 4,4%. Fast ein Drittel der Einwohner ist über 60. Entsprechend hat die Zahl der Einwohner zuletzt um 140 abgenommen.
Leithe – 4,7% der Einwohner erhalten Hilfe zur Erziehung. Auf jeden Einwohner kommen nur 0,02 qm Einzelhandelsfläche. 70% der Häuser sind vor 1970 entstanden. Weniger als die Hälfte der Einwohner ist sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Kornharpen/Voede-Abzweig – Nur 13,3% der Einwohner sind unter 15 Jahren alt. Das Durchschnittseinkommen lag 2007 bei nur 23.700 Euro. Während die Mieten mit 6,00 bis 6,20 Euro vergleichsweise hoch liegen. Die Zahl der Einwohner hat entsprechend zuletzt um 78 Personen abgenommen. Während das namensgebende Kornharpen weniger Hilfe benötigen dürfte, liegen die Stadtquartiere mit sozialer Schieflage eher nördlich der A40.
Ortsteile mit erheblichem Handlungsbedarf
Bei den Ortsteilen Wattenscheid-Mitte, Langendreer – Alter Bahnhof, Günnigfeld, Riemke, Hofstede, Gleisdreieck und Laer besteht erheblicher Handlungsbedarf. Nur in vier von sieben Ortsteilen besteht bereits ein Stadtumbauprogramm: Wattenscheid-Mitte, Langendreer – Alter Bahnhof(in Vorbereitung), Gleisdreieck (Innenstadt), Laer (in Planung).
Um den weiteren Abstieg zu verhindern müsste auch in Günnigfeld, Riemke, Hofstede zeitnah etwas unternommen werden. Bisher hat die Stadt diese Ortsteile aber nicht auf dem Plan.
Günnigfeld – 5,1% der Einwohner erhalten Hilfe zur Erziehung. Knapp ein Fünftel der Einwohner bezieht Transferleistungen. Nur über ein Viertel der Grundschüler bekommt die Empfehlung für den Besuch eines Gymnasiums. Dazu wird der Stadtteil von den Akteuren auf dem Wohnungsmartk als negativ eingeschätzt.
Riemke – Der Durchschnittsverdienst liegt bei nur 22.900 Euro pro Jahr (2007). Dreiviertel aller Wohnungen wurden vor 1970 errichtet. Nur 13,3% der Einwohner sind unter 15 Jahre alt. Hinzu kommt, dass der Einzelhandel im Stadtteilzentrum schwer zu kämpfen hat (Einzelhandelsfäche pro Einwohner: 0,22 qm).
Hofstede – Die Quote der Langzeitarbeitslosen beträgt 4,1%. der Durchschnittsverdienst liegt bei nur 21.500 Euro pro Jahr (2007). Wohneigentum besitzen nur 21,4% der Bewohner. 72% aller Wohnungen wurden vor 1970 errichtet.
Die Analyse der STADTGESTALTER zeigt also auf, bei welchen Ortsteilen dringender bzw. erheblicher Handlungsbedarf besteht.
Alle Stadtteile benötigen ein Entwicklungskonzept
Aber nicht nur diese Ortsteile, sondern für alle Stadtteile benötigt die Stadt umfassende Analysen der Schwachstellen, Stärken und Entwicklungspotenziale. Erst aufgrund dieser Daten kann für jeden Ortsteil ein Konzept erarbeitet werden, das ausweist, wie, mit welchen Zielen und Maßnahmen der Stadtteil zielgerichtet weiter entwickelt werden soll (LK vom 26.10.16).
Wie bisher planlos irgendwelche Maßnahmen auf den Weg zu bringen in der vagen Hoffnung, diese könnten irgendwie zu einer Verbesserung der Lage beitragen, ist zudem viel zu teuer.
Es bringt nichts im Garten wahllos Dünger zu streuen und den Wasserschlauch irgendwo in die Luft zu halten. Konkret muss geschaut werden, warum welche Pflanzen nicht wachsen oder blühen. Fehlt ihnen Wasser, dann gibt man ihnen genau die Menge Wasser, die sie benötigen. Könnten sie etwas Dünger vertragen, schaut man welches Mittel in welcher Dosierung am besten wirken würde. Wie mit den Pflanzen ist auch mit den Ortsteilen umzugehen.
Für eine erfolgreiche Stadtentwicklung muss die Politik frühzeitig wissen, was in welchen Stadtteilen konkret verändert werden muss, um soziale Abwärtsspiralen zu stoppen oder ihnen vorzubeugen. Es wird Zeit, dass Stadt und Politik endlich die Voraussetzungen für eine zielgerichtete Entwicklung der Stadtteile schaffen.