01 Mai

Während Wattenscheid-Mitte den Bach runter geht, diskutiert die Politik über Sitzfarben im Stadion

Ein Drittel der Menschen in Wattenscheid-Mitte lebt von Sozialgeld, ALG II oder Grundsicherung. Das sind über viermal so viele wie im deutschen Durchschnitt und über 30% mehr als noch 2010. Die Politik schweigt zu diesen drängenden Problemen und streitet sich stattdessen über die Sitzfarben im Lohrheidestadion.

Studiert man die städtischen Sozialberichte seit 2011 (Sozialberichte Stadt Bochum), so wird die negative Entwicklung von Wattenscheid-Mitte überdeutlich.

Der Niedergang von Wattenscheid-Mitte in Zahlen

Die Zahl der Menschen, die Sozialgeld, ALG II oder Grundsicherung beziehen, stieg in 13 Jahren um fast ein Drittel (31,3%) an. Über 40% der Jugendlichen im Stadtteil Wattenscheid-Mitte unter 15 Jahren leben heute in Haushalten, die von Transferleistungen erhalten (42,6%). Diese Zahl ist seit 2010 um über ein Viertel angewachsen. Ein Drittel der Menschen lebt von Sozialleistungen (ohne Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz). Das ist vier Mal so viel wie sonst in Deutschland üblich, vor 13 Jahren lag die Quote nur drei Mal so hoch.

Sozialdaten Wattenscheid-Mitte – Grafik

Immerhin ist die Arbeitslosenquote in den letzten Jahren leicht zurück gegangen (-4,3%). Deutschlandweit ist dieser Wert im gleichen Zeitraum (2010 bis 2022) jedoch um über 30% gesunken. Lag die Wattenscheider Arbeitslosenquote 2010 noch 1,5 Mal höher wie in Deutschland, ist der Wert mittlerweile mehr als doppelt so hoch.

Sozialdaten Wattenscheid-Mitte – Tabelle

Der Stadtteil ist abgehängt, er kann mit der Entwicklung in Gesamtdeutschland nicht mehr Schritt halten. In den letzten 13 Jahren hat sich die soziale Lage erheblich verschlechtert. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass die Sozialdaten in den letzten 5 Jahren auf schlechtem Niveau stagnieren. Zu befürchten ist, dass die Lage sich in den nächsten Jahren weiter verschlechtert. Für eine Verbesserung der Lage spricht nichts.

Wattenscheid-Mitte befindet sich in einer zunehmenden sozialen Schieflage. Menschen mit relativ gutem Einkommen ziehen weg, gleichzeitig verstärkt sich die Armutszuwanderung. Insgesamt hat die Bevölkerung leicht um 6,7% abgenommen. Gleichzeitig hat sich der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund von 2010 bis 2022 mehr als verdoppelt (109,4%). Setzt sich die Zuwanderung wie die letzten Jahre fort, hat 2032 die Hälfte der Menschen in Wattenscheid-Mitte keinen deutschen Pass oder eine zweite Staatsbürgerschaft. Das treibt die Bildung von Parallelgesellschaften an und sorgt für zunehmende soziale Spannungen. Integration ist in Wattenscheid-Mitte bereits heute eine Herkulesaufgabe.

Stadtentwicklungskonzept blieb nahezu wirkungslos

Das seit 2014 laufende integrierte Stadtentwicklungskonzept Wattenscheid (ISEK) ist gescheitert. Es konnte den negativen Trend nicht umkehren. Die Maßnahmen des ISEK waren nicht geeignet, die notwendige strukturelle Wende zu bewirken. Ein paar Parks aufzuhübschen, die gesundheitliche Versorgung zu verbessern, temporär Spielgeräte in der Innenstadt aufzustellen, Schulhöfe zu begrünen, einige Fassaden zu streichen und das Lohrheidestadion zu sanieren, das alles sind keine Maßnahmen, mit denen sich die strukturellen Defizite des Stadtteils beseitigen lassen.

Wattenscheid-Mitte muss wieder für alle gesellschaftlichen Schichten lebenswert werden. Die Menschen, die dort leben, brauchen eine echte Perspektive für den sozialen Aufstieg. Dazu passiert leider nichts. Die Politik in Wattenscheid verlegt sich seit Jahrzehnten aufs Schönreden der Lage und diskutiert lieber lautstark die Farbe der Sitzschalen im Lohrheidestadion. Lösungen, wie die gefährliche Entwicklung gestoppt werden soll, sind dagegen kein Thema.

Politik und Stadt versuchen die Wattenscheider und Wattenscheiderinnen mit Brot und Spielen, dem Prestigeprojekt Lohrheidestadion, abzuspeisen. 55 Mio. Euro fließen in dieses Projekt. Geld, was insbesondere für die Neugestaltung der Innenstadt bitter nötig wäre. Doch dafür fehlt das Geld. Stattdessen wurden die Fördermittel für das ISEK Wattenscheid in den Bau des Stadions umgeleitet. Mit den 5,5 Mio. für 2024 wurde die durch Baukostensteigerungen entstandene Finanzierungslücke geschlossen (WAZ vom 07.06.2023). Das ISEK ging leer aus, 2024 können keine Maßnahmen auf den Weg gebracht werden.

Politik überfordert und ideenlos

Eigentlich müsste Wattenscheid darüber diskutieren, was man tun müsste, um die Stadt attraktiver zu machen, wie man neue Einwohner*innen und Unternehmen gewinnen kann, die auch nennenswert Steuern zahlen können, was man gegen die Ursachen der zunehmenden Armut tun kann, wie man auch wieder jüngere Menschen mit eigenem Einkommen für Wattenscheid gewinnen kann? All das wird nicht diskutiert. Die Politik hat nicht mal Ideen und Lösungsansätze, über die man diskutieren könnte.

Wichtig ist: Werden die Sitzschalen im Lohrheidestadion blau, schwarz, grau oder grün? Hat die Verwaltung in Bochum selbstherrlich über die Farbe ohne die Wattenscheider Politik entschieden oder waren SPD und Grüne wie der Bezirksbürgermeister eingebunden? Diese Diskussion macht das Politikversagen in Wattenscheid offensichtlich. Die Politik ist mit der eigentlichen Lage überfordert, weiß nicht weiter und versucht mit lächerlichen Diskussionen von den drängenden Problemen des Stadtteils abzulenken.

Dabei könnte die Diskussion mit einem Handstreich beendet werden. Man holt ein Meinungsbild der Wattenscheider ein, welche Farben die Sitze haben sollen, entscheidet danach und beendet die Diskussion, um sich endlich den eigentlich wichtigen Themen zu widmen. Wie kann man die Innenstadt in Wattenscheid attraktiv umgestalten? Wie bekommt man z.B. Studierende und Zweigstellen von Hochschulen nach Wattenscheid? Was muss man am Nahverkehr tun, damit die Stadt als Wohnort für Pendler*innen, die den ÖPNV benutzen, interessant wird?

Neues Stadtentwicklungskonzept wird ebenfalls Herausforderungen nicht gerecht

Auch das neue ISEK für Wattenscheid, das gerade in den Gremien des Stadtrats beraten wird (Vorlage 20233145), hat auf diese Fragen keine Antworten. Im Vordergrund stehen nicht Stadtentwicklungsmaßnahmen, um neue Einwohner*innen und Unternehmen zu gewinnen, sondern Maßnahmen um Benachteiligte und auf Transferleistungen angewiesene Wattenscheider*innen besser mit zusätzlichen Sozialleistungen zu versorgen.

Immer noch bekommen über 50% der Wattenscheider Grundschulkinder nur eine Empfehlung für die Hauptschule oder eine eingeschränkte Empfehlung für die Realschule. Für über die Hälfte der Kinder wird es also schwer, überhaupt einen qualifizierten Schulabschluss zu erwerben, mit dem man heutzutage die Chance auf einen Job mit einem Einkommen hat, das nicht durch Transferleistungen aufgestockt werden muss. Die Politik in Wattenscheid und Bochum ignoriert dieses Problem. Man tut so, als sei es gar nicht vorhanden. Entsprechend sucht man Lösungen und Maßnahmen, es zu beheben, vergeblich.

So kann man den Niedergang nicht aufhalten. Perspektiven für eine positive Entwicklung der Stadt schafft das ISEK keine.

Hält die negative Entwicklung in Wattescheid-Mitte an, erreicht man in 10 bis 20 Jahren Zustände wie in Marxloh, Altenessen oder der Dortmunder Nordstadt. Schaut man sich die Sozialdaten im Vergleich an, ist Wattenscheid-Mitte von diesen Stadtteilen schon heute nicht mehr allzu weit entfernt.

Wattenscheid-Mitte im Vergleich

Schnelles und gezieltes Handeln ist überfällig

Aufgrund des Jahrzehnte langen Versäumnisses, den Problemen ernsthaft entgegenzutreten, muss jetzt schnell gehandelt werden. Die Politik kann sich weitere Tatenlosigkeit nicht leisten. Maßnahmen zur Stadtentwicklung lassen sich nicht von heute auf morgen umsetzen. Von der Entscheidung bis zur Umsetzung vergehen regelmäßig 5-10 Jahre. Die Wirkung tritt in der Regel dann nochmals Jahre später ein.

Will man zum Beispiel Studierende und Hochschulen für Wattenscheid gewinnen, wie es die STADTGSTALTER schon 2014 vorgeschlagen haben (Ein Hochschulcampus für Wattenscheid), dann muss man jetzt mit Planungen zu schnellen, dicht getakteten ÖPNV-Anbindung von Wattenscheid zu RUB und den Hochschulen in Bochum und Essen beginnen (Studentenstadt Wattenscheid).

Eine Bildungsoffensive, wie von den STADTGESTALTERn ebenfalls vorgeschlagen (Jahr für Jahr weniger städtisches Geld für Schülerinnen und Schüler), muss umgehend auf den Weg gebracht werden, auch wenn die Wirkung erst frühestens in 10-15 Jahren spürbar sein wird. Die Zahl der Arbeitslosen und Empfänger*innen von Sozialleistungen wird sich nur nennenswert reduzieren lassen, wenn man die Voraussetzungen schafft, dass zumindest zukünftige Generationen in Wattenscheid-Mitte einen Schulabschluss erwerben, der ihnen eine gute Jobperspektive ermöglicht.

Auch ein substanzielles Investitionsprogramm für die Neugestaltung der Wattenscheider Innenstadt inklusive dem August-Bebel-Platz ist lange überfällig. Besonders das Stadtbild im Zentrum einer Stadt bestimmt das Image des gesamten Stadtteils und damit darüber, ob Menschen und Unternehmen sich ansiedeln wollen. Die STADTGESTALTER haben dazu seit 2014 viele Vorschläge gemacht (Grünfläche auf dem Alten Markt und Wasserlauf entlang der Oststraße). Zu mehr als diese abzulehnen, hat es bei der Wattenscheider Politik allerdings nicht gereicht Obwohl der Politik eigentlich klar sein müsste, Je länger man mit der Neugestaltung abwartet, um so unrealistischer wird es, die sich verstärkende Negativentwicklung der Wattenscheider Innenstadt noch aufhalten zu können.

Jedes Jahr, das ungenutzt ins Land geht, macht es schwerer, den negativen Trend in Wattenscheid-Mitte noch umzukehren. Der Handlungsbedarf ist dringend und er besteht akut. Das Schönreden der Lage muss ein Ende haben. Es muss ernsthaft diskutiert werden, was zu tun ist. Die Sitzplatzfarben-Posse muss endlich beendet werden, damit macht sich die Politik nur lächerlich.

07 Apr

Warum Bochum für englischsprachige Arbeitskräfte nicht die erste Wahl ist

Auch in Bochum werden Arbeitskräfte aus dem Ausland mit hohen Qualifikationen gesucht. Doch wer nach Bochum kommt und nur Englisch spricht, hat es schwer. Zwar bietet das Bürgerbüro jetzt englischsprachige Kundenbedienung an. Doch sonst kommt man in den meisten Lebenslagen nur mit Deutsch weiter. Wer nur Englisch spricht, wird andere Großstädte als Lebensort vorziehen.

Immer wird in Bochum und dem Ruhrgebiet beklagt, zu vielen Zuwanderern fehle es an den nötigen schulischen und beruflichen Qualifikationen, man spricht auch von Armutszuwanderung oder –migration. Kommen in andere Großstädte auch sehr viele qualifizierte Menschen, ist das im Ruhrgebiet seltener der Fall. (Ruhrgebiet – Arbeitslosigkeit, Armut und Tristesse). Warum ist das so? Warum sind Bochum und das Ruhrgebiet für hoch qualifizierte Zuwanderer eher unattraktiv?

Englisch ist die Sprache hochqualifizierter Auswanderer

Um die gestellten Fragen zu beantworten, lohnt es sich anzusehen, aus welchen Ländern die gewünschten Migranten kommen. Zu den weltweit größten Auswandererländer, die Menschen verlassen, um in anderen Länder wirtschaftlich erfolgreich zu sein, zählen Indien, China, Bangladesch, Pakistan und die Philippinen (15 größten Auswanderungsländer weltweit). Bis auf China ist in allen aufgezählten Ländern Englisch eine der Amtssprachen. Wer aus diesen Ländern auswandern will, spricht also in der Regel nicht Deutsch, dafür aber Englisch. Auf der anderen Seite suchen Einwanderer mit hohen Qualifikationen neben Deutschland, besonders Länder wie USA, Kanada, Australien oder Großbritannien, also Länder, in denen Englisch als Amtssprache gesprochen wird.

Eine neue Sprache zu lernen – dazu noch Deutsch – ist schwer und sehr zeitaufwendig. Also ist nicht zu erwarten, dass potenzielle Einwanderer, vor Ihrer Einwanderung mehrjährige Deutschkurse besuchen. Zumal in den Unternehmen, in denen sie in Deutschland arbeiten würden, heutzutage ohnehin durchgehend neben Deutsch auch Englisch gesprochen wird, für die Arbeit die deutsche Sprache also nicht benötigt wird.

Der typische hoch qualifizierte Auswanderer, z.B. ein indischer IT-Experte oder die chinesische Ingenieurin, sprechen also gutes Englisch, allerdings kein Deutsch und könnten alternativ auch in ein angloamerikanisches Land auswandern. Entscheidet sich der oder die Auswanderin für Deutschland, dann kommt nur eine Stadt in Frage, in der man auch mit Englisch gut im Leben weiterkommt.

Das gleiche gilt auch für ausländische Unternehmen wie StartUps, die sich in Deutschland niederlassen und Arbeitskräfte aus der Heimat nach hier mitnehmen wollen. Auch die werden nur in eine deutsche Stadt ziehen, in der man mit Englisch im Alltag gut klarkommt. Doch gerade in diesem Bereich zeigen sich in Bochum große Defizite.

Internationalität und Englischsprachigkeit

Eigentlich sind nur die Ruhr-Universität und die Hochschulen in Sachen Internationalität und Englischsprachigkeit in Bochum sehr gut aufgestellt. Dort gibt es alles auch auf Englisch, Informationen wie Formulare, ein Welcome-Center und englischsprachige Ansprechpartner. Studierende wie Forschende aus allen Ländern der Welt sind an den Hochschulen Alltag und man geht mit ihnen jeden Tag selbstverständlich um.

Angebote in Englisch, Stadt Bochum

Auch die Stadtverwaltung gibt sich in Sachen Englisch verstärkt Mühe. Die Internet-Seite kann mäßig komfortabel auf Englisch übersetzt werden. Auch einige Merkblätter und Formulare gibt es auf Englisch. Die Angebote des Online-Service sind aber immer noch rein deutschsprachig, englischsprachige Kundenbedienung ist nur für Dienstleistungen des Bürgerbüros buchbar.

Im Rahmen der Bochum-Strategie soll ein Welcome-Center geschaffen werden, das Ausländer*innen, die nach Bochum ziehen möchten und kein Deutsch können, in allen Lebenslagen unterstützen soll. Man befindet sich also auf dem richtigen Weg, wie so oft geht aber alles nur sehr gemächlich voran. Andere Städte sind da schon deutlich weiter und bieten spezielle Internet-Seiten für Englisch sprechende Menschen an, die in der Stadt leben möchten, z.B. Berlin (Life in Berlin – Berlin.de) oder Hamburg (Residents ─ Live, Study & Work in Hamburg – hamburg.com).

Ganz schlecht sieht es bei den Stadtgesellschaften wie Stadtwerke, USB, BOGESTRA, Jobcenter und VBW aus, diese verfügen über gar kein englischsprachiges Angebot. Die Lieferung von Strom, Gas oder Waser auf englisch organisieren oder die Entsorgung des Abfalls, eine Wohnung bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft anmieten, Kindergeld beantragen, KiTa-Platz suchen oder das Kind zur Schule anmelden, geht wie auch vieles andere in Bochum bisher nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten auf Englisch.

Überraschenderweise gibt es selbst die Tourismus-Seite in Bochum nicht auf Englisch (Die Webseite und Online-Reiseführer zur Stadt – Bochum Marketing GmbH (bochum-tourismus.de). Will man den Nahverkehr in Bochum benutzen, muss man auf die Internet-Seite des VRR ausweichen, auch die BOGESTRA ist weder auf Touristen noch andere nicht-deutschsprachige Nutzer*innen eingestellt.

Menschen aus dem Ausland bekommen keinen guten Eindruck

Für Menschen aus dem Ausland ergibt sich insgesamt der Eindruck, man ist in der deutschen Provinz gelandet, in einer Stadt, die auf Internationalität wenig Wert legt und die sich schwertut, sich auf internationale Gäste einzustellen, entweder weil sie denkt, für die zu unattraktiv zu sein oder weil man an ihnen nicht interessiert ist.

Englischsprachige Menschen, die in Deutschland einen Ort zum Leben suchen oder ausländische Unternehmen, die hier einen Firmensitz suchen, fühlen sich wenig eingeladen, werden leider eher abgeschreckt und werden daher andere Orte in Deutschland, die sich deutlich internationaler als Bochum präsentieren, bei der Wahl des Wohnortes oder Unternehmenssitzes vorziehen.

Immerhin ist man bei der städtischen Wirtschaftsentwicklung international aufgestellt. Hier kann man Angebote und Exposés auch auf Englisch bekommen und wird auch auf Englisch beraten. Bei der IHK dagegen fehlt bereits eine englische Webseite. Das ist besonders deswegen erstaunlich, weil der DIHK-Vizepräsident erst kürzlich Englisch als zweite Amtssprache gefordert hat (Deutsch für Einwanderer zu schwierig: DIHK-Vizepräsident fordert Englisch als zweite Amtssprache).

Insgesamt liegt Bochum, wie leider in viel zu vielen Bereichen, auch in Sachen Internationalität und Englischsprachigkeit zurück. Das Ziel zu verfolgen, hochqualifizierte Arbeitskräfte und ausländische Unternehmen für die Stadt zu gewinnen, ist sinnvoll. Solange es aber nicht gelingt, die Stadt entsprechend international zu präsentieren und die wichtigsten kommunalen Dienstleistungen und Angebote auch auf Englisch anzubieten, wird die Stadt die Attraktivität nicht erreichen, die nötig ist, damit die gewünschten Arbeitskräfte und Unternehmen sich ansiedeln. Bisher passiert hier noch deutlich zu wenig und das, was geschieht, viel zu langsam. Vom Bild und Ruf einer interanationalen Stadt ist Bochum noch weit entfernt.

07 Jan

Alarmierende Zahlen – Höchste Zeit sich ernsthaft um Integration zu bemühen

Fast die Hälfte aller nichtdeutschen Kinder verlassen die Schulen in Bochum ohne ausreichenden Schulabschluss. Diese und andere Daten des Integrationsprofils für Bochum sind alarmierend. Bochum steht seit Jahrzehnten vor immensen Integrationsherausforderungen. Die Stadt wird diesen nicht im Ansatz gerecht. Die bisherige Integrationspolitik ist gescheitert.

Menschen, die mangels erforderlichen Schulabschlusses oder fehlenden beruflichen Qualifikationen keinen Job finden, ist keine normale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich. Sie sind auf Transferleistungen angewiesen, ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben ist nicht möglich. Den Menschen fehlen Perspektiven, sie fühlen sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt, benachteiligt und ausgegrenzt. Es entsteht ein Groll auf die Gesellschaft und ihre Regeln, der im schlimmsten Fall Ursache von Kriminalität werden kann. Der Unmut staut sich auf und entlädt sich bei Ereignissen wie Silvester 2022/23.

Ziel jeder Stadt sollte es sein, unabhängig vom Bildungsgrad und der Herkunft der Eltern jedem Menschen eine gute Lebensperspektive zu ermöglichen. Das setzt voraus, dass die Kinder in den Schulen ihre Bildungschancen voll ausschöpfen können.

Das Integrationsprofil der Stadt Bochum (Integrationsprofil Bochum. Daten zu Zuwanderung und Integration) zeigt jedoch, dass in Bochum dieses Ziel besonders bei den Menschen nicht erreicht wird, die aus Familien kommen, die aus dem Ausland nach Bochum zugezogen sind. Besonders ernüchternd, die sprachliche und gesellschaftliche Eingliederung gelingt in vielen Fällen auch bei der zweiten und dritten Generation nach der Zuwanderung nicht.

Alarmierende Zahlen aus dem Integrationsprofil für Bochum

Das wird an zwei Zahlen besonders deutlich: Beträgt die Arbeitslosenquote in Bochum bei Deutschen 7%, liegt sie bei Nichtdeutschen vier Mal höher (27,9%). Das gleiche Bild zeigt sich bei den Leistungsberechtigten nach SGBII, hier liegt der Anteil bei Deutschen bei 8,8% und bei Nichtdeutschen bei 32,7%. In beiden Fällen liegen die Bochumer Anteile mit 25 bis 37% zudem deutlich über denen im NRW-Durchschnitt.

Arbeitslose und Leistungsberechtigte SGBII

Die Ursache dieses gewaltigen Unterschieds zwischen Deutschen und Nichtdeutschen wird deutlich, wenn man die Schulabschlüsse vergleicht. Bei den Deutschen schließen die Schule 20,5% ohne Schulabschluss oder nur mit Hauptschulabschluss ab (6,6% und 13,9%), bei den Nichtdeutschen sind es 47,3% (23% und 24,3%). Fast der Hälfte der Nichtdeutschen fehlt am Ende der Schulzeit also ein Schulabschluss mit dem man relativ sicher eine qualifizierte Berufsausbildung und einen guten Job bekommen kann. Bemerkenswert, der Anteil der Nichtdeutschen, die keinen Schulabschluss erreichen, liegt in Bochum mehr als 60% über dem in NRW.

Schulabschlüsse und Schulempfehlungen

Das Problem wird aber nicht erst bei den weiterführenden Schulen sichtbar, es zeigt sich bereits bei den Grundschulen: Wechseln in Bochum nur 1,8%, der deutschen Grundschulkinder zur Hauptschule, sind es bei den Nichtdeutschen fast fünf Mal mehr (8,6%). Dafür wechseln nur 22,6% der nichtdeutschen Kinder auf ein Gymnasium, während es bei den Deutschen mehr als doppelt so viele sind (46,3%).

Die Fehlentwicklung beginnt bereits in den Grundschulen

Wesentliche Aufgabe der Grundschulen ist es, den Kindern Grundfertigkeiten in drei Bereichen zu vermitteln: Lesen, Schreiben und Rechnen. Können Nichtdeutsche nicht ausreichend deutsch schreiben und lesen, erhalten Sie für die weiterführende Schule eine Hauptschulempfehlung, mit der in der Regel ein Schulwechsel zur Haupt- oder Gesamtschule erfolgt. Ohne ausreichende Deutschkenntnisse ist es kaum möglich Lerninhalte zu verstehen bzw. sich so im Deutschen auszudrücken wie es an weiterführenden Schulen erforderlich ist.

Da bei Nichtdeutschen die Muttersprache nicht Deutsch ist, wird im Elternhaus häufig nicht oder fehlerhaft deutsch gesprochen. Nichtdeutschen Eltern ist es daher regelmäßig kaum möglich ihren Kindern fehlerfrei Lesen und Schreiben beizubringen. Es wäre daher dringend erforderlich, dass spätestens in den Grundschulen nichtdeutsche Kinder im Bereich Deutsch so gefördert würden, dass diese am Ende der Grundschule gut bis sehr gute Lese- und Schreibfähigkeiten aufweisen. Dies geschieht bisher jedoch nicht. Das deutsche Schulsystem verlagert das Lernen zu einem wesentlichen Teil auf die Eltern, die bei Zuwandererfamilien mangels eigener Deutschkenntnisse kaum helfen können.

Auch die Stadt, der das Problem seit Jahrzehnten bekannt ist, fühlt sich nicht zuständig und schaut weg. Ein flächendeckendes städtisches Lernangebot, das sicherstellt, dass alle Kinder bis zum Ende der Grundschule fehlerfrei in Deutsch Lesen und Schreiben können, gibt es nicht. Zudem ist auch in anderen Fächern die individuelle Förderung von Kindern, deren Eltern nicht in der Lage sind, mit den Kindern Hausaufgaben zu machen, ihnen Nachhilfe zu geben oder sie auf Klassenarbeiten vorzubereiten, nicht nur in Bochum mangelhaft. Das trifft deutsche wie nichtdeutsche Kinder gleichermaßen. Aufgrund des Migrationshintergrundes sind nichtdeutsche Kinder allerdings von diesem Problem deutlich häufiger betroffen.

Im Ergebnis fehlt fast der Hälfte der nichtdeutschen Kinder am Ende der Schulzeit bereits der erforderliche Schulabschluss um eine Berufsausbildung bzw. Arbeit zu finden, mit der ohne zusätzliche Transferleistungen sorgenfrei der eigene Lebensunterhalt finanziert werden kann. Dies spiegelt sich wiederum bei der Beschäftigungsquote wieder: Während bei Deutschen knapp 60% (58,7%) einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen sind es bei Nichtdeutschen nur knapp 40% (39,5%). Die Summen, die die Stadt für Arbeitslose und SGBII-Leistungsberechtigte ausgibt, sind entsprechend hoch. Bereits aus diesem Grund müsste die Stadt ein großes Interesse haben, dafür Sorge zu tragen, Nichtdeutschen einen möglichst guten Schulabschluss zu ermöglichen.

Beschäftigung

Nennenswerte städtische Initiativen das beschriebene Problem grundlegend anzugehen sind jedoch nicht festzustellen. Man redet sich darauf raus, dass Schulen und Bildung Sache des Landes seien. Man zahlt lieber dreistellige Millionenbeträge an Transferleistungen als von Seiten der Stadt nur einen Euro in städtisch geförderten Deutschunterricht an Grundschulen zu investieren.

Untragbare Zustände im Ausländerbüro verschlimmern die Lage

Zugewanderte Menschen haben in Bochum keine Lobby. Auch die seit Jahren anhaltenden untragbaren Zustände im Ausländerbüro (Zustände im Ausländerbüro sind seit drei Jahren untragbar) zeigen mit welcher Wertschätzung die Verwaltung zugewanderten Menschen begegnet.

Dabei würde die Einwohnerzahl der Stadt ohne Zuwanderung schmelzen wie Eis in der Sonne. 2020 nahm die Zahl der Deutschen durch Fortzüge um 1.217 Personen ab, während 1.574 Nichtdeutsche hinzukamen. Nur durch die Zuwanderung überwog die Zahl der Zuzüge die Zahl der Fortzüge. Die Zuwanderung hat zur Folge, dass in den Altersgruppen bis 10 Jahren und der zwischen 20 und 25 Jahren der Anteil Nichtdeutscher aktuell bei um die 20% liegt.

Zuzüge und Aufenthaltsrecht

50% der Nichtdeutschen besitzen eine langfristige Aufenthaltserlaubnis, nur 0,9 sind Asylsuchende, nur 2.6% werden geduldet. Die hohe Zahl Menschen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus (17.4%) ist Folge des Chaos beim Ausländerbüro. Auch stellt die Unfähigkeit der Verwaltung Anträge auf Verlängerung von Aufenthaltstiteln und Einbürgerungen zeitgerecht zu bearbeiten für viele Nichtdeutsche ein existenzbedrohendes Hindernis da, Arbeit zu finden. Mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus ist das so gut wie unmöglich. Der Besitz einer deutschen Staatsbürgerschaft ist für viele Arbeitgeber ein wesentliches Einstellungskriterium.

Herkunftsländer

Nichtdeutsche kommen in Bochum insbesondere aus Syrien (18%) und der Türkei (16%). Dahinter folgen mit einem Anteil von 6,8% und weniger Menschen aus Polen, Serbien/ Montenegro , Rumänien, Italien, Irak Griechenland Iran und Bulgarien. Entsprechend lag der Anteil an Einbürgerungen von Menschen aus Syrien (15,7%) und der Türkei (11,3%) 2020 deutlich höher als bei allen anderen Herkunftsländern.

Herkunftsländer und Einbürgerungen

Was müsste Bochum vordringlich tun, damit Integration besser gelingt?

Die Zuwanderung nach Bochum ist überwiegend durch Menschen geprägt, die nach deutschen Maßstäben über eher geringe berufliche Qualifikationen verfügen, die wenn sie kommen, nicht die deutsche Sprache sprechen und auch eher selten eine andere Fremdsprache erlernt haben. Das bedeutet, die primäre Herausforderung für Bochum besteht zunächst darin, dafür Sorge zu tragen, dass die Kindergenration spätestens in den Bochumer Grundschulen die für eine erfolgreiche schulische und berufliche Ausbildung erforderlichen Deutschkenntnisse erwirbt, denn Sprache und gegenseitiges Verständnis sind der erste Schlüssel für gelungene Integration.

Weiterhin ist für die Integration der Menschen, die zuwandern, wichtig, dass sie sich schnell als Teil der Bochumer Stadtgesellschaft verstehen. Menschen, die sich aufgenommen fühlen, sind viel eher bereit, sich in eine Gesellschaft einzupassen, als solche, die sich ausgegrenzt und an den Rand gedrängt fühlen. In dieser Hinsicht muss die Stadt Vorbild sein. Das bedeutet konkret, dass die Verwaltung sich gegenüber Nichtdeutschen eindeutig positiv verhält. Respekt gegenüber den Bedürfnissen der Nichtdeutschen und Gleichbehandlung zu Deutschen müssen selbstverständlich sein. Zustände wie im Ausländerbüro sind umgehend abzustellen. Für die Zukunft ist sicher zu stellen, dass es zu diesen gar nicht erst kommt.

Bochum fehlt eine Integrationsstrategie. Neben den bereits angeführten Maßnahmen, sollte die Stadt untersuchen lassen, welche Dinge sie darüber hinaus noch tun kann, damit Integration möglichst schnell und reibungslos gelingt. Die erschreckenden und ernüchternden Zahlen aus dem Integrationsprofil NRW zeigen, dass passiv zu beobachten wie Integration nicht gelingt, für die Zukunft keine Strategie mehr sein darf. Auch endlos auf andere Institutionen wie Land und Bund zu warten, bis diese mehr für bessere Integration tun bzw. städtische Integrationsmaßnahmen finanzieren, kann keine Lösung sein. Die negativen Folgen für Stadtgesellschaft und Stadtfinanzen sowie die strukturelle Armut, die unzureichende Integration nach sich zieht, erfordern umgehendes Handeln.

Absehbar wird der Anteil der Menschen, die zuwandern, in Bochum weiter zunehmen. Gelingt es dennoch nicht, die Menschen in die Gesellschaft zu integrieren und ihnen die gleichen Chancen zu ermöglichen, wie sie deutsche Bürger*innen besitzen, wird die soziale Schieflage in Bochum in den nächsten Jahren weiter zunehmen (Armut in abgehängten Stadtteilen nimmt bedenklich zu). Bleibt es bei den hohen Anteilen von Menschen ohne Perspektiven, die von Transferleistungen abhängig sind, führt das zu zunehmender sich verfestigender Armut, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Mit sich verschärfender sozialer Schieflage nehmen wiederum die Spannungen zwischen deutscher und zugewanderter Bevölkerung zu.

Zuwanderung hochqualifizierter Menschen

Eine Zuwanderung ist insbesondere zur Sicherung der deutschen Sozialversicherungssysteme, zur Bekämpfung des zunehmenden Arbeitskräftemangels und um ein weiteres Abnehmen der Bochumer Bevölkerung zu verhindern dringend erforderlich, muss aber von der Stadt positiv begleitet und gestaltet werden. Dazu gehört ebenfalls, dass die Stadt die Voraussetzungen dafür schafft, dass vermehrt hochqualifizierte Menschen aus anderen Ländern gerne nach Bochum kommen, um hier zu arbeiten und zu leben. Eine solche Zuwanderung kann nur gelingen, wenn die Stadt in vielerlei Hinsicht deutlich attraktiver wird. Was die Stadt dafür tun könnte und sollte, haben die STADTGESTALTER bereits in einem eigenen Beitrag thematisiert (Warum wollen viele Hochqualifizierte nicht im Ruhrgebiet leben und arbeiten?).