Was tun gegen Langzeitarbeitslosigkeit?
8.145 Menschen sind in Bochum und Wattenscheid langzeitarbeitslos. Das sind 43% aller Arbeitslosen in unserer Stadt. Fast 20% der Langzeitarbeitslosen haben keinen Schulabschluss, über 50% der Langzeitarbeitslosen keine Berufsausbildung. Bei den verbleibenden ist der Berufsabschluss vielfach geringwertig. Über 40% der Langzeitarbeitslosen haben einen Migrationshintergrund.
Trotz bundesweitem Wirtschaftsaufschwung, verharrt die Zahl der Langzeitarbeitslosen seit Jahren in Bochum auf hohem Niveau. Es ist Stadt und Politik bisher nicht gelungen, diesen Zustand zu ändern. Alle Maßnahmen waren nicht nachhaltig wirksam.
Nunmehr gibt es einen neuen Anlauf, zumindest für 100-160 Langzeitarbeitslose (1,2-1,8%). Für diese sollen mit Hilfe von hohen Lohnkostenschüssen für zumindest 2 Jahre, wenn möglich auf Dauer, Arbeitgeber gefunden werden. Das bundesweite Programm, im amtsdeutsch „ESF-Bundesprogramm zur Eingliederung langzeitarbeitsloser Leistungsberechtigter“ (Förderrichtlinie) genannt, in Bochum „Bochumer Chancen“ getauft, hat in Bochum ein Volumen von 5,6 Mio. Euro. 3,3 Mio. davon werden als Lohnzuschüsse verwendet. Auch Qualifizierungsmaßnahmen und Mobilitätshilfen werden bezuschusst. Der verbleibende Betrag wird eingesetzt, um die für das Programm erforderliche Arbeitsvermittlungsbürokratie zu finanzieren.
Der Erfolg von Lohnkostenzuschüssen ist bei Wirtschaftswissenschaftlern sehr umstritten. Kritiker bemängeln, dass sehr hohe Kosten allenfalls geringen Erfolgen gegenüber stehen. Weiterhin ist fraglich, in welchem Maß Arbeitsplätze subventioniert werden, die ohnehin geschaffen worden wären. Ungewiss ist auch inwieweit nach dem Auslaufen der Subventionen eine Weiterbeschäftigung erfolgt, weil diese ggf. ohne Förderung unwirtschaftlich ist.
In jedem Fall wird das grundsätzliche Problem nicht gelöst. Die fehlende bzw. minderwertige Berufsausbildung, die die wesentliche Ursache der Langzeitarbeitslosigkeit ist. Zwar sorgt das Programm ggf. dafür, dass einige wenige Langzeitarbeitslose eine dauerhafte Beschäftigung finden. Da aber unser unterfinanziertes Schul- und Ausbildungssystem weiterhin nicht in der Lage ist, jedem Jugendlichen einen qualifizierten Schul- und Berufsabschluss zu ermöglichen, nimmt die Zahl der nachwachsenden Langzeitarbeitslosen nicht ab. Die Hauptkritik ist daher, das Arbeitsprogramme wie diese nur die Symptome, aber nicht die Ursachen der Langzeitarbeitslosigkeit bekämpfen.
Omid Pouryousefi, unabhängiger Oberbürgermeister-Kandidat, wird in seinen Projekten beständig mit dieser Problemlage konfrontiert. Schon junge Erwachsene rutschen in die Langzeitarbeitslosigkeit, weil ihnen wesentliche schulische und berufliche Qualifikationen fehlen.
Was möchten Sie als OB tun, um das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit dauerhaft anzugehen?
Wir müssen in Bochum und Wattenscheid sicherstellen, dass kein Jugendlicher die Schule ohne Schulabschluss verlässt. Gezielt müssen wir jeden Schüler von früh auf fördern, damit er nicht zurück bleibt. Das geht nur mit kleineren Klassen, mehr Lehrern und Sozialarbeitern in sanierten Schulen mit einer besseren Ausstattung.
Dazu gehört auch:
– Engere und intensive Zusammenarbeit zwischen Schulen und Unternehmen und Hochschulen für Schulpraktika. (ich habe bei X-Vision jedes Jahr zwischen 10 und 15 glückliche Schulpraktikanten).
– Individuelle und sehr frühe Betreuung, Beratung und Unterstützung in den Schulen bei der Ausbildung und Jobsuche. Was kann ich? Was will ich? Was sind meine Schwächen und Stärken? Grade bei den Schülern mit Migrationshintergrund fehlt es oft an Systematik was die Suche und die wirklich richtige Bewerbung angeht. Zu oft starteten junge Menschen irgendeine Ausbildung und brechen sie nach kurzer Zeit ab!
Wir müssen die Talente bereits in den Schulen fördern. In anderen Städte gibt es dazu bereits erfolgreiche Projekte (Meine Talentförderung), so etwas können wir auch gemeinsamen mit der Uni und den Hochschulen in Bochum aufziehen.
Wie soll ihr Ansatz finanziert werden, wo die Stadt ja eigentlich finanziell ruiniert ist?
Das kostet viel Geld. Ist aber viel wichtiger als alles andere. Und nachhaltiger. Was das Land nicht finanziert, muss die Stadt finanzieren. Die Bürokratie in der Schulverwaltung muss abgebaut werden, stattdessen müssen mehr Lehrkräfte in die Schulen. Was wir in die Bildung investieren, sparen wir langfristig bei den Maßnahmen für Arbeitslose. Bis dahin wird es ein Kraftakt. Das, was wir in die Bildung investieren, muss woanders im Stadthaushalt eingespart werden.
Zusätzlich bedarf es viel ehrenamtlicher Arbeit, so wie wir es auch bei X-Vision tun. Das kostet kein Geld aber dafür muss der Rahmen und ein Bewusstsein geschaffen werden. Mit Landes-, Bundes- und europäischen Mitteln kann man ähnliche Projekte finanzieren. Oft fehlt es für die Anträge nur an Manpower und Know how.
Was halten Sie von dem aktuellen Langzeitprogramm „Bochumer Chance“ für Arbeitslose vom Jobcenter?
Geld zur Förderung zur Verfügung zu haben, ist gut und wichtig. Eine hohe Summe, wie in diesem Fall, bringt auch sehr viele Erwartungen mit sich, was man mit der Förderung macht, wie viel und vor allem wie nachhaltig die Maßnahmen wirken. Das hat mit Effizienz zu tun, was mein Thema ist.
Hier ist eine unabhängige Kontrolle von Außen – während und nach der Maßnahme – wichtig. Was wurde erreicht und bewirkt? Solche Programme müssen ernsthaft sein. Aktionismus hilft den Betroffenen nicht weiter.
So wie das Programm bisher dargestellt wurde, vermittelt es leider den Eindruck als wäre ein wesentliches Ziel Werbung für einen OB-Kandidaten der SPD zu machen (ruhrbarone vom 15.05.15). Das macht Politik unglaubwürdig. Die Geschäftsführerin muss aufklären, wie es dazu kommen konnte.
Was würden Sie aus ihrem persönlichen Leben, jungen Menschen auf den Weg geben wollen, damit sie Langzeitarbeitslosigkeit vermeiden?
Lernt die deutsche Sprache richtig und gründlich, lest mehr und vor allem, was euch interessiert!
Lernt Selbstorganisation, schreibt eure beruflichen Ziele und Wünsche auf und wendet euch damit an Stellen, die euch unterstützen.
Dass man mehr als Hartz IV im Leben verdienen und erreichen kann, zeigt mein Werdegang. Mit 14 Jahren, ohne meine Eltern und Deutschkenntnisse bin ich nach Deutschland gekommen.
Heute mache ich einen Job, der mich erfüllt und unglaublich viel Spaß und Sinn macht.