27 Feb

Defizite bei der Flüchtlingsunterbringung kosten Bochum mindestens 17,2 Mio.

In Bochum wird die Erstaufnahmeeinrichtung des Landes NRW zur Vorregistrierung aller Flüchtlinge eingerichtet, die das Land erreichen. Erstmal eine gute Nachricht, denn die Stadt muss im Gegenzug 1.000 Flüchtlinge weniger unterbringen als geplant. Doch bereits die Abstimmungsschwierigkeiten und das Informationsdurcheinander bei der Ankündigung dieser Entscheidung (WAZ vom 25.02.16) zeigen, weiterhin bestehen bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise erhebliche Defizite.

Keine geordnete Information der Politik

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Containerunterkünfte (Foto: JePe)

Noch immer findet in Bochum keine geordnete Information der politischen Gremien statt. Die Information erfolgt unkoordiniert in verschiedensten Schreiben, Mitteilungen und mündlichen Berichten. Leider widersprechen sich die Informationen auch immer wieder in wesentlichen Punkten: So ist in den Informationsschreiben der Stabsstelle für die Flüchtlingsunterbringung unter der Leitung von Stadtdirektor Michael Townsend (SPD) für 2016 fest geplante Unterkünfte für 3.560 Flüchtlinge dargestellt (Diagramm Flüchtlingsunterbringung), in der Präsentation der Sozialdezernentin Britta Anger (Grüne) vom 25.02.16 ist nur von 2.650 bzw. 2.414 die Rede. In den Informationsschreiben der Stabsstelle sind geplante Standorte enthalten, die in der Präsentation fehlen (Nordbad) und umgekehrt (Bövinghauser Straße).

Die Sozialdezernentin geht in ihrer Präsentation vom 25.02.16 davon aus, dass im Jahr 2016 Unterkünfte für 3.000 bis 5.000 Flüchtlinge geschaffen werden müssen. Am 18.02. noch teilt die Verwaltung mit: „Für das Jahr 2016 gab es bisher 979 Zuweisungen. Wöchentlich müssen weiterhin ca. 150 Flüchtlinge aufgenommen werden“ (Mitteilung vom 18.02.16). Rechnet man die zuletzt genannt Zahlen hoch, ist für 2016 mit der Ankunft von 7.800 (6.800 bei Anrechnung von 1.000 Flüchtlingen für die Erstaufnahmeeinrichtung) zu rechnen. Es stellt sich die Frage auf welcher Grundlage die Planungen der Verwaltung erfolgen? Gehen alle Ämter bei ihren Planungen von den gleichen Zahlen aus?

Es wird Zeit, dass die Verwaltung eine einheitliche Informations- und Planungsbasis schafft und die entsprechenden Daten sowie deren Entwicklung den politischen Gremien monatlich von sich aus komprimiert mitteilt, ohne dass diese erst nachfragt werden müssen.

Planungen weiterhin zu spät und nicht vorausschauend

Darüber hinaus erfolgen die Planungen weiterhin zu spät und nicht vorausschauend. Seit September 2015 werden der Stadt nach eigenen Angaben jede Woche 150 Flüchtlinge zugewiesen. Seit diesem Datum sind der Stadt aufgrund der Prognosen der Bezirksregierung auch die für 2016 voraussichtlich zu erwartenden Flüchtlingszuweisungen bekannt. Erst seit Februar liegen der Politik Vorschläge der Stadt für Standorte neuer Unterkünfte vor. Wichtige Informationen zur Erschließung, Baurecht, Eigentumsrechten, Bodenbeschaffenheit u.a. liegen zu den Standorten bisher leider nicht vor. Eine individuelle Prüfung der Standorte durch die Stadtverwaltung ist bislang nicht erfolgt. Offenbar wurden die Vorschläge kurzfristig und in großer Eile erstellt. Warum wurde die Standortliste nicht bereits spätestens Ende 2015 erarbeitet und wurden nicht schon zu diesem Zeitpunkt die erforderlichen Prüfungen eingeleitet?

Geht man davon aus, dass in Bochum im Jahr 2016 6.800 Flüchtlinge unterzubringen sind und die bisher mit rund 1.100 Flüchtlingen belegten Turnhallen frei gezogen werden sollen, dann ergibt sich ab September eine Versorgungslücke für die Unterbringung von 2.400 Flüchtlingen. Dabei wurde bereits einkalkuliert, dass der Rat in seiner Ratssitzung im März die Anschaffung von Unterkünften für 1.750 Flüchtlinge beschließt.

Diese Lücke wäre so nicht entstanden, wäre der Rat dem Antrag der Fraktion „FDP & Die STADTGESTALTER“ in der Ratssitzung im Februar gefolgt und hätte bereits zu diesem Zeitpunkt nicht nur die Anschaffung von Unterkünften für 350, sondern für weitere 2.650 Flüchtlinge beschlossen. SPD, Grüne und CDU redeten sich bei ihrer Ablehnung des Vorschlages darauf heraus, sie würden diesen zwar grundsätzlich für sinnvoll erachten, ihn aber trotzdem aus formalen Gründen ablehnen. So verhinderten politische Spielchen eine dringend notwendige Entscheidung.

Anschaffung von dauerhaften und nachhaltigen Unterkünfte für 2016 unmöglich

Mangels vorausschauender und rechtzeitiger Planung können in 2016 jetzt keine dauerhaften und nachhaltigen Unterkünfte für die Unterbringung der Flüchtlinge mehr angeschafft werden. Diese erfordern eine Vorlaufzeit von mindestens 9 Monaten vom politischem Beschluss bis zum Einzug. Statt Unterkünften, mit einer Lebensdauer von mindestens 50 Jahren und der Möglichkeit der Nachnutzung als Wohnungs- und Gewerbebauten, muss die Stadt weitere Containerunterkünfte oder Leichtbauhallen mit einer Lebensdauer von nur maximal 15 Jahren anschaffen, da nur diese in 3-5 Monaten angeschafft und aufgebaut werden können. Die verspäteten Entscheidungen lassen die Anschaffung von Gebäuden mit längeren Vorlaufzeiten nicht zu.

Auf über 50% der zuletzt vorgeschlagenen Standorte könnten zumindest teilweise dauerhafte Modulbauten, wie sie die städtische Wohnungsbaugesellschaft VBW schon im August 2015 vorgeschlagen hatte (WAZ vom 23.08.15, http://www.derwesten.de/staedte/bochum/vbw-denkt-laut-ueber-modulbauten-nach-id11017677.html) errichtet werden. Hätte man die Zeit von August 2015 bis heute für entsprechenden Planungen genutzt, hätten schon 2016 mindestens 20% der unterzubringenden Flüchtlinge (1.580) in dauerhaften Modulbauten untergebracht werden können.

Mindestens 17,2 Mio. Schaden

Der Anschaffungspreis dauerhafter Unterkünfte ist kaum höher als der mobiler Containerunterkünfte. Die Fraktion „FDP & Die STADTGESTALTER“ hat drei Preisbeispiel für entsprechende dauerhafte Modulbauten eingeholt (Antrag 2016048). Der Preis pro qm Brutto-Grundfläche schwankt zwischen 1.100 und 1.700 Euro (ohne MWSt.). Die Stadt zahlt für die zuletzt beschlossenen mobilen Containerunterkünfte pro qm Brutto-Grundfläche einen Preis von 1.290 Euro (ohne MWSt.).

fluechtlingszahlen mehrkostenGeht man davon aus, dass bei vorausschauender Planung 1.580 Flüchtlinge (20% der für 2016 voraussichtlich unterzubringenden Flüchtlinge, einschließlich der 1.100 Flüchtlingen, die noch in Turnhallen leben müssen) für 15 Jahre in hochwertigen, dauerhaften Modulbauten hätten untergebracht werden können, die im Anschluss noch 35 Jahre anderweitig als Wohn- oder Gewerbegebäude genutzt hätten werden können, anstatt sie 15 Jahre in mobilen Containerunterkünften unterzubringen, die hinterher abgerissen werden müssen, dann wäre die Unterbringung in dauerhaften Unterkünften für die Stadt bezogen auf die gesamte Nutzungsdauer 17,2 Mio. Euro günstiger gewesen (Detailierte Berechnung).

Mit anderen Worten, mangels vorausschauender und rechtzeitiger Planung, entstehen der Stadt für die Unterbringung der Flüchtlinge jetzt mindestens 17,2 Mio. mehr Kosten als notwendig. Dass dauerhafte Bauten besonders hinsichtlich Energieverbrauch und Instandhaltungsaufwand zudem kostengünstiger sind als mobile Containerunterkünfte, wurde dabei noch gar nicht einkalkuliert.

Im Bereich Bau- und Verwaltung von großen Gebäudeeinheiten sollte auf externes Know-how zurückgegriffen werden

Damit ein solcher Schaden für die Stadt nicht erneut eintritt, muss die vorausschauende und rechtzeitige Planung der Flüchtlingsunterbringung für 2017 bereits heute beginnen. Kann das die Stabsstelle zur Unterbringung der Flüchtlinge mit der aktuellen Organisation und Personalausstattung nicht leisten, dann ist hier schnellst möglich nachzubessern. Um zukünftig vermeidbare Mehrkosten in zweistelliger Millionenhöhe zu verhindern, sollte auch darüber gedacht werden, bis zu einer Mio. Euro in externes Know-how zu investieren, insbesondere in Personal, das sich im Bereich Bau- und Verwaltung von großer Gebäudeeinheiten bestens auskennt.

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